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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 160/161 (Mai 1913)
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [3]: Roman
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Die Schwermut des
Genießers

Homan

Von Arthur Babillotte

Fortsetzung

Die Sonne stieg und gab ihm die Empfindung,
daß bald der Augenblick da sein müsse', da
sie sich zu Asche verbrannt hätte, und
dies verstärkte das Grauen, in das ihn das revo-
lutionäre Erlebnis seiner Phantasie versetzte. Und
in der Stunde dieses höchsten Grauens wurde zum
erstenmal ein Wunsch in ihm rege, der ihn in wol-
lüstigem Schrecken erzittern ließ. Mit weit geöff-
neten Augen blickte er in die Landschaft; soweit
als möglich öffnete er die Augen, um die reichen
Farben auf einmal in sich aufnehmen zu können.
Diese Farben kamen in solcher Ueberfülle. daß
er darunter litt und nicht imstande war. sie
in sich zu ordnen und ihr Harmonie zu geben. Die
Angst, dies nie zu vermögen, solange er mit weit-
offenen Augen in den Tag sah, diese Angst vor
dem Chaos in sich, dem Unharmonischen, dem Ge-
wöhnlichen preßte sich in dem aufzuckenden
Wunsch zusammen: 0, daß ich blind wäre! Im Zu-
stand der Blindheit, des nach innen Blickens, ohne
störende äußere Einflüsse, wäre es möglich, die
Ueberfülle zu ordnen, in Harmonie zu bringen.
War er blind, so lebte er fortan nur in seiner eige-
nen Welt, ohne davor zittern zu müssen, daß die
wirkliche Welt mit tausend störenden Armen her-
übergriff und seine Träume durcheinanderwarf.
Dann quollen alle Töne rein aus seinem Innersten,
waren nicht in Gefahr, sich mit andern Tönen, mit
fremden oder gleichgiltigen zu vermischen, bevor
sie eine eigene, unabänderliche Lebensäußerung
gewannen. Dieser Gedanke zuckte in ihm auf, be-
drängte ihn nicht, suchte ihn nicht auf der Stelle
zu gewinnen, bestürmte ihn nicht mit Verführer-
künsten ... Er klang auf und verstummte. Aber
er klang so scharf und in einem so günstigen Au-
genblick auf, daß er unmöglich ohne Wirkung
bleiben konnte. Er war zu ihm gekommen, wie
ein Verführer zum Weibe kommt, wenn es unbe-
wußte Wünsche hat.

Er schloß die .ugen und blickte in sich hinein
und vergaß die tragische Landschaft. Die Erschüt-
terung des aufspringenden und niedersinkenden
Wunsches peinigte ihn und ließ ihn sein Werk ver-
gessen und offenbarte ihm so die Wollust der Hin-
gabe an ein Unbekanntes, dessen Wesen er nicht
faßte, dessen Größe und Tiefe er noch nicht
kannte. Er hatte sich bis jetzt an das Bekannte
hingegeben, das ihm die Geschichte vermittelte,
und dieses Bekannte in seine Art übersetzt und
auf diese Weise neugestaltet. So bedeutete der
Augenblick, da er Angesicht zu Angesicht dem Un-
bekannten gegenüberstehen mußte, ein Erlebnis,
dessen Folgenschwere er ahnte.

Als der Wirt heraustrat, um ihn zum Essen zu
rufen, saß er in einem Rohrsessel, mit geschlosse-
nen Augen, wie ein Schlafender.

Redakteur Todt verhielt sich während des Es-
sens schweigsam. Seine kräftigen Kauwerkzeuge
arbeiteten wie Maschinen. Zogen die Beute an
sich, zermalmten sie, schnappten nach neuer.
Ihre Bewegungen waren knapp und entschieden,
wie das ganze Wesen des Mannes. Wer ihn
reden hörte und seine hastig- schroffen Bewegun-
gen sah, konnte sich eines leisen Kältegefühls
schwer erwehren. Er selbst wußte, daß in sei-
nem Wesen etwas raubtierhaftes lag, und er war
stolz darauf; er betonte jede Bewegung und je-
des Wort. Er war der kälteste Realist, erkannte

nur die Macht der Fäuste an und räumte dem
Geist eine untergeordnete Stellung ein. Trotz-
dem war er Redakteur geworden.

— Man kann heutzutage nicht mehr alles
durch Macht allein erreichen, sagte er. Man muß
pfiffig sein und sich der Zeitströmung anpassen
und alles Feindliche mit seinen eigenen Waffen
schlagen.

Redakteur Todt war Sozialist, bereit, seine
Ueberzeugungen mit Fäusten zu verteidigen,
wenn es nottat. Er war der Mächtige, vor dem
sich die Genossen im ganzen Bezirk beugten,
Anhänger und Gegner fürchteten ihn in gleichem
Maß und gingen, soweit sich dies tun ließ, in wei-
tem Bogen um ihn. Er hatte nur eine Stunde am
Tag, in der man an ihn herankommen konnte,
ohne befürchten zu müssen, von dem Gift seiner
gefährlichen Zunge getötet zu werden. Das war
die Stunde, da er aus dem Zentrum seiner Ge-
fährlichkeit, der Redaktion des „Arbeiters“, her-
auskroch und ein Mensch wurde wie die andern.
In dieser Stunde legte er den Panzer seines
rauhen Uebermuts ab und ging unbewaffnet. In
dieser Stunde sammelte er neue Kräfte, „ölte die
Maschine“, wie er einmal sagte.

Zwei Menschen, ungleichartiger, als der Re-
dakteur und der Künstler, waren nicht leicht zu
denken. Sie wußten dies auch und fühlten sich,
sobald sie einander erblickten, aus ihrem Dasein
als Einzelwesen zu Vertretern einer Gattung er-
hoben. Sie kämpften gegeneinander, nicht als
Menschen, sondern als Weltanschauungen. Sie
kämpften rücksichtslos. Redakteur Todt mit sei-
nen harten Gewaltforderungen, Johannes mit dem
Glanz seiner Töneüberfiille. Sie achteten sich
gegenseitig, weil einer im andern eine Macht er-
kannte, die ehrlich vorging und mit Ehrlichkeit
bekämpft zu werden verdiente. Ihr erstes Ge-
spräch war das Vorbild für alle spätem gewor-
den. Jeder hatte darunter gelitten, jeder unter
der Strenge der Forderungen, die der andere auf-
stellte, gezittert. Aber jeder war als Sieger her-
vorgegangen, ohne sich dem Gegner zu beugen.

Redakteur Todt war ein Mensch, der zum
Volke gehörte, der Ellbogenfreiheit und wirksame,
zweckdienliche Arbeit verlangte. Die ganze Er-
scheinung predigte den Charakter dieses Mannes.
Auf dem eckigen Kopf mit der niederen zusam-
mengepreßten Stirn starrte das borstige Haar,
von wenigen grauen Fäden durchzogen; die
Augen glühten wie verhaltene Flammen, fanatisch
und gefährlich. Und die breit- und starkgebaute
Nase schien nur dazusein, das Brennen der bei-
den Augen auseinander zu halten, damit es nicht
in eine einzige Glut, die sich selbst verzehrte,
zusammensinke. Die Arme mündeten in große
Hände aus, die von der Wucht, mit der Redakteur
Todt in Volksversammlungen auf die Tischplatte
schlug, formlos geworden schienen. Seine Füße
verrieten Rücksichtslosigkeit in ihrem harten Auf-
treten, seine Zähigkeit im schweren Feststehen
auf der Erde, seine Formlosigkeit in ihren plum-
pen Linien.

Vom Sozialismus erwartete Redakteur Todt
alles Heil der Zukunft; er haßte alle Feinheit,
sein Sinn stand nach breiten Gebärden, nach der
Sprache und den Gesetzen derer, die mit auf-
trotzendem Kraftbewußtsein einherschreiten und
die Vornehmen der Geburt und des Geistes ver-
schlingen wollen. Seine größte Hoffnung war die
Macht der Massen.

... An diesem Augusttag schien dem Redak-
teur etwas unangenehmes widerfahren zu sein.
Er bewegte die starken Kauwerkzeuge mit einer
mechanischen Emsigkeit und war mit seinen Ge-
danken gar nicht dabei; er fauchte manchmal
durch die Nase und riß dann ungeduldig an dem

schwarzen dünnen Schnurrbart. Als er sein Ge-
genüber ansah, schnellten seine Gedanken aus der
Gegenwart zu jener Stunde zurück, in der er das
erste Gespräch mit dem Künstler geführt hatte.
Wie eine Notwendigkeit überfiel ihn das Verlan,
gen, genau dasselbe Gespräch noch einmal zu füh-
ren, um sich so aus dem Zorn über das unange-
nehme Morgenerlebnis zu befreien und neue Kräfte
zum Zuschlägen zu sammeln. Deshalb begann er
mit genau denselben Worten, wie damals, als
hätten sie sich eben erst kennen gelernt und müß-
ten ihre Anschauungen als Grundlage ihres wei-
teren Verkehrs einander vor Augen führen.

Der Künstler staunte nicht über die Wieder-
kunft einer vergangenen und halbvergessenen
Stunde. Er stellte sofort seine Phantasie hierauf
zurück, indem er sie von allen seelischen Erleb-
nissen befreite, die ihm die Tage inzwischen ge-
schenkt hatten. . Er empfand wieder denselben
Schmerz, als er die schroffen Worte des Redak-
teurs hören und seine knappen Gebärden sehen
mußte, und lächelte wie damals das verzerrte Lä-
cheln des Empfindlichen, das er als Panzer um
sich herlegte. Jetzt glitten die Flammen der
Machtbegierde, die das ganze Wesen des Redak-
teurs ausstrahlte, von der Umpanzerung des Künst-
lers ab. Er nahm den Kampf auf, fast mit den-
selben Worten wie damals.

Sie erwarten vom Sozialismus das Glück der
Zukunft, lächelte er. Aber Sie bedenken nicht, daß
der Sozialismus nur eine Uebergangserscheinung
war, die heute bereits stark im Schwinden begrif-
fen ist. Einmal war Sozialismus Revolution; heute
ist Sozialismus nur noch Reform. Dem Sozialismus
fehlt die persönliche Note, er ist Chaos; ist nicht
zuletzt Chaos, weil er alle Menschen und alle Ver-
hältnisse gleichhaben will.

Wie damals berauschte sich der Künstler an
der Paradoxie seines letzten Satzes. Die Mög-
lichkeiten eines neuen Werkes stiegen vor ihm auf;
Kolonnen gleicher Kräfte marschierten in seinem
Geist vorüber, rückten zusammen, ordneten sich
zu Figuren, suchten die höhere Harmonie: aber,
es ward stets nur Chaos. Er erbebte vor diesem
Gedanken, starrte ihn hilflos an und wußte nicht,
ob er groß und entwicklungsfähig oder lächerlich
und ohne Bedeutung sei. Er ließ sich von der
Gegensätzlichkeit dieser Verbindung hinreißen und
vergaß den Fanatischen, der vor ihm saß und sich
zur Gegenwehr bereit machte.

Als ihn aber der Redakteur aus der Buntheit
der Paradoxie wieder in den Bereich seiner Nüch-
ternheit zog, nahm er den Kampf mit neuen Kräf-
ten auf. Das Feuer jenes wunderlichen Gedanken-
blitzes hatte seinen Willen gehärtet und ihn für
die nächsten Augenblicke 7,u einem Streiter seiner
Kunst gemacht. Er vergaß, zu wem er sprach,
fühlte sich als Weltanschauung und kämpfte gegen
eine Macht, die ihn nicht anerkennen wollte.

Vom Sozialismus ist keine Kultur zu erwarten,
wohl aber von der Kunst. Nicht die Kunst ist ab-
hängig von der Kultur, sondern umgekehrt. Und
in der Kunst ist es vor allem die Musik, die Erlöse-
rin sein wird. Die Musik, wie ich sie in mir fühle,
die ich den Menschen zeigen will.

Redakteur Todt zog sich in sich zusammen; er
wollte nicht, daß der Einfluß des Künstlers auch nur
das geringste in seinen Anschauungen verschiebe.
Er machte sich taub, er wußte, wie überzeugend
die Stimme des Künstlers war. Als er aber merkte,
daß der Gegner schwieg, schnellte er plötzlich
empor und warf sich mit polternden Worten
über ihn.

Mit Ihren Ansichten werden Sie am Leben zer-
schellen! Die sind viel zu fein, zu ästhetisch, diese
Ansichten! Zum Teufel mit der Aesthetik! Brot

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