Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

DOI Heft:
Nummer 158/159 (Mai 1913)
DOI Artikel:
Döblin, Alfred: An Romanautoren und ihre Kritiker: Berliner Program
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Von den Schönen Künsten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0021

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zu dürftigen oder hingepatzten „Handlungen“.
Solche Qedankengänge gibt es vielleicht, aber nicht
so isoliert; sie besagen an sich nichts, sie sind
nicht darstellbar, ein amputierter Arm; Atem, ohne
den Menschen der atmet; Blicke ohne Augen.
Die wirklichen Motive kommen ganz anders woher;
dieses da, der lebendigen Totalität ermangelnd,
ist Schaumschlägerei, ästhetisches Gequerle, Ge-
schwafel eines doktrinären, gelangweilten Autors,
dem nichts einfällt, zu Gebildeten, die sich belehren
lassen wollen.

Man lerne von der Psychiatrie, der einzigen
Wissenschaft, die sich mit dem seelischen ganzen
Menschen befaßt; sie hat das Naive der Psycho-
logie längst erkannt, beschränkt sich auf die No-
tierung der Abläufe, Bewegungen, — mit einem
Kopfschütteln, Achselzucken für das Weitere und
das „Warum“ und „Wie“. Die sprachlichen For-
meln dienen nur dem praktischen Verkehr. ,Zorn“,
„Liebe“, „Verachtung“ bezeichnen in die Sinne
fallende Erscheinungskomplexe, darüber hinaus
geben diese primitiven und abgeschmackten Buch-
stabenverbindungen nichts. Sie geben ursprüng-
lich sichtbare, hörbare, zum Teil berechenbare
Abläufe an, Veränderungen der Aktionsweise und
Effekte. Sie können nie und nimmermehr als Mi-
kroskope oder Fernrohre dienen, diese blinden
Scheiben; sie können nicht zum Leitfaden einer
lebennachbildenden Handlung werden. An dieses
ursprüngliche Gemeinte, dieses Simple muß man
sich streng halten, so hat man das Reale getroffen,
das Wort entzaubert, die unkünstlerische Abstrak-
tion vermieden. Genau wie der Wortkünstler
jeden Augenblick das Wort auf seinen ersten Sinn
zurück„sehen“ muß, muß der Romanautor von
„Zorn“ und „Liebe“ auf das Konkrete zurück-
dringen.

Damit ist der Weg aus der psychologischen
Prosa gewiesen. Entweder offenes, nicht mehr
verschämtes Lyrisma mit seiner Unmittelbarkeit;
Sichergehen in Gehobenheiten und Niederungen;
Ichreden, wobei das naive Räsonement zulässig ist.
Ich zweifle freilich, ob man diese Form Roman,
Novelle nennen kann. Oder die eigentliche Ro-
manprosa mit dem Prinzip: der Gegenstand des
Romans ist die entseelte Realität. Der Leser in
voller Unabhängigkeit, einen gestalteten, gewor-
denen Ablauf gegenübergestellt; er mag urteilen,
nicht der Autor. Die Fassade des Romans kann
nicht anders sein als aus Stein oder Stahl, elek-
trisch blitzend oder finster; sie' schweigt. Die
Dichtung schwingt im Ablauf wie die Musik
zwischen den geformten Tönen.

Die Darstellung erfordert bei der ungeheuren
Menge des Geformten einen Kinostil. In höchster
Gedrängtheit und Präzision hat „die Fülle der Ge-
sichte vorbeizuziehen. Der Sprache das Aeu-
ßerste der Plastik und Lebendigkeit abzuringen.
Der Erzählerschlendrian hat im Roman keinen
Platz; man erzählt nicht, sondern baut. Der Er-
zähler hat eine bäurische Vertraulichkeit. Knapp-
heit, Sparsamkeit der Worte ist nötig; frische Wen-
dungen. Von Perioden, die das Nebeneinander
des Komplexein wie das Hintereinander rasch zu-
sammenzufassen erlauben, ist umfänglicher Ge-
brauch zu machen. Rapide Abläufe, Durcheinander
in bloßen Stichworten; wie überhaupt an allen
Stellen die höchste Exaktheit in suggestiven Wen-
dungen zu erreichen gesucht werden muß. Das
Ganze darf nicht erscheinen wie gesprochen
sondern wie vorhanden. Die Wortkunst muß sich
negativ zeigen, in dem was sie vermeidet: ein
fehlender Schmuck, im Fehlen- der Absicht, im
Fehlen des bloß sprachlich schönen oder schwung-
haften, im Fernhalten der Maniriertheit. Bilder
sind gefährlich und nur gelegentlich anzuwenden;

man muß sich an die Einzigartigkeit jedes Vor-*
gangs heranspüren, die Physiognomie und das
besondere Wachstum eines Ereignisses begreifen
und scharf und sachlich geben; Bilder sind bequem.

