Bilder aus Dingen
Das Berliner Tageblatt brachte folgende Bilder,
deren Veröffentlichung ich im Kupferdrucktiefver-
fahren des Weltspiegels dringend empfehle:
Der Dichter ... wird nun, um den Denkmals-
stein wieder ins Rollen zu bringen,
einen Vortrag halten.
Die Flottendemonstration: Aut der heutigen Bot-
schafterkonferenz wurde auch über die Frage be-
raten, was zu geschehen hat, wenn die Demon-
stration Schiffbruch leidet, was hier all-
gemein angenommen wird.
Neuer Pharuspian
Verschiedene Kunstkritiker der Tageszeitungen
scheuen sich, unsere Ausstellung Königin Augu-
stastraße 51 beim Namen zu nennen oder die
Adresse anzugeben. Dem ungeübten Leser wer-
den hier die Bezeichnungen genannt, durch die un-
sere Ausstellung getroffen, aber nicht gefunden
werden soll:
Atelierhaus, Kaiserin Augustastraße
Ausstellungen am oberen Landwehrkanal
Ausstellung einer Berliner Zeitschrift
Königin Augustrastraße 50, sowie' sämtliche übri-
gen Nummern dieser Straße mit Ausnahme von 51.
Besprechungen von Ausstellungen ohne jede
Ortsangabe.
H. W.
Liebeslied
Wenn deine Augen süß zu mir singen,
Ist meine Seele ein tiefer Brunnen,
Zu dessen Grunde leise Gold klirrt.
In meinem Schoß hielt ich fest deine Hand:
So bin ich durch Aetherräume fortgeflogen
Jahrtausendlang mit traumversilberter Stirne.
Deine Worte sind wie Freundesarme,
Die sich gütig und weich um meine Schultern legen,
Daß sich meine Lippen zum Lichte entfalten
können.
Gott hat dich auf meine Arme gelegt.
Nun will ich dich tragen durch alle Leben
Bis wieder zu Gott.
Meine Spuren folgen mir alle verklärt,
Ein großes Heer, dir dienstbar zu sein —
Und mich zu führen die bereitete Straße.
Die Blumen der Beete knospen uns nach
Und rufen uns Wohlgerüche zu,
Und können nur mehr an deinem Gürtel blühen.
Im grauen Abend weinen die Vögel Tau
Vor Freude über unser Glück:
Ich will ihnen dafür Saphire für ihre Augen
schenken.
Du bist eine silberne Gerte,
An der überströmend mein Herz hangt,
und Gott hält uns in den blauen, wehenden Nacht-
wind hinaus . . .
Isidor Quartner
Die Schwermut des
Genießers
Ein Roman
Von Arthur Babillotte
Fortsetzung
Er kam der Gefahr, eine männliche Dirne zu wer-
den, immer näher. Er war so arm geworden, der
neunzehnjährige, der als Knabe so reich gewesen,
so arm war er geworden, daß er die Musik in sei-
nem Innfern nur noch auf den Leib des Weibes zu
konzentrieren vermochte, daß er in der Nacktheit
des Weibes die einzige gestaltgewordene Musik
erkannte. Von Taumel schritt er zu Taumel im
Wahn, nur so sein Leben richtig und wertvoll zu
leben, nur so seine Kunst, sofern er noch an sie
glaubte, in ihrem höchsten Ausdruck zu genießen.
Er hielt für eine Bereicherung, was eine Verar-
mung war. Die Nacht, die gefürchtete, wurde ihm
jetzt zum Tag, zum Ereignis, Und der Tag ver-
sank ihm und schloß ihn ein. Hatte seine Liebe
vordem der wesenlosen Unendlichkeit geopfert,
so opferte sie jetzt der greifbarsten Enge und
Wirklichkeit. Die Dehnungen und Windungen, das
lüsterne Zucken und die hingegossene Mattheit
eines Mädchenleibes, eines entweihten, waren ihm
jetzt die Quellen seiner inncrn Musik.
