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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 10 (Mai 1910)
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Stoessl, Otto: Eine Vorrede
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Altmann, Wilhelm: Die Indianeroper
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0081

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Herr Professor Max Reinhardt auf dem BIumenweg/An der Schleppe: Die Dramaturgen

j Aber ich kann gleichwoh! Deinen Drang nach
m Wunderbaren einigermaßen befriedigen: Die
Send eines rechten Menschen ist ein ganzes
v eben> enthält alle künftigen Erkenntnisse, alle un-
^Jmeidlichen Geschicke in 'ihrem strotzenden
lo,«». mehr, die Jugend eines reinen, freien, schuld-
^j, en Gemiites lebt die Geschicke der Völker selbst,
e Heldenereignisse, Schlachten, Weltbegeben-
^ lten. die Geheimnisse der werdenden Gesittung,
st. r aufwachsenden Staatsordnung und der zer-
> ° renden Revolutionen in einem zierlichen,

n ° sPenhaften, unbewußten Gleichnis voraus und
V/. Cn- In jeder Jugend wird die ganze Menschheit
^'edergeboren und findet sich in ihr wieder mit
en ihren erhabenen, unschuldigen Selbst-

nschungen und Hoffnungen. Die Knospe ist mehr,
ip p 6r ^ aurn- D* e Erfüllung und Vollendung ward
l^.rmttäuschung und Verzicht groß, aber die Ver-
'ßuug sündelos in ihrem Keim.

, tst die Jugend um, dann hat der Ernst des
bens meist die ganze holde Weisheit verdorben,
^ r Blick ist auf die Nützlichkelten gerichtet
I, rc* en, der Mensch marschiert im Regiment und
sCL rscht und dient, was immer die gleiche Knecht-
Ut) natt bedeutet. Wir spannen Reusen und fangen
I) s m Reusen. Diese Entwicklung erspare ich Dir,
hennst sie gut genug, unglücklicher Leser.

'm /J cil zerge zwer innge Leutchen, zwei Helden
^ Morgenrot, mit allen Zeichen ihrer hohen Würde:
Sin edler, tatenverlangender, unverwirrbarer Ge-
sch Ung’ mit heldischer Zuversicht und Lebensbereit-
tjj att zu jeder Stunde des Daseins, im Kampf mit
f) Ser Welt so feurig und unbeugsam, wie nur ein
u n-? uixote unter den Erwachsenen, so wahrhaftig
l>o einfältig, wie nur die Großen es bleiben, die vom
rmer der Wesen die Gabe fortdauernder Kind-

heit erhielten, als welche das Geheimnis des
Genies ist.

Verzeih, Du bist gewiß kein Genie, erhabener
Leser, aber wenn Du ein rechtes Kind warst, dann
warst Du eines. Und dieses Wunder der auf-
gehenden Menschlichkeit, dies Morgenrot will ich
Dir zeigen. Ich will Dich in Dich selbst versenken,
auch das ist eine Art, Dich zu erheben.

So wollen wir uns im Mißverständnis einigen.
Nimm aber diesen Fischfang hin, wie Du anderwärts
Dir anderes Futter für Deine Bildung einhandelst
und laß Dir diese Heldengeschichte nicht allzusehr
mißfallen, ob sie gleich ganz und gar wahrhaftig,
alltäglich und wirklich ist.

Aber es ist eine Geschichte vom Morgenrot!

Du verlangst freilich in immer veränderter
Form die Großartigkeit fabelhafter trojanischer
Kriege, ich gebe Dir eine Geschichte von zwei
wienerischen Bürschlein. Aber auf Treu und
Glauben versichere ich Dir, in ihrer Art gleichen
auch sie dem Achill und Patroklos.

Die Indianeroper

Wäre diese große Oper „Poia“ ein wirkliches
Meisterwerk, so wäre ich der letzte, der sich über
die Bevorzugung eines ausländischen Komponisten
aufregte; aber auch ein Wohlmeinender kann von
der Musik Nevins nichts Besseres sagen, als daß
sie die anständige, keineswegs hinreißende Arbeit
eines in der ausgezeichneten Schule Engelbert
Humperdincks herangebildeten Tonsetzers ist,
der sich in bewußter Nachahmung Richard Wagners
gefällt oder in süßlicher Melodik schwelgt, ohne

auch hierin frei von Vorbildern zu sein. Originell
an dem Werke, das auf die Dauer langweilig wirkt,
ist nur, daß sieben dem reichen Schatze der alten
Indianergesänge entnommene Melodien Verwer-
tung gefunden haben, die natürlich der Oper ein
gewisses Kolorit verleihen.

„Poia“ ist eine Oper alten Zuschnitts mit En-
sembles, großen Chören, teilweise hinter der
Szene, und Ballett. Wenn „Poia“ sich wirklich
kurze Zeit auf dem Spielplan halten sollte, was ich
aber bezweifle, so wird dies weniger der Musik
wegen geschehen, als weil man die überaus kost-
bare Ausstattung bewundern und einmpl eine
Oper sehen will, in der Indianer die Szene be-
herrschen.

Die wohl vollständig erschienenen Spitzen der
amerikanischen Kolonie feierten ihren Landsmann
um so mehr, als eine in dieser brüsken Form wohl
nicht ganz berechtigte Opposition sich geltend
machte. Sicherlich wollten die Demonstranten gegen
die von der General-Intendantur beliebte Bevor-
zugung des unbedeutenden Werkes eines Auslän-
ders Front machen, da man sich sagen mußte, daß
für die enormen und vergeblich aufgewandten
Kosten bequem drei, vier andere neue Opern
hätten ausgestattet werden können. Da das könig-
liche Opernhaus so wie so mit einem großen De-
fizit arbeitet, hätte „Poia“ allein nur wegen der
kostspieligen Ausstattung von der General-Inten-
dantur abgelehnt werden müssen. Wer ist für die
Annahme überhaupt verantwortlich? Wer sind
die Persönlichkeiten, die so manches deutsche
der amerikanischen Oper weit überlegene Musik-
drama abgelehnt haben und seit Jahren dafür sor-
gen, daß die Opernbühne, die in Deutschland die
Führung haben sollte, inbezug auf Auswahl der

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