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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 34 (Oktober 1910)
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Heymann, Walter: Leonardo da Vinci und Lisa Gioconda
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0276

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dramatisChen Tat, der in der späteren Theater-
gesChichte Europas nichts ehenbürtig ist. Fast alle
Apostei 1 sind Wesen, die dem eigentliChen Leonardo
fremd, ih!m nicht Vlon Natur l'ieb oder gegeben
waren. Den Phifippus, den Johannes freilich fand
er lbiCht, stellte er aus seinem Gefühl heraus. Der
Judas fessel'te ihn als problematisCher Charakter
und Gegenspieler Christi. Zuletzt malte er am
Haupt Jesu. Er hatte sChon so viei' vorweggenom-
men, und das Ende der Aufgabe braChte eine läh-
mende und die ganze Sehnsudht anspannendle
SChwierigkeit. Er malt den Gast unter Freunden,
den mllden Helden, den Sieg einer MaCht im
SChicksal 1 des Unterliegens, das Symbol der Resig-
nation, die ihre tragisdhe Verheißung erfüllen will.
Und seltsam: hier, wie bei der Mona Lisa, be-
hauptet Leonardo, das Antl'itz sei nidht fertig, nicht
vollendet. Und weiter: beide Mal wird aus einem
lebenden M-odell — das zum Christus war ein
Mailänder Graf — eine Idealgestalt gesChaffen,
die glcich detti Zeus Von Otrikoli einige überwirk-
llche Züge enthält. Das verbreiterte Oval des
ChristusgesiChts, die Breiterstellung der Augen, die
Mischung jungmänniicher Züge mit denen einer
gütig-reifen Frau fal'Ien bei der Betrachtung dieses
Hauptes auf, ttiit dem Leonardo einen neuen Typus
billdete, Von solchcm Einfluß, daß die Kunst-
geschichte hier mit einer neuen ZeitreChnung zu
beginnen sich genötigt sah. Hatte hier der
pantheistisChe Platoniker geahnt, daß er Vom
Ideal 1 nur ein romantisches Abbild, einen Wieder-
schein geben konnte. Er sah, das HöchstmöglÜche,
letzte ErreiChbare war der Ausdruck eines Gefühles,
einer Empfindung. So hatte er seinen Ausgangs-
punkt wiedergefunden. Sollte er nunmehr dem
Denkenden, LogisChen in sich folgen, so tnußte
er episCher werden. Wenn er sich mit seinem
phantastischen Hang detti Gefühl unterwarf, kam
er in den Bann des Mystizismus. Davor hat ihn die
Gewalt seines weltweisen Denkens und die Gegen-
ständliChkeit seines Forschens geschützt; nur die
Wähl seiner Vorwürfe verrät eine Bestärkung dieses
durCh Fühlen weiterarbeitenden Triebes. Doch war
noch (der Epiker in der UebermaCht, aüs er das
Bild der Lisa GioConda sChuf.

*

Eine steinerne Loggia ragt mit der Brüstung
nach Nordosten gegen die Luft, die — es ist eine
Stunde vor Sonnenuntergang — liChtgetränkt matt
sdhiminert ohne zu glänzen. Schon macht er aus
dem tiefen aufsteigenden Nebel die fernen blauen
Berge dunkler, ehe er ihre zerklüfteten Umrisse ver-
wisCht, so daß sie näher zu kommen scheinen.
AuCh wollen sich in diesem Nebel wie in einem
Meer viele geteilte Läufe gestauter, herabfließen-
der, zwisChen den Bergen gewundener, unter ein-
samer BrüCke sich hintragettder Wasser finden. Bald
wird das Dunkel sie versChließen, den bunten
SChimmer verwisChen, mit denen der Sonnenwider-
sChein noch Öle näheren Höhen trifft. Urweltliche
Stimmung, die naCh der Sintffut — „und die Wasser
verliefen siCh“ —, geschaffen von einem, dem nicht
das Fabelhafte wahr, sondern das WirkliChe wun-
derbar schien.

