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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 182/183 (Oktober 1913)
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Schickele, René: Neue Gedichte
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Kurtz, Rudolf: Café, morgens
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Hoddis, Jakob van: Nacht
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0119

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Glückhafte Nacht

Und langsam steig ich aus der Flammengruft
und atme leicht und weiß, ich bin vom Schein
glückhaften Brandes übergossen.

O deine Küsse schmelzen mit der Nacht!

Sie waren rote Wolken, die zergingen,
ich sah sie in die grauen Häuser dringen,
an denen jedes Fenster geblendet hat.

Sie hauchten Bäume an, durchdringend sacht,
nun ruhen selig sie aut Stamm und Blatt,
sie haben alles mit dem Glanz und Duft
vollkommener Umarmungen getränkt —
jeder Gedanke, den die Schöpfung denkt,
hält dich wie Kern in Schale eingeschlossen.

O deine Küsse schmelzen mit der Nacht

und breiten sich in diesem blauen Leuchten,

das' alles tief und schwebend macht

und überirdisch ohnegleichen,

als ob der Glanz aus ihrer Seele dränge

und sich gleich wieder ganz in sie verschlänge —

da die Gedanken, die sich Kämpfer deuchten,
nun ihrem eigenen Siege weichen
und nichts mehr wissen, nichts mehr sind,
als dieses Schweben und der Wind,
den das Genossene ausströmt so weit
wie Atem, doch nur leicht, daß es gerade
sich leben fühlt im Bade
der eigenen Vollkommenheit.

Komm

Steige empor, du,

komm,

geh auf!

Es ist so dunkel
und ein Gemunkel
in der Grabesruh,

als klapperten die Uhrwerke der Ewigkeit
und wimmerten im Traum die Toten,
komm,
es ist Zeit,

lasse mich auferstehn und alle Toten

mit dir, geh auf —

wüßtest du, wie wir warten!

Komm,

schließe die Kirchhöfe auf,

rühre an die Grüfte,

stoß in die Posaune vor den Wäldern,

geh auf!

Recke dich auf den Schädelfeldern,
bis Leben um dich schreit
vom Gras bis in die Lüfte,
komm, wir sind bereit,
laß uns nicht länger warten!

Komm,

erinnere dich nur an alles Gute,

und wie an frohen Tagen der Himmel war,

und wie wir, beschwert, dennoch geflogen sind.

Spiegeltest du dich nicht wie ein Kind

vor mir in deinem Mute,

riefst übermütig gar:

„So ein Kohl!

Was wollt ihr denn, was könnt ihr denn!
mich kriegt ihr nicht, nicht mich!
wir halten aus, und selbst wenn —
dann bleibt uns noch immer Sansibar
oder so — jawohl,
wir schöpfen aus dem Vollen . .

Laß mich jetzt nicht allein!

Komm,

du brauchst nur kommen zu wollen,
da springen Tore vor dir auf ß

und Fenster, und der Garten
tritt, noch betaut, mit bloßen FüSea,
die Augen voll von Morgengrüßen
durch die Tür in unser Zimmer ein.

Du hättest mich nie verlassen sollen!

Komm,

So komm doch,

komm,

geh auf!

von Rene Schickele erscheinen demnächst neus Gedichte:
„Die Leibwache“

Cafe, morgens

Der Ober, die Oeffnung des Kragens durch
einen Kropf plastisch erfüllend, legt seine stieren
Augen auf mich.

Vier Uhr früh.

O wüste Bananen-Inseln — wie familiär blinkt
ihr in mein Gehirn: gegenüber dieser grauenvol-
len Verlorenheit, der letzte Gast zu sein.

Pfuhl der Romantik, Dunggrube letzter Zuckun-
gen religiösen Familiensinns, Gassenhure des
Wunders.

Der Tee sieht wie abgefettete Bouillon aus.
Kellner räuspern sich, Uhren winden sich aus der
Weste. Irgendwo schlürft ein Vacuum-cleaner
aus der Versenkung. Morgentoilette des Cafes.

Aufatmend begrüße ich den Herrn im Cut-
away.

Er erzielt einen effektvollen Kontrast, indem er
seinen triefend-schwarzen Zylinder auf die Mar-
morplatte stellt.

„Stern der violetten Sehnsucht . . .“ beginnt
er.

Ich blicke ihn verblüfft an. Die Kellner ver-
bergen ihre grinsenden Schädel hinter Stühlen.
Die Uhr schlägt.

Er ist verlegen.

