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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 10 (Mai 1910)
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Leppin, Paul: Daniel Jesus: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0079

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Und er wußte, daß eine Fürstin auf dem Wege zu
ihm war. Sie war noch weit, und ihre Pferde
gingen langsam.

Aber der Abend wird uns schon zusammen-
führen, Schuster Anton! Denn der Abend ist bös.

Und keiner hatte den schamlosen Blick gesehn
als die röchelnde Zigeunerin, die vor dem Schuster
am Boden lag und ihre Knie an den Dielen blutig
riß. Sie küßte die Füße des Schusters, und der
Schaum stand vor ihrem Mund und flog hinauf zu
den harten Händen des Mannes und war heiß wie
siedender Schnee.

Aber seine Hände zuckten nicht, und er hob sie
hoch und einsam über all die Leute, hoch und höher,

Weit hinauf ZU Gott. Fortsetzung folgt

Qedichte

Von Herbert Ihering

Der Tod

Glühender Panzer
Wühlt Deine Schönheit
Meine Glieder unter die Erde.

Ab sengt er das Fleisch von den Knochen.

Mein mürbes Gerippe sinkt in bleiernen Sarg.
Aufgestört hämmern gehetzte Schläfen
An sengenden Helm.

Meine erblindeten Gedanken
Schlagen die schlaftrunkenen Flügel
An feurige Wände.

Ein Aschenhäufchen flattert noch auf.

Immer aber brandet mein Atem
In bäumenden Wellen gegen glührote Mauern
Und verbläst meinen Staub
In das Ali.

Wallfahrt

Meiner Pilgerfahrten verirrte Straßen
Hinblut ich mit nacktem Fuß.

Schreiend drück ich ihn ein

In gläserne Splitter zerschlagener Seligkeiten.

Schleif ihn erblindend

Ueber glühende Kiesel verbrannter Herzen.

Schwarzer Leidmantel

Scheuert meinen brandigen Leib.

Aufsaugt mich Finsternis.

Nacht bin ich in Nacht.

Der Kreuzfahrer

Eine Kriegsgeschichte

Von Else Lasker-Schüler

Die Kreuzfahrer bringen Geläut in die Stadt
Jerusalem und die Sünde überwuchert die stolzen
Muselblumen der Wege. Ich zerblättere die Sünde
wo ich sie finde, die heimlichen Knospen des
Christen, der mich einlud zu seinen Töchtern in den
Garten. Die haben blaue Augen und gelbe Haare
und sie sagen, der Schnee ist auch gelb. Und es
wird schneien in ihrem Garten, denn Bäume mit
kühlem Laub stehen darin: wie nennen doch die
Schwestern die Blumen auf den Beeten? Es Iäutet
wieder, immer wenn neue Kreuzfahrer durch das
Tor in die Stadt ziehen. Schön sind die und groß,
wie Türme aufgerichtet. Auf ihren Helmhauben
steht das Kreuz. Ich trage, seitdem ich in Jeru-
salem im Garten des reichen Kaufmanns bin, das
heilige Kriegskleid meiner Heimat, im Gürtel den
Dolch, der ist gebogen und unentwendbar, wie die
Mondsichel. Die Schwestern meinen, so sei es
Sitte bei uns in der Stadt. Sie schwärmen für mich
und bedauern, daß ich kein Prinz bin; streuen Ver-
gißmeinnicht den Kreuzfahrern über den Pfad, die
sehen die kleinen himmlischen Tropfen nicht;
manchmal jedoch streifen ihre Blicke die Engels-
gesichter mit tapferer Andacht. In Betten schlafen
die beiden Blauäugigen in der Nacht und sie lachten
über mich, als ich sie fragte, zu was die wären.
Ueber ihre Betten schwebt ein Vergißmeinnicht-

himmel-unser Jenseits ist verschleiert.

