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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 180/181 (Oktober 1913)
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Kurtz, Rudolf: Offener Brief an Herrn Karl Scheffler
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Lotz, Ernst Wilhelm: Gedichte
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Herczeg, Franz: Heldensage
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0110

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Bericht noch folgende Zeilen setzen zu müssen glau-
ben (nachdem Sie immerhin einiges Bemerkens-
werte gefunden haben) läßt Ihre Abneigung in sehr
private Mitteilungen entgleisen. „Man sieht, es
lohnt nicht der Besuch. Es ist aber sehr schade,
daß wieder einmal dieser Ausstellungsaufwand,
den ein gutmütiger Mäzen bezahlt, umsonst vertan
worden ist.“ Warnen Sie nur vor dem Besuch des
„Herbst-Salon“. Ich darf Ihrer historischen Bil-
dung zumuten, daß Ihnen diese Warnung als
Requisit aller reaktionären Tendenzen in der
modernen Kunst bekannt ist. Wie aber motivieren
Sie die direkte Wendung an den so mitleidig-über-
legen charakterisierten „gutmütigen Mäzen“? Ich
empfinde das selbst innerhalb Ihres Wirkens als
eine ungewöhnliche Entgleisung — als ein uner-
klärliches Sichverirren Ihrer gern betonten ethi-
schen Haltung in das Portomonnaie Ihres Nächsten.

Aber ich machte diese Abwegigkeiten als Aus-
druck einer gewissen Hilflosigkeit verstehen, einer
Verwirrung, die sich in dem Format einer Tages-
kritik noch nicht zurecht gefunden hat. Sympto-
matisch für diesen Zustand schienen mir immer Be-
merkungen über Künstler, die sich in einem Satz
wie diesen zusammenfassen: „Dann bleibt man

vor drei Zeichnungen von Kokoschka stehen. Doch
ist er in dieser Umgebung fast ein „Alter“. Drei
wertvolle Zeilen gefüllt, ohne daß der Leser das Ge-
ringste über die persönliche Nuance des Künstlers
erfährt Bei beschränkten Raum ist es kritische
Pflicht, persönliche allgemeine Ansichten hinter
den Anspruch der Künstler (soweit sie überhaupt
der Erwähnung wert gefunden werden) zurücktre-
ten zu lassen. Denn was geben Aufzeichnungen wie
die folgende überhaupt als persönlichen Inhalt her:
„Von den ausgestellten Malereien aus Rußland,
Indien, Japan, China und der Türkei interessiert
am meisten das kleine Triptychon „Die Handwer-
ker“ ein Werk moderner türkischer Malerei.“ Hier-
nach scheinen Sie um möglichst restlose Aufzäh-
lung des Gebotenen bemüht: dann aber ist es mir
unbegreiflich, wie man an den Namen Delaunays
und Kandinskys vorübergehen kann, die der Zahl
der Bilder nach am reichsten in diesem Herbstsalon
vertreten sind. Gewiß: diese Herren stehen im
Brennpunkt Ihrer Antipathie — aber ein Mann wie
Sie, der, wenn ich so sagen darf, auf Eigeneffekte
verzichtet, der sein Leben daran setzt, auf den er-
sten Blick als ernster Mensch festgestellt werden zu
können, Sie sollten sich dieser ein wenig verpönten
Hilfsmittel enthalten, und dieser Wunsch wird Ihnen
zur Pflicht, wenn es sich um Attacken gegen den
Feind handelt.

Ich denke, daß Sie, Herr Scheffler, den be-
herrschten Ton dieser Zeilen zu schätzen wissen.
Er entspringt dem Wunsche, einem hart ringenden
Menschen bei der Feststellung seines Weges be-
hilflich zu sein. Und dieses Motiv wird auch hin-
reichen, Herrn Herwarth Waiden eine Breite der
Argumentation begreiflich zu machen, für die ich
sonst schwerlich eine Begründung finden würde.

Ergebenst

Rudolf Kurtz

Gedichte

Von Ernst Wilhelm Lotz

Abendspiel »

Die kleinen Kinder sitzen auf den Stufen vor

dem Haus,

Sind eng gerückt und spielen Große, die sich

streng besuchen.

Manchmal fällt einem Mädchen ein Lachen aus

dem Halse heraus.

Ich spiele auch. Ich spiele ein herzkindliches Spiel.
Ich spiele eine Kette von Kindern, einen rosin-

farbenen Kranz,

Hinauf in die trunkene Luft, in der Sonne

Untergangsspiel.

Ich spiele mich eifrig und heiß und rot und werde
leuchtend in unnatürlichem Glanz.
Mein Werkstaunen schwillt übergroß und wird

mir zuviel!

Stark in der Wolken hinausschwingendes Lichten
Werf ich, jäh frei gekrallt aus meinem Leib, mein
Herz, das Flammen facht:
Zerdonnernd dumpf verschwimmt das Höhenspiel

zu bleichen Schichten.

Und wo ich hintraf, steht ein großer Stern und

leuchtet und ist ein tiefes Auge in die Nacht.

Märchen

Spät über den Häusern,

W)ann die Dächer von Farben tropfen,

Kniest du bei mir am Fenster auf dem Schemel.
Ein Wundern bebt in dir.

Ich fühle deine Pulse klopfen.

Als lebte dein Blut in mir!

