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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 8 (April 1910)
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Döblin, Alfred: Gespräche mit Kalypso, [4]: Ueber die Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0062

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Musiker:

(In gleichem Ton.) Andere aber wandelten sich in
Qetier, in Vögel und Kröten.

Kalypso:

(Gelassen.) Liebes Kind, Du bist noch nicht reif
dazu. — Qestern Abend soll einer stundenlang am
Strand gestanden, die Hände gerungen haben; er
schluchzte und predigte — den Fischen.

Musiker:

(Wirft sich auf die Steuerbank.) So laß ihn pre-
digen. Ich glaube Dir nicht mehr und Deinem Qe-
sicht. Du wärst mir zwar schuldig, zu verraten,
was um Dich und so um mich ist. Aber nun beginnt
mich Dein Schweigen zu beruhigen. Ich habe
manchmal Lust, Dich zu trösten.

Kalypso:

Weil Dich Narren nichts vor dem Qrabe des Olym-
piers anpackte, in der Klippe, weil ich noch immer
Deiner schone, um — mit Dir zu plaudern.

Musiker:

Die Säule auf dem Qrabe dröhnte, der Rauch stieg
zwischen den Steinquadern auf.

Kalypso:

Er brennt unten, nichts verbrennt ihn, nichts erstickt
ihn. Wohl Dir, daß Du vor ihm betetest.

Musiker:

Der Mund seines Bildes auf der Säule war in
schrecklicher Wut verzogen. Aber Du sahest auch
die lange Schmerzfalte, die sich zwischen den
weitoffenen Augen aufstellte; und darum, Kalypso,
weintest Du und wandtest Dich wortlos.

Kalypso:

(Kalt) Du Weiser. (Legt sich, die scharfe Seeluft
einziehend, weit zurück.) Es gibt größere Rätsel,
als Deines der Musik. (Steht auf, ruft hart in den
Schiffsraum.) Zieht an! Ihr schlaft! Wind, Wind
oh Meer, Meer! (Sie reckt sich.) Die Fische be-
neide ich, die Algen auf dem Wasser; am meisten
die Sturmmöven. Ich möchte ein Segel sein, oder
ein scharfes Schiffskiel. Nicht sachte und hündisch
vorwärts traben, durch die fließenden Wellen
drängen, den bittren Wind zerschneiden. (Ueber
das Deck hinjauchzend.) Kastor, steh mir nimmer
bei, reiß meine Masten in Stücke, leg die Bretter
auf’s Wasser. Kastor! Kastor mein Schwester-
kind! (Sie sitzt wieder lachend am Steuer, zum
Musiker.) Auf der der starrste Tod ruht.

Musiker:

(Küßt inbriinstig ihre Fiiße.)

Kalypso:

Sieh dieses steife, schwere Rot dort. Es gibt
Sturm.

Musiker:

Was brauche ich Musik?

Kalypso:

(Nachdem sie lange geschwiegen haben, schwer-
atmend.) So sprechen wir. Ich war nicht immer
so wie jetzt; ich schwamm sonst meines Wegs, wie
am glatten Himmel ein federleichtes Wölkchen.
Nur zu wissen gelüstete mich schon sonst. Wenn
die Masten sich biegen, die Segel heulen und
scharren, mein Qewand sich wie ein Hengst wirft
und aufbäumt, bebt in mir die Lust, vieles zu be-
greifen, und die Sucht mich in die Dinge einzufinden.
Aber manchmal glaubte ich: in dessen Knieen alle
Bestimmung ruht, habe eifersüchtig und furchtsam
alles für sich behalten; in kleine Qärtchen habe er
uns gesperrt.

Musiker:

Das Ungeheuer, das diese Welt ist, hat ein gar
weiches Fell; wir sinken ein und können über kein
Härlein schauen. (Das Schiff schlingert stark. Ein
auf- und abschwellendes Rollen, Pfeifen und Brüllen
geht über das Meer.)