Wenn ich eine der Töchter des Christen wäre, ich
schenkte dem Kreuzfahrer, der am Morgen durch
das Tor in die Stadt zog, ein Bett aus atmendem
Holz, wie ihre Haut so weiß, denn er fror in der
milden Frühsonne. Ich drohe mir mit meiner
blitzenden Sichel, seitdem er über den Zaun in den
Garten blickte, und mähe das süße Gegold meines
Herzens. Seinen Namen weiß ich zu nennen, die

Schwestern lasen ihn im Kirchenbuch über seiner
Schulter hinweg — getürmt und steil ist seine
Schrift — ich folge den Ungläubigen in die
Kirche. Seitdem dämpfen Wölbungen der Moscheen
meine aufgerichteten Träume. Es sind nur zehn-
tausend Christen in Jerusalem, wolien die Sünde

ausrotten-es kann nicht soviel wachsen. Und

Kreuze sticken des Kaufmanns Töchter auf zarten
Liebesbändern, die keimen auf, wie die glatten
Wege der Heimlichkeit. Aber die Kreuzfahrer
küssen der Engelhände Kreuzarbeit mit siegreichem
Lächeln. Ihn sehe ich nie unter den Beschenkten;
sucht er doch meinen Mund im Frühstern.
Das heilige Kriegskleid meiner Heimat trägt nun
mein Vetter Ichneumon von Uesküb, aber seine
Arme zittern vor Liebe und können sich nicht gegen
den Feind halten. Sein ganzes Heer rauscht, wie
ein Herz, wie mein Herz und sie alle sind geliefert
den Christenhunden. Ich liege unter dem Himmel
der beiden Schwestern, ich habe die asiatische
Distel; Stacheln sitzen in meinen Gliedern, und die
unbarmherzigste bohrt sich in mein Herz. Engel,

zwei-sehen 'blau über mein Angesicht und

kämpfen mit der Taube Mohameds, die will meinen
Schleier zerpflücken. Ich mag aber die Engelguten
nicht leiden, weil sie Christinnen sind. Und steige
doch in der Nacht heimlich über den Zaun des
Gartens in das Kirchenschiff. Dort auf dem Balkon
sitzt der Ritter und spielt die Orgel, im langen,
feierlichen Hemd, Choräle, Totenbalsam dringt
aus den sterbenden Tönen. „Ritter, die Könige von
Sinai ließen Klageweiber für ihre Toten heulen und
zu den Freudenfesten ihrer Harfen färbten sich die
Lippen der Greise rot und ungeborene Knaben
pochten an leibgoldene Tore. AIs ich vor dem
Kirchenaltar anhub nach deinem Choral zu tanzen,
sank mein Leib ein: grämige Mondscheibe, der eben
noch der spielendste Stern war inmitten der
Sterne.“ Da fiel Schnee auf die Wangen des Ritters
und ich sah, daß der Schnee weiß war, nicht der
Schwestern Haarfarbe gleich. Stehn immer am
Zaun mit ihren gefärbten Schneehaaren und be-
scheeren die Kreuzfahrer mit süßer Frömmigkeit.
Und sie möchten ihnen ein Bett bereiten aus
atmendem Holz, wie ihre Haut geglättet. Du aber
Ritter sollst auf einem tanzenden Stern schlafen in
der Nacht! Und ich klettere mühsam über den
Zaun des Gartens, aus meinem Zeh wächst ein
kleiner Distelstrauch. Und der Krleg wütet in
Bagdad. Die Wüste ist unserer Krieger Schild.
Aber mein Vetter verliert jede Schlacht. Eine Ab-
trünnige ist das heilige Gewand der Stadt, sein
Kriegskleid dem Feinde zugetan. Ich werde halb-
genesen in meine Heimat getragen, Bagdad des
heiligen Kleides wegen Rede zu stehen. Mein
Vater hält meine beiden Hände umschmeichelt, ihre
Finger sind wie müde Strahlen. Aber Kriegslust
blendet meine Augen. Ichneumon von Uesküb steht
schon vor unserem Palast. Ich ziehe den letzten

