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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 50 (Februar 1911)
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Soyka, Otto: Schaffende Liebe: Eine Ibsenstudie
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Péladan, Joséphin: Das Lied auf das Gold
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0402

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Schaffende Liebe

Eine Ibsenstudie

Von Otto Soyka

Dass der Gegenwart, ihren Gestalten wnd ihrem Streben
in Ibsens modernen Dramen ein künstlerisches Denk-
mal gesetzt ist, wie es gewaltiger kaum irgend eine
Zeit ihr eigen nennen durfte, ist eine Anerkennung,
die nicht versagt wird. Aber nach wie vor will man
im Spiegel dieser Kunst das Abbild einer müden kranken
Menschheit erkennen, das Hinsterben einer iiberreifen
Kultur. Ein Dichter der Dekadenz, ein Kiinstler das
Leidens, Schöpfer unfroher und gequälter Gestalten,
prägt er die Hoffnungslosigkeit eines erliegenden Ge-
schlechtes — damit ist die allgemeine Auffassung gekenn-
zeichnet, die von der Kritik selten eingeschränkt wurde.

Die gegenteilige Anschauung erscheint im ersten
Augenblick paradox. Dennoch ist in der Reihe der
Dramen von den „Stützen der Gesellschaft“ angefangen
neben der Geschichte des Zugrundegehens die des Neu-
erwachens einer Zeit enthalten; und mit so stolzen,
zukunftsicheren Verheissungen ist sie verkiindet, dass
jeder Moment der Hoffnungslosigkeit vor ihr verblasst.

Wenn das allgemeine Urteil sich darüber täuschen
konnte, so lag es daran, dass man Anschauungen, die
dem Wesen des Ibsenschen Dramas fremd sind, als
Massstab für seinen Inhalt nahm. Diese feste Voraus-
setzung, mit der man an die Beurteilung der Dramen
herantrat, ist der populäre Glaube an einen ganz be-
stimmten Sinn und Zweck dessen, was schlechthin
Liebe heisst. Denn als man endlich verzichtet hatte,
in Ibsens Werke die abgezirkelte Aneinanderreihung
sozialer Probleme zu sehen, als man in seinen Gestalten
Menschen erkannte, deren Tun und Lassen durch ein
tiefes Interesse, das sie an einander nehmen, gelenkt
wird, da galt es erst dieses Interesse zu verstehen und
zn werten. Dieses seltsame, starke Fühlen, dessen Vor-
handensein jedem konventionellen Wort einen tieferen
Nebensinn verleiht, solange es nicht alle Schranken der
Konvention durchbricht, schien sich überhaupt dem ge-
bräuchlichen Begriff der Liebe nicht recht zu fügen.
Und als man doch nicht umhin konnte, ein Begehren,
wie es zwi*chen Hedda und Eylert, Rebekka und Rosmer,
Irene und Rubeck und all den anderen nach Ausdruck
und Erfüllung ringt, Liebe zu nennen, da mass man
seinen Wert am hergebrachten Zweckmassstab.

Der Zweck I Zu allen Zeiten hat man der Dar-
stellung der Liebe auch in den absurdesten Formen die
Sympathie nicht versagt. Dolch, Gift, Natur- und Spinn-
stubenromantik sind dem Künstler gerne als Requisiten
zugestanden worden. Nur an eines durfte er nicht
rühren, ein Zug musste klar und unverkennbar bleiben:
der stets vorweggenommene Zweck. Wie immer die
Aeusserungen waren, das Begehren selbst musste als
Wille zum Kind verstanden werden können. Hier war
der Wertmassstab der Liebe, trotz Kunstbegeisterung
und Romantik, hier ihre Berechtigung, hier auch die
Grenze des Gesünden, noch zu Duldenden in ihrem
Bereich. Als man diese Auffassung in die Welt der
Dramen trug, dann — und erst dann — erhielten ihre
Gestalten den Stempel der Unvollkommenheit, ihre
Leidenschaften den des Krankhaften. An dieser Ueber-
zeugung gemessen ist Ibsen der Schilderer des Nieder-
ganges. Aber diese Anschauung selbst, dieser alte, ge-
festete Giaube an den Götzen „Kind“ dem so viele
Generationen im Leben und in der Kunst geopfert haben,
bedarf der Prüfung.

