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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 173/174 (August 1913)
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Kohl, Aage von: Der schöne Korporal
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Mynona: Rosa die schöne Schutzmannsfrau
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Meyer, Alfred Richard: Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0088

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Lächeln, womit er im Dunkeln die Frau betrachtet
haben mochte, die er umfangen hatte. Seine Haut
war nur ganz wenig blasser — wie eine Blume
nach einer kalten Nacht.

S i e lag ein paar Schritt davon, die Kleider
in Unordnung. Mitten im Leib eins von diesen
breiten Messern, die die mandschurischen Frauen
brauchen um Stroh zu schneiden. Ihr Gesicht war
wie gespalten vor Angst und Schmerz. Ueber
Mund und Kinn lag ein großer Blutstropfen. Es
sah aus wie Siegellack auf Pergament.

Der Kapitän stand mit gesenktem Kopf. Seine
Schultern zitterten. Dann fiel der Stabsergeant
nieder und umfaßte die Kniee des Kapitäns: „Ah,
unser kleiner goldner Held“! — er schluchzte laut.

Eine Sekunde suchte der Kapitän sich stramm
zu halten, dann hob er seine Hände vor das Ge-
sicht und die Tränen flössen durch die Finger —
„Ja, unser goldner kleiner Held!“ — sagte er und
schluchzte in jedem Wort.

*

Aus der Novellensammlung „Die roten Namen“ /
Autorisierte Uebersetzung aus dem Dänischen von Nell
Waiden / Ueber die Bedeutung von Aage von Kohl,
dieses ganz großen Künstlers, soll hier bald geschrieben
werden. H. W.

Rosa die schöne
Sehutzmannsfrau

Von Mynona

Kennt ihr die trüben Stunden, wo der Schutz-
mann stundenlang nachts im Regen steht, wäh-
rend seine Frau —?

Aber ganz anders war Rosa, die bildschöne
Schutzmannsfrau. Warum? Warum war sie so
anders? Es lag gewiß nicht an den Umständen;
es lag in ihr drinn., Und ganz gewiß nicht ar,
ihrem Manne, einem Burschen von altem — sagen
wir, Schrot und Korn, den Rosa liebte. Aber ein
bessrer Frauenkenner (mit Glück im Auge) sagte
mir mal: die Frau ist ein holdes Geheimnis. Und
als ich ihm nicht Unrecht gab, setzte er hinzu:
entschleiern Sie sie nur äußerlich, nie seelisch!
Dann sagte er noch was von Schiller, ein Zitat, ich
habe es vergessen, es wird mir unvergeßlich
sein! Inzwischen ging Rosa aus, und — glauben
Sie mir! — sie ging so schön, daß einem uralten
Invaliden das Maul aufschnappte, worauf auch
seine Pfeife invalide wurde. Rosa ging über naß-
spiegelnden Asphalt; sie ging durch eine pracht-
volle Passage, sie überschritt mit hochgerafftem
Rock den Fahrdamm. Und an der Ecke stand der
Mensch, der sie liebte, nicht ihr Mann, aber auch
ein Mann.

Diesem Mann drang beim Anblick der duftig
daherschreitenden Rosa (sie ging nicht wie Damen
einig mit sich selbst, auch nicht wie Halbweltle-
rinnen problematisch, erst recht nicht wie das
viel zu bekannte Mädchen aus dem Volke, wissen
Sie, drall und allegro; sondern ging, ich kann es
nicht anders sagen: wie das Gehen selber in
eigner Person) drang also eine Träne ins Auge.
Verführerischer wäre im allgemeinen ein Monokel
gewesen, aber das erzieht zur Selbstbeherrschung,
und der Mann hatte weder sie noch es. Rosa be-
merkte nicht sobald den Mann, als sie auf ihn zu-
eilte und eifrig auf ihn einsprach:

„Alles würd’ ich für Sie tun, alles! Sagen
Sie nichts, ich verstehe Sie. Aber Sie verstehen
mich nicht, Sie ahnen nicht, was ich leide —
und wie glücklich ich trotzdem bin. Sagen Sie
nichts! Mein Mann hat Dienst, es regnet, er steht
in der Nässe, ist Schutzmann. Es ist nicht das!

Aber ich komme nicht drüber weg. Ach! Ich bin
ihm noch treuer, wenn er nicht bei mir ist. Ich
weiß, Sie lieben mich. Es ist keine Gefahr — o
mein Gott! Wir könnten uns besitzen. Gewiß!
und es ist mir innerlich unmöglich: nicht als Ehe-,
sondern als Schutzmannsfrau. Ich liebe Sie —
wenn Sie das tröstet! Mich kann nichts trösten,
ich bin schlimmer dran als eine Nonne, denn die
kann ihr Gelübde abschwören, ich bin durch mich
selbst gebunden.“

Ich erinnere mich, daß der Mann zwei Beine
hatte, die gerieten während der Worte Rosas in
ein eigentümliches Zappeln. Bald stand er auf
dem rechten, bald auf dem linken, er nahm auch
den Hut ab und fuhr mit der Hand durch sein
reiches volles brünettes Haar. Er stand seelisch
auf dem Kopf, er seufzte wie ein träumendes
Waldvögelein, er schlug sich mit dem Spazier-
stock auf die Waden, er rollte die Augen wie
Nero beim Brande Roms. Indem schloß Rosa so:

„Begreifen Sie mich doch! Ich habe ja schon
als kleines Kind, wenn ich einen Schutzmann sah,
Konvulsionen bekommen. Ich weiß doch, nicht, ob
es allen so geht? Mein Gewissen läßt mir keine
Ruhe, diese Uniform erst macht mich zum Weibe,
zu etwas Weichem, Bleichem, Zitterndem, Ueber-
wältigtem.“

Dem Manne ging ein Licht auf, er ahnte so
was wie die Geburt der Uniform aus dem Geiste
der Erotik. Dann fragte er plötzlich eiskalt:

„Und wenn ich hinginge und wagte es und
zöge mir so eine Uniform an? Und sage: was
hat denn dein Mann vor dem Rest voraus?“

Rosa zog ihre Venusnase kraus: „Vorher rein
gar nichts — aber jetzt alles, alles! Als ich
einen nahm, war’s mit allen andern aus — ja,
wenn er uns den Gefallen täte und mich zur
Witwe machte — das könnte ich nicht mehr
vergessen! Es ist ja keine Liebe, Liebe ist ja da-
gegen was Blödes, ich bin diese bestimmte
Schutzmannsfrau aus allen Leibes- und Seelen-
kräften. Ich bin’s und bleib’s.“

Der Mann taumelte wie Goliath, als er von
Davids Schleuder getroffen ... na, Sie wissen
ja. Er fiel aber nicht hin, er schrie so laut, daß
ein Schutzmann herbeikam. Er schrie wie ein
Tobsüchtiger: „Aber das ist ja Wahnsinn! Das
muß man ja in der Hypnose wegsuggerieren las-
sen! Das ist ja irgend was psychoanalytisch ganz
leicht zu Ermittelndes. Ih da muß ich doch gleich
mal an Freud selbst nach Wien —“

! Weiter kam er nicht, eine der fast jedem In-
länder wohlbekannten schweren Hände legte sich
auf seine zuckende Schulter: „Das werden Sie
nicht!“ sagte Rosas Eheschutzmann, er war es
nämlich. „Sie werden sich gefälligst ruhig und
sittsam entfernen. Um meine Frau ist mir nicht
bange. Die liebt jeder, und sie liebt jeden.
Widerstände gibts da nicht in der Liebe. Sie ist
jung, schön und feurig — s e h n Sie ja! Es steckt
aber in ihr! Haben Sie ja gehört. Und nu
Schluß! Ich bin oft nicht zu Hause, ich kann Sie
ja nicht hindern, — aber ich bin eben stärker
vor Hörnern beschützt. Sie würde die Ehe ohne
weiteres brechen, aber nicht diese; die ist durch
das, was Sie eben Wahnsinn genannt haben, so
gesichert, daß ich selbst — es kommen einem ja
manchmal so Gedanken — es nicht ändern könnte.
Nanu Adieu!“

Er marschierte mit Rosa ab. Der Mann wie
benommen in der konträren Richtung. Er hat
Rosa nie wiedergesehn. Er hat sich die Liebe
zu ihr nie aus dem Herzen reißen können. Es war
noch viel später (in Straßburg vor’m Münster),
als er trüb vor sich hin murmelte: „Rosa, du hol-
des Geheimnis! Du Sphinx aller Gensdarmerie!“

„Mensch,“ sagte jemand, als ich ihm das er-
zählte, „pfui! Verdräng deine Vorstellungen ge-
schickter!“ Ach ja! Ueber diel Sphinx sollte jeder
den Mund noch besser halten als sie selber. „Und
nennen Sie mein Maul nicht Mund!“ unterbrach
die Sphinx ihr meilenlanges Schweigen.

Paris

ä Guillaume Apollinaire
avec mille remerciments pour „Zone“

Nämlich —

Paris liegt gar nicht an der Seine.

Dieser seit Cäsars Zeit Testierende Irrtum
muß endlich wettgemacht werden.

Paris liegt einfach am Bayrischen Platz
zu, Berlin.

Und sein sogenanter Seinepräfekt heißt ebenso
einfach
Karl Scholz.

Paris läge sogar an der Ecke der Grunewaldstraße,
wenn er nicht von Loeser und Wolff die zwölf-
tausend Em Abstand

bekommen und fein auf der Deutschen Bank jetzt
zu liegen hätte.

Karl Scholz läßt uns alle Abende die Trikolore
hissen v

aus Bickbeer-Brandy,

Eiskümmel
und Cassis.

Jedwede dieser bunten Flaschen ist ein Arron-
dissement,

in das du ganz nach deinem Goüt eintauchen
kannst,

und trägt ein Namensschild mit Versen von Apol-
linaire. >

Aus jedem Rülps ballt sich
zwei ., -

drei • >'

die Marseillaise.

Chauffeure hupen rot die Internationale.

Da ist auch Fräulein Trudchen Scholz
mit den Lutetia-Händen,
in denen beiden ich die Rue de Rivoli
drei Kilometer

von der Place de, la Concorde

bis zur Place de la Bastille

als Lebenslinie hold sich strecken seh. \

In deinem linken Auge flimmert Monico,
im rechten locken dunkler die Cavreux des Inno-
cents,

und drunter blauen schattend —
o! -

die Wälder von Saint Cloud,
von Fontenay-aux-Roses und Robinson,
die scharf dein schmaler Nasenbug durchschnei-
det,

schmal wie der Rücken jener Eselin Leonie
auf der sich Resi ihren wüsten Wolf ritt. Merde!
Dann deine Brüste: Pantheon und Sacre-Coeur.
Die Beine sind ein Säulenpaar der Madeleine.

Ja, Trudchen Scholz,

das alles war dir wohl nicht ganz bewußt!

Soll ich noch deinem Parc Monceäu lobsingen,
daß Josephinens Marmorbad in Malmaison dein
Nabel ist?

In Resi Langers kleiner Handtasche,
zwischen Haarnadeln, Lippenpomade,

Puder- und P.P.-Paper,

findest du den ganzen Louvre,

allerdings ohne die Musee des antiquites asiatiques,

die Dr. Ary B. im Portefeuille trägt.

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