Kalypso:

(Freudig lauschend.) Meine Festmusik! Verstehst
Du sie? — Wer kann sprechen von ihr, wer muß
nicht singen? — Wer ist es, der so wild über mein
Meer jauchzt?!

Musiker:

Kalypso, ja, es jauchzt!

Kalypso:

Oh, meine Festmusik. Das Meer singt. Essinddie
Töne des Meeres, die herüberkommen.

Musiker:

— Auch ich habe nie ohne Erschütterung dem Meere
zugehört. Um dieses, um das Singen der Dinge bin
ich schon manchmal geschlichen. Aber die Dinge
enthüllen sich nicht gern. — Wie unendlich sie
verbreitet sind, die Töne in der Welt. An Masten,
Qiebeln, scharfen Halmen, Dachfenstern hängen die
Töne wie Schwalbenscharen; die Luft scheucht sie
da auf. Die Luft ist eine schamlose Diebin, wo sie
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sich durch Spalten stiehlt, erhebt sie noch laut ihre
Stimme. Die Luft steigt auf und schwimmt mit den
Meeresströmen. Wärme und Kälte sind ihre
Herrinnen; sie führen sie, heben, senken sie; im
Rollen der Erde wird sie umgeschleudert und gleitet
fort. Wärme und Schwingen der Erde wirft die
Luft herum und gegen Masten. Qiebel, scharfe
Halme, scheucht die Schwalben auf.

Letzten Endes muß ich den heißen Stern, die Sonne,
Mutter der Töne nennen.

Kalypso:

Wohl gleitet die Luft hin; die schweren Gemische
schüttern, die die Unrast treibt. Sie schlitzen sich,
wie Haifische an Korallen den Leib auf, an Schiffen
und Klippen. ringen noch mit sich und wiminern vor
Schmerz. Während wir sitzen, geht die Luft, die
riesige Wanderin, über das Weltmeer, mit bloßen
Füßen, naß schleppenden Qewändern. — Aber ver-
gißt Du nicht das Kind über der Mutter? Vielleicht
klingt kein Ton ohne die Luft, aber der Ton ist
etwas anderes, als die Luft. Wenn meine Perlen
zusammenschlagen, so klirren sie; die Barke dröhnt
vom Ruderschlag. Die Dinge sind es, die an der
Luft tönen. Eines ist der Ton, das andere das Ding,
das tönt. Wo die Dinge rasch gegeneinander
dringen, „entsteht“ der Ton, — das Geräusch, wie
Du es nennen magst. Und kein Laut fällt, wenn sie
ruhen. Vielleicht sogar, daß auch das Ruhende
tönt, daß alles tönt, weii alles gegeneinander drängt

— wenn auch zu fein für unser Ohr. Das müssen
seltsame Geräusche sein, in denen das wachsende
Qras erklingt. Ach, was mag hören, wessen Ohr
sich stark bewaffnete, also wie das Auge mit
scharfen Linsen.

Musiker:

Wir hören wenig. Du nanntest das Gehör
einen geselligen Sinn; so nenn ich ihn, darum
weil er ein beschränkter, enger Sinn ist, der sich in
nahen Qrenzen ergeht. Es muß verschiedene weite
und enge Gehörsbezirke geben, gleich Terrassen,
die trichterförmig in die Tiefe führen; und so er-
scheinen auf jeder Stufe aufwärts größere um-
fassendere Klänge und breitere dickere Töne, viel-
fach eigentümliche Musiken auch, unfaßbare,
fremde Musiken.

Kalypso:

