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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 200/201 (Erstes Märzheft)
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Zech, Paul: Die Gruft von Valero
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht, [5]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0191

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Feuer und Schwefel standen darüber und dörrten
Blutströme.

Jonsen war aufgesprungen. Er hielt sich die
Schläfen, die schmerzhaft hämmerten. In seiner
Kehle war kein Ton. Nur eine schwärende ver-
klumpte l iefe. Ein Reflex kam herauf und spiegelte
das Wiedersein der Greul als Meer im Gehirn.

Das Gesicht des Schimmelwirtes hatte sich zu
einer Grimasse breiten Lächelns verzogen. Es
kam wie ein Pfiff: „Den Steiger haben sie einge-
sperrt. Er soll an allem schuld sein . . . he . . he,
he, he.“

Als Jonsen die ohnmächtig gebrochenen Augen
auftat um einen Satz zu sprechen, sah er hundert
Gesichter. Flache, wie Fischbäuche und tcerge-
salbt von der Schwärze der Explosion. Sic spran-
gen ihn an mit Augen, die aus den Höhlen gesprun-
gen waren. Heißer Atem qualmte auf und sengte
alles Denken an.

Der Schimmelwirt beglotzte Jonsen wie: ist der
Bengel verrückt! Hat er Fusel gesoffen? Gestoh-
lenen Fusel.

So quälte er Jonsen und hatte den Heiligen-
schein Luzifers mit einemmal.

Da riß Jonsen eine Flasche vom Tisch und
schlug sie dem Wirt in die Fratze. Säufer und
Weiber strömten zusammen.

Jonsen wollte laufen. Hinunter in die Gruft. Zu
Piet — zu Piet — und weiter_

Der Gendarm aber legte ihm blanke Handeisen
fest um die Gelenke.

Der Weg
durch die Nacht

Roman

Aage von Kohl

Fortsetzung

Höchst sonderbar, dachte er unwillkürlich
währenddessen, mit den Augen beständig alles ab-
suchend, woran er vorüberkam —: Ja, wie merk-
würdig ist doch das Leben: zwei Jahre lang ist
mir sozusagen nicht das Geringste begegnet, das
in irgendwelcher Art nennenswert war, über das
hinaus, was meine Arbeit anbetrifft — und jetzt
plötzlich, heute, kommt es mir vor, als wenn das
Rätselhafteste von allem möglich sei! Oder noch
mehr: als ob überhaupt nur das Unmögliche mög-
lich sei!

Er bog gleich darauf links in eine breitere
Allee ein, ging von nun an langsamer vorwärts —
konnte weniger Schritte weiter schon die Laterne
der Pforte erkennen, fühlte sich mit einem Ruck
vollkommen beruhigt und merkte da, daß er hun-
grig, wie auch durstig war — beschleunigte des-
wegen seinen Gang.

Aber, sage mir doch, grübelte er halbwegs
scherzend weiter, indem er nun endlich ganz ver-
stand was eigentlich vorhin auf der Rotunde vor
sich gegangen war —:

Sage mir doch, war es nun wirklich das kleine
Mädchen, von dem mir der Aufseher erzählt hat,
das ich vorhin sah, was dann? Wie war es doch
nur: Er sagte ja, daß einem etwas wunderbar
Gutes zuzustoßen pflege, am Tage nachdem man
ihr begegnet sei!

Was kann es also sein, was meiner morgen an
Schönem harrt? . . .

Er lachte ein wenig, durchschritt im selben
Augenblick das Tor, wo ein uniformierter und
schwarzbärtiger Mann schon im Begriff war, die
großen Flügel zu schließen —:

„Sie müssen sehr entschuldigen!“ — sagte Mor-
ton lächelnd und grüßte —:

„Ich habe mich ein klein wenig verspätet!

Es soll nicht wieder Vorkommen!