Distelsplitter aus meinem Zeh-abbarebbi,

lachajare, lachajare! Begeisterte Kriegsmusik trägt
mich auf ihren Schultern durch die Straßen. Ich
schlage die Christenhunde noch in derselben Nacht.
Mein Vater hütet meinen Mut und meine Tapfer-
keit, wie zwei Enkelkinder. Nie zog eine Prinzessin
von Bagdad in die Schlacht. Nur der Vetter läßt
seine schnüffelnde Lippe hängen: er habe sich im
Zitronenwald aufgehangen und konnte nur morgens
den Baum nicht wiederfinden. Wenn der Mond
rund ist, wollen wir nach Jerusalem. Aber die
hohen Krieger im Kriegsgebäude sind nicht einver-
standen mit den Aufzeichnungen meiner Feldpläne.
Ihre Sinne verwirren sich auf der Tafel; doch der
Großwesier belehrt sie: Allah’s Geist sei über mich
gekommen. — Manchmal fühle ich, meine Blicke
sind blau und fliehen meines Vaters Angesicht. In
meinem Auge steht der junge Kaiser Conradin in
der Helmhaube und dem Kreuz. Aber mein Vater
prüft täglich meine Ausrüstung und die Fußgelenke
meines Dromedars: alt ist er geworden. Ismael
Hamed der Sohn des Großwesiers wird ihm, in der
Zeit, wo wir die Eindringlinge der Hauptstadt ver-
treiben werden, Gesellschaft leisten. Der versteht
seine Sonderlichkeiten zu verzärteln. Und mein
Vater wünscht, daß ich vor der großen Schlacht mit
Ismael Hamed Hochzeit feiere. Ich erkläre aber
meinem ehrwürdigen Pascha, die Mumien im Ge-
wölbe seines jungen Freundes entsprächen nicht der
Zahl, die einer Prinzessin von Bagdad zukämen.
Meine Dienerin hatte einen Traum, ich saß hoch-
zeitlich gekleidet in der Prachtsänfte Ismael
Hamed-Mordercheis, Ismael Hamed sein Sohn lag
im Gewölbe. Der Großwesier wüßte schon meine

ringende Seele um die Schulter zu tragen, aber
meine Küsse schließen sich vor Spätsommerlichem.
Er beschenkt mich mit den eigenartigsten Ge-
schenken: Einen Ring, in seinem Stein spiegelt sich
der Sinai und Ohrgeschmeide, in ihrem Gehang
iäutet eine winzige Uhr alle zwei Stunden zum
Gebet. Und zwei Albinoneger, die mich in den Krieg
begleiten sollen, daß mich die Schwermut nicht be-
falle. Immer wenn mich die vier weißäugigen Aug-
äpfel mit den roten Punkten anglotzen, lache ich,
daß meines Dromedars Buckel wackelt. Abbarebbi,
abbarebbi, lachajare! Mein Träger setzt mit mir
über die weitesten Schluchten, trabt dem Heere
voraus iiber frühbeschienene, üppige Pfade, über
Lippen rotentlang. Schon sehen wir die Tore der
Stadt. Meine Krieger fallen zur Erde und murmeln
Sprüche des Korans. O, wie ich den schlichten
Turm des Kreuzes hasse! Die frommen Musel-
männer aus Mekka und Medina, die Leute aus
Jemen, aus Tyrus, Beduinen, die Bewohner von
Ninive und den anderen Eufratländern, die Egypter,
die Philister, die Edominiter, Amoniter, Hethiter,
die Stämme der Juden: Chaldäer, Saduccäer, Judäer,
die Urenkel Davids, die Söhne der Leviten und ihre
Väter, die hohen Jehovapriester, Talmudgelehrte
aus Damaskus stehen auf mit mir wider das
Christentum. Ich blicke über mein stolzes Heer,

abbarebbi, lachajare-auch Ismael

Hamed Morderchei folgt meinem Zuge-

Lachajare!