— Der Ton ist etwas anderes, als die Luft und die
Dinge. Wie aber sind die Töne mit den Dingen ver-
bunden? Die Dinge bewegen einander, drängen
einander; da summt der Ton auf, aber er — er be-
wegt nichts; eine Todgeburt, aus der Vermählung
des Lebendigen erzeugt. Er ändert nichts, ist ohn-
mächtig. Die Luft dreht Mühlen, der Ton leistet
nichts. Ich dachte mir einmal, ein Teil der Kraft,
mit dem ich das Ruder auf den Bord schlage, geht
in das Dröhnen auf, aber der Ton paßt in keine
Rechnung, keine Kraft wird in den Tönen frei. So
können die kraftvollen, rüstigen Dinge, schloß ich,
wenn auch verbunden mit den Tönen, nicht Ursache
der Töne sein. Wenngleich sie so innig unlöslich
mit den Dingen verbunden sind, wenngleich es doch
die Dinge sind, die tönen. Die Wellen schlagen
gegen die Bretter, es klatscht, meine Ketten klirren,
wo ich mich erhebe; ich stoße mit der Faust auf das
Steuer; nun dumpft es. Mit also erstaunlichen
Qaben sind die Dinge ausgestattet; wunderbares
lauert hinter ihnen. —

(Die Schiffer im Bug des Vielruderers singen eine
kurze sich unendlich wiederholende Tonreihe im
Takt der Ruder. Die Windbewegung läßt nun
nach. Kalypso und der Musiker lauschen eine lange
Zeit. Kalypso sinnt mit rückwärts geworfenem
Kopf.) Weit trägt ein Ton; löst die Enge des
Raums, sprengt eherne Mauern. Regsam ist er, ein
Feind des Todes, haucht seinen Geist kühl hin über
die Landschaft, ehe er versinkt in das Leblose des
ungeheuren Schweigens. — Ich will mich nicht
daran verlieren. Wo eine Kraft gegen die andere
sich spannt, reißt sich der Laut los. Nichts tönt
selbstwillig aus sich heraus. Nur in Wehr und
Qegenwehr; der Laut ist ein Begleiter des Kampfes.
Der Schlegel hämmert gegen das Fell, der Bogen
sägt und reißt an der Saite, die Luft schüttelt an den
Stäbchen; und wo die Zerstörung sich rüstig ans
Werk gibt, spreizt sich der Laut. Er wächst nicht
mit der Wut des Kampfes. Das machtlose Blech
lärmt, schwere Taten geschehen lautlos. So lose
also bindet sich Ton an Kampf. —

Die Kämpfer selbst, ja das ist es, der Stoff, der
Stoff, er tönt. Das Meer tönt in seiner Art, der
Stein, das Holz, das Silberblech. Es ändert nichts
am Ton, ob der Olympier auf dem Metall gezeichnet
ist, oder Sophokles oder ein Räuber. Wie für das

Auge nur Farbe und Form gilt, so für das Ohr nuf
der Stoff — und seine Bewegung. Der Ton zeig'
hinter das Sichtbare, das Fühlbare, enthüllt ohrtf
Scham tief Verborgenes. Verrät uns nicht dh
Stimme, erröten wir nicht, wenn wir uns hören! 1
Einbegriffen, hineingerissen in das Zeitliche und Qe-j
schehen ist der Stoff selbst; hineingerissen ist unser
Wesen selbst und kann sich nicht zurückhalten. WK
liegen hell bestrahlt an der Sonne, gestreckt und
nackt liegen wir da; gefordert, gejagt aus unsereL
Hütten und Höhlen. Blühen geschehend in das Qe-
schehen hinein. — Das Formlose, Ungestaltete, dR
Wasser, die Steine, die Lüfte haben kein Werkzeug
zum Tönen, sie tönen selbst und ganz hingegeben.
Nur das formvoll Lebendige, Weiche, hält sich zu-
rück; nun hat sich sein Eigenton in eigenen Ort ge-,
flüchtet und schwingt in der Stimme. Soll ich staunen,
daß die unirdischste der Künste, die Musik, die Kunst
auch der plumpen, rohen Stoffe ist? Das Selbst-j
geständnis der Stoffe höre ich aus den Tönen. —
Sieh, mein Freund, ich glaube, daß viele Rätsel dei'
Musik auch leicht wiegen gegen dies: das TöneU
der Dinge, und sind wenige lockender. — Wir hören
den Eigenton der Dinge nicht, denn zwischen zwei
Dingen lallt er auf, und immer ist jedes Bewegte
zugleich tönend und tonerzeugend. Alles Stoffliche
ist tonbegabt; aber die Einsamkeit hat keine
Stimme; immer ist der Ton das Zeichen der Qe-
meiiisamkeit*- Wir hören nie einen Ton, sondern
einen Tonverband. Und dies besagt, daß der
Stoff und die Einsamkeit nicht ist, daß das Tote
nicht ist; gut und Iicht sind die Wege, die der
Ton uns führt. In der Bewegung, im Kampf, in der
Beziehung erweisen die Stoffe ihre Wirklichkeit, da
lallt der Ton auf, flattern die Schwalben. Der Stoff
ist nicht und die Kraft, es sei denn der Stoff als
Kraft, das heißt im Kampf; das sagt der Ton.
Musiker:

