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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 35 (Oktober 1910)
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Hauer, Karl: Von den fröhlichen Menschen
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Hille, Peter: Das Mysterium Jesu, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0283

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Typus, dem heitnlidi oder offen, bewußt oder un-
bewußt alle nachstnaben. Das moderne Leben
untergräbt alle Wurzeln der Fröhlichkeit, denn es
ist ein System der Verwüstung aller natürlichen
Ordnung. Die Predigt der Demokratie, die Politi-
sienmg der Massen durch Demägogie von Unten
und Abw.äl'zung der Verantwortung von Oben, die
Verödung des Oeistes durc’h die Erzeugnisse der
Schnellpressen und fortschreitende Maschinali-
sierung des ganzen Lebens, Ueberproduktion und
Industriatisierung der Kunst, neben überhebendem
Aesthetentum, Verbrauch der Kräfte durch ein
wahnwitziges Zuviel an unnütze Arbeit, die von
Männern geförderte Frauenemanzipation: dies afles
sind ebensoviele Ertötungen von MögliChkeiten des
Frohsinns. (Was dieser Zeit am meisten abgeht,
ist ein homerisChes GeliäChter über sie!

Aus einem demnächst bei Johada und Siegel in Wien er-

scheinenden Essayband

Das Mysterium Jesu

Von Peter Hille

Aus dem Nachlass

Der Heiland und das Weib

Das Geschlecht der Liebe, das der Lfeiland
heben und befreien iWol'Ite aus der Sklaverei der
Lust zum Sdiwesterntum des Mannes, wie hätte
er niCht vor allem dieses verstehen sollen und es
lieben? Lieben mit der Liebe der Verklärung, jn
der nichts Einzelües mehr zittert, die alle hebt und
lehrt und bereitet, und keine verstößt jm Vorzug
der Einen?

Weil' er rein und unverlangend über dem Weibe
stand, |war er ihm auch näher, trauter, das Ge-
heimnis des heldenmütigen scheuen GesChlechtes,
seine Bangnis schlichtend und ratend zU seinem
Besten. NiChts nimmt sich der Mensch so leicht
heraus als Raten, und nur Einer kann raten: Gott.
Andere lieben zu oft das Weib nur zu dessen Ver-
derben. Jesus aber liebte das GebärgesChlecht, das
Lust und Opfer der Liebe, Gehorsam und Qualcn
zu mischen hat, alles dies weidsam Trübe zur Rein-
heit der Liebe, reinsam zu seinem Heile.

Ekel' ist der Schatten der Lust. So wandelt
sich die Gemeinschaft der Lust leicht in die Ge-
meinsamkeit des Ekels, ientzweit sich und lästert.
Der Reine aber erkennt auCh im Uebeln die Hin-
gabe. (So liebte Jesus das Weib, das gemütstief
folgsame Gesc'hleCht und lehrte es lieben, ließ sich
lieben von ihm und erzog seine Seele zur Freiheit,
die er ihm zu geben gedaChte.

Und das Weib, das wie Verfolgte, wie Wild
und Kinder witternde GeschleCht, erkannte seinen
Freund, seinen göttliChen Freier und braChte jhm
Salben, die es löste mit dem Tau seiner Seele,
ehrfürchtige Demut und stil'len Dankes tiefen Blick.