Die Hegemonie' des Autors ist zu brechen; nicht
weit genug kann der Fanatismus der Selbstver-
leugnung getrieben werden. Oder der Fanatismus
der Entäußerung: ich bin nicht ich, sondern die
Straße, die Laternen, dies und dies Ereignis,
weiter nichts. Das ist es, was ich den steinernen
Stil nenne.

Fortgerissen vom psychologischen Wahn hat
man in übertriebener Weise den einzelnen Men-
schen in die Mitte der Romane und No-
vellen gestellt. Man hat tausende besondere,
höchst outrierte Personen erfunden, an deren Kom-
pliziertheit der Autor sich sonnte. Hinter dem ver-
derblichen Rationalismus ist die ganze Welt mit
der Vielheit ihrer Dimensionen völlig versunken;
diese Autoren haben wirklich in einer verschlos-
senen Kammer gearbeitet. Der Künstler hat sich
zum Handlanger dürftiger Gelehrten degradiert,
sich geblendet, den Kunstfreund und Leser ent-
wöhnt, in den Reichtum des Lebens zu blicken.
Man hat eine Atelier-Schriftstellerei gezüchtet, eine
systematische Verarmung der Kunst betrieben.
Hier könnte sich der zweite Wahn, der erotische,
etablieren. Die schriftstellerische Welt ist succe-
sive vereinfacht auf das geschlechtliche Verhältnis;
ein Prozeß, der durch das beifällige Interesse
eines schlechten oder schlechtgeleiteten Publikums
begünstigt wurde. Diese Verwässerung, Verdün-
nung des bischen Lebens, das in die Schreibstuben
drang.

Der Naturalismus ist kein historischer Ismus,
sondern das Sturzbad, das immer wieder über die
Kunst hereinbricht und hereinbrechen muß. Der
Psychologismus, der Erotismus muß fortge-
schwemmt werden; Entselbstung, Entäußerung des
Autors, Depersonation. Die Erde muß wieder
dampfen. Los vom Menschen! Mut zur kine-
tischen Phantasie und zum Erkennen der unglaub-
lichen realen Konturen! Tatsachenphantasie! Der
Roman muß seine Wiedergeburt erleben als Kunst-
wert und modernes Epos.

Von den schönen
Künsten

Immer noch Anton von Werner

Das Berliner Tageblatt hat bekanntlich keinen
Raum, bedeutende zeitgenössische Künstler auch
nur zu registrieren. Oder aber: Herr Fritz Stahl
hat es der Redaktion verboten. Herr Fritz Stahl
gab selbst seine Unfähigkeit zu, über Bilder zu
schreiben, die ihn nicht sehen mögen. Die Leser
des Berliner Tageblatts erleben also eine Blok-
kade, ohne überhaupt zu ahnen, was der Herr
Stahl über sie verhängt hat. Dafür läßt er ihnen
die Augen für die Bilder seiner Exzellenz des
Herrn Anton von Werner sechs Spalten weit
öffnen. Herr Anton von Werner hat nämlich seine
Memoiren herausgegeben unter dem Titel „Erleb-
nisse und Eindrücke“. Er schreibt also über Dinge,
die zu malen ihm nicht gegeben war. Herr Werner
ist für das Berliner Tageblatt „eine starke und
unerschrockene Persönlichkeit“. Vermutlich, weil
e'r seine eigenen Bilder aushalten konnte und vor
keiner Schimpferei gegen bedeutende Künstler
zurückschreckt. Aber sein Buch. Ganz ganze
Persönlichkeit: „Er sieht die Welt genau in
demselben Licht, ob er den Pinsel, ob er
die Feder in der Hand hat.“ Gemalt wie geschmiert.
Hierauf wird selbst dem „technischen Berichter-

statter“ des Berliner Tageblattes etwas übel, er
tadelt eine „gewisse Kälte“ des Buches, sodaß
darin gar nichts von den erhabenen Schmerzen
„künstlerischen Ringens“ zu finden ist. Er findet
hingegen, daß „Werner nie einen Augenblick im
Zweifel darüber gewesen sei, worin seine künst-
lerische Sendung bestehe, und als wenn die welt-
historischen Ereignisse der siebziger Jahre sich
ausschließlich zu: dem Zweck abgespielt hätten,
dem Künstler Stoffe für seine Bilder zu liefern.“
Herr Werner vergaß zwar über den Stoffen die
Bilder und lieferte eben einfach Stoffe. „Von Kiel
geht es direkt ins Hauptquartier nach Versailles
und fortab schwimmt Werner (also ab Ver-
sailles) in dem breiten Strom der offiziellen Ge-
schichtsmalerei, der ihn zeitlebens getragen.“ Das
„hat“ nur ging vor Schreck unter. Nun scheint
sich die stählerne Hand über den technischen Be-
richterstatter gelegt zu haben. Denn „nach diesen
Vorbehalten muß jedoch anerkannt werden . . .“
Und nun wird anerkannt. Alle Vorbehalte
werden zu Wasser. Nein, was der Werner alles
weiß. Was er erlebt hat. Welche Eindrücke. Er
sah Moltke essen, Bismarck landwirtschaften, Mi-
nister tanzen. Erlebnisse und Eindrücke. Natür-
lich, sagt das Berliner Tageblatt, äußert sich Wfer-
ner auch über die Kunst. Von Kunstkritikern läßt
er nach dem Berliner Tageblatt nur Ludwig Pietsch
gelten, der leider verstorben ist. Herr Fritz Stahl
ist ihm offenbar noch nicht einmal aufgefallen. Und
er hat es reichlich verdient, daß ihn Herr Werner
gelten läßt. Über seine Kunst kann er denken, wie
es ihm Freude macht. Eine Frechheit aber sind
Aenßerungen über Hugo von Tschudi:

In den Beratungen der Landeskunstkom-
mission habe ich genügend erfahren, wie hilf-
los H. v. Tschudi gegenüber den künstlerischen
Eigenschaften eines Kunstwerkes und ihrer Ab-
schätzung stets war, und wie er lediglich einer
ausgegebenen Parole zu folgen schien, der klas-
sizistischen vermutlich ebenso überzeugt
wie der naturistischen, impressionistischen, oder
futuristischen, wenn sie gerade Mode gewesen
wäre. .Bei der empfehlenden Aeußerungen, mit
denen er sein% Vorschläge von Ankäufen für die
Nationalgalerie begleitete, kam das stets in einer
Weise zum Ausdruck, daß die der Kommission
angehörigen Maler und Bildhauer den, Herrn
Galeriedirektor gelegentlich darauf aufmerksam
machten, daß sie selbst wüßten, wie es
hinter dem Ofen aussehe und seiner
Belehrung nicht bedürften. Als er dann durch
etwas gar zu tätliches Zugre'ifen
an empfindlicher Stelle die Anerkennung seiner
Unfehlbarkeit zu erzwingen suchte und sich da-
bei vergriff, wurde er von seiner Presse als
Held und der eigentliche Schöpfer der National-
galerie gefeiert, die er durch Verstümme-
lung ihres Grundstocks, der Wagnerschen Ge-
mäldesammlung und entgegen den testa-
mentarischen B e s t i m m u n g e n i h r e s
Stifters beschädigt hat.

Daß die Landeskunstkommission weiß, wie es
hinter dem Ofen aussieht, wage ich nicht zu be-
streiten. Daß aber Hugo von Tschudi ein größerer
Künstler war als sämtliche der Kommission ange-
hörigen Maler und Bildhauer, wird wohl nur noch
Herr von Werner selbst bestreiten. Was sagt
übrigens Herr Direktor Justi von der National-
Galerie zu diesen neuen alten Beschimpfungen
Tschudis. Herr Direktor Ludwig Justi hat soeben
im Verlag von Julius Bard, Berlin unter dem Titel
Der Ausbau der National-Galerie zwei außeror-
dentlich lesenswerte Denkschriften, diplomatische
Meisterwerke, herausgegeben. In der ersten Denk-
schrift heißt es wörtlich:

18
 
Annotationen