In diesen engen Orgien verzehrte sich seine
Kraft, während er glaubte, sie erstarke und werde
ihn einst fähig machen, musikalische Wunder zu
vollbringen. Es schien, als sei er rettungslos ver-
loren. Die Freunde zogen sich zurück; sie er-
kannten, wie gefährlich die Inbrunst war, mit der
Johannes sich der weiblichen Unkeuschheit hin-
gab; wenn sie zu den Ausgestoßenen gingen, taten
sie es, um ein augenblickliches Bedürfnis zu be-
friedigen; kamen sie zurück, dann waren sie wie-
der klar und nüchtern und sahen in dem erotischen
Erlebnis nur einen Ableiter für ihren angesammel-
ten Mannestrieb.
Das tolle Leben drohte dem jungen Künstler
alle zarte Keuschheit zu rauben, ohne daß er im
ewigem Taumel die Kraft besaß, dies zu erkennen.
So ging er der Flachheit entgegen und wäre wohl
darin untergegangen, wenn ihn nicht ein aufrüt-
telndes gütiges Ereignis dem Verderben entrissen
hätte.
Die Stille der Morgenlandschaft hatte dem
Künstler diese Bilder seiner Kindheit und ersten
Jugend zugetragen. Eingehüllt in diese sänftigende
Ruhe saß er und ließ seine Augen über die Tal-
ebene hinschweifen, ohne doch die äußeren Ein-
drücke der Landschaft in sich aufzunehmen. Es
war, als sei er blind geworden und vermöge nur
noch nach innen zu schauen, und als verwandele
sich ihm dieses Schauen in ein ungemein feines
Hören, wie für ihn alles Genießen im Aufsaugen
der unzähligen Melodien bestand, die er um sich
her tönen hörte.
Mit einer müden Handbewegung kehrte er in
das Bewußtsein zurück: Der Brief drängte sich
ihm auf; er vernahm Stimmen, die den Berg her-
aufkamen; vernahm das breite Erzählen des Wir-
tes, der einem frühen Gast Anekdoten aufdrängte.
Er kehrte in die Wirklichkeit zurück; die Bilder,
denen er sich hingegeben, verließen ihn, wurden
allmählich blaß und zerflossen. Mit wachen Augen
blickte er in die Landschaft.
Der Anblick der weiten Gegend, die rechts und
links von Bergen eingesäumt wurde, begeisterte
ihn, daß er lautlose Worte des Entzückens stam-
melte. Wort reihte sich an Wort, sein Gehirn lud
sich nach und nach mit bunten Bildern. Seine
Feinde nannten ihn geziert und hochmütig, weil er
oft in andern Worten sprach, als sie in ihrer All-
tagssprache zu gebrauchen pflegten. Dem Künst-
ler lag aber nichts ferner, als die Absicht, bewußt
anders zu sein, als die andern. Sein Gebahren und
seine Sprache flössen aus dem Innersten seiner
Veranlagung und äußerten sich, ohne daß er mit
bewußtem Willen nach Ausnahmegebärden und
Ausnahmeworten suchte. Seine Gebärden waren
Ausnahmegebärden und seine Worte Ausnahme-
worte. Wer ihn nicht begreifen konnte, lachte
über ihn und hatte Recht, wenn er lachte; wie
hätte er den Hochmut und die Seltsamkeit dieses
Menschen gelassen hinnehmen können!
Die Sonne verzehrte sich im Rausch ihrer
Brände. Es schien, als sei sie rasend, unersättlich;
so unersättlich, daß sie bis in die Nachmittagsstun-
den sich selbst zu Asche verzehrt haben mußte.
Dann wurde es Nacht. Dann zerschmetterte sich
die Erde an irgend einem andern Planeten und
stürzte hinab in die Unendlichkeit des Alls. „Das
ist die Götterdämmerung!“ sagte Johannes vor
sich hin, lehnte sich über die Brüstung der Ver-
anda und genoß den unheimlichen, wilden Gedan-
ken in tiefen Zügen, während er über die Land-
schaft starrte, die unter der Glut des Lichtes
keuchte und die Angst verriet, mit der sie der bis
zum Wahnsinn gesteigerten Glut des Nachmittags
entgegenharrte.