Richter auf Erden

Es ist mensChfiChem Hochmut einmal eigen,
wenn jemand siCh frei fühlt von dem oder jenem
hindernd erniederndem Trieb. Und findet am Nac'h-
bar ihn, so geht er hin und verkl’agt ihn und will
ein Maf der Sehande ihm aufgestempelt haben. Seine
eigene Häßlidikeit aber an anderer Stelle sieht er
nidit, und sieht er sie, denkt er mit Reu und Gebet
leidht sie abzubitten vor dem obwaltenden Gott.
Dodh des Geistes Gesetz ist die GereChtigkeit.
Wunder der Allmacht zwar sind dem Geiste leicht,
ganz unmöglidh aber Wunder des Willens. Gott
kann keinen Geist beseiligen wider seinen Willen
oder Wert. Marklbse Wünsche jiützen da nicht.
Und dieses Gesetz eben heißt Geredhtigkeit, heißt:
Gott kann sein eigenes ReiCh nicht zerstören.
Des unverzeihenden SdhuMners Schwäche kränkt
die Reinheit des Geistes, wie aber kann ihn, den
Unreinen, ein anderes jUnreines kränken? Kaum
hät er Redht, es zu vermerken — und er will es
ahnden? |AIs ob jder Andere ihm verantwortlich
sei! So sah der Göttlich-e, um den die Menschen-
sinne jiur geworfen Waren wie ein Gewand der
Seete, des Redhts jämmerlichen Behelf, und wies
ihn puf.

Allein der Sündenlose soll den ersten Stein
werfen auf di-e eingesteh-end Angesdhuldigte.

Und hätte ein sol'cher sich gefunden, auch er
hätte nidht strafen dürfen. Der Vorzug des
seefisdhen Glückes, des eigenen Vorrechts, das ihin

geworden war, gab ihrn kein Redht auf deti seeÜsch
minder Starken, minder Begabten.

Hartherzigkeit derer aber, «die selbst Barm-
herzigkeit sehr nötig haben, nimtnt von ihrem
Haupte, was sie andern weigern, nadkt stehen sie
nun da der strengen Geredhtigkeit, die zürnen
würde, falls sie Izürnen könnte.

Im Reidhe d-es (Geistes hört die Gewalt auf,
da gibt es nicht Sklaven und HerrsCher.

Nur Einer konnte (die Sünderin strafen, der
Heiländ selbst. Aber ihn verlangte niCht nach Ver-
letzung, sondern nadh Genesung, so entließ er sie
mit Verzeihung zu einem besseren Leben.

Der Umgang

Sage mir, mit wem du umgehst, und idh will
dir sagen, wer du pidht bist. Das gilt für jeden:
der Umgang wifl Ergänzung, Andersgeartetes. Jesus
aber hatte nodh einen höheren Grund, albo zu han-
deln. Um sich : fdie Jünger, die künftigen Gefäße
seiner Lehre, g-ern erbötig denen, die ihn aufsuChten
um Trost und Belehrung, vorspreChend bei Freun-
den ,iin der stilen, gegenseitig Geist und Gemüt
nährenden Heiterkeit und gastlliCh herzliChen Feier
der Einkehr, suChte er nicht die Reichen und Mäch-
tigen, die gesetzeitefn Pharisäer und Sclhriftgelehrten
auf, die aus HoClvmut leere Werke taten, auCh nicht
die behäbigen Besitzer mittlern Standes. Die modi-
ten zu ihm ko-mmen, wenn sie hungerten, aber sie
waren satt und ibedurften seiner nidht. Nein, die
Vorurteile brach er, mit den GeäChteten ging er um,
mit -den sdvfeCht (Angesehenen, mit der offenkun-
digen, vom HoChmut der Tug-endbolde, dem über-
tündvten Moder d-er Seete, d-em T-ode des Geistes
geächteten Sünde verkehrte er und trat ein in die
Wohnung (d-es Ausliänders, des verhaßten Zollein-
forderers fremdtändisCher Unterjochung, des
Henkers d-es Handefs und der Freiheit, denn längst
vorüber waren die Tage der Makkabäer, der Hämmerer.

Das ware-n die Gefäße seiner Gnade, sie erhob
er, ein-e Lehre woflte er geben der KleinliChkeit der
öffentfichen M-einung — er, der göttlichen Ur-
sprungs, sich denn-och schlicht des M-enschen Sohn
nannte.

So brach er in die Vorurteife sein GeistesreiCh
unendliChen Bruderfriedens und sah hodh hinweg
über die Vorurteife, die Enge des vaterländisChen
Aberglaubens.

Arzt war er, und ging, w-o er Krankh-eit fand,
er wollte gründen das Ueberreidh und suchte Bürger.