Gute Nacht!“

III

„Professor von Geer sitzt schon seit ungefähr
einer Stunde da drinnen und wartet auf den
Herrn!“ — meldete Mortons Haushälterin, als er
einige Minuten vor zehn zu Hause angelangt war.
Glaß wandte sich sinnend nach ihr um, während
er Hut und Stock weghängte —:

„von Geer“ — fragte er — „fast eine Stunde,
sagen Sie — was kann er nur wollen?

Zu dieser Zeit des Abends!

Danke!“

Mit einem kleinen, freundschaftlichen Nicken
ging er an Frau Brügge vorüber, blieb unmittelbar
hinter ihr stehen und wandte mit einem Ruck den
Kopf nach ihr um •—:

„In einer Viertelstunde“ — sagte er — „möchte
ich gern meinen Tee serviert haben!

Sie können für Zwei decken!

Danke schön!“

Noch einen Augenblick stand er zögernd da,
lief dann entschlossen die breite, weißlackierte
Wendeltreppe hinauf, die zu den oben gelegenen
Schlafräumen führte — kehrte ein paar Minuten
darauf zurück, sich die Hände reibend und trat
lächelnd in sein Arbeitszimmer —:

„Guten Abend, Professor, es tut mir leid, daß
Sie haben warten müssen!“ — er ging vor dem
elektrischen Licht blinzend mit ausgestreckter
Hand auf den andern zu.

Die sehr geräumige Stube mit den drei Fenstern
— deren Scheiben in diesem Augenblick hinter
hellen Spitzenvorhängen verborgen waren, und die
nach Süden, nach dem Vorgarten hinaussahen —
war an allen Wänden mit Büchern bekleidet.
Mitten in der Stube stand ein außerordentlich um-
fangreicher, dunkelgebeizter Schreibtisch aus
Eichenholz; auf der großen Mappe mit Löschpa-
pier lag ein dickes, eingepacktes und versiegeltes
Manuskript. Diesseits des Tisches ein schwerer,
geschnitzter Schreibtischstuhl •— jenseits, nach den
Fenstern zu, ein tiefes, gepolstertes Sofa mit einer
schwellenden Rücklehne längs des Randes der
Tischplatte. Ein schwerer, kupferner Kronleuchter
mit vielen Flammen hinter opalisierenden, zylin-
derförmigen Kuppeln hing von der Decke herab,
verbreitete sein milchiges, reiches Licht über das
Zimmer, glühte in den roten Tapeten über dem
Bücherbort, sprühte Funken in den vielen, blanken
Gegenständen auf dem Schreibtisch, lohte auf in
dem breiten, goldenen Rahmen um das lebensgroße
Gemälde von Annie, das links an der Wand hing,
von Geer, der dort am Fenster in einem großen
Lehnstuhle gesessen hatte, in einigen Heften blät-
ternd, die vor ihm auf dem Lesepult lagen, erhob
sich mit einem Satz, war offenbar einen Augen-
blick unsicher, ging ihm darauf hastig entgegen —:
„Ich bin es, der Sie um Entschuldigung bitten
muß,“ — sagte er mit einer Stimme, die Morton
plötzlich ganz anders zu klingen schien als sonst
—: „erstens, weil ich zu Ihnen zu einer so wenig
geeigneten Zeit komme!

Zweitens“ — fügte er mit einem kurzen Lachen
hinzu, während er zu den Zeitschriften hinüber-
nickte, in denen er gelesen hatte — „weil ich so
ungeniert getan habe, was ich konnte, um mir die
Zeit zu vertreiben!“

Morton lachte zuvorkommend, machte eine Be-
wegung mit der Hand — und einen kurzen Mo-
ment standen er und der Professor schweigend
da, gleichsam unsichtbar getrennt durch irgend
etwas, was im Anzug war.

„Wollen Sie nicht wieder Platz nehmen!“ —
fuhr Glaß fort, indem er auf den Stuhl zeigte, den
der andere soeben verlassen hatte.