In Gedanken an den Weltuntergang erhob sich
vor seinen Augen jeder Baum, jedes Haus, jeder
Berg der Landschaft, in die er hineinblickte, zu
einer verklärten Größe. Das Ganze erschien ihm
als eine Schönheit, die dem Martyrium geweiht
war, als etwas wertvolles und reiches, das der
Unersättlichkeit eines Mißgünstigen zum Opfer
fallen sollte. Das armseligste Haus bekam Glanz
und Farbe, die unregelmäßigste Baumanlage er-
schien ihm harmonisch und nach tiefen Regeln
einer ewigen Schönheit geordnet. Er sah mit den
Augen des Erschütterten, des Mitleidigen, der
weiß, daß alles ein Ende hat. So wurde ihm die
idyllische Landschaft in der Glut des Augustmor-
gens, unter dem Einfluß des Gedankens an den
Weltuntergang, zu einer heroischen.
Die Berge, die rechts und links in die Ferne
hineingriffen, die klein und zusammengeduckt un-
ter dem Himmel lagen, reckten sich vor seinem
begeisterten Auge, wurden stark und trotzig und
schickten sich an, dem nahen Untergange zu wider-
stehen bis zum äußersten. Er hörte ihr stummes
Gelächter, das unheimlich aus der Starrheit ihrer
Wälder emporklang. Die kleinen Häuschen, die
da und dort an den Berghängen klebten, wurden
ihm zu Festen, die von den Menschen besetzt
wurden, um den Bergen im Kampfe beizustehen.
Die Stadt aber, die breitbehaglich unter ihm lag,
eingekeilt zwischen die Berge, wurde für ihn
zum Jerusalem, in dem alle Menschen der Land-
schaft ihr letztes Heil finden sollten. Er wußte
nicht, worin dieses letzte Heil bestehen würde; er
wußte nur, daß es etwas unendlich süßes sein
sollte. Vielleicht ein letzter lohender Rausch der
Liebe, vielleicht das letzte Tafeln an üppigen
Tischen voll der erlesensten Speisen. Vielleicht
auch das letzte Versinken in die Pracht einer stür-
menden Musik, und dann als Finale der Untergang,
der.Sturz in das Nichts. Er sah mit entzückten
Augen die Straßen der heiligen Stadt, das Blinken
der Fenster, sah den Rauch, der wie ein Heiligen-
schein über den Dächern zitterte, konnte manch-
mal auch einen eilenden Menschen unterscheiden
und erkannte in der Hast seiner Schritte die Hast
dessen, der vor dem Ende noch manches zu, besor-
gen hat. Die Wege, die von allen Seiten in die
Stadt führten, schmale und breite Wege, alle glän-
zend in weißem Staub, blickte er solange an, bis
ihm die Augen flimmerten. Dann versenkte er sich
in die grüne Ruhe der Bäume, die an den Berghän-
20
Das Berliner Tageblatt brachte folgende Bilder,
deren Veröffentlichung ich im Kupferdrucktiefver-
fahren des Weltspiegels dringend empfehle:
Der Dichter ... wird nun, um den Denkmals-
stein wieder ins Rollen zu bringen,
einen Vortrag halten.
Die Flottendemonstration: Aut der heutigen Bot-
schafterkonferenz wurde auch über die Frage be-
raten, was zu geschehen hat, wenn die Demon-
stration Schiffbruch leidet, was hier all-
gemein angenommen wird.
Neuer Pharuspian
Verschiedene Kunstkritiker der Tageszeitungen
scheuen sich, unsere Ausstellung Königin Augu-
stastraße 51 beim Namen zu nennen oder die
Adresse anzugeben. Dem ungeübten Leser wer-
den hier die Bezeichnungen genannt, durch die un-
sere Ausstellung getroffen, aber nicht gefunden
werden soll:
Atelierhaus, Kaiserin Augustastraße
Ausstellungen am oberen Landwehrkanal
Ausstellung einer Berliner Zeitschrift
Königin Augustrastraße 50, sowie' sämtliche übri-
gen Nummern dieser Straße mit Ausnahme von 51.
Besprechungen von Ausstellungen ohne jede
Ortsangabe.
H. W.
Liebeslied
Wenn deine Augen süß zu mir singen,
Ist meine Seele ein tiefer Brunnen,
Zu dessen Grunde leise Gold klirrt.
In meinem Schoß hielt ich fest deine Hand:
So bin ich durch Aetherräume fortgeflogen
Jahrtausendlang mit traumversilberter Stirne.
Deine Worte sind wie Freundesarme,
Die sich gütig und weich um meine Schultern legen,
Daß sich meine Lippen zum Lichte entfalten
können.
Gott hat dich auf meine Arme gelegt.
