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Sturm (Berlin); Archipenko, Alexander [Ill.]
Alexandre Archipenko - siebzehnte Ausstellung — Berlin: Der Sturm, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.74385#0010
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etwas Mondänes und Bürgerliches, das seiner Seele wider-
strebte. Er vermißte das Geistige.
Das Bedürfnis, mit seiner ganzen sinnesfrohen Seele zu
glauben, bewegte ihn ebenso stark wie die Notwendigkeit,
dieses Bedürfnis nach außen kundzugeben. Schon lange war
sein nie zufriedener Geist durch diese zu guten oder zu
schlechten Übertreibungen der verschiedenen Schulen abge-
stoßen worden. Ihre beständige Sorge um die Moral hatte ihn
sogar wie ein Verbrechen empört. Er hatte gewisse Wünsche
und empfand manche Beunruhigung, er entdeckte gewisse Zu-
sammenhänge, die ihn entsetzten. Die Religion erklärte sie ihm
nicht, die Wissenschaft schwieg. Jetzt zog ihn seine wiß-
begierige, ungesättigte Seele zu den tiefsten dieser aber-
gläubischen Ideen, die er reich und tröstlich fand. Es zeigte
sich das Grundelement seines künstlerischen Schaffens, es
entstanden verachtete Bildwerke, großzügig, leidenschaftlich,
ungeschickt und doch vollkommen. Hier dominierte der Aber-
glaube.
*
Die Atoüas der Nonka-Ilierin, die Zemeens der Caraiben,
die feinen und doch abschreckend wirkenden Götzenbilder der
afrikanischen Neger, die Baum- und Hausfetische, die Menge
der Götter endlich, die die Naturerscheinungen symbolisch
wiedergaben, hatten seine verlangende und scharfsichtige Ein-
bildungskraft angezogen. Er lebt an ihren Steinaltären, bei den
Bildsäulen ihrer Götter und den ihnen als Opfergabe ge-
widmeten Bildwerken von Fetischen: Götter des Krieges und
der Saat mit riesenhaften Geschlechtsteilen, irgendein zartes
Frauengesicht von einem unglücklichen Liebhaber dem Liebes-
gotte dargebracht, eine antike Tänzerin mit tiefliegenden Augen,
in wollüstiger Haltung mit spitzen, herabhängenden Brüsten
und andere zahllose Gottheiten.
Beim Anblick dieser antiken Bildwerke, die jünger sind
als wir selbst, wurde Archipenko erleuchtet.

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