„Danke schön!“ erwiderte von Geer mit einem
Kopfnicken, blieb aber trotzdem aufrecht stehen,
dicht vor Morton; er atmete unregelmäßig und
an seinen Lippen war ersichtlich, daß er heftig
bemüht war, die Sätze zu formen, in die er das
einkleiden wollte, was ihn offenbar hierher ge-
führt hatte —:

„Ja,“ __ fuhr er dann schließlich schnell fort,
strauchelnd — „ich komme ... ich komme in
einem bedeutungsvollen und keineswegs angeneh-
men Anliegen hierher, Sie müssen sehr verzeihen!

Ich komme nicht allein, wenn ich mich so aus-
drücken darf, qua Oberarzt meines Hospitals...
sondern zugleich und hauptsächlich als — als Ihr
vieljähriger Bekannter oder vielleicht darf ich mich
des Wortes Freund bedienen!“ — Er hielt jäh
inne, steckte plötzlich die rechte Hand in die
Tasche seines Beinkleides, zog sie hastig wieder
heraus, öffnete den Mund — zögerte von neuem.

Morton lachte wieder, ausglättend und ge-
dämpft, mußte währenddessen auf einmal an das
kleine Mädchen von da draußen denken, an das
kleine Mädchen des Aufsehers mit dem Geschenk
—■ umfaßte mit einem schnellen Blick die hohe,
breitschultrige Gestalt des andern, die in diesem
Augenblick eine gewisse verlegene Haltung und
Achselbewegung hatte; den zu sehr wechselnden
Ausdruck des bärtigen Gesichts; eine auffallende
Unruhe der Hände . . . und Glaß überkam darauf,
noch in derselben Sekunde, in der diese ganze
Untersuchung begonnen hatte und beendet war,
eine rätselhafte und tiefe Vergewisserung dar-
über, was die Absicht dieses Besuches war.

Es entstand eine plötzliche, vollkommene Ruhe
in ihm, gleichsam Todesstille —:

„Sie sind also doppelt willkommen!“ — sagte
er und erhob den Kopf mit einem Lächeln; er
zeigte gleichzeitig von neuem auf den Stuhl, öff-
nete darauf den Deckel eines kleinen, silbernen
Kastens, der auf dem Arbeitstisch mit Zigaretten
angefüllt stand, und schob ihn dem Professor näher
hin — „nicht wahr, so weit ich mich entsinne,
rauchen Sie keine Zigarren!

Bitte schön, wollen wir nicht . . .!“

Er strich ein Streichholz an, gab dem andern
Feuer, zündete dann selbst eine Zigarette an, zog
einen Stuhl herbei und setzte sich —:

„Was für ... unangenehme Sache* können
es nur sein, die Sie mir zu sagen haben?“ — fragte
er lächelnd.

Er hatte sich ein wenig in seinen Sitz zurück-
gelehnt und stützte den linken Ellenbogen gegen
den Rand des Schreibtisches. Ihm gerade gegen-
über drei oder vier Schritt von ihm, in dem nie-
drigen Lederstuhl vor dem mittleren der drei
Fenster hatte der Professor Platz genommen; die
Leselampe, die auf dem Pult stand, warf ihren
Schein voll auf sein Gesicht, ließ die Haare i* dem
spitzen, grauen Kinnbart wie Eisen schimmern;
kleine Schweißtropfen perlten auf der breite* und
hohen Stirn. Alles in allem, dachte Morton, be-
ständig sonderbar kühl und still inwendig —
alles in allem ein außerordentlich kluges und oben-
drein ein liebenswürdiges, kurz, ein besonders an-
ziehendes Gesicht hat dieser Mann!

„Sehen Sie,“ — begann von Geer im selben
Augenblick langsam; er saß etwas gespreizt auf
seinem Stuhl, die linke Hand auf dem Knie, beugte
sich nun ein klein wenig vornüher, starrte seine
Zigarette an —: „wir haben vor ungefähr vier-
zehn Tagen einen Patienten auf Veranlassung des
Kriminalgerichts zugeschickt bekommen! Sie er-
innern sich vielleicht, seinen Namen in den Zei-

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