Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

DOI Heft:
Nr. 28 (September 1910)
DOI Artikel:
Laforgue, Jules: Jules Laforgue / Gedichte
DOI Artikel:
Rittner, Tadeusz: Rätsel: Tagebuch eines Märchenkönigs
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0226

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Jules Laforgue / Gedichte

Deutsoh von Max Brod

Solo des Mondes

Idh rauche, ausgestreckt irn Wagen,

Und lasse tnich zum Himmel tragen.

Es riitteft sich des Leibes elendes Gestell,

Und meine Seelte,

Die Seele tanzt wie Ariel;

O schöne Seele ohne Hehle, ohne Fehle,

O Straßen, Höhen, Nebel', Bergrevier,

O meine Seefe! wiederholen wir.

Wir liebten uns so wundersam,

Wir schieden ohne wie und wann,

Ein arger Spfeen hielt mich im Bann,

Ein Spfeen, der mir in allem kam. Gut.

Ihr Auge sagte: „Kommst Du mit?“

Oh, warum willst Du nicht verstehn?“

Doch keiner trat den ersten Schritt,

Und jeder ließ den andern gehn.

i { i :

Wo mag sie heute sein ?

Viel'Ieicht sitzt sie allein . . .

Wo mag sie heute sein?

Oh, mindestens sei kl'ug, laß Dich beschwören,

schone Dich!

Ihr Waldungen den Weg entlang im Schauer,
Shawf der Melancholie, und jede Seele auf der Lauer,
Oh, eicherlich.

Mein Leben ist beneidenswert!

Wie magisch dieser Wagen fährt!

! : ! i |

Der Mond geht auf,

O träumender Straßenlauf! . . .

Vorbei die Mühlen, die Spinnerei,

Vorbei die Meifensteine,

Und rosige Abendwölklein wie aus der Konditorei,
Und die Mondensichef, die feine, erscheine.

O träumende Straße, ohne Musik . . .

In diesen Fichtenwäldern, wo immer
Schon seit Erschaffung der Welt
Die Nacht sich häft,

Was gibts da nette und tiefe Zimmer,

Oh, um Entführungen zu arrangieren!

Und ich bevölkre sie und gewahre
Einen hübschen Haufen Liebespaare,

Die drinnen ungesetzlich gestikulieren.

H j i : : ;

Ich seh sie nicht mehr. Vorbei und schnefl
Und ich liege zum Himmel das Angesicht
Gewendet und ich bin Arief.

Es dreht sich der Weg. Man erwartet mich nicht,
Mein Leben ist feer

Und die Hotefzimmer mein einziger Verkehr.

■' f i 1 f i ' ! •

Der Mond geht auf,

O träumender Straßenlauf,

Endlose Bahn.

Die Poststation,

Da trinkt man Milch und zündet schon
Die Laternen an,

Und eS treibt der Postillon
Im Zirpen der Grillen
Unter den stillen
Jufisternen die Pferde an.

Du Mond in Strahlenpracht,

Bengafische Beleuchtung einer Hochzeitsnacht,

Du heilst meine Wunde . . .

Oh, die Schatten der Pappeln die Straße entiang,
Und der Bach gibt acht,

Gibt acht auf Seinen eigenen Gesang

Und der Lethestrom übersChwemmt die Runde.

Du Mond im Strahfenspiel,

Bist stärker als mein Stil.

Oh! Diese Nacht den Weg entlang;

Ihr Sterne fern und nah
Ihr maCht mir bang
Ihr seid ja afle, alle da!

Oh! Dieser Stunde rascher Gang . . .

Gäb es einen Elixier,

Ich etähfe ihre Seele für den Winter mir.

Wie kal't es wird!

Oh, wenn zur sefben Stunde,

Gteichfalls zu heilen ihre Wunde,

Den kal'ten Wald entlang sie irrt
In dieses Mondes HoChzeitsmessen! . . .

(Sie liebt es, spät umherzugehn!)