Ist jede Liebe krankhaft und unnütz, die dem einen
Zweck nicht gerecht wird, ist sie stets eines von beiden:
verächtlich oder bedauernswert? Gibt es keinen anderen
Sinn, kein anderes Ziel der Liebe, das diesem einen
ebenbürtig ist? Gibt es nur diese eine Liebe und ist
jedes andere Liebesfühlen krankhaft, dem natürlichen
Zweck entfremdet oder gibt es Liebe, mit anderen
ebenso natürlichen Zwecken als die Fortpflanzung der
Gattung?

Gerade in diesen Dichtungen, die die vornehmste
Darstellung einer Liebe enthalten, die nicht der Trieb
zur Zeugung sein kann, ist es möglich, Wert und Wesen
dieser Gefühle zu kennen.

Die Liebe bei Ibsen wirkt und schaft am Menschen.
Nicht neue Menschen zu zeugen, die Lebenden zu
höheren Menschen zu veredeln, ist ihr Ziel. Sie er-
weckt, sie erzieht, sie befreit. Schaffende, im Leben
und durch das Leben schaffende Liebe beseelt seine
Schöpfung. Nur nach dem erziehenden und befreienden

Wert darf gemessen werden, ob diese Liebe das Leben
verneint. In modern materialistisch geschulten Gehirnen
entsteht der Einwand: Welche Bedeutung kann es für
die Menschheit überhaupt haben, wenn der Einzelne
veredelt wird, der sich nicht fortpflanzt? Rosmer,
Solness, sie werden zu den höchsten Gipfeln ihres
Selbst getrieben, um im Augenblicke dieses Erreichens
zu Grunde zu gehen? Man muss es heute besonders
betonen, es gibt eine Art, Kulturwerte fortzupflanzen,
die nicht Vererbung heisst. Das ist die Tat; das Bei-
spiel, das von einem gegeben in unzähligen anderen
lebendig weiterwirkt. Baumeister Solness stürzt im
Moment seiner grossen Ueberwindung, aber er über-
windet im Angesicht der Menge.

Liebesgeschichte, Geschichte dieser Liebe allein ist
der Insalt all dieser Werke, denen man so gerne Rätsel-
haftigkeit und ungeheuerliche Verwicklung zuspricht.
Was der mächtige Apparat, die Fragen der Zeit und
der Gesellschaft, bei ihrer Darstellung zu suchen haben?
Es ist eine Liebe besonderer Art. Liebe, die Kultur-
werte schafft und nicht Menschen, die den Menschen
heranbildet zum Kämpfer einer Zukunft und ihn von
den Jochen der Vergangenheit befreit, die hat nicht
Raum in der kleinsten Hütte; die muss ihn begleiten
in die Stürme seiner Zeit, die braucht das ganze Theater
des Seins, um zu reifen und zu schaffen. Da müssen
alle Klippen und Gefahren der alten Kultur sich offen-
baren, alle ihre Dogmen und Drohungen klar liegen,
um die Schöpfung des Menschen höherer Kultur zu
begleiten.

In den „Stützen der Gesellschaft“ ist das Problem
gestellt. Zwei Frauen stehen dem Manne zur Seite;
die eine, die Mutter seines Kindes, die andere, die
Retteria seines Selbst. Lona Hessel liebt, indem sie
kämpft. Sie reisst den Konsul aus der Ruhe, ihre
Liebe will ihn veredeln, neu schaffen, zum freien Menschen
schaffen. Diese Liebe und ihr Werk ist der Inhalt des
Stückes. Noch fehlt die Siegeszuversicht, die aus späteren
Dramen spricht, noch wirken äussere Umstände helfend
und bestimmend. Wie schaffende Liebe kämpft und
siegen kann, ist hier die Formel; nicht dass sie siegen muss.

