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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 39 (November 1910)
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Pudor, Heinrich: Antiken-Rummel
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Hille, Peter: Das Mysterium Jesu, [7]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0314
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Antiken-Rummel

Von Heinrich Pudor

Daß eine Kultur für das junge Deutschland
desto mehr Interesse hat, je älter sie ist, daß e :n
Kunstwerk desto höher im Preise steht, je älter
es ist, und das allerälteste am höchsten, auch dann,
wenn es nicht wie der Wein durch das Alter ge-
winnt, sondern verliert; das hat mir niemals in den
Kopf gewollt. Auf dem Gymnasium schon beginnt
dieser Vergangenheitskultus, auf den Uni-
versitäten wind er fortgesetzt; die philologische
Knebelung der Kunst (Archäologie) auf der einen
und Germanistik iauf der anderen Seite systematisiert
ihh, die Presse pflegt ihn, die Reichen opfern ihm
ihr Geld, die Halbgebildeten beten ihn an und jeder
Deutsche, wenn er nicht nur Fremdes prinzipiell
respektiert, blickt verehrungsvoll auf alle alten Scher-
ben und Sdiinken.

Alt muß es sein! Ein Beispiel: „Die Madonna
mit der Wickenblüte“. Ist denn wirklich das Kul-
turinteresse des jungen Deutschlands an diesem Ge-
mälde der altkölnischen Malerschule so gewaltig,
oder tut man nur so? Was ist uns : im Grunde
die Madonna mit der Wickenblüte?

Es ist nur reCht und nicht billig, daß das Schick-
sal diesen Altertumskrämern hin und wieder ein
Schnippchen schlägt und sich ins Fäustchen lacht.
Vor zwei Jahren erwarb die Londoner National-
galerie einen angeblichen Velasquez für neun-
hunderttausend Mark. Der Kunstforscher William
Richmond behauptet jetzt, daß sich jn den Farben
Preußisch-Blau befindet, das erst vor hundertund-
fünfzig Jahren entdeckt wurde. Der Chemiker
Church sagt aus, daßi seine chemis'che Untersuchüng
die Fälschung des Gemäldes ergab. Das Bild war
der NatiQnalgalerie schon vor fünf Jahren zu dem
Preis von einhunderttausend Mark angeboten wor-
den; damals wurden Zweifel an der Echtheit des
Werkes laut und der Kauf kam nicht zustande.
Drei Jahre später erwarb die Galerie das Werk
um den fünffachen Preis.

Man kann wirklich sagen: der Kunsthan-
del macht heute d ie Kun s t g e s c h i cn te.
Er ist es, der Stimmung weckt für diese oder jene
Schule, für diesen oder jenen Meister, der heute den,
morgen jenen in Mode bringt, der die Reklame-
Trommel rührt, die Kunstschriftsteller anregt und
die Galerien, wie die chemischen Großfabriken, die
Apotheken, versorgt. Das Publikum aber geht in
seinem guten Glauben so weit, daß es dem Namen,
wenn er einmal gemacht ist, blindlings folgt und
die gröbste Fälschung oder die unbedeutendste
Leinwand, wenn nur der große Name darauf steht,
mit Ehrfurcht und Geld jbezahlt.

Es ist hoffnungslosl Von einer deutschen
Kunstrenaissance kann keine Rede sein, denn die
Kvmst schafft neue Werke und Werte. Das ganze
Leben müßte überfließen von Kunst. Dieses
Wesentlichste, das Produzieren, das 1 Erzeugen,
müßte unserem ganzen Leben bis in den Alltag
hinein den Stempel aufdrücken, allüberall müßte es
sich neu gestaltend regen. Das Eigenartige, Indi-
Viduelle, von Persönlichkeiten Geschaffene, kurz das
Persönliche müßten wir anbeten, es müßte die höch-
sten Preise haben, es müßte unsere Kultur bestim-
men und charakterisieren. Jeder Mensch müßte
eine Persönlichkeit sein, die nur einmal da ist,
deren Wort und Schrift, deren Gang und Wesen,
Öeren Handeln und Tun den Charakter individueller
Eigenart hat: keine Klasse ä la Linne, sondern ein
Einzelwesen, nur eirnnal vorhanden. Kurz, die größ-
ten Kunstwerke müßten die Menschen selbst und ihr
größtes Interesse müßte ihr eigenes Leben eein.
In der Zeit der Früh-Renaissance des fünfzehnten
Jahrhunderts haben wir so etwas gehäbt. Der heu-
tige Mensch ist ein Clische und sein Leben ein
Abdruck — Auflage zehntausend.

Der Deutsche hat seine Gründlichkeit dazu be-
inutzt, alles, was alt ist, zu durChforschen bis zum
letzten Ziegelstein, bis zum letzten Tonscherben,
bis zum letzten Pergament. Für Mumien begeistert
er sich, für verschüttete Mauern gerät er in Feuer.
Ausgegraben muß etwas sein, wenn es 1 für jhn
Interesse haben soll: siehe Aegypten und Griechen-
land. Je älter, desto wertvoller. Vor einem Torso
bekreuzigt man siCh, und das Verschimmelte hat
einen ganz eigenen Reiz. Das ist nicht übertrieben.
Jede der zahlreichen Kunstauktionen bietet dafür
Belege.