Und sie hat ihr Halstuch vergessen,

Dann aCh! Mit Rücksicht auf die Sch’önheit dieser

Stunde

Ist es um sie geschehn!

Oh! Schone Dich, faß Dich beschwören,

Und diesen Husten will ich nicht mehr hören.

Ach! wär ich Dir zu Füßen gefallen!

Ach! hättest Du mich ohnmächtig gelcüßt!

Ich wäre ein Gatte, ein Muster vor allen,

So wie das Frou-Frou deiner Röcke Muster aller

Frou-Frous ist.

Festabende

Ich bin die Gondef, die zu spät
Erscheint, da das Fest zu Ende geht.

DaS ist so meine Laune, Kind,

Weif jetzt die sChönen Abende sind.

Nun lieg ich am Deich. Und die Leute sind dumm,
Tanzen herum und tanzen davon
Und niemand begrüßt den verfornen Sohn . . .
Und Bänder und Licht und Fiedefgebrumm!

Ihr flatternden Fraun, sö ist es wohl!

Und so ist es recht. Ich bfeibe im Boot
Für Möven und Sturm und bleibe bedroht
Von allen Gefahren von Pol zu Pol!

— Am Brückenbogen warte ich stifl . . .

DoCh niemand kommt; und die Pracht erfisCht;
Und ich ffuche der Nacht und dem Ruhm und der
i , Macht

Und dem Herzen, das 1 Acht und Verachtung will!

Beklagung des Foetus eines Poeten

Es gilt, — voran, voran!

Kfebrige Nacht der Wurzeln zu zerfetzen,

Quer durch Mama, durchs Albumin zu setzen,
Voran zum Licht, zu afl den seidnen Schätzen
Der Sonnenbahn!

— Jeder sein Teif, jetzt ist die Zeit an mir, zu

prahfen

Und aus dem Kelche meinen neuen Typ zu strahlen!
Voran!

Gerettet aus den Schteimhaut-Steppen, schmeichelnd
Zur Sonne auf! trunken von GoldmilCh, speichelnd
Im Schlafe an die Wolken, die mir streichelnd
Und weise nahn!

— O Traum, es wird ja doch nur ein gefopptes

Leben

Unter den Fraun mit meiner Windhauchseete geben!
Voran!

In Gottes Hand mit tausend blauen BliCken
Und auf der Molkenmilch der guten Wolken,

Im Land des ! Männerweines zu ersticken!

Kein Wahn!

Da da, ich föse mich, voran . . .

— Die Stirn gen Osten nehme iCh die Kommunion
Und in Gestaft der unbewußten Küsse schön!

Voran!

Ertönet, Safven! Sickre, feste Sonne!

Ade, Aquarium, in Biütewonne,

Fermente meiner Puppe! Nun wohlan!

DoCh hier ists kaft. Voran!

Ah!

Mama ...

— Nun säugen Sie, mit aller Liebe die Sie haben,
Madame, und möglichst lange diesen armen Knaben.

Aus dem Bnch: Jules Laforgue: Pierrot der Spassvogel
(Deutsch von Franz Blei und Max Brod) Verlair Axel Juncker
Berlin

Rätsel

Tagebuch eines Märchenkönigs
Von Thaddäus Rittner

1.

Die berühmte Schönheit meiner einzigen Toch'-
ter, die den JüngKngen Rätsel aufgibt, füllt mir das
Leben nicht aus. Ich gestehe offen, daß ich' etwas
anderes sein möchte, afs ich bin. Ich langweile mich.

Und dabei frage ich mich, wohin das führen soll.
Denn wenn meine Tochter ebenso schfäu und er-
finderisch bleibt, so bekommt sie nie einen Mann.
Außerdem ist es klär, daß wir etwas zu viel Jüng-
l’inge umbringen und daß uns daraus mit der Zeit
Unannehmfichkeiten erwachsen können. Es sterben
durchschnittfich acht Männer täglich, und davon
entfällt die Hälfte auf ächte KönigsSöhne.

