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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 50 (Februar 1911)
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Péladan, Joséphin: Das Lied auf das Gold
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Scheerbart, Paul: Der Kaiser von Utopia, [10]: Ein Volksroman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0403

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Vergebens werden die Moses auf die Höhen gehen,
das göttliche Wort zu empfangen: immer Verlangen
nach Gold, wird man dich anrufen, und dein Gesetz
wird wie ein verehrtes Joch die Seelen dieser Welt
beugen.

2

Talisman des Wunsches, unverderblicher Stoff, o
einzige Erde: du gabst den magischen Zeiten die Ge-
sundheit, trinkbares Gold; die Gelehrten selbst haben
dich gesucht, Stein der Weisen. Die Künste und die
Berufe sind Wege zu dir.

Die Barmherzigkeit des Heiligen, die Selbstsucht
des Schlechten begehren dich beide; Triebfeder jedes
Verbrechens, Mittel dea Güte, Bestandteil des Friedens,
Werkzeug der Finsternis, gleichgültiger Mitschuldiger
der Schande und des Ruhms, fiigsam dem Satan wie
dem Engel, Allgottheit Gold.

3

Dieser Alchemist, der sein Alter iiber den Athanor
beugt, hat sein Leben verbraucht, um dich zu be-
schwören. Sieh: sein fieberhaftes Forschen belebt noch
sein Auge, das morgen der Tod verglasen wird.

Dieses Schiff, das nach unbestimmten Ufern geht,
nimmt es mit Winden und Strömungen und Wirbel-
stürmen auf; denn an einem Abend der Wache er-
zählte ein Schiffer, er habe einst an den Küsten eines
Landes gekreuzt, wo du dich noch verbirgst; um einen
Strahl von dir verlassen diese Christen Land, Herd,
Famiiie und heuern eine Argo, um dich zu entführen,
goldenes Vliess

4

Du bist der Don Juan jeder Elvira, und das Bett
der Liebe ist nur einer deiner Altäre, o Meister des
Lebens und Meister der Frau, Verfiihrer ohne Nieder-
lage, Ueberreder ohne Einrede, Stoff, der die Seele
unterwirft, Ideal jedes Wesens, verhängnisvolles Gold.

Erst muss man dich besitzen, wie auch der Plan
sei, den man verfolgt; keiner wiisste eine Liebe zu
leben oder ein Werk zu machen, wenn du nicht
Pracht für den Leib, Stille für den Geist brächtest,
erste Zutat jeder Freude.

5

Goldl Goldl Macht über den Mächtigen, du be-
zwingst die Starken, Auflöser des Unauflöslichen, Ver-
wirklicher des Unmöglichen, Gold, Lösegeld, das von
allem Schaden befreit, wenn du morgen in reinen
Händen wärst, wiirde die verwandelte Welt uns den
Himmel kosten lassen.

Gold, Schwert des Verlangens, Schild, den das
Leben nur in rauhe Hände gibt; will Gott etwa den
Schmerz bei den Starken, und wählt er schon aus,
indem er dich von einem Schicksal verbannt?

6

Wie ich dich besinge, stört mich ein Gedanke.
Warum kommst du nicht auf den Ruf des Genies?
Immer bist du fern vom Leben der Grossen: Corneille
ohne Schuhe, Wagner seinend Hund verkaufend, Balzac
von Schulden geplagt, Spinoza Brillenschleifer, Sigalon
ohne Farben, Lamartine ohne Brot klagen dich an.

Warum bist du den Einfältigen und den Räubern
treu? Kein Held hat dich je gekannt. Dir gefällt es
bei den Flegeln. O du machst den Reichen: warum
bist du der gute Geist der Dummen und der Schutz-
engel der Rohen allein?

7

Dein Ruhm verwirrt, geheimnisvolles Metall, höch-
stes Ding. Allesbeherrscher, der über der Welt der
Seele eine zweite Sonne zu sein scheint, kostbarer
und fruchtbarer. Dein Ruhm begann am Morgen der
Menschheit und erbleicht nie; dein Ruhm wird von
allen anerkannt. Wenn Gott nicht wäre, du würdest
Gott sein.

Dennoch, Gold, das alles in sich schliesst, du bist
nichts durch dich selbst, sondern nur eine Ueberein-
kunftl Du vereinfachst das Kaufen, den Tausch; das
ist alles; unpersönlicher Gegenstand, Gold, sachliches
Ding.