„Verzeihen Sie, ich habe mich vielleicht in
Ihrer Nuance geirrt. Gestatten Sie bitte.“

Er nimmt mein Manuskript — Unsinn. Er
blickt es gleichgültig an. Es fliegt ihm zu. Wie im
Kientopp. Es fliegt ihm einfach stilgerecht in
seine Hände.

Der Ober eilt entsetzt herbei. Seine Favoris
zittern.

Der Cut-away blinkt mit einem Auge auf, be-
strahlt den Mann: er löst sich bereits in licht-
graue Flocken auf.

Aha, der Kropf. Das ist solider Knorpel, mein
Lieber. Aber schon schwebt das leicht zu dem
blitzenden Kronleuchter empor.

Verwirrt putze ich die Gläser meines Kneifers.

Man überreicht mir mein Manuskript.

„Verzeihen Sie, ich habe Ihre Nuance verfehlt.
Ihr Exterieur ließ auf Lyrismus mit Farbreizen
schließen. Ich kenne Sie jetzt besser.“

Er blickt mich abwägend an. Schließt prüfend
ein Auge. Ein paar formende Gesten.

Mein Gott!

Aus meiner Schädeldecke ringeln üppig
Locken. Mein Gesicht zuckt wie Zahnreißen.

Ich habe ja eine braune Samtjacke an. Meine
Shlipsenden flattern im Tee.

„-ich habe mir erlaubt. Sie Ihrer Prosa

anzunähern —“

Der Spiegel, der Spiegel!! Mein Freund: Du
siehst wie eine schlechte Barmischung von Ros-
setti und Wedekind aus.

Ich will dem Kerl an die Qurgel. Er weiß dem
irgendwie geschickt zp entgehen. Ich sjnke er-
schöpft nieder.

„Ja, warum sind Sie denn so unhöflich?“

Trockner Staub sickert durch meine Gurgel.
Ich blicke ihn sprachlos an.

„Aber ich habe Sie doch nur Ihrer Prosa an-
geuä.hert. Ich wollte Sie doch nur entlasten...“

Ich stehe kerzengerade. Meine Faust fährt
dem Kerl steil ins Gesicht, fährt hindurch und
segelt still durch das Lokal. Irgendwo sinken
Tassen klirrend zusammen.

Der Patron schnellt auf. Eine blaue Flamme
springt mir aus seinem Mund entgegen.

„Sie sind ein unklarer Kopf! Was wollen Sie
eigentlich? Ich verhelfe Ihnen zu einer unroman-
tischen Existenz, ich ermögliche es Ihnen, statt
zu schreiben, stundenlang in das Wasser eines
Teiches zu schauen und sich zu betrachten: denn
was ist das Wunder im Cafe? Denken Sie nach.
Sie Dummkopf. Aber das verstehen Sie ja alles
nicht. Ich gehe. Zahlen Sie meinen Cafe.“

Er zieht sich wie eine Sprungfeder in seinen
Zylinder zurück und schwimmt wie ein schwarzer
Kork aus dem Cafe.

Tiefsinnig zahle ich. Dann bin ich im Tiergar-
ten. Es ist kühl und der Tabak zischt blutigrot in
der Pfeife.

O muntere Perspektiven, die aus diesem Er-
lebnis emporringeln. Gesunde Nahrung abgezehr-
ter Konstitutionen. Ich ahne Fett, Fett und einen
kühlen Kopf.

Denn das ist kein Zweifel: irgendwo muß doch
die Lösung in diesem fatalen Burschen stecken.
Ich wüßte sonst wirklich nichts mit ihm anzufan-
gen. Und es gefällt mir keineswegs, daß sich
Einer beziehungslos, ohne Beruf und Funktion, in
meinem streng kausal definierten Weltbild her-
umtreibt.

Rudolf Kurtz

Nacht

1

Und Schmock im Rock
Und Mann in Bart,

Jetzt in der Bar
Zu Paaren gepaart
Und bunter Plunder
Und Strümpfchen verflucht
Seid ihr das Wunder,

Das heut ich gesucht?

Wir suchten auf Straßen
Auf und ab. Auf und ab.

Wir standen und saßen
Und liefen im Trab.,

Ganz über die Maßen
Erwartungsvoll

Jetzt ist das Lokal verjohlt und voll.

Es hebt sich ein rosa Gesicht
Von der Wand

Es strahlt ein verwegenes Licht
Von der Wand
Es kracht mir der Schädel
Beim Anblick der Wand
Es träumt mir ein Mädel
Beim Anblick der Wand

O Wand, die in meine leblosen Stunden starrt
Wand, Wand, die meine Seele mit Wunder genarrt
Mit Langweile und grünlichem Kalk
Mein Freund. Meiner Wünsche Dreckkatafalk.
 
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