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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 18 (Juni 1910)
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Pinsky, Chammay: Labyrinth
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Lasker-Schüler, Else: Ein Amen
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Bimini: Die Nestroy Charade
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Minimax: Kirchliches: Selbstmord eines Löwen Oder Zu kurz gesprungen
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Beachtenswerte Bücher und Tonwerke
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Labyrintb

Von Chammay Pinsky

Aus Deinem Schlafe schöpf ich meine Träume,

Ich singe wie Dein Leib, wie Deine Nächte —

Ich singe wie Dein Blut.

Wenn ich in einem Lied, in einem Märchen
Von einer Königin erzähle,

Die einen armen Sänger liebte —

So sind wir’s beide.

Und wenn ich dann von einer braunen Hirtin,

Die einen großen König liebte, singe —

So sind wir’s wieder.

Wenti nachts ein Engel, auf dem Monde reitend,

Zu meinem Bette kommt und meine Träume

streichelt

Und meine Lieder singt, damit ich schlafe —

Ich weiß — Du bist es!

In einer Urgewitternacht —

Wenn aus dem Herz des Donners mir entgegen
Ein großes Schauerwunder, eine Lilith,

Hervorblitzt —

Mit Armen und mitFüßen mich umschlingend,

Als wolle sie mein krankes Haupt
Mit Blutgewalt der Donner ihrer Brüste
Zerstiirmen —

Du bist es wieder!

Ich seh Dich in Jerusalem
Auf Gipfeln heiliger Berge,

Wo einst Propheten standen,

Vor Augen scharfer Sonne
Den schönsten Jiingling kiissend —

Und seh Dich in den Tempeln
Der alten großen Heiden
Als kindlich schöne Priesterin
Im heiligen Irrtum
Den Weihrauch, statt dem Abgott,

Dem jungen Priester reichend . . .

Und in Aegyptens Labyrinthen

Nach einem Wandertage, einen Ausgang suchend,

Dann kommt am Abend, wie ein Rest der Sonne,

Ein Mädchen piötzlich, das mir leise

Rasch eine urgeheime Tür zeigt,

Die rechts zu einem Paradies fiihrt
Und links zu einem wilden Brunnen,

Wo es mit mir die ganze Nacht bleibt,

Damit wir morgens beide sähen,

Wie dort am Nil die Sonne aussieht —

Und morgens bei dem Brunnen
Da lacht das Mädchen Iustig
Und ich erkenne Deine Augen —

Die Labyrinthe.

Und iiberall, wo meine Lieder wandern,

Wo meines Blutes Geist mich tollreißt,

Da find ich Dich, Du braune Hirtin,

Du, meines Lied’s Prinzessin,

Du Nachtcherub, Du schwarze Lilith,

Du Labyrinthenwächterin,

Du Kind Jerusalems, Du schöne Heidin —

Da find ich Dich,

Mir Deine großen Augen,

Wie zwei Prophetinnen,

Entgegentragend.

Gin Amen

Einmal, als ich sie besuchte, malte jemand ihre
Hand — eine schmale Dolde am Ast, eine Seele,
die blühte. Ellen Neustädter spielt nicht zur Schau;
ihr Spiel ist eine tiefe Dichtung. Die Bühne fängt
die Geschehnisse ihres Herzens auf und reicht sie
dem Besucher, ein vielköpfiges Ganzes. Sie gibt
dem Gemach oder der Landschaft die Farbe und ihr
Odem ist iiberall. Die Damen vom kiinstlerischen
Theater in Moskau könnten ihre Schwestern sein;
die haben allerdings ihre Partner, ihre Zugehörig-
keit. Ellen Neustädter hat nur einen gleichwertigen
Bruder in Berlin: Oskar Sauer. Warum trennt man
das rechtmäßige Spielerpaar? Klein Eyolfs Eltern
sind sie. Schwere, hehre Paradiesstimmung, diistere
Ernte. Eine Engeline: Ellen Neustädter; der Erz-
engel unter den Schauspielern ist Oskar Sauer. Was
ihre Lippen bringen, ist Kunst aus Segen gewölbt.
Sein Spiel straft, ihr Spiel belohnt; ist ihr Wesen
aus Glas, sein Wort aus Stahl. Immer erzwingt die
Gabe der beiden Wunderkiinstler ehrfürchtige An-
betung. Es schneite draußen weiße Sterne. Oskar
Sauer war seinen Leiden erlegen in „Nora“.
Stand noch lange nach Schluß der Vorstellung am
Theatertor — ich bildete mir ein, er sei wirklich
gestorben. Auch heute wagte ich mich nicht stür-
misch zu begeistern. Ellen Neustädters Seele ist
eine zagende Dolde. Durch die lange Theater-
abendstraße ging ich auf Zehen heimwärts, denn
mein Herz träumte noch. Genial ist das Unantast-
bare, erzengel ist alles Genie, es erlöst vom Täg-
lichen, bringt Verlorenheit und Seligkeit zugleich.