Aber mit meiner einzigen Prinzessin ist ein-
fach nicht zu reden. Denn ate ich ihr vor einem
Jahr VotsChfug, endlich! einem anständigen Menschen
aus’ guter Familie ein etwas leichteres Rätsel auf-
zugeben, fachte Sie so unheimlich, daß ich mich
seither hüte, dergteiChen von ihr zu verlangen.

Ich möChte etwas anderes sein, afs ich bin.

2.

Gestern wurde ein magerer Schreiber wilden
Tieren Vorgeworfen, und zwei blühende Königs-
söhne verbrannte man auf dem Scheiterhaufen.

Nach der Hinrichtung der Jünglinge kam meine
Tochter in den Park herunter. Noch leuchteten
ihre Augen Von den roten Farben, die sie getrunken
hatten. Die Sache scheint ihr wirkfich Spaß zu
machen. Es gibt verschiedene Arten, Jugend und
Leben zu genießen; unangenehm, daß die ihre so
vief Leichen und Umstände erfordert.

„Hat man wieder deine Rätsef nicht gelöst?“
frage ich, um etwas zu fragen.

„Nein,“ Sägt sie liächelnd und errötet jung-
fräufich.

„Und was hatten sie zu erraten?“

„Zuerst: Was ist das für ein Kamm, mit dem
sich der Tod kämmt? Du, Papa, weißt es natürlich/

„Natürfich . . .“ antworte ich, wiewohl ich
nichts weiß.

„Dann: WaS ist das für ein Rabe, der eine Stadt
im Schnabe! trägt? Du, Papa, verstehst es . . .“

„Ich verstehe,“ sage ich und bllcke zu Boden.

„Endfich: WaS ist das für ein Lied, das nie-
mand hört? Du, Papa . . .“

Nein, ich weiß es nicht. Aber wer bürgt mir
dafür, daß sie selbst es weiß?

3.

Heute war es merkwürdig schwüf in meinem
Pafast, und in meinem Garten dufteten die Rosen
wie unsichtbare Gespenster. Ein Sturm lauerte in
der Luft, und ich wußte, es ist der Tag, an deim
meine Tochter sChweigt und keine Rätsef aufgibt
und weiß und müde in ihren Gemädiem sitzt. . . .

Die Luft ist still. Nur manchmal regt sie sich
sChwer und träge, wie bfeierne Leiber der Krokodile
im Flüß meines Gartens.

Fünf Jünglinge Bind gekommen, und sie warten
ängstfich auf morgen. Und morgen bedeutet Tod.
Denn meine Tochter hat keine Vemunft.

„Geh,“ sage iCh zur schwarzen Skfavin, „geh'
und frage heimliCh die jungen Männer, ob 1 sie es
nicht vorziehen, gfeiCh und ohne Rätsel zu sterben.“

. . . Aber sie zogen es nicht vor.

Die Blümen duften süß in meinem Garten, wie
die Träxune meiner einzigen ToChter, die Jüng-
lingen Rätsel aufgibt.

4.

Seit einigen Stunden sind die JüngKnge tot.
Wo anders spiefen die Prinzessinnen Guitarre oder
singen oder fassen ihre Sklavinnen singen oder
spielen.

Aber meine Tochter. . . . Seit ejniger Zeit ist
sie auch träge, selbst in ihrer einzigen Unterhältung.

Heute Sitzt sie wieder untätig in ihrem Ge-
mach, ünd wieder ergehen Sich im Schätten der
Pahnen Jünglinge, die auf morgen warten.

Es sind ihrer zwei, und sie gehen zusammen,
wie Freunde oder Brüder, weil sie das gleiche
Schicksaf aneinander bindet. Der eine ist wie ein
Bettler, Hunger und Liebe blicken ihm auS den
sChwarzen Augen, und der andere ist reiCher ge-

222
 
Annotationen