Für Ausgrabungen werden Millionen flüssig
gemacht. Irgend ein Papierfetzen, wenn er Hur
ein paar hundert Jahre altist, hüt unsinnigen Geldes-
wert. Der Geist selbst wird auf das Reproduktive
trainiert, jede schöpferische Regung unterdrückt und
vor der Vergangenheit in jeder Form Kotau ge-
maCht. Kein Zweifel, die Gründe sind patho-
logisCher Art und hängen jmit einer Art Gehirn-
erweichung des Menschen unserer Zeit zusammen.
Der Geist wendet sich rückwärts. Im Staub und
Dreck abgestorbener Kulturen suchen wir nach
Schätzen. Wir leben nicht, wir studieren. Wir
schaffen nicht, wir sezieren. Die Totenfelder der
Menschheit werden nach Kunstwerken und Doku-
menten abgesucht, und für Kulturleichen bauen wir
Museen. Das Lebendige scheint jeden Reiz für
uns verloren zu haben. Sehen diese Sammler denn
nicht, wie sie sich lächeriich machen, ihrem eigenen
Geist das Vernichtungsurteil sprechen, wenn sie
über ein altmeißner Porzellanstück in Begeisterung
entflammen und ihr Gold dafür hingeben? Abge-
sehen davon, daß diese ganze Porzellankultur schärf
und unzweideutig die Dekadenz illustriert, die gei-
stige Erschöpfung und sittliche Verworfenheit eines
achtzehnten Jahrhunderts — was sollen wir damit?
Was soll ein neuer Mensdi damit? Bildung kommt
von Bilden. Bilden heißt gestalten. Das Gestalten
ist das Schaffen. Die Bildner und Schäffenden sind
die Gebildeten. Gott, der die Welt schuf, ist ein
Symbol des SchöpferisChen, des KünstlerisChen, und
die Religion selbst eine künstlerische Schöpfung.
Die moderne „Bildung“ ist im Grunde Unbildung.
Wird ein großer Künstler geboren, so läßt man
ihn vor allem einmal verhungern und erst wenn
man seine Leiche hat und nichts Lebendiges mehr
an ihm ist, fängt man an, sich für seine Schöp-
fungen zu begeistern, nicht sachlich, sondern kon-
sequent in dem Gefühl der Bewunderung für alles
Erstorbene. Totengräberkultur. Eine Kidtur Ider
Unkultur. An die Hyänen Öes SChlachtfeldes er-
innern die Leuchten ihrer sogenannten Wissenschaft.
Das ist die Zeit, die zugleich das Geld anbetet, die
industriell geeidit ist, die die Errungenschaften der
Technik für Geisteswunder hält. Es war im Jahr
1908, daß der Inhaber des Thronsitzes im Deutschen
Reich Zeppelin für den größten Menschen des zwan-
zigsten Jahrhunderts erklärte.

Hoffnungslos, sage ich 1. Der Geist ist erschöpft
und das Gehirn erweicht und neue Rassen allein
mit starken Gehirnen können wieder Kulturen
bringen, die in sich selbst und aus 1 sich selbst Werte
schaffen, die im Leben und nicht auf Leichenfeldern
und Trümmerfeldern forschen, bei denen hinter jeder
Handbewegung das Ich, die Person, der Künstler,
der schaffende Gott steht.

Aber die Welt liebt nun einmal die Harmonie.
Vielleicht bewegt sich deshälb grade jetzt die Erde
so heftig, und wie zurn Hohn auf diese Toten-
gräberkultur spuckt sie ihren Dreck aus und ver-
schluckt die Städte mit ihren „Sammlungen“, damit
für Ausgrabungen wieder gesorgt ist und die Alter-
tumskrämerei unserer Babelkultur organisCh wirkt.
So ist wenigstens das Aesthetische gerettet.

Das Mysterimn Jesu

Von Petep Hille

Aus dem Nachlass

Waehstum

Das unschuldige Blut des göttlichen Opfers
war hinabgerieselt in die schuldige Erde, der Keim
der Gnade hinabgesenkt in die Oede Öer Verwesung,
und der Sauerteig der Welt durdigährte 1 die Mensch-
heit.

Erst nahete das Schlichte, dann auch das
Sündige.

Eine große Bruderschaft der Gotteskinder kün-
dete sich an, und die Seelenenge, die höchstenS
bis zu den Landesgrenzen reichte unter jhrer kal-
ten, satzungsgeätzten Vaterlandsliebe, die Rasse
ward weit, ward MensChentum.

