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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 34 (Oktober 1910)
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Hille, Peter: Das Mysterium Jesu, [2]
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Leonardo <da Vinci>: Gedanke
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Heymann, Walter: Leonardo da Vinci und Lisa Gioconda
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0275

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Von nun ^an aber fraß der Weg die Sohlen,
Qeist und Eifer den Weg und Geduld das Laster.

Und es kam der erste Jünger und stellte dem
Meister sein ganzes Lebensgut zur Verfügung, d;e
Einsicht zur :Belehrung, jden Willen zum Gehor-
sam. Womit er sein Leben vordem hatte bauen
und erhalten wollen, das Vermögen reidhte er dar,
er zertriimmerte die'Form seiner Tage und sprach
zum Meister: „Sdhaffe mir eine neue, wie du willst,
Meister!“

Der Meister nahm den Starken und erzog ihn
und baute aus dem guten Grund.

Wieder kamen ihrer, die wollten wohl das Gute,
Schöne, das Seligwerden nach dem Tode; aber
fahren lassen, was sie hielten, das vermochten sie
nicht, und traurig gingen sie fort, weil 1 sie fiihlten,
der Leib l'ebte, aber die Seele starb. Und wie sie
gingen, empfanden sie vor Furcht schon die Hölle
dcr eigenen Verderbnis, däe keinem erspart bl'eibt,
der fiihlt und schwankt und seine Besserung tötet.
Unselig sind sie und überaus armselig, armselig
gerade an ihrem Reic'htum und erringen kein Mit-
leid wie die Darbenden und wehgesdilagencn Träger
der Plägen und Qualen — die Lauen an eigener
Trägheit Verwesenden, nur noclh Verachtung. Der
Vollkommenheitssucher ist ein Maler. Der aber
erhebt und läutert die Gebilde seiner Gemälde und
macht sie frei von der Gestalt seiner Schausitzen-
den. Der weiß: Nur die Schafe der Welt ist bunt,
darinnen aber wohnt die Fäufnis für und für, und
wer statt der Arbeit die treue Hand zu reichen,
die purpurheiße Zimmetwange lichtlockigen Ge-
nusses streicheft, |wie des Westens Fingerspitzen
leis über Rosengärten gleiten, der stört und zerstört
die Menschheit bei sich und andern, die er braucht,
der Verführer. An so geil' entarteter Häufung aber
cntzündet sich jdas Feuer der Hölle.

Der Starke gebraucht die Welt nach dem Geist,
oder er wirft sie fort, wenn er das niCht vermag
°der mag. Der Schwache aber fühlt nicht, wie
cr so scliwach ist, zu schwach für die Welt und
ganz ohne Gegenwehr für den täusChenden Welt-
sinn, und sterben muß an der Nahrung der Welt,
sterben muß im Geiste. Darum verfiert der Reiche
den Sinn für die Seele, weil, was des Leibes ist,
so faut ihn umtost, und er nur darauf bedaCht ist,
wie er den Leib füttere, den Geist aber darben,
absterben, sterben lläßt. Und rnehr der Jünger
kamen, viele fielen, doCh es blieben derer, die sich
anschlossen, sich opferten, derer, die immer die
Worte ewigen Wertes hörten und ihre Seefen aus-
r*chten ließen nach dem Wohlgefallen Gottes. Nicht
hervorragende Anlagen, oder Ansehn und Vermögen
zählte mit bei (der Jüngerwahl, keine Kaste, nur
Vertrauen und iWillen.

Und immer gesChwisterlicher ward es, treulich
wollend siCh ergänzend. Und der Zwölfte kam.
Da ist der Ring gesdhfossen. Und einer derer, die
Eamen, auCh er glaubte. Aber er war vorsichtig,
ohne Mißtrauen ivorsiChtig. Er hielt die Augen
offen. Er konnte nicht anders. Er suChte die Wahr-
fieit, aber wie ein Forscher, nicht mit Inbrunst
oder Gebet, wie die Frommen sonst es tun, der
Vorschrift treuherzige jBeherziger.