Nun will ich dich tragen durch alle Leben
Bis wieder zu Gott.
Meine Spuren folgen mir alle verklärt,
Ein großes Heer, dir dienstbar zu sein —
Und mich zu führen die bereitete Straße.
Die Blumen der Beete knospen uns nach
Und rufen uns Wohlgerüche zu,
Und können nur mehr an deinem Gürtel blühen.
Im grauen Abend weinen die Vögel Tau
Vor Freude über unser Glück:
Ich will ihnen dafür Saphire für ihre Augen
schenken.
Du bist eine silberne Gerte,
An der überströmend mein Herz hangt,
und Gott hält uns in den blauen, wehenden Nacht-
wind hinaus . . .
Isidor Quartner
Die Schwermut des
Genießers
Ein Roman
Von Arthur Babillotte
Fortsetzung
Er kam der Gefahr, eine männliche Dirne zu wer-
den, immer näher. Er war so arm geworden, der
neunzehnjährige, der als Knabe so reich gewesen,
so arm war er geworden, daß er die Musik in sei-
nem Innfern nur noch auf den Leib des Weibes zu
konzentrieren vermochte, daß er in der Nacktheit
des Weibes die einzige gestaltgewordene Musik
erkannte. Von Taumel schritt er zu Taumel im
Wahn, nur so sein Leben richtig und wertvoll zu
leben, nur so seine Kunst, sofern er noch an sie
glaubte, in ihrem höchsten Ausdruck zu genießen.
Er hielt für eine Bereicherung, was eine Verar-
mung war. Die Nacht, die gefürchtete, wurde ihm
jetzt zum Tag, zum Ereignis, Und der Tag ver-
sank ihm und schloß ihn ein. Hatte seine Liebe
vordem der wesenlosen Unendlichkeit geopfert,
so opferte sie jetzt der greifbarsten Enge und
Wirklichkeit. Die Dehnungen und Windungen, das
lüsterne Zucken und die hingegossene Mattheit
eines Mädchenleibes, eines entweihten, waren ihm
jetzt die Quellen seiner inncrn Musik.
In diesen engen Orgien verzehrte sich seine
Kraft, während er glaubte, sie erstarke und werde
ihn einst fähig machen, musikalische Wunder zu
vollbringen. Es schien, als sei er rettungslos ver-
loren. Die Freunde zogen sich zurück; sie er-
kannten, wie gefährlich die Inbrunst war, mit der
Johannes sich der weiblichen Unkeuschheit hin-
gab; wenn sie zu den Ausgestoßenen gingen, taten
sie es, um ein augenblickliches Bedürfnis zu be-
friedigen; kamen sie zurück, dann waren sie wie-
der klar und nüchtern und sahen in dem erotischen
Erlebnis nur einen Ableiter für ihren angesammel-
ten Mannestrieb.
Das tolle Leben drohte dem jungen Künstler
alle zarte Keuschheit zu rauben, ohne daß er im
ewigem Taumel die Kraft besaß, dies zu erkennen.
So ging er der Flachheit entgegen und wäre wohl
darin untergegangen, wenn ihn nicht ein aufrüt-
telndes gütiges Ereignis dem Verderben entrissen
hätte.
Die Stille der Morgenlandschaft hatte dem
Künstler diese Bilder seiner Kindheit und ersten
Jugend zugetragen. Eingehüllt in diese sänftigende
Ruhe saß er und ließ seine Augen über die Tal-
ebene hinschweifen, ohne doch die äußeren Ein-
drücke der Landschaft in sich aufzunehmen. Es
war, als sei er blind geworden und vermöge nur
noch nach innen zu schauen, und als verwandele
sich ihm dieses Schauen in ein ungemein feines
Hören, wie für ihn alles Genießen im Aufsaugen
der unzähligen Melodien bestand, die er um sich
her tönen hörte.
Mit einer müden Handbewegung kehrte er in
das Bewußtsein zurück: Der Brief drängte sich
ihm auf; er vernahm Stimmen, die den Berg her-
aufkamen; vernahm das breite Erzählen des Wir-
tes, der einem frühen Gast Anekdoten aufdrängte.
Er kehrte in die Wirklichkeit zurück; die Bilder,
denen er sich hingegeben, verließen ihn, wurden
allmählich blaß und zