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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 168/169 (Juli 1913)
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Schwarz, Hugo Engelbert: Ardibots letztes Auftreten
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Quartner, Isidor: Sinnlichkeit
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Bommersheim, Paul: Gedicht
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Zech, Paul: Die hallucinierte Nacht
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [7]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0062

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Schaft gewachsen zu sein. Wenigstens ließ er sich
nicht eine Sekunde Zeit, sondern drückte die
Lampe Ardibot in die Hand, wobei er mit der
rechten Hand die herabfallenden Augenlider auf-
hob, um besser sehen zu können und warf ihm
einen vielsagenden Blick zu. Dann eilte er auf
Seb zu und umarmte sie stürmisch. Entzückt
schlang Seb ihre Arme um seinen Nacken. Ardi-
bot knirschte vor Verdruß.

„Ha!“ rief er aus, „Ihr wollt mir neue Hörner
machen! Sofort kommst du zu mir, Seb!“

Doch Seb drehte sich lachend zu ihm: „Ardi-
bot, wie kindisch auf einen Toten eifersüchtig zu
sein. Sie nur, diese entzückende kleine Wunde,
die unbedingt tötlich ist, an seiner Schläfe. Ich
muß sie küssen!“ Sie drückte vorsichtig den Kopf
des Rambosso zu ihrem Munde herab und küßte
die kleine blutige Wunde.

Rambosso sprach kein Wort, schien sich aber
sehr wohl zu fühlen. Da übermannte Ardibot die
Wut. Er stellte die brennende Lampe auf den
Boden, nahm seine Pistole aus der Tasche, lud
sie und zielte sorgfältig, dann drückte er los. Kein
Knall war zu hören. Rambosso fing das Projektil
mit der linken Hand auf und schleuderte es mit
Wucht an Ardibots Kopf.

„Sie scheinen wirklich das Gespenst des Ram-
bosso zu sein! Diese albernen Geistertricks sind
nachgerade altmodisch!“ rief Ardibot erbost. „Ihr
Benehmen ist jetzt fast noch unerträglicher, als
es bei Ihren Lebzeiten war.“ Er rieb sich den
Kopf, an dem im Augenblick eine riesige Beule
sichtbar ward. Sie verursachten ihm Kopf-
schmerzen. Insbesondere in diesem Augenblicke,
denn man schien wahnsinnig in die Hände zu klat-
schen. Es war wie ein richtiger Beifallssturm.
Immer wieder trat er vor, um sich dankend zu
verneigen. Der Vorhang senkte sich zum letzten
Male. Der Direktor stand vor ihm mitten unter
den Kollegen. Jetzt erst sah sich Ardibot: Er
stand im Kostüm auf der Bühne und nahm den
Glückwunsch des Direktors entgegen, der ihm
dafür dankte, daß er trotz dem heftigen Unwohl-
sein seine Rolle zu Ende gespielt hatte. Ardibot
starrte seine Umgebung an, er begriff, daß er ge-
spielt haben mußte.

So wie er war, stürzte er über den Korridor
zum Bühnenausgang. Unter den Arkaden des
Theaters schritten die Angehörigen der Schau-
spieler auf und ab. Unter dem dritten Bogen er-
kannte er Seb, seine Frau, im vertraulichen Ge-
spräch mit einem ihm unbekannten jungen Manne.
Säe standen im Schatten und hielten einander bei
den Händen.

Sinnlichkeit

In meinen Adern häufet sich Blütenstaub:

Wie alles Blut in ihm versiegt!

Von Sehnsucht erklingend begatten sich gläserne
Blumen in meinem Herzen.

Fallen welkend aus den Schatten der Schläfen

Meiner Finger enge Fünfblattblüten

Und verlieren sich in reißenden Strömen . . .

Da weht aus des Gaumens Wüste so müder Wjnd.
Da beugen sich zitternde Zweige zu mir herab
Und trinken heißen Wein aus den Kelchen meiner

Augen.

Mit flaumiger Pfirsichhaut sind Himmel und

Steine bekleidet.

Vom Sonnenfelsen höhnt mich begreifendes

Lächeln von Schlangen:
Das verglättet alle Kanten zu weicher Rundheit.

Dürstendes Dickicht warf sich über den Schoß

der Sommernacht:

Nun ist des Tages Hauch eine zimmetduftende

Orchidee,

In der ich betäubter Falter flattre.

In meinem Haupte rauscht ein Garten,

Auf dessen Kronen schwelender Abend drückt.
Grellrote große Früchte schwingen tönend im

Sturm.

Nachts neigen sie sich von den Stielen und fallen.
Wie Flammen von Fackeln. Ertrinken im Tau

meiner Lider.

Hastet der Smüm durchs phosphorleuchtende

Schilf meiner Wimpern . . .

Isidor Ouartner

Gedieht

Die Nebel fassen stetig fester sich,
und ihre Wände wachsen, weitwuchtend, weltvoll,
und ihre Heere schleichen stetig mehr heran.

Und wie der Aeste letztes Grau versinkt:

Die Welt entblättert langsam von uns ... Blatt...

um ... Blatt...

Nun sind wir ganz allein_einsam im Raum.

Nun ist die Stunde des großen Findens.

Nun sind wir uns näher und näher gerückt.

Nun halten wir uns in feurigen Händen
sternglühend.

Paul Bommersheim

Die hallueinierte Nacht

I

Aus Wolkenfässern fließt Teer.

Bäume taumeln betäubt und erblinden.

Und der Rauch muß sich zerfetzt aus dem Schorn-
stein winden

und weiß nichts von Wiederkehr.

Straßen sind Ströme und Plätze wie Meer.

Alle Fenster schaun stumpf wie aus Binden.

Ich kann mich nicht weiterfinden.

Meine Atemzüge gehn schwer.

Und alles was Ich war, wird Schatten
und probt sich die Finger krumm.

Ich will nicht ermatten;

nur stumm wo verflocken . . .

Morgen liegt alles erschrocken
wie Schnee herum.

II

Ich und die rote Laterne
wandern die Straße entlang.

In einem Hause welkt Mädchengesang
und ein Sarg taumelt aus der Taverne.

Wie eine Beute, irgend woher gestohlen,
schleifen die Glocken das Kyrieleis
von Turm zu Turm.

Und die Wächter tun krank den Kreis
um Fleckfieber und Lustviolen.

Aber wir Winde, lange geduckt, gepreßt,
und weggetan wie ein Wurm,
sprengen die Fesseln in Stücke
und schreiten wie Mörder fest.

Schwarz schwankt schon die Brücke.

Wir müssen uns sputen

und in die Straßen Ströme bluten.

III

Alle Straßen stürzen verwaist:
o welche Langeweile!

Die Turmuhr hat keine Eile;
das Dunkel hat sie ganz eingekreist.

Da hockt sie die lange Nacht

wie eine Spinne und streckt die Zeiger.

Und unten fiedelt ein Geiger

bis äus Gebirgen der Krater kracht.

Ich brenn wie ein irrer Stern

über Mammuthschädel und Riesenmähnen

und grabe mich tiefer in Schuttmoränen.

Erde: Verpfuschtes von tausend Plänen,

Erde: Vertropftes von tausend Tränen,
nie war mir Erde so fern!

Paul Zech

Die Schwermut des
Genießers

Roman

Von Artur Babillotte

Fortsetzung

Er schwieg und starrte in den Abend.

Sie lächelte gläubig und streichelte seine Hand.
Da kniete er vor ihr nieder und legte den Kopf in
ihren Schoß, er hörte die Stimmen der streitenden
Männer nicht mehr, er ging ganz auf in der Selig-
keit seiner neuen Hoffnung.

Das Leben der Großstadt hatte mich verschlun-
gen. Ich verachtete die Gesellschaft. Ich sah, wie
meine Freunde ihre Ueberzeugungen geheim hiel-
ten, um nicht ihre Karriere auf das Spiel zu setzen.
Eine Sehnsucht nach Ehrlichkeit glühte in mir. Da
ging ich zu denen, die alle gesellschaftlichen Rück-
sichten abgeworfen hatten, die sich gaben, wie sie
waren. Ich erlebte viele Brutalitäten, aber ich
zwang mich, sie hinzunehmen als Teil eines Gan-
zen. Nächtelang saß ich in Kabarets und Bars. Ich
betete das gefallene Weib an, weil ich wähnte,
dieses allein sei ehrlich geblieben in all der über-
tünchten Heuchelei einer raffinierten Kultur. In
der Dirne sah ich die Natur.

Er hob den Kopf und sah zu ihr auf. Die Züge
ihres Gesichtes begannen langsam in der dichter
werdenden Luft des Abends zu verschwimmen.
Ihre Augen glänzten. Dieses unkünstlerische Mäd-
chen fühlte einen Hauch der Wehmut, die von dem
Geliebten ausging. Er heiligte sie und machte sie
wertvoll, indem er ihr von seinem unerschöpf-
lichen Reichtum gab. Sie liebte ihn.

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