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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 182/183 (Oktober 1913)
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Die Presse und der Herbstsalon
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Walden, Herwarth: Das Wissen um die Kunst
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Schickele, René: Neue Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0118

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Herr Fritz Stahl
Gegen die Zumutung,
diese Fatzkereien als Kunst
auch nur negativ zu be-
handeln, gibt es keinen
ernsten Protest mehr. Wir
lachen.

Vorwärts (Wieder Herr
Robert Breuer)

Man braucht nur die
Titel all dieser tollwütigen
Pinseleien zu lesen, um zu
wissen, daß es sich hier
wirklich nicht um Malerei,
sondern um Kaffeehauslite-
ratur handelt.

Deutsche Tages-
zeitung

Hier aber sind die Ta-
lentlosen in Reihe und
Glied aufgestellt.

V'Ossische Zeitung
Man sieht, es lohnt nicht
den Besuch.

Pan

Nun, dachte ich, kann
niemand mehr in 55 Minu-
ten ein bestauntes Bild
schaffen, noch Werke von
der Tiefe eines Delau-
nay in einer Saison täu-
schend nachmachen.

Herr Fritz Stahl über
Kandinsky 1912

Der Reiz bleibt rein op-
tisch und wird im Ver-
gleich mit dekorativen Ar-
rangements durch die Ge-
waltsamkeit der willkür-
lichen Linien überdies ge-
stört. In dieser Wirkung
steht aber der Aufwand
eines großen Bildes
inlächerlichemKon-
t r a s t. Die kann man
auf einem Läppchen Papier
erreichen.

Leipziger Tage-
blatt

Chagall verfügt über
eine Glut der Farbe und
einen Schwung der Phanta-
sie. die mitreißen, selbst
wenn man sich ungern
solcher Schwärmereien
hingibt.

B. Z. am Mittag

Die Tierbilder von
Franz Marc gehen ei-
nen Schein weiter zu lei-
denschaftlichen Kompositi-
onen, die Phantastisches
mit großem Griff erblicken.

Berliner Börsen-
Courier

Alfred Kubin macht seine
dämonisch - metaphysischen
Zeichnungen ohne jeden
Nachdruck.

Berliner Börsen-
Courier

Plötzlich., siebt man ein
paar i n d i s c h e. und ja-
panische Bilder, die alle
Futuristen beschämen.

Nation al-Zeitung

Daher sei man vorsich-
tig, ehe man neue Kunst-
formen verurteilt oder gar
bespöttelt, wie es vielfach
leider Sitte ist

Hamburger Nach-
richten

Weiter heißt es, „Kom-
position“. — Dann wieder
Kontraste oder „Mystisches
Bild“ oder „Improvisa-
tion“, zuweilen auch bloß
Bild 1. Bild 2, Bild 3. Man
spürt, wie schwer es den
Malern geworden ist,
ihren Bildern Bezeichnun-
gen zu geben.

Volkszeitung

Täuschungen sind ausge-
schlossen. Diese „Jüngsten“
sind keine Revolutionäre;
gereift und abgeklärt, aber
reichlich exzentrisch sind
die Meisten

Volkszeitung

. . . Ausstellung ist das
weitaus interessanteste,
was man in der letzten
Zeit an Kunstausstellungen
sehen konnte.

Vorwärts (Immer wie-
der Herr Robert Breuer)

Oder Herr D e 1 a u n a y.
Er zeigt uns die Sonne in
vier verschiedenen Fassun-
gen. Aber was er gibt,
sind Schützenscheibenbil-
der, wie trunkene Dorf-
burschen sie fabrizieren.

Herr Fritz Stahl über
Kandinsky 1913

Ich empfinde bei dem
Anblick solchen Bildstückes
(von Kandinsky) einen so
anregenden und befriedi-
genden Genuß, daß es mir
genug als Kunstwerk wäre.
... Er (Kandinsky) ist ein
Genie der Farbe.

Vossische Zeitung

— wo solche Scherze zu
sehen waren, wie Marc
Chagalls einer schönen
alten Miniatur schlecht
nachgekünsteltes Kreuzi-
gungsbild.