8

Das Erz, schlecht geprägt, bricht; das Wasser be-
wahrt seinen drohenden und eigensinnigen Willen; die
Erde hat Krisen und verschwindet zuweilen; der Wind
gehorcht dem Schiffer nicht: du, du bist der Knecht
des.Knechtes selber; gemeines Gold, jede Hand ge-
braucht dich, du bist das grosse Werkzeug des Gleich-

machens; und wenn du eine Seele hast, glänzendes
Gold, wbs machst du damit?

Goldl Ich beklage dich; solltest du dieser Teil
des Lichtes sein, der Lucifer in seiner Sünde folgte?
Wirst du die versöhnde Form der Weltkraft sein, die
dich empörte ?

Deine Schönheit enthüllt uns einen erhabenen Ur-
sprung und deine Rolie hier unten als Teilnehmer an
jedem Wunsch flösst mir ein tiefes Mitleid ein; dein
Glanz bestimmt dich zum Werk des Lichts, der Giite
und Liebe, wunderbares und liebliches Gold.

9

Du hast gesiindigt, ohne Zweifel durch deine ei-
genen Strahlen geblendet, Metall aus Licht: du siihnst,
indem du durch die Hände der Gemeinsten auf der
Welt gehst.

An den grossen Gott, der dich geschaffen hat, richte
ich meine Bitte, dass dir verziehen werde. Und die
dich vergeblich gerufen haben, die Genies und die
Armen, werden auch fiir dich bitten. Dann wird das
himmlische Mitleid verzeihen, wie die Helden und die
Kiinsler dir verziehen haben: Gold, Nichts von heute.

Im Tal Josaphat wirst du, begnadigtes Gold, reu-
miitiges Gold. reines Gold, wirst du, erhöhtes, wieder
Licht gewordenes Gold, am purpurnen Tag des jiingsten
Gerichtes sein.

Deatsch von Emil Schering

Der Kaiser von Utopia

Ein Volksroman

Von Paul Scheerbart

XXX

Die Rechtszentrale

„Nanu“, sagte der Herr Bartmann in der Rechts-
zentrale am Schwantuflusse, „was wollen Sie denn von
mir?*

Der Angeredete, ein alter Kontrollbeamter, zog eine
Photographie aus der Westentasche und zeigte sie dem
Herrn Bartmann und sagte lächelnd:

„Das sind Sie, nicht wahr, Herr Bartmann? Sie
haben gestern Abend in einem Bierkeller, der nur
achtzig Meilen von der Rechtszentrale entfernt ist, eine
Bierrede gehalten und sich in dieser sehr abfällig über
das Kaiserreich Utopia geäussert. Die Rede ist durch
Automat aufgenommen mitsamt Ihrer Photographie und
heute morgen durch Rohrpost hierhergelangt. Sie Herr
Bartmann sind mit Luftwagen hierhergekommen und
augenscheinlich ein sogenannter Fremder. Alles was
Recht ist, aber das können Sie nicht verlangen, dass
man in Utopia schlecht über Utopia reden ciarf — und
somit wollte ich Sie bitten, mich zu meinem Betriebs-
direktor zu begleiten.“

Herr Bartmann kraute sich hinter den Ohren, ihm
wurde schwiil zu Mute, er stotterte und sah sich nach
seinem Luftwagen um.

Aber der Kontrollbeamte meinte lächelnd:

„Es ist ja nichts Gefährliches. Strafen tun wir
nicht in Utopia. Aber die Sache muss zur Diskussion
gestellt werden. Ihre Rede hat interessiert. Durch
solche Reden können Sie in Utopia beriihmt werden.“

„Ich danke schön fiir den Ruhml“ rief der Herr
Bartmann wiitend aus.

„Danken Sie nicht zu friih,“ versetzte der Beamte,
„der Ruhm ist doch eine vortreffliche Ware “

Sie standen am Ufer des Schwantuflusses, in der
Mitte des Flusses stand auf einer länglich ellipsen-
förmigen Insel der Hauptturm der Rechtszentrale, und
an jedem Ufer standen je drei Nebentürme der Rechts-
zentrale. Und diese sieben, hundert Stock hohen
Türme waren durch Tausende von Briicken mit Fahr-
stiihlen untereinander verbunden.

Und da fuhr dann der Herr Bartmann mit dem
alten Kontrollbeamten sehr bald auf diesen Briicken
herum, und die beiden Herren unterhielten sich über
die Bedeutung der sieben Tiirme; der Beamte sprach
»icht ohne Wichtigtuerei.

