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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 154/155 (April 1913)
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Hirschfeld, Richard Julius: Für Kandinsky: Buchhändlerkritik
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Feyen, Otto: Glosse zu Franz Jung: Das Trottelbuch
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Neitzel, L. H.: Moderner Bund
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0009

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Das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel
ist keine Zeitung, die heute erscheint, um morgen
vergessen zu sein, es ist das Fachorgan der Deut-
schen Buchhändler. Ich finde es deshalb unerhört
und habe mich als Buchhändler geschämt, daß
eine Kunstrichtung und ein anerkannter Künstler
mit solchen Witzeleien in unserm Fachblatt abge-
tan werden dürfen. Mancher Qehilfe, der zu jung
ist oder zu wenig Reife besitzt, um sich eine
eigene Meinung zu bilden, formt sie sich nach die-
sen leichtsinnigen Zeilen und berät nun die Käu-
fer, ohne jemals in ein Buch von Kandinsky hin-
eingesehen zu haben, mit Schlagworten wie
Klecksographie. Dem Künstler wird das wenig
schaden, der braucht keine „Empfehlung“, aber
der Ehre des Deutschen Buchhandels
schadet es, und deshalb kann nicht energisch ge-
nug dagegen protestiert werden. Der Buchhandel
hat genügend mit äußeren Feinden zu kämpfen,
das Buch ist für die meisten ein Luxusartikel, das
kann er heute und morgen nicht ändern. Um so
schlimmer, wenn ihm die Feinde aus seinen eige-
nen Reihen kommen.

Hochachtungsvoll

Richard Julius Hirschfeld
zurzeit Paris

Glosse zu Franz Jung:
Das Trottelbueh

I

Man kann, in weiche Kissen blöd versinkend,
kämpferischer sein als ein Odensänger, der krie-
gerisch geschwellt, mit steilem Arme seinem Geg-
ner droht. Wfr sind, in unserer Betrachtung gei-
stiger Gefechte, so abhängig von der körperlichen
Geste, in die sich die Bewegung kleidet. (In der
Politik mag es nötig sein, Ideen in körperliche
Schaustücke umzuwandeln, da man auf Körper-
liche wirken soll; in der Kunst nie.) So sicher
jenes Bekenntnis zu Recht besteht, daß der wert-
volle Mensch die Geste einer Idee ist, ebenso
sicher ist, daß diese Geste nicht dick aufgetragen
sein, eher sich ist in einem leis versickernden Un-
terstrom kundgeben soll, der durch die Zeilen
fließt.

In Summa: ,Männe, hak mir mal die Taille
auf vermag, richtig gesetzt und von der stets' nöti-
gen, Baßstimme umdustert, dem Einsichtigen mehr
zu sagen wie

,0 breche, Held, den starren Eisengürtel.1

Trotzdem ist es kein „Naturalismus“, oh,
strenggelockte Lautenschläger.

II

! Franz Jung. Das Trottelbuch. Ein Auftakt.
Ein weitere Schritt in wenig betretene Gebiete,
in denen, bis jetzt, nur fahl sich Etliche tummel-
ten; Frank Wedekind voran. Ein Lichtstrahl fallt
auf aufgerissene Wunden (man sieht den Men-
schen kaum, nur seine Wunden), zuckt auf, ver-
lischt. Stationen eines Weges, der, in Qual be-
gonnen, mit trübem Lachen, Ekel, verstockter
Güte beschritten, in Wut und Stumpfsinn endet;
von einem Kundigen gemalt. Seelische Ekstasen
zwischendurch, für Augenblicke. Dann senken
sich wieder graue Schleier; Mensch stößt an
Mensch, brüllt auf, schimpft, heult und lacht, tappt
weiter; um an anderen dasselbe zu erfahren.
Verschlossene Türen überall. Am Ende Versöhn-
lichkeit, geschöpft aus der Einsicht: fragwürdig

ist das doch alles-— und aus Kraftlosigkeit;

wozu sich weiter brutalisieren lassen? Wozu
brutal sein?

Nur eine Pflicht wird nicht versäumt: all diese
Zuckungen, Dumpfheiten, diese — niemals ver-
standene — Zwecklosigkeit zu fassen und zu klä-
ren — soweit es möglich ist. Verkrampfte Hände,
Schmerz und Niederlagen erschweren wohl, sie
adeln auch den Zwang, den ganzen Zustand zu
durchleuchten, bis er strahlt in Selbstverständ-
lichkeit.

III

Dies Buch ist voll von solcher Selbstverständ-
lichkeit.

Zweierlei tritt hervor: der glücklos erkennende
Mann; das Weib, das, ohne zu erkennen, nicht
minder glücklos ist. Man möchte schreien: Lebt
miteinander ohne Prügel, ohne Schwierigkeit,
ohne Nachdenken ... da es schon einmal so ist.
Sie tun es nicht. Sie haben Recht.

Entweder: Petroleumlampe, Kaminfeuer, Bett-
wärmer; oder: knallgelbes Gaslicht, Glut und
Kälte, und Betten nach der Jahreszeit.

Der Dichter F. Jung ist für das zweite.

Zwischendurch klagt, aus der Tiefe, das wüh-
lende Mitleid mit der Peinigerin, die, auch gepei-
nigt, neben dem jeweils Gewählten, ihr jeweils in
den Weg Gelaufenen, da hinkeucht.