Hamburger Nach-
richten

. . . ebenso unverständlich
wie die apokalyptischen
Wölfe von Franz Marc.

Berliner Lokalan-
zeiger

Alfred Kubin, jenem be-
kannten Diaboliker, der zu
einer immer vertiefteren
Form gelangt.

Leipziger Tage-
blatt

Bedauerlich sind dagegen
die Proben der indi-
schen und chinesi-
schen Malerei, die man
hier' sieht.

Leipziger Tagye-
b 1 a 11

Paul Klee zeigt
Zeichnungen, die sich in dem
Tiefsinn der Kindeszeich-
nungen geschult haben.

Berliner Allge-
meine Zeitung

Rousseau, aus des-
sen bis ins Kindliche ver-
einfachte Manier eine feine
seelische Vertiefung spricht.

Berliner Börsen-
Courier

Paul Klee ist derjenige,
der das Gerücht von den
Max- und Moritz-Zeichnun-
gen verursacht hat.

Casseler A llge-
meine Zeitung (Schon
wieder Herr Robert
Breuer)

Rousseau, ein harm-
loser ehrlicher Dilettant.

Lexikon der deutschen Kunstkritik

Zusammengestellt aus Zeitungsberichten über den
Herbstsalon

Anödung des Publikums / Verhöhnung des Phi-
listers / Unfähige Akademiker / Nichtskönner /
Anmaßliche Theoretiker / Neuigkeitsjäger ) Bunt-
häutige Tölpel / Neger im Frack / Hottentotten im
Oberhemd / Horde farbespritzender Brüllaffen j
Tollwütige Pinseleien / Kaffeehausliteratur / Farben-
krämpfe / Ideenkopfstände / Tollste Verrücktheiten
/ Griffelversuche des kleinen Fritzchens ./ Kirmes-
schützenscheiben / Krankhafte Erscheinung /
Scheußlicher und lächerlicher Klumpen / Scharen
von anspruchsvollen Toren / Fatzkereien / Dick
aufgetragene Flecken schlechter Farbe / Malboto-
kuden / Hexensabbath / Ästethetische Gigerl /
Gellende Clownsprünge / Größendünkel ./ Neger im
Zylinder / Säugling im Frack / Neuste Kunsterkran-
kung / Praß von Talentlosigkeit / Managernaturen
/ Bastardtaleilte / Banause / Verworrenheit der
Psyche / Wahnwitzige Gebilde der Phantasie /
Moden ohne Entwicklungsmöglichkeiten / Hohl-
heit der technischen Spielereien ,/ Umgekehrte
Philisterseele /Gemalter Wahnsinn / Bluff / Un-
summe von Lächerlichkeiten / Blöde Schmierereien
/ Gemäldegalerie eines Irrenhauses / Neue Wahn-
sinnsuniformen / Züchtung des Allerhäßlichsten /
Taumler aus Unfähigkeit / Kitschideen / Kasperle-
theater ,/ Sensationsgier ästhetischer Roues / Pa-
noptikumsspektakel / und so weiter

Das Wissen um die
Kunst

Ich bin nicht der Meinung, daß es um die Kunst
heute schlechter steht. Es stehen nur zu viele um
die Kunst herum. Sie packen sie mit stumpfen
Sinnen an, sie befühlen sie, ohne zu fühlen, sie be-
denken sie ohne Bedenken. Sie stellen sich vor
die Kunst ohne sie sich vorstellen zu können. Sie
finden die Kunst gesucht, weil sie Gesuchtes nicht
finden. Sie suchen die Natur, die sie nicht kennen.
Sie kennen die Natur nicht, weil sie außer ihnen
ist. Sie sind von der Kunst außer sich, weil die
Kunst sich in sie zwängt. Sie sind bezwungen.
Dieses Lachen, dieses Höhnen ist die Verzweif-
lung des Unterliegenden, das Aufleben des Leben-
digen gegen ihr Totes. Sie werden von dem Er-
lebnis geschüttelt. Ihre Kindergehirne kreisen.
Das Leben reißt ihnen, müßigen Zuschauern, die
Mäuler offen, sie klammern sich schreiend an Be-
griffe, die sich vor ihnen lösen, sie fassen in die
Bilder, die sie schon längst gefaßt haben. Sie zer-
ren an einem Zipfel der Kunst, weil sie ihnen zu
groß ist. Sie nörgeln, kleine Kinder, die nicht
Schritt halten können. Die Sonne scheint und die
Kunst leuchtet, auch wenn Kinder noch nicht er-
wacht sind. Wären sie Kinder, wenn sie erwach-
ten, Sie würden sehen, daß die Sonne eine schöne