Else Lasker-Schiiler.

Bei Gelegenheit einer Aufführung des Schauspiels L i e b e s
w a 1 z e r in den Kammerspielen zu Berlin

Die Nestroy Charade

Joab . . . Guido Ilerzfeld
Judith . . . * * * ?

Bei plebejischen Totschlägen und adligen
Schießaffairen stellt Herr K. A. unter dem Strich
des Berliner Tageblatts kulturelle Betrachtungen an,
in denen sich Rudolf Lotharsche Weltkenntnis und
Holzbocksche Weltanschauung spiegeln. Aber
wenn die Temperatur aufs höchste steigt, bricht
er eine Feder fiir ff. Biere und div. besttemperierte
Böwlchen und lenkt den Verdacht, daß die all-
gemeine Volksverblödung durch die Lektiire seiner
Feuilletons gefördert werde, umständlich auf zu
reichlichen Genuß von Zitronenlimonade.

Am Abend des 24. Juni dieses Jahres war die
Temperatur selbst im Deutschen Theater, wo sich
Herr K. A. als referierender Beobachter aufhielt,
durchaus erträglich. Eine Vermutung, was fiir Ge-
tränke etwa Herr K. A. an diesem Abend zu sich
genommen haben könnte, ließe sich daher auf den
Thermometerstand des 24. Juni doch nur recht vage
basieren, wenn nicht sein in derselben Nacht ent-
standenes Referat den Verdacht erweckte, daß Herr
K. A. bisweilen selbst im Genuß von Zitrönen-
limonade iiber die Schnur haut. Ja, der kritische
Theaterbesucher und der aufmerksame Leser K. A.-
scher Feuilletons kann sogar feststellen, daß die

überreichliche Limonaden-Libation in der Pause
zwischen Goethe und Nestroy stattgefunden hat.
Zwar war K. A. noch fähig zu erkennen, daß „die
Laune des Verliebten“ miserabel wie Limonade ge-
spielt wurde, aber der Nestroyschen Judith-Parodie
war er nicht mehr imstande zu folgen. Er möchte
gern ein lobendes Cliche an den Darsteller der
Judith vergeuden. Aber auf dem Theaterzettel
findet er dessen Namen verschwiegen und durch
drei Sternchen ersetzt. Daß Joab, der Judith Bru-
der, unter den Frauenkleidem steckt, entgeht ihm.
Im zweiten Akt tritt der Kerl als Soldat auf und
als Judith verstellt er seine Stimme. Aber K. A.
hat recht. Wenn Nestroy die Judith, die gar nicht
auftritt, sondern von ihrem Bruder Joab gemimt
wird, im Personenverzeichnis besonders aufführt,
ist das kein Grund für die Theaterleitung den Refe-
renten eines einflußreichen Blattes durch drei Stem-
chen in die schaudervollste Verlegenheit zu bringen.
Er ist nun einmal gegen die Symbolik. Nun gar
noch auf dem Theaterzettel! Bimini

Kirchliches

Selbstmord eines Löwen
0d9r

Iv kurz gesprungen

Ein tragisches Ende fand ein bejahrter Löwe,
der von der Berliner Parochialgemeinde vor siebzig
Jahren für die Gemeindekirche engagiert war. Er >
hatte gemeinsam mit drei anderen bronzenen Löwen
darüber zu wachen, daß die umwohnenden Christen
regelmäßig in die Kirche gingen, und von seinem
Standpunkt auf dem Turm sich die Säumigen zu
merken. Der Nachlaß des Kirchenbesuches im
letzten Jahrzehnt hatte den Löwen schon sehr
deprimiert; das in Ehren halbverblödete Tier war
nun durch die neue Kulturkampfbewegung in hohe
Erregung geraten. Am Sonnabend nachts 11 Uhr
stellte sich der Schutzmann Paul Schnauzbart vom
57. Revier zur Kontrolle auf dem Kirchplatz auf; ;
der Löwe hielt den Mann, der in großer Pose im
Dunkeln neben einer Pumpe stand, für den Ieib-
haftigen Papst, sprang herunter, auf ihn zu, und
kam elendiglich um. Unter großer Beteiligung der
ganzen protestantischen Bevölkerung dieser Ge-
meinde, nach Absendung einer flammenden, un-
frankierten Ansichtspostkarte an den Papst, trug
man den Löwen zu Grabe, der übrigens, wie sich
erst jetzt herausstellte, nur aus Blei war.

Minimax

Beachtenswerte Bücher und Tonwerke

Ausflihrliche Besprechung vorbehalten
Rücksendung findet in keinem Fall statt

ELSE LASKER-SCHUELER
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Verantwortlich für die Schriftleitung:
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