Das Bedürfnis am Menschenwert zu schaffen in
Liebe treibt Nora von der Seite ihres Mannes. In der
Erkenntnis, in der Aufgabe, in dem Bewusstwerden ihrer
Bestimmung liegt der Keim zukiinftiger Tat. Da ist
mehr an hoffnungsfrohem Optimismus verborgen, als
jener zweite Schluss des Dramas davon ausschreit, da
Nora um der Kinder willen bleibt. — In den Gespenstern
die vernichtende Gegenprobe: Die Mutter, die ihr eigenes
Menschentum und das des Mannes, den sie liebt, dem
Kinde opfert und zwecklos opfert. Das wird erst uns,
die Gegenwart, bejahen müssen, um damit das Kind,
die Zukunft zu bejahen.

Die Wildente ist wohl vom „Normalgefühl“ aus das
perverseste der Dramen. Ein geschlechtsunreifes Kind,
das einen Mann liebt, der sein Vater sein könnte.
Heiss und stark, mit ihrer ganzen, ihr selber fremden
Seele liebt. Ohne Rat und Ueberlegen, geleitet von
einem untrüglichen Instinkt, geht Hedwig Ekdal den
Weg, der allein zur Rettung Hjalmars aus Lebenslüge
und Niedrigkeit führen kann. Den Weg, den der kluge,
wägende Verstand Gregor Werles so sicher verfehlen
muss als ihn dieses Kind nicht fehlen kann in Liebe.

Rosmersholm. Die Geschichte einer Erfüllung. Die
Erschaffung zweier Menschen. Wie sie einander geben,
von einander empfangen, zur Höhe wachsen und zum
vornehmsten Menschentum (gelangen; wie diese Kraft,
genannt Liebe mit der unabwendbaren Gewissheit eines
Fatums ihr Werk vollendet und dieses Werk der freie
Mensch einer Zukunft ist. Hier ist der siegesfrohe
Glaube an die läuternde, schaffende Macht der Liebe
zum reinsten Ausdruck gebracht.

Die Frau vom Meere. Dass Wangel heranwächst
in seiner Liebe, stark und sehend wird in ihr; so
übermenschlich stark, dass er in dem einen entscheiden-
den Moment, in dem das ganze Zukunftsschicksal dieser
beiden Menschen gepresst ist, verzichten kann, das ist
das alte Märchen wieder, von der in den Edelstein
gebannten Prinzessin, die nur erlösst wird, durch das
Vonsichwerfen des Edelsteines, und durch die Zu-
versicht, dass diese Erlösung kommt (Hebbels Rubin).

Hedda Gabler. In leidenschaftlicher Sehnsucht zu
geben, stirbt sie am Ueberreichtum schaffender Liebe.
Sie hat das einzige getan, das ihr Teil an einem
Menschenschicksal geben konnte und sie hat dem ge-
liebten Mann die Gabe des Schmerzes gereicht. Zwei-
mal. Als sie sein Werben zurückwies und als sie sein
Werk zerstörte. Das erste Mal wurde sie die Mutter
6o eines Buches, das zweitemal gab sie ihm den Tod.

Aber dass sie sterben, Hedda Gabler und Eylert Lövborg,
in dieser Welt ohne Schönheit, das ist das Zeugnis
einer Kraft, die über den einzelnen hinweg an einer
kommenden Welt der Schönheit schafft.

Baumeister Solness. Nicht in Bevvunderung seiner
Fähigkeiten, im Ansturm gegen seine Unzulänglichkeiten
und Mängel streitet und wirkt Hilde Wangels Liebe.
Sie ist die Naturkraft, die an der Unvollkommenheit
wächst, um der Unvollkommenheit willen schafft. Das
Kind, das einen Schwindsüchtigen durch die Berge jagt,
tut nichts anderes, als das Weib, das einen Schwindelnden
zur Höhe treibt: Sie streitet gegen die Schwächen, und
wurzelten sie noch so tief in der Natur, sie ist in
ihrem Recht, denn sie selber ist schaffende Natur. Der
Einzelne mag über diese Entwicklung zerbrechen; sein
Tod ist das Leben der Kultur und diese Toten erwachen.