Und des Heifands Rede war mäChtig wie ein
Gesetz und steflt gewaltig siCh hin, milde hier und
herbe dort, und alles zur rechten Stunde. Gleich-
uisse, tüChtig und sChficht wie das Leben, das
Gottes Hand entffossene Leben versCheuchten den
Vorwitz und forderten auf zu feben dieser stillen
Kraft zu Tat und Gehorsam, zu starker Demut
den Wiflen zu erziehen. Und sein Wort fiel auf
die Jünger und die Weiten und die Massen.

Die Zwöff aber sammelte er um sich und lebte
gemeinsam mit ihncn, und lehrte sie den hehren,
schlichten Alltag ides Göttlichen, den die Auserwähl-
ten wandefn, die Weihe und Würde des Mahles
und der Erholüng, das innerliche Gebet vaterauf-
blickenden, dankend fangsamen Brotbrechens, den
Gruß zum Himmel für die Frucht der Erde. Später
dann soflten die Berufenen seine Vertreter werden,
sie soflten sein Werk tun, wie er selbst, in seinem
Namen. Und seine Kraft, sein Willen zur Mensch-
*e*t öffnete siCh, müdemachende, die starke Seefe
ces Menschlichgebundenen schwächende Wunder.

und Gebet ersetzte die gespendete Kraft.
achthCh, wenn des Tages allgemeines Werk dann
ruhete, kam zu jhm die stille forschende irdische
Weisheit, die gehaften priifende Vornehmheit des
gebifdeten Mannes. Und auch den lehrte er nicht
allgemein wir idas jVolk, nicht wie ein Priester,

ein Verkünder und Prediger, sondern afleän, ein
Zwiegespräch Von Mund zu Mund, wie der Denker
seinen Liebfingsschüler unterweist.

Gedanke

Von Leonardo da Vinei

Die vor mir waren glücklicher als ich.

Sie griffen zu und tasteten mit Händen
Und suChten aus. Bei tausend Gegenstäinden
Fanden sie Vorteif und Gebfaudh für sidh.

Mir aber Idrückt siCh in die Hände: Leere,

Ich sah ja schon im Gehn und Stehn und Streifen,
NiChts bfieb mir übrig, das noch zu ergreifen
Groß-nützfiCh oder sehr gefällig wäre.

Da mußt ich tun, wie jener fremde Mann,

Den seine Armut stundenfang verspätet;

Daß er afe Letzter auf den Jahrmarkt kommt,
Und keiner gafft und feifsc'ht mehr auf dem Markte.

Von dem, was viefer Käufer Hand durChharkte
Sieht er nur liiegen, was sie ausgejätet
Beiseite fieß. DoCh dieses nimmt er an,

— \Vas wegen wenigen Wertes keinem fromrnt —
Besörgfich, jwie er’s gut zusammenrafft.

Ja, iCh wefd’ auf mein sChwaches Saumtier legen
Den Sack des Unerkannten und VersChmähten,
Und damit geh’s — niCht zu den großen Städten!
An armen Dörfern solil, auf Mühsalwegen,
Ankehren sein, HinreiChen und Verweilbn.

Dort werde mir solCh Lohn für jede Gabe,

Afe es gebührlidh sCheint ihn zu erteilen
Der SaChe, welbhe ich gegeben habe.