Die sühnende Sünderin

Man hatte den wunderlichen Meister von
Nazaret eing-elladen, sidh zu Gelmüte geführt —
nic'ht den Wundertäter, den starken Sohh der MaCht,
den Geist in Gestalt.

Man hat sich diese Mierkwürdigkeit kommen
lassen, a-ber denkt nidht an Ehrerbietung, an gast-
lidhe Pflicht.

Und mun naht ein Weib: die Sünderin!

Das Aergernis, was will’s hier?

Lockere Sitten ? Nein, hier wande-It män
stre-nger Satzung nadh. Und so sdhließen sich die
Mienen in verkniffner Lippe der Tugenddünker
widerstrebend über der eigenen Lüsternheit. 'Nei-
gung allein heim'mt -Verweisung. Das Aergernis
kniet, sejn-e Seete badet in Zähren des Staub des
Irdisdhen vom Fuße wegstaubigen Wanderers.
Und alle die strengen Blicke fühlte es, das Aerger-
nis ‘— Bllidke ;in ihr Leben und in ihr befremd-
liches Tun und Treiiben. Und d-oCh ist sie Weib,
sie muß sidh spieg-efn mit all ihrem blanken Emp-
finden jm Lädheln d-er Umgebung. Mutig hat sie
diesen -Zug bekämpft, als sie Sünde tat, der Lust
zuliebe, inutiger besi-egt sie audi die VeraChtung
der Freieren: Sie ist Geist.

Ihr -Leib liäßt fdie Sucht und di-ent in Demüt
dem Willen der Gottheit. Wie ein Mantel der
Gnade umhüllt sie das Haar, und demütig nim'mt
sie die sChweren, vol'Ien Ringel, um die duftende
Salbe um die edelgefügten Füße des Gottesgängers
zu führ-en. Das Salbeng-efäß, diese Graburne der
Eitelkeit, ist nun leer, köstliCh wie eine geläuterte
Seete duften die sdhlichten Füße des Allgöttlichen.

In einsam streng-er Sdhlankheit steht das Ala-
bastergefäß üa, imtn-er aber kniet die Heimgefun-
dene vor d-en göttlliChen Augen. Audh sie fühlte
die gütigen Sonnen wie Wärme auf das Bad, den
segnend-en Regen der Rührung vollwilliger Reinheit.
NoCli kann sie nicht auf sich wagen, hinein nicht
schauen, (d-och von all den Verachtenden um sie
weiß sie nidhts rnehr.

Und nun schauert ihre Seele, ihr SCheitel fühlt
die Gnadenhänd kühl und lauter — sie ruht, die
Hand, und ist Segen: Gotteshänd ist Gabe und
Gottesruhe Weihe. Der Heiländ fühlt das Gesetz
ihrer rein-en Liebe, seine seelensuChende Liebe hat
gefunden |und freut jsidh und wärmt. Der reine
Mann des göttliehen Willens versteht und gestaltet
des Liebesgeschfechtes biegsame Seele. Höher als
feige Tug-end, furChtsamer Kälte steht edle Ver-
schwendung törichter Lie-be, das kraftvolle Wilden-
tum des Wiflens. In seiner GöttliChkeit dankbarer
Ruhe lohnt der H-oh-e die Gabe gewendeten Lebens.
Ihr Salbengefäß der weltlichen Lust und Lockung,
nun ist es l'eer, voll aber, über Rand und Zeit voll
ist nun ein Gefäß, das ehedem Staub nur barg und
verwahrlbsten Fteiß der Oede bezeic'hnenden Spinne.

Die Besessenen

Erdbeben der Geister: Unerkllärliche Unruhe
faßte, jagte und trieb sie auf die MensChen, diese zu
bcdrüCken, ilire Angst in ungeberdigen Bewegu-ngen
mitzuteilen und dadurch sich erleichtert zu fühlen.
Was in d-en Menschen forsChte, sie hierher und
dorthin trieb, zu Lchre und Ridvtung, zu Vater-
landstum -oder AnsChmiegung ans Fremde: es hetzte
auCh |dte Geister.