In ganz stitler Nähe, wo die Schätten kaum
Farbe haben, in der teise flutenden Luft tauCht dies
unwirklüCh scheinende Wesen auf, wie ein FisCh,
der allein sChwimmt und den ein zitternder Glanz
trifft. Alle Farbe ist an ihr, es ist, als komme die
Luft von ihr her, afs sei sie gekommen, um 'Üie
SChönheit der Stunde zu bringen. Groß hebt sie
siCh vor ihrer Ferne, groß ragt ilire Einzelgestalt
gegen die sinkenden Massen. Tote und in Dämttie-
rung Wandelttde sind bunte SChemen. Stiller sind
ihre Züge, deutlicher redet aus ihnen, groß wie
auf Steine gehauene Masken, zart wie auf Bildern
von weiChem Wachs, ihr Wesen.

Das ferne Wasser weHlt sidh wohl wie das
Haar dieser Frau. Die Falten der Wasserflädhe
uttd die FurChen der Gesteine und die Gesetze,
unter deren Zwang sie sich bilden, kannte Leonardo,
sowie er die Falten und Rinnen im Gewand Lisas
binden und ihre Reihen malen konnte. Als sie
eben gekommen war und der nahende Abend ihre
Hände zusammengeführt hatte, und sie so auf-
geriChtet saß, wie eine Florentinerin sich bei einem
BesuCh hält, da wurde der Sessel zum Thron, und
die Linke, auf der Armleline wie ein Tierkopf,
spielte im Ruhen und hielt den Knauf. Die Rechte
lehnte über ihr, als führe sie dahin; sdhön wie die

Biegung eines Schwanenhalses (Leda) war ihr An-
satz, so streifte diese klttge, duldsäme, sChöne Hand
absiChtsIos das Kleid. Die Gestalt wandte sich,
sie ruhte naCh dem rechten Arm zu, aber ihr Ant-
litz sah fast sChon geradeaus, als das Blicken nach
links sie den Meister anschauen ließ. Diese Stunde,
diese Stellung war Leonardo die liebste, als er
Lisa kannte. Ehe er sie kannte, wie man nur eine
Seele einmal im Leben kennt, daß man fürChten
muß, ihre und eigenen Empfindungen zu ver-
weChseltt — bis er sie in drei, vier Jahren so kennen
geltrnt hatte, spielte er mit ihr.

Ihr nahmen ErzählCr und SpaßmaCher, Saiten-
schläger und Flötenblaser die Müdigkeit, das Ge-
zwungene, versCheuchten die Langeweite, nahmen
ihr mehr: aflmähliCh verschwanden trübe Erinne-
rungen, vergingen die Gedanken. Sie fühlte, daß
sie fast ihr ganzes Leben wie eine gleichgültige
Vergangenheit würde vergessen und verl'ieren kön-
nen. Ein Scherz gewann ihr ein Lächeltt ab, ein
Lied, daß sie zum zweiten Mate hörte, lullte sie
in Träume, oft käm sie in WoChen nur einmal,
dann wieder fast tägliCh. Sie fühlte, daß dies
Scheinteben stärker als ihr alltägliches wurde.
ManChmäl hatte sie Furcht vor dem Maler w,ie
vor einem Feind. Er sChien die Musik nicht zu
hören, denn sie war es nicht, die seinen Pinsel
rasCher streifen oder länger innehalten mächte.
Weil er aber — und nicht zuletzt durCh seine ban-
nende ErsCheinung — so fest- und fernzuhalten
w'ußte, war er über Haß oder Liebe hinaus', jn
diesen Stunden ihr stärkerer, sChützender Freund.
AuCh konnte er niCht nur ihrer Vergangenheit ein
Grabmal setzen, niCht nur mit seinem städtefüllen-
den Ruhm sie der Ewigkeit geben, er war wie
ein Gott, der ihr leibliChes Antlitz bildete. Wie
alle die MensChen, die Leonardo sich noch ver-
wandt fühlte, gehörte auch diese Frau zu einem
SChicksalsgeschlecht, zu denen die noch in der Be*
herrschung leidenschaftlich, in Schönheit begehrend,
stolz uhd klug sind. Diese werden Kinder, wenn sie
glücklich lieben. Mitten unter ihnen stand Mona
Lisa allein. Einem ungeliebten Mann hätte sie
Kinder geboren, und ihr Leid atmete zarte Mütter-
lichkeit. Sie kannte dennoch nicht das Mutter-
glück. Die rechte Seite ihres Gesichtes zeigte, daß
sie darum noch selbst wie ein Kind war, an der
Wange, am Auge. Mutter und Kind in einem
Wesen, das reiZvoIle Rätsel lockte Leonardo. Sein
Gefühl für Generation war durch die Darstellung
der Deszendenz Anna-Maria-Christus damals noCh
gesChärft. (Beide Bilder haben auch einen ähtt-
liChen Hintergrund.)