Die beiden Töchter des reichen Kaufmanns
werfen sich vor die Füße meines Dromedars, be-
schwören mich um Christi willen. Ihre Vergiß-
meinnichthimmel bluten, wie die Wunden der Ritter.
Hinter den Hügeln der Stadt kam es zum Kampf.
Wir drangen in die Iästigen Kirchen der Ungläubigen
ein. Ich und meine Krieger zerschmetterten die
Altare und Heiligtümer; oben auf des Turmes Kreuz
spießte Ichneumon von Uesküb den Knappen des
jungen Kaisers auf. Ließ dem Vetter zur Strafe
für seine Grausamkeit den Turban nehmen. Ich
träume des Nachts verborgen hinter der Wimper
des Ritters; ich hörte ihn Choräle spielen in der
Zeit seines Gottes Häuser starben, stand uner-
müdlich mit dem Rücken an der kleinen Pforte des
Balkons gelehnt, hinter der er im langen feierlichen
Hemde saß. Ich küßte ihm die Kniee, ich die Prin-

zessin von Bagdad-blutige Zeichen hinter-

ließen meine Küsse. Ich muß so sanft weinen, ich,
Allah’s Kriegerin; auf toten Worten legte ich meine
Hand zum Schwur. Ismael Hamed Morderchei tritt
in mein prunkendes Zelt, er ist europäisch gekleidet
wie die Herren des fremden Amtes unserer Stadt;
streicht er über die erwägende Stirn, tritt eine
höfliche Erkühlung zwischen ihm und dem Sprecher
ein. Sein Bart ist keine Wolke, wie der meines
Vaters; durch den Scheitel seines Kinnhaars
leuchten Steine aus Edeltrunk. Mit wohlgepflegter
Gebärde nimmt er aus meiner Hand das Schreiben
des jungen Kaisers Conradin entgegen, der um
Frieden bittet. Seine beiden Abgesandten halten
sich staunend umschlungen. Sie glauben, ich bin
aus Tausend und einer Nacht. Den Großvesier er-
götzt es, ihre Vorstellungen zu bestärken. Auf das
Gefunkel meiner Stirne weist er, auf meine Hände,
die Bilder des Mondes sind; nichts destoweniger
den Speer zu werfen verstehen. Mich iiberrascht
sein Spott, mit dem er das königliche Schreiben
durchfliegt, ich kann es nicht glauben, daß die hell-
lockigen Boten von meinem Vetter bestochen sind,
aber der Großwesier liefert sie nach abendländischer
Sitte wieder dem feindlichen Heere aus. Vielleicht
sind sie am Abend schon tot. Ichneumon von
Uesküb meldet sich krank. Des Feindes Schwert
zerspaltete an seinem eigensinnigen Gesäß; aber ich
höre durch das Schreien des vergossenen Blutes
seine Lockrufe und ich vermisse meine glotzäugigen
Scheusäler; die lieben ihn, er läßt sie zur Belusti-
gung wie zwei Hunde über seinen Arm springen.
Er weiß, ohne sie kann ich das Herz des Kaisers
nicht durchbohren. Der naht in der vordersten
Reihe des Feindes. Das heilige Kriegskleid umhüllt
mich, wie eine erstickende Sonne, meine Arme be-
ginnen zu vertrocknen, und mein Atem qualmt in
die Augen meiner Krieger. Mag doch der Sinai zer-
rinnen dem Sande gleich. Meine Sterne trat
ich tot, will ihre Blässe streicheln .... Aber
wie nie Dagewesenes öffnet sich mein
Angesicht über späte Tanzleiber und Tempel; in
meiner Schläfe stirbt ein Gott. Wider mich stehn
seine Meere aus ihren Betten auf, aber ein Tropfen
meines Blutes färbt ihr Rauschen verwirrt. Könige
und Königinnen zittern vor meinem bangen Reich-

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