Der Rassenglaube verzehrt seine Unterschiede,
auch ihm noch ist die Welt das Außen, das Fremde
— die ganze Welt mit Einschluß des Vaterlandes.

Aber dieses wird nicht verachtet, es wird auf-
gesuCht imd ins Licht des Heiles geholt.

Das trennende Heiligtum schmolz, die Um-
hüllungen, die Grottenwände der Seelen fielen |n

öer neuen Lauterkeit und vermehrten mit dem dariu
gebundenen geistigen Stoffe die reine Wärme un-
endlichen Liebesbrandes.

Wo die Leidenschaften, da der Widerstand.

Daß man das Aergernis des Leibes, des ein-
zelnen Gliedes, das Unvoliständige für einen Auf-
ruf zur Zerstörung nahm, schob einen krachenden
Riß in das Leben. Das Leben verlangt Vollberück-
sichtigung, und AbSchneiden stellt den Frieden
nicht her.

Ein Verschnittner wird nicht keusch.

Man nahm das ärgernde Auge zu wörtlich —
nur auf Gleichmaß ging die Meinung des Gfeich-
nisses.

Der milde Hinausleuchter Leib ward nieder-
gerissen und verheerend sengte Schwärmerei d.e
Welt.

Die Schönheitslehre des lauter bestellbaren
Hellenismus ward leider verlassen, statt umge-
bildet das Höchste zu halten, zu Frieden und
Kunst, zu Glück und Erdverklärung zu bringen.

Das gut Geleistete muß Gott erhalten bleiben,
nur hinzugetan!

Den Fluch aber, der den Segen der Gottes-
kündigung immerdar begleitet hat, brachte nicht
die Lehre, der Gottessinn, sondern die Kunst- unö
Lebensfeindschaft, die man hineinlegte.

Scheinerkenntnis braucht noch keine Schein-
verfolgung zu sein.

Bei all ihrer Tiefe kann man die Welt auch an
seinem Teil erleben.

Genußfreude, Frische des Lebens und Kunst
ist ihr Gegenpol. Mit den Sinnen lebend, will
der Mensch auch die Sinne genießen.

Weiter geführt das Ich und es hätte Gott ge-
funden, nun zerbrach man’s. Was sollen Gott die
Schalen dienen?

Eine Zeit der Lauterkeit sollte sein, das Werk
sollte nur von innen kommen, niCht von außen.

Kein Lärm, kein Gottesgetöse: verfolgend, sidi
behauptend oder umwälzend! Keine Satzung, träg
wie ein Vorurteil, der Mensch will seine Hand-
lungen tun und nicht mehr leiden.

Nein, still von innen, sammelnd, werbend und
an Gott einander verweisend, da Mensch zu werden!

Keine Gewalttat, kein Aufstand, keine Er-
hebung: wer zum Schwert greift, wird durch das
Schwert umkommen.

Gott über alles, sich in Gott hinein leben und
lieben, und eine Erscheinung wie die andere, sich'
wie den Nebenmenschen.

Weil alles Besitzen ein Trennen von Bruder
und Seelenkern ist, trug man das Gut den Hei-
ligen zu.

Die Gotteskindschaft sollte Geschwisterschaft
bedingen.

Da trieb der Aufschwung, die Dämme des
Eigentums zu beseitigen, und wie ein Meer wogte
das Eigentum auf die Armen hinüber.

Einige aber waren auch in der jungen Ge-
meinde, die sogar dieses Christliche, das Vollkom-
mene im Ton alter Satzung auffaßten, als äußer-
liches, zu Schau und Gepräng zu haltendes Gebot.

So taten Ananias und Saphira, da sie ihre Habe
vor die Füße des Apostels schleppten, einen Teil
aber kalt sichernd zurückließen.

Sie hatten noch Zweischlächtigkeit in der Seele,
darum behielten sie vom Ungefbrderten, vom frei-
willig Gebotenen einen Vorsichtsteil im Hinterhalt
unter der Decke der Lüge.

Petrus aber erkannte diesen törichten Schleäch-
weg vor dem weltdurchgossenen hellen Willen
Gottes.

Und als Öer treue sachliche Ernst des Petrus
ihnen nun zeigte, wen sie in lügnerischer, tinge-
zwungener und darum schlimmerer Freiwilligkeit
beleidigt hatten, und als Ananias und sein Weib
Saphira sich dieses Frevels, dieser Verdunklung vor
dem zornig aufblitzenden Lichte der reinen gött-
lichen Kraft bewußt wurden, ereilte sie Entsetzen
und schütterte Grauen ihre zerbrechliche Seele, daß
sie außer Fassung geriet und zerfiel, ehe sie noch
die Strafe geschaut hatte.

Und die Seele derer, die mehr Seele war als
andere, übte nun heilende Kraft.

Das Verlangen nach Heilung und Notdurft,
nun ward leicht es gestillt.

Offen war die Geisterwelt.

Die Laster verschwanden, die jähe Habgier ver-
kroch sich.

Was galt Gold, was galt Silber?

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