Kannst du das fest begreifend sehen:

Wie ich am Fenster lehne
Und, weich beglüht,

Die Arme in das Licht hinüberdehne?

Mit meinen Fingern pflück ich aus) den grünen

Grüften.

Die kleine, abendfarbene Tanzmusik vom

Kaffeehaus.

In meinen Händen wird sie groß und lodert in

den Sommerlüften.

Auf einmal wächst vom goldnen Horizont,

Weiß, riesengroß und spätbesonnt,

Dein hingeträumter Leib heraus.

Da spanne ich meine Arme weit
Durch buntverhängte Abenddämmerungen
Um deines Leibes Traumverlorenheit —

Mädchen! und halte dich dort über Dächern und

der Zeit

Wie hier am wachen Fenster märchenfest

umschlungen.

Heldensage

Franz Herczeg

Die Hügel waren voll von roten Knospen und
ein grüner Schleier floß über die Wiesen hin. Von
Süden her schwang sich der Wind und säte weiße
Schaumstreifen in den Spiegel des Meeres, über
der Insel kreisten schwangere Wolken von blen-
dendem Glanz. Es war Frühling!

Zur Nachtzeit ließ sich aus dem Schlosse der
heiligen Höhle ein gräuliches, markerschütterndes
Gebrüll vernehmen, von dem die Felsen erbebten.
Auch am Morgen verstummte das Getöse nicht
und ein Haufen angstbebender Menschen eilte zur
Hütte des Priesters.

Der Stiergott wütet! Hilf uns, heiliger Mann!

Der Priester strich seinen langen Bart.

Wenn der Gott brüllt, ist es ein Zeichen, daß
ihn nach Weiberfleisch hungert. Drei Tage wartet
er — bringen w.ir ihm dann kein Weib, so kommt
er aus seiner Höhle heraus und verschlingt uns alle.

Man gebe dem Gott ein Weib! schrien die
Leute.

Opfern wir ihm das fremde Weib! schlug der
Priester vor.

i Da waren sie alle zufrieden und gingen sofort
auf die Suche nach dem Opfer.

Sie fanden die Frau in einer sandigen Bucht,
wo sie eben badete und ihr weißes Gewand wusch;
als sie in der Ferne die Männer erblickte, stieg sie
eilends aus dem Wasser und hüllte sich in das
nasse Kleid.

Das geheimnisvolle Weib, mit dem kein Ein-
wohner der Insel sprechen konnte, war an einem
Abend im Herbst auf die Insel gekommen. Das
Meer schlug empörte Wellen — und mitten im
Sturm sah man auf hoher See ein purpurnes Segel
schweben. Am Morgen war keine Spur von dem
Schiff zu bemerken — und in einer Bucht am
Strande fanden Fischer die fremde Frau ohnmäch-
tig liegen.

Seitdem lebte sie auf der Insel. Die Fischer ver-
sahen sie mit Nahrung, denn sie hielten das Weib
für einen Liebling der Götter. Übrigens war sie
ein stilles, ernstes Wesen; meist saß sie am Strand
und wusch und putzte sich, dann wieder flocht
sie stundenlang ihr reiches blondes Haar.

Schon ihr Äußeres ließ erkennen, daß sie aus
weiter Ferne gekommen war. Die Inselbewoh-
ner waren alle kurzstämmig, haarig, breitnasig
und weitmäulig, die fremde Frau aber war schlank
und weiß an Gliedern, hatte die Stirne hochge-
wölbt und die Nase lang und gerade. Ihr Auge
war blau wie das Firmament. Alte Fischer mein-
ten, daß sie von östlichem Gestade hergekommen
sei, wo die Menschen in goldenen Gewändern ein-
hergehen und in hohen Häusern aus Stein wohnen.

Widerstandslos ließ sich das Weib Fessel an-
legen und zu der heiligen Höhle schleppen. Vor
dem Eingang der Höhle warfen sich alle Fischer
aufs Angesicht, nur der Priester mit dem Opfer
trat in das kühle Dunkel. Dort riß er das weiße
Gewand vom Körper des Weibes, befestigte sie an
einem Felsen und begann mit meckernder Stimme
eine wilde Hymne zum Preise des Stiergottes zu
singen.

Das fremde Weib wußte, was es zu erwarten
habe. Drei Tage mußte sie hier bleiben. Wenn
der Gott bis dahin seine Stimme nicht erhob, war
es ein Zeichen, daß er das Opfer nicht annimmt.
Wenn er aber zu brüllen begann, würde sie in den
tiefen Schlund geworfen werden, in dem das Un-
getüm hauste.

Das Weib starrte mit glasigem Blick in den
schwarzen Abgrund zu ihren Füßen, der schon
viele junge Frauen verschlungen hatte.

Jetzt war der Gott verstummt, aber in weiter
Ferne hörte man das rythmische Stöhnen seines
Atems.

Am Morgen des folgenden Tages ereignete sich
etwas Ungewohntes. Ein fremdes Schiff warf in
der sandigen Bucht Anker. Eine große Barke mit
geschnabeltem Kiel, deren lange Ruder etwa vier-
zig Männer von riesenhaftem Wüchse führten.
Am Steuer stand ein Jüngling, stiernackig und
braungliedrig, auf dessen Antlitz Stolz und Hoch-
mut wohnten. Der Jüngling war nackt, ein feder-
bebuschter Kupferhelm saß auf seinem Locken-
haupt.

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