Nicht unterdrückt ist aber der Haß gegen das
Dumpfe, Niederträchtige im Weibe — das doch
zugleich das Sanfte ist, das Mütterliche, Nieder-
ziehende. —

Das Grundmotiv (die Baßstimme) bleibt dieser
Zweifel des Helden: Soll ich wieder gut sein oder
ihr an die Gurgel fahren?

Er entscheidet sich für Gut-sein.

Und noch ein Zitat. Als sie (irgendeine solche,
welche . .) langsam zu sinken beginnt (also an
Erkenntnis zu steigen), kurz vor dem großen
Rutsch, letzter Etappe ihrer Erdenfahrt, da über-
legt sie, halb geduckt: „Arbeiten und gut werden

-dann aber kam es ihr sehr lächerlich vor und

sie lachte.1 *

Otto Feyen

Moderner Bund

Es mag als ziemlich gesuchter Grund erschei-
nen, von einer Künstlervereinigung sprechen zu
wollen, wenn vier ihrer Angehörigen in der Re-
produktion einer Zeichnung, eines Holzschnittes
gezeigt werden. Letzten Endes ist eine Zeichnung
durchaus nicht verpflichtet, irgend etwas Wesent-
liches über ihren Schöpfer auszusagen. — Dennoch

— wenn sie will — kann sie klarer sprechen als
ein großes Bild.

Doch es gilt auch anderes: Es geht eine Le-
gende in deutschen Landen, daß die jüngste
Schweiz in Reaktionariaten sanft entschlafen ist.

— Aber wohl lebt nach Hodler und Amiet eine
Jugend, die zu den beiden wie zu guten Vätern
aufblickt. Dieser Jugend gelten die Zeilen, der
Vereinigung Moderner Bund.

Der Moderne Bund vereinigt in seinen Reihen
die Maler, die in der Schweiz die tramontanen
Gesänge vernommen haben und belauschen, die
aus Frankreich mit unvergleichlicher Vitalität seit
Jahren ewig neu in die Kunst hineinschmettern.

Charakteristik seines Wesens: Innere Zusam-
mengehörigkeit ohne äußeres Losungswort. Keine
Programmmalerei mit Schutzmarke. Ein sich
Entäußernwollen zeitlich gleichstehender Maler
von oft fundamental verschiedener Wesensart: —

— Bewußte Eroberer, tüchtige und kraftvolle Ok-
kupatoren, einige Mitläufer, deren Sehnsucht man
mit Recht respektiert, da ist der Eindruck, der
vom Modernen Bund bleibt.

Das mag vorerst genügen. Namensnennungen
mit großen Definitionen haben keinen Zweck,
wenn nicht ein großes Abbildungsmaterial zur
Hand ist, mit dem man mich kontrollieren kann.

Und gebe ich dennoch einige Namen (alphabe-
tisch), so ist es, um deren Klang in das Ohr zu
prägen. Vielleicht, daß Sie sich ihrer einmal in
einer Ausstellung wie an sehr entfernte Bekannte
erinnern. Das hat schon einen kleinen Wert.
Arp/ Gimmi / Helbig / Huber / Klee / Kün-
dig, Lüthy / Pfister / Sprenger.

L. H. Neitzel

Empfohlene Bücher

Die Schriftleitung behält sich Besprechung der hier

genannten Bücher vor. Die Aufführung bedeutet bereite

eine Empfehlung. Verleger erhalten hier nicht erwihate

Bücher zurück, falls Rückporto beigefägt wurde.

Guillaume Apollinaire
Les Peintres Cubistes

Mit 46 ganzseitigen Porträts und Reproduk-
tionen nach Gemälden von Pablo Picasso / Ge-
org Braque / Jean Metzinger / Albert Gleizes
/ Juan Gris / Marie Laurencin / Fernand Leger
/ und Anderen

Paul Fort

Choix de Ballades Frangaises
Verlag Eugene Figuiere Paris

Guillaume Apollinaire
L’Heresiarque et Cie
Verlag P. V. Stock, Paris

Jean Müller et Gaston Picard
Les Tendances Presentes de la Litterature Fran-
gaise

Interviews et Reponses
Verlag E. Basset et Cie, Paris

August Strindberg
Die gotischen Zimmer
Familienschicksale vom Jahrhundertende
Verdeutscht von Emil Schering
Dritte durchgesehene Auflage
Schwarze Fahnen

Sittenschilderungen von Jahrhundertwechsel
Verdeutscht von Emil Schering
Dritte Auflage

Verlag von Georg Müller, München

Shakespeare in Deutscher Sprache
Herausgegeben, zum Teil neu übersetzt von
Friedrich Gundolf

Gesamte Ausstattung von Melchior Lechter
Bisher erschienen 8 Bände: Band I brachte

die Römerdramen, Band II Romeo und Julia,
Othello und den Kaufmann von Venedig. Die
letzten Bände werden in kurzen Zwischen-
räumen folgen. Die Bände III—V bringen die
Königsdramen; Band VI und folgende: Mac-
beth, Hamlet, Lear, Troilus, Timon, im An-
schluß hieran die Komödien. Der Schlußband
wird enthalten: den Sturm, die Epen und die
von Stefan George übersetzten Sonette
Verlag Georg Bondi, Berlin

Verantwortlich für die Schriftleitung:
Herwarth Waiden / Berlin W 9

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