Kugel ist, wie eine Schützenscheibe, mit der man
spielen kann. Sie würden sich im Urwaldgestrüpp
der Farben fürchten. Sie wüßten, daß die Bäume
in den Himmel wachsen und daß der Himmel in die
Erde reicht. Das alles und vieles andere Scliöno
würden sie wahrnehmen wenn sie Kinder oder
Künstler wären. Aber solange sie Bürger sind,
nützliche Glieder einer unnützen Gesellschaft, so-
lange wissen sie nur, daß die Sonne nach verschie-
denen Millionen Jahren ausgebrannt sein wird, daß
man sich im Urwald nicht zu fürchten braucht, daß
die Bäume nicht in den Himmel wachsen und daß
der Horizont eine Vorstellung ist, so eng, wie das.
was sie denken nennen.

Die Natur ist den braven Leuten der Wunder
bar. Natur, das weiß man, wie das gemacht wird.
Gewitter, elektrische Entladung. Was ist Elektri-
zität? Elektrizität entsteht dadurch, daß man.
Entsteht? Geburt, eine höchst einfache Angelegen-
heit. Das eine Organ tut dazu dieses, das andere
jenes. Das Denken geschieht durch das Gehirn.
Man weiß noch viel mehr von der Natur.
Blutkreislauf. Bakterien. Kampf ums Dasein.
Atome. Elemente. Alles höchst einfache Sachen.
Die Natur kennt man. Alles ist höchst natür-
lich. Findet man das nicht natürlich, so liegt
eben ein Dämmerzustand vor. Wieder eine höchst
natürliche Erklärung. Ein dauernder Dämmerzu-
stand ist Geisteskrankheit. Alles eben so einfach
wie natürlich. Und die Wissenschaft, die es so
herrlich weit gebracht hat und ganz genau weiß
wie es die Natur macht, soll mit dem bischen Kunst
nicht fertig werden? Wo die Kunst doch nur die
Natur natürlich nachahmt. Bei Menschen hat die
Wissenschaft wenigstens einen Blutkreislauf
festgestellt. Die Kunst hat nur eine Oberfläche.
Die Kunstgelehrten haben die Bilder offenbar ex-
perimentell zerschnitten und erfahrungsgemäß fest-
gestellt, daß in ihnen nur Leinenfäden enthalten sind.
Also Blut hat die Kunst nicht. Farben sind Fabrik-
ware. Gefühltes kann man nicht malen und die
Existenz der Seele und des Geistes ist nicht nach-
gewiesen. Nur wie alles aussieht, das weiß man
genau. Und wenn etwas nicht so aussieht, wie man
es weiß, so ist das eben keine Kunst. Die Kunst-
gelehrten wissen, was Kunst ist. Nämlich das, was
sie nicht wissen.

Wir wissen es, meine Freunde, aber wir sage*
es nicht. Weil es so unsagbar schön ist.

H. W.

Neue Gedichte

Rene Schickele
Lobspruch

Wie soll ich wissen,

ob du es bist,

die ich am meisten liebe.

Doch sicher bist es du,
die mich am meisten
froh macht.

Und reine Kraft

gibt nur die Freude,

im tiefsten Blut entfacht,

und dann wie Reif

auf Haut und Haaren

und noch im Klang eines Schritts.

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