Klein Eyolf. Der unzweideutige Ausdruck dieser
neuen Metaphysik der Geschlechtsliebe. Rita und Asta,
beide wollen sie dem Mann geben, den Mann erschaffen
und nicht das Kind: Rita: „Wenn nun aber Eyolf niemals
geboren wäre? Was dann?“ Allmers (ausweichend),
„Ja, das wäre etwas anderes, dann hätte ich ja nur
dich.“ Rita (leise mit bebender Stimme). „Dann
wünschte ich, ich hätte ihn nie geboren.“ Allmers (fährt
auf): „Rita! Du weisst selbst nicht was du sprichst!“
Rita (vor Gemütserregung zitternd) „Icl. irachte ihn zur
Welt unter den unsäglichsten Qualen, doch alles ertrug
ich mit Jubel und Wonne um deinetwillen.“ Allmers
(mit Wärme): „Gewiss, gewiss, das weiss ich wohl.“
Rita (entschlossen): „Dabei aber mass es sein Bewenden
haben. Mein Leben will ich leben zusammen mit dir,
ganz mit dir! . .“ Der Tod des Kindes hat ein neues
Leben zweier Menschen geschaffen.

John Gabriel Borgmann. Einer, der nach den
Gipfeln strebte und seinen Weg verfehlte, als er die
Liebe opferte. „Die grosse unverzeihliche Sünde —
das ist die Sünde, die man begeht, wenn man das
Liebesleben mordet in einem Menschen“ — „Ein Toter
und zwei Schatten, das ist die Frucht der Kälte.“ „Ja,
der Herzenskälte.“ Das Leben, das hohe freie Leben,
die Gegenwart, das ist die Frucht der Liebe.

Wenn wir Toten erwachen. Wenn wir Totes er-
wecken in uns und in anderen. Irene und Rubek er-
wachen, Frau Maja erwacht in diescr Erkenntniss zu
ihrem eigeneii Leben. Erweckende Liebe, wie die
Irenes zu Rubek, ist wie die Rubeks zum Marmor,
Borkmanns zum Golde. Erweckende Liebe ist der
Baustein aller Kultur.

In grandioser Einfachheit steht Ibsens Werk vor
jeder Kritik, die nicht ^ne Welt hinter den Personen
sucht, sondern die Personen aufsucht in ihrer Welt,
die nicht nach aussen, die nach innen deutet, die ver-
einfacht und nicht kompliziert. An ungezählten Stellen
zeichnet er den Begriff seiner Liebe, seiner „unnatür-
lichen“ Liebe, die in Manuskripten und Bildwerken ihre
rechtmässigen Kinder erkennt. Und bei richtigem Ver-
ständnis dieses Begriffes bleibt in der Menge der
wechselnden Erscheinungen ein einziger Inhalt: es wird
geliebt.

Welche Zwecke und Erfolge diese Liebe begleiten?
Ob er in ihr das Leben bejaht oder verneint?

Wo immer es die Gegenwart verneint, bedeutet es
eine Bejahung der Zukunft. Die Erschaffung der
höheren Kultur und des höheren Menschen ist der Sinn
des Bildes, das er von dieser Gegenwart entwirft. Mit
einem oft| missbrauchten Namen nennt man das die
Schaffung des Uebermenschen. Und das ist der Weg,
den er schildert: So ringen und drängen in unserer
Zeit Kräfte der Liebe im Leben und an jedem Leben,
die es bereichern, die es steigern und veredeln. Sünde
wider die Zukunft ist Wiederstand gegen diese schaffende
Kraft der Liebe. Sie aber schafft an ungezählten
Menschen von heute ihr grosses Werk, den kommenden
Menschen.

Das Lied auf das Qoid

Von Sar Peladan

1

Sinnbild der Vollkommenen, Vereinigung der Wissen-
schaften, o reines Metall, Verhärtung aus Sonne, Dich-
tigkeit aus Licht, ruhmreiches Gold, allmächtiges Gold,
Gottheit Gold!

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