„ln diesen sieben Tiirmen werden nur Manuskripte
fabriziert; jeder Rechtsfall wird hier zu Papier gebracht,
die Druckereien befinden sich auf den Hiigeln ringsum,
hinter denen sich, wie Sie sehen, die Stadt ausbreitet.
Augenblicklich wird am meisten iiber unseren Kaiser
Philander geschrieben, der sich ja, wie Sie wissen, im
Schilda befindet und garnichts von sich hören lässt.“

Der Herr Bartmann kraute sich abermals hinter
den Ohren und sagte seufzend:

„Die Geschichte kann ja gut werden.“

„Haben Sie bloss keine Furcht,“ erwiderte lächelnd
der Beamte, „in Utopia geht — Alles was Recht ist —
Alles mit rechten Dingen zu, und keinem Menschen
wird ein Haar gekrümmt..“

Danach stellte der Beamte den Herrn Bartmann
seinem Betriebsdirektor vor, der in einem Prachtsaale
sass und gemütlich seine Zigarre rauchte.

Als nun der Herr Bartmann dem Herrn Betriebs-
direktor allein gegeniiber sass in einem köstlichen
Ebenholzstuhle mit Emaiimalereien, da fragte der
Direktor seinen Gast höflich, während er ihm eine
Zigarre anbot:

„Wollen Sie das gestern Gesagte in allen Teilen
aufrechterhalten?“

Herr Bartmann nickte und las sich noch einmal
seine Rede durch und nickte wieder.

Da wurde» denn sofort dreissig Regierungsliteraten
vom Inhalte der Rede in Kenntnis gesetzt.

Und der Direktor plauderte danach mit seinem
Gaste, als wäre garnichts vorgefallen.

XXXI

Kaiser Moritz der Blamierte

Der Zeremo»iee»meister Kawatko sprach in der
Versammlung des Staatsrates zu Ulaleipu das folgende:

„Eine Kraftprobe meine Herren, hat unser Staats-
gebäude glänzend bestanden. Bereits vier Wochen
sind es her, dass unser Kaiser Philander der Siebente
die Regierungsgeschäfte in die Hände des Oberbürger-
meisters von Schilda gelegt hat. Und diese recht kecke
Kandlungsweise hat den Utopianern bislang nicht ein
Haar gekrümmt: wir können mit Zuversicht in die
Zukunft biicken.“

Der Kaiser vereinigte in seiner Person die Macht
von fünfzig Stimmen, die hundert Mitglieder hatten
dagegen nur hundert Stimmen; wollte also der Kaiser
etwas durchsetzan, so musste er mindestens fünf-
undzwanzig Mitglieder des Staatsrates auf seiner Seite
haben. Hatte der Kaiser nicht fünfundzwanzig Mitglieder
des Staatsrates auf seiner Seite, so blieb dem Kaiser
nur ein Appell ans Volk übrig.

Der stellvertretende Kaiser Moritz wollte nun zu-
nächst die wirtschaftliche Stellung der Bewohner
Schildas durch eine allgemeine Landessteuer befestigen.
Da kam er aber beim Staatsrate schön an, kein Mit-
glied des Staatsrates trat auf die Seite des stell-
vertretenden Kaisers; Herr Malke, der Historiker,
erklärte feierlich:

„Da es eine historische Tatsache ist, dass sich die
Schildaer von der grossen Staatsreligion der Utopianer
lossagten, so sind die Schildaer auch von den wirt-
schaftlichen Wohltaten des utopischen Staates abge-
schnitten worden; die Utopianer helfen den Schildaern
nicht, wenn es ihnen schlecht geht. Und somit er-
klären wir, dass ein Staatssteuer zu Gunsten der Stadt
Schilda nicht von uns genehmigt wird.“

Der Kaiser Moritz appellierte sofort ans Volk —
aber in fünf Broschüren wurde einstimmig die Idee des
neuen Kaisers für undurchführbar erklärt — der Stell-
vertretende wurde ganz kalt daran erinnert, dass die
Utopianer sich niemals verachten und dabei gleichzeitig
anpumpen liessen.

Und der neue Oberbürgermeister von Schilda, den
alle für den Kaiser Philander hielten, und der doch
nur der Herr Sebastian war, erklärte feierlich, dass
die Schildaer nicht nötig hätten, die Utopianer anzu-
betteln. Und danach schenkte der neue Oberbürger-
meister der Stadt Schilda zehntausend Reichstaler, und
der Kaiser Moritz war der Blamierte.

Und ganz Utopia lachte über die erste Regierungs-
handlung des stellvertretenden Kaisers; der Moritz
ärgerte sich.

XXXII.

Das Künstlerfett

Die bildenden Künstler des Kaisereichs Utopia hatten
in den letzten Jahrzehnten eine grosse Vorliebe für die

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