Um nun der in ihnen furchtbarer, greller,
ungebroChen-er körperunverdumpfter siCh zeigenden
Wendungsempfindung izu entgehen, ium ihr und
siCh zu entflÜ-ehen |und d-och irgendwo Schutz zu
fin-den, verkroCh-en sich die Unvollkomtnenen und
hinabgewandelten Geister bei den Menschen. Diese
unreinen, ins Böse entsChiedenen Geister der Un-
deutlidhkeit, isie durfte der Meister nidht schonen,
mit iihnen durfte er kein Mitfeid haben, wo es
ums schwebend-e Leben der freien, in GfeiChgewicht
vorw-ärts sChwankenden M-ensclhennatur sich han-
-delte.

Da schnitt sein reinscharfes Antlitz, sein hart-
ruhiges Wort, sein-e schneidend sChraubehde, teichte
Handauffegung sie aus lihren Sclhlupfwinkeln.

Der Seelenseh^r

And-ere sehn die Gestalten, die Fehler und
Loc'kungen, Ergebenheit und Trotz, SChme-ichetei
ihrer äußeren ScbiCht.

Der dauernd-e Geistempfinder, der von Gott ist,
sieht inur die W-erdegestalt edler, sidh mühender
Seefen, und bei den Wenigen den köstlichen Geist,
für den sCh-on auf Erden das Sdhfeierspiel der Welt
ein Nichts ist. Er sieht die Liebe, wenn sie auch
als Ausschlag, als igChmutz zur Oberfläche tritt,
afs -etwäs aus zu gr-oßer Formbrunst Zergehendes—
er isieht s:-e und sagt:

„Ihr ist viel vergCben, weil sie viel geliebt hat.“

AuCh die warme-mpfindende Sünd-erin ist rei-
dher als d-er nüchterne geizjge Tugendpocher.
Und s-o ist audh die Reue sdhön, wenn sie in ihrer
Tiefe Fieber ihre »Höhe schaut.

Frauen vvaren s-eines suchenden Erlösersinnes
erstes iGefoIge mit ihr-er hingebenden, fassend die
Gnade, alle Gnad-e teidenden Seele. Erst das
erstarkte, kräftige, körperliCh tastbar gewordene
Seetentum voller Sprünge und Einzelecken: das aus
dem Einen ein Vietes gewordene — Moral — fassen
u;nd tragen auch die Männer; sie mit ihrem son-
dernden Arbeitssinn mehren dann und opfern sich
ihm. Nur ganz Wenige aber dringen wieder hinein
in den zarten Beginn und sind ruhig in ihm und
mildfest. So war Johannes, so wurden die Gott-
empfinder. ,Zur Vollkommenheit aber vereint sich
beides: -Weibeszarte Frömimigkeit muß männlich
hCl'denstark pich rühren, tätig sein, niCht leidend,
gestal'tend, gebend, frudhtbar — niClit fühlend nur
und nehmend.

Ja, sie wollen Heil, die MensChen — aber von
außen. V-on Heute jwolien sie hören, aber niCht
den ,der die Ewiigkeit redet. Das hindert den Geber,
macht ihn unfähig, härt und herb zu bitterster
VeraChtung das W-ort des holdselig mit tiefen,
ernsten, seelenliebessehnsüChtigen Augen Sprechen-
den. Er soll (helfen. Man hindert ihn: das Ver-
fangen, das enge Gebet schon schiebt beiseite seine
Gnadenhand. Al'ler UmStand — und sei er noch
so selig — kann n-iCht hinein in di-e unfertige,
verunstaltete, niCht nach dem G-eiste ringende Seele.
Si-e wirft zu ihrer G-enesung, zur Abwehr v-on
Kranklieitseinschluß, zur Verhütung blühend be-
wuclierten UebeiS alles Glück hinaus, solange ihr
Zustand nicht läuter ist, niCht alles äußerlich Gute
annimmt und wieder von innen heraus es verkllärt.

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