Wunderbar war Leonardo auCh ihre Sensitivi-
tät, ihm, der die Tiere und ihre vielfach feineren
Instinkte beneiden konnte (vergleiChe seine Be-
merkung über die GeruChswerkzeuge des Löwen).
Ihr Haar hatte bei bräunticher Grundfarbe einen
goldroten Ton. Spärlich waren die Brauen (heute
niCht mehr sichtbar, vergleiche aber Vasari) und
ihr Fläum verstärkte im Empfindungsfeld ihres Ge-
sichtes den Glanz der Augen. So konnte der Augen-
scheitei bald spotten, bald leuchten über den ge-
sChwungen auskeimenden Ovalen der Augentiefen,
die wie eine Schattenbrille unter der Haut am
tastenden Fühlen teilnahmen. Wenn sie müde war
und verstummte, wurde dies vor allem ’deutliCh,
dann wurde der SChnitt der Augenmaske den ge-
schwungenen Linien der Oberlippe ähnlich, deren
Form Leonardo lieb und geläufig war. Er hatte
sie bei den besten grieChischen Statuen gefunden,
auCh den Abstand der Na»enwurzel vom Lippen-
rand. Züge, die unter den sChönen Menschen
Italiens nicht selten sind. Auch daß die Nase voll-
kommen in der Richtung der Stirn verlief, mit feiner
Rückenbreite war marmorbildhaft, wie aus dem
Kanon, und das Kinn fast an der Grenze erträg-
licher Zierlichkeit. Doch nun wurden die charak-
teristischen Eigenschäftsmerkmate um so spür-
barer. Die energische Uttterlippe zeigte, daß diese
Frau auch gegen ihr eigenes Fühlen aus Selbst-
einsChätzung trotzen, hassen, etwas lange ver-
bergen konnte. Den Unterlidern fehlt die pikante
Zusammenziehung, die an jeder zweiten Italienerin
zu sehen ist, hier trat eine mehr träumende Sinn-
, lichkeit vor der Klugheit zurück.

Ja, die Kfugheit! Sie machte viele, die sie
anlockte, sCheu, daß sie nicht vollkommen schön
war, mehr als das Rothaar, das damals noCh blönd
genannt wurde. Denn die Klugheit zwang ihr
SelbstbeherrsChung auf, ste mußte ihre Lebhaftig-

keit zurückhalten, und wenn sie sonst den Leuten
exzentrisCh ersChienen wäre, galt sie nun für selt-
sam. Sie fiebte das Schöne, liebte schöne Men-
schen und wollte gem sChön sein. Sie sprach ge-
wählte Worte und liätte das sChon um der Lippen
vvillen getan; andere hätten sie geekelt, doCh auch
so empfand sie sich nicht als ehrlich. Sie rnied
alle Jähheit, alle Schärfen des Ausdrucks, weil sie
sich als ein SchreCknis fühlte. Weil sie Angst hatte,
das Stolze und Geringe in ihr zu verraten. Ihr war
eine LeidensChaftlichkeit eingeboren und eine Leb-
häftigkeit der Phantasie (rasChe Beobächtung, rasche
Assoziation) mitgegeben, daß siCh ihr jede Emp-
findung deutliCh aufprägte, als sei sie die Ver-
körperung dieses Ausdrucks, sofort, ganz und
schnell wechselnd. So Zwang sie die Dezenz, so
in Gesellschaft allein zu sein, daß sie für hoch-
mütig gelten konnte, so fühlte sie siCh einsam, wenn
sie allein war. Mit der alten KindersehnsuCht und
dem Wunsch nach ihrem Frauenschicksal und mit
ihrem weibliChen Fühlen, aus dem heraus sie dachte,
denken mußte, gefühlslogisCh wie eine echte Frau,
verband sich ihre Kfugheit, lähmend, als wäre sie
eine Schulld. Sie war nicht etwa nur geistreich,
sie war so fogisch klug, daß ihr das Gefühlsdenken
nicht genügte, daß sie das Gteichnishafte aller Er-
sCheinungen empfand. Es gab zu ihrer Zeit Frauen,
die Griechisch und Latein konnten, sie war nicht
getehrt, verlangte auCh weniger danach, als nach
der ganz besonderen WissensChaft, die ihr Sinn
und Wert ihrer Erlebnisse zeigen, ihre Neugier mit
Ernst befriedigen und ihr Ordnung geben konnte.
Dann vväre sie der großen WissensChaft doch näher
gekommen; im Fühten — das wußte sie — kann
ttian nur zu Zeiten iin SiCherheit sein. Vielleicht
war es Leonardo wie freundschaftliich, daß sie von
seinem BeobaChtungsposten aus ihn manchmal wie
einen Jüngling ansah, mit der von ihm mehr dem
BesChauer zugekehrten Gesichtshälfte. Doch nun
möchte ich vorwegnehmend betonen, daß die Lisa
nach dem bisher gezeigten etwas Katzenhaftes hatte.
Dies würde bei niedriger Stirn stark hervorgetreten
sein, besonders mit der Breiterstellung der Augen.
Da kam die Florentiner Mode der künstlichen Stirn-
erhöhung Leonardos umwandelttden Formungsprin-
zipien zugute. Die schöne hohe Stirn, die musi-
kalische Stirn des schönen Widerhalls versöhnte,
glich vötlig aus. Doch macht noch heute, sobald
jemand die Stirn als „zu hoch“ empfindet, der
Rest des Gesichts in Verbindung mit dem pyra-
midalen Aufbau der Gestalt und mit den Flügeln
des SChleiers am Kopf, dtes Bild den EindruCk
einer Sphinx. — DurCh den dunklen und durch-
sichtigen Schteier konnte Leonardo nicht nur wieder
das Gefühl der Terne erwecken, er maChte nicht
nur den Scheitel deutlicher, er zeigte diese Frau
als eine, die für ihren einsamen HoChmut und ihr
unrastliChes Leid in Gebet und frommer Anwand-
lung Strafe, Sühne, Befreiung suChte. Er ließ aber
das einfaCh gesCheitelte Haar wellend nach vorne
niederrieseltt auf die freie Brust, Liebesfühlen kün-
dend, Zärtlichkeit atmend. Fromme Inbrünste
mittelalterliCher Klosterschwestern hätte Leonardo
bei zartem Verstehn doCh entschieden abgelehnt.
Aber diese MisChung Vön Vergangenheit im ernsten
Gewande und WeibfichreizVollem, Neuartiggegen-
wärtigem entzüCkte ihn. Das gab er ihr in der
Wahl der Kleidung, in sChönen, die Ewigkeit Ver-
sinnbildlichenden Farben, und verklärte ihren vor-
nehmen, die ZurüCkhaltung liebenden Geschmack.

Der Ausdruck des Antlitzes seiner Mona Lisa,
der GioConda, wie er sfe sah, gab ihm Schicksals-
stunden. Andere als ihr, stärkere als die Liebe
allein siie geben konnte. Diese Stunden haben in
Leonardo viel verniChtet.

Er sah, daß alle Empfindungen in dem Ge-
sicht der Frau kamen und gingen, fast ohne eine
Spur zu hinterlassen, geeint durCh instinktive Sicher-
heit und geubte Beherrschung. Nur etwas vom
Lächeltt, dem schicksalsagenden, unheilverkünden-
den, detn stets geliebten tragischen Lächeln, blieb
an der evvig Wartenden hüften, als ihr die Erinne-
rung an alles Gewesene sChwand. Das war der
Augenblick, in dem er sie ganz erkannte, und so
wolte er sie für immler sehtt. Er hätte ihr naCh
seinem Gewissen doCh nur Ahnungen bieten, nicht
seine aus dem Fundament aufgebäuten zahllos sich
teilenden Erfahrungen geben können. Er konnte ihr
niChts gCben wollen, was sie verändert, nach seiner
Art umgesChaffen hätte. Dfe Pein der Klttgheit
hatte er ihr Verscheucht, die Phäntasie — er wußte

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