Aber wie wenig wünschen wir zu hören. Wir j
sinnen mehr über die Sinne, als über die Dinge. j
Wir suchen das Wissen auf so wenigen Wegen.
Das Leben huscht an uns vorüber, ein süßer, köst-!
licher Knabe, nach dem niemand gegriffen hat.
Kalypso:

Seh ich recht, so sind es auch nicht diese zwei
allein, die sich berühren, zwischen denen der Ton
aufhaucht; nicht Einsamkeit, nicht Zweisamkeit ist
der Boden, auf dem Töne blühen. Ein gestoßenes
Blech tönt anders, wenn es an einem Faden hängt,
anders, wenn meine Hand auf ihm liegt, anders,
wenn es platt gegen die Erde drückt. All diese Um- 1
welt stimmt und bestimmt den Ton.

Er ist ein großer Realist, der alle Umstände und
Nebendinge in Betracht zieht. Wie scharf er viele :
Beziehungen aufdeckt. Kürzer begreift der Ton,
als der Begriff. Streng und fein geben die Dinge
über sich Auskunft. Unbestechlich, ohne zu irren i
sprechen sie die Wahrheit. Man nennt zwar die
Dinge stumm, und weniger sprechen sie freilich als
die Weisen, aber eindeutiger, klar hallt ihre j
Sprache. Nicht wahr, ich verstehe Eure Musik; Ihr i
Musiker sucht jedem Lebendigen, das Euch lockt, ;
Hörbarkeit; was Euch bewegt, sucht Ihr in Töne zti j
fassen. Nun sieh, ein Wort bezeichnet die Bewe-
gung, doch hat der Wortton nichts mit der Be-
wegung zu tun; ein Lied folgt einer Lebensweise, j
doch bezeichnet, begreift es nichts; ein Geräusch
ist beides: Wort und Lied zugleich; Qeräusche, so
seltsam es klingt, — sind vollendete Musik.

Musiker:

Wohl, der Blütenkranz und die Krone der Musik
sind sie. Das ist die weiteste und tiefste Musi-
kantin, die Welt. — Ja, es ist die Lebendigkeit
selber, die den Ton bildet. Im Ton erscheint
Beziehung nicht als Begriff, sondern leibhaftig. Was
zwischen den Dingen ist, tritt selbst als Dmg aut:
Mehr von Gedankenart ist das Tönen, als von Ding-
art. Die Art des Dinges ist nicht Art des Lebens und
nicht der Wirklichkeit. Dies sah ich noch nie so
zuvor. „In Tönen denkt die Welt.“ Noch kann ich
nicht fassen, wie viel aus diesem Satze folgt. Doch
lächelst Du so ernst und so ahne ich manches.
Und wenn die Dinge tausendfach, streng in sich ge-
zogen, abgequadert gegeneinanderstoßen, so nicht
der Ton, der nie von einem stammt: er philo-
sophiert, erkennt die Qrenzen an, doch blickt er
drüber weg; sagen die Dinge, Formen, Farben und
Qestalten: „Ich“, so der Ton: „Du“ „Wir“ und
„Sie“, und höhnt jener kindlichen Besessenheit.
Kalypso:

Ich mühe mich, zu wissen, wie die Töne sich mit
den Dingen verbinden. Doch wie verstehe ich
diese Bindung, und was will diese Bindung? Was
 
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