Deutsch von Walter Heymann

Leonardo da Vinci und
Lisa Qioconda

Von Walter Heymann

„So wie Üie großen BüCher der MensChheit
nichts Fertiges sind, sondern jedes Jahrhundert,
jede EpoChe, jeder Mensch an ihnen weiter diChtet,
so ist die GioConda, in der Leonardo sein höChstes
Lied vom Weib, vom Mensehen, von der Natur
gesungen hat, immer neu gesungen, immer neiu
instrumentiert, heute wie eine ungeheure Weft-
polyphonie, lin Her die Zeiten selber tönend ge-
worden sind —mit diesen Worten beginnt Marie
Herzfefd im Buche „Leonardo da Vinci, der Denker,
Forscher und Poet“ einige Seiten über das Bild
der Mona Lisa. Wem solbhe Worte übertrieben
sCheinen, der suCht nach anders kfingenden Stim-
nus gfichen die Worte, mit denen der „Praerafaelit“
Walter Pater ihr Bild beschwört. Rainer Maria
Wafther Pater ihr Bild beschwört. Rainer Maria
Rilke singt:

„Das Weib ward fängst in der Mona Lisa reif
wie Wein.

Es müßte nie ein Weib mehr sein!“

Versuchen, diesem „Wunder“ mit wissen-
wollender Betrachtung zu nahen, heißt in Leo-
nardos Sinne handeln, der nur den durCh Erkennt-
nis oder Experiment geprüften und bewiesenen
Gfauben gelten ließ.

Wir wollen Von deln Sdhöpfer des Bildes aus-
gehen. Um zu sehen, was uns das Bild über
ihn und seine Sinnesart sagt, müssen wir auf
das Urbifd kommen, fragen, was es ihm bedeutete.
Wir können dabei kaum mehr afe auf einer Wahr-
scheinfichkeitsgrundlage weiterdichten; so lange die
fortsChreitende LeonardoforsChung nicht eine De-
taifuntersuChung der speziifisChen mimischen Aus-
druCksmittef bietet, kann nichts zu bessern Resul-
taten führen.

NaCh seinem Maifänder Aufenthalt am Hofe
des Moro (Hauptarbeiten: „Das Abendmahf“, „Rei-
terdenkmaf des Franöesco Sforza“) ist Leonardo
um 1500 wieder in Flbrenz. Er söll der Santa
Annunziata eine Tafef für den Hauptaltar malen
und schafft wenigstens den Karton der heifigen
Anna Selbdritt. Zwei Tage lang wallfahrten die
Flbrentiner Izu (dem Bild, um zu bestaunen: wie

hier die sehr fäc'helnde Anna ihre ToChter Maria
auf dem Schoß Häl't, die, gleichfalls Mutter, dem
kl'einen Jesus beim Spiel mit dem Johanneskind und
dem Lamme zusieht.

1501 mafte Leonardo eine Madonna mit Spinn-
gerät. Das Christkind hät eine Haspef genommen
und betraChtet verwxmdert ihre vier kreuzförmigen
Strahfen. Das Bild War ein Auftrag, es ist uns
Verlbren. Leonardo hat um diese Zeit überwiegend
mathematisChe, technische, anatomische Interessen,
hört fast ganz auf, zu mafen. In den Folgejahren
nimmt er afe Oberingenieur des Cesare Borgia an
dessen bfutigen Feldzügen teil. Vom fünften März
1503 ist der Fünfzigjährige in Flbrenz. Dorthin
kam im Jahre 1504 — in dem Leonardos Vater
starb — der junge Raffaef und blieb bis 1506. Er
studierte den Karton, auf dem Leonardo im Reiter-
kampf der AnghiarisChlacht der Erinnerung an das
eben gesChaute Kriegswüten durch die Darsteflung
tobender LeidensChaft Ausdruck verfieh. Er ließ
siCh weiter beeinffussen durCh Leonardos Leda und
durc'h das, was er vom Bifde der GioConda da-
mafe sehen konnte. Diese beiden Bilder stehen
für Leonardo mit seinem wohf fetzten Gemälde,
einem „Johannes“ in Verbindung. Am dreißigsten
Mai 1506 verfieß der Meister seine Florentiner Hei-
mat, vermutfiCh mit der AbsiCht, nicht rnehr sobald
dorthin zurückzukehren, kam aber 1507 wegen
eines ReChtsstreites mit seiner Famifie wieder. Er
dürfte das Bild der Lisa, Fr.au des FrancesCo del
Giocbndo sChon 1506 soweit geführt haben, wie
er es fieß, vollkommen nadh unsern Begriffen, nicht
voHendet nach seiner Meinung. Nach Vasari hätte
er vier Jahre daran gemaft; daß dafür die Jahre
1503 bis 1506 vorzugsweise in BetraCht kommen,
gift heute als sidher.

Es war nicht vief, was siCh ihm in FlorenZ
bot; und was ihn dennoCh hieft, war eben die
ungewöhnliche Aufgabe. Man bedenke: es war
das erste eigentliChe Frauenportrait, das nidht von
der Medaille abhiängig blieb oder einen Frauenkopf
einfaCh im scharfen Profif vor eine Wand, eine
FarbensChicht steflte. Man hatte noCh kurz vörher
überhaupt nur Männer, und Frauen höchstens afs
Aktricen in refigiösen Szenen und sonst als Ma-
donnen abkonterfeit. Dann kam es auf, Frauen so
darzusteflen, daß sie wie irgend eine Genie die
Idee, das Ideaf des Malers, die Frau an siCh Ver-
traten. Leonardo zeigte die MögfiChkeit, durdh ein
einfadhes Abbifd, wirklichkeitstreu und überwirk-
fidh, nicht nur all diese Wünsche und Absichten zu
erfüflen, sondern bewies durch seine Zusammen-
fassung, daß die Individuafität im Ausdruck Historie
in Ruhe sei.

Uns kann Leonardo nachträgfidh als einer er-
sdheinen, den seine besondere Begabung zum Por-
trait gedrängt habe, zumaf wenn wir an die Fülle
sdhöner Handzeichnungen denken, die uns liebliche
Köpfe und Gestaften erleben lassen. Wir müssen
seine Neigungen für das haften, was ihn führte.
Sein Anfang zeigt ihn afe Lyriker. LäChelnde junge
hofde Frauen und MädChen, schöne Jünglinge, ehr-
würdige Greise wies ihm seine Phantasie freiwiflig.
Unter Männern in der Bl'üte der Jahre fesseln ihn
nur kraftvofl sdhöne. In allem sucht er höchsten
Ausdrudk für ein Gefühf, eine Stimmung — sie
wollte er das Ffuidum der reinsten Gebilde der
Schöpfung in zarter Vision spüren lässen. Er rät,
die guten Partien aus versdhiedenen Gesichtern von
anerkannter Schönheit auszuwähfen, sonst bringe
man Aehnfic'hkeiten mit den eigenen hinein. Ein
Lyrikerbekenntnis. Und dicht neben diesem Fühlen
das psydhologische Interesse. Leonardo wächst mit
seinen Aufgaben, afe hingebender Wirklidhkeits-
diener, afe spekulativer Forscher und Denker, als
SouVerän seiner Darsteflungsmittel, aber nidht durdh
die Zeidhnungen, die so schnell entstehn, sondern
bei der Arbeit an großen Werken, die Vief Zeit ver-
langen. Er träumt davon (Anbetung der Könige),
erbietet sich dazu (Sforzadenkmaf), wird zu ge-
waftiger Anspannung durch Aufträge angeregt,
deren Bedeutung er erst wirkfiCh erfaßt (Abend-
mahf). Mehr als alles andere liebt er die Malerei
und seine Malerei wird dramatisdhe Schöpfung. Er
geht mit Zittern an die Arbeit, die fangwierig ist,
die ganze Seefe quält und noCh naCh erlangter
UebersiCht tausend Ueberllegungen fördert. T>ie
Szene des Abendmahfe Verbindet areizehn Per-
sonen in Gebärd'e und Mienenspief so, da'ß die
Worte Christi zum innersten Mittelpunkte der Dar-
stelfung werden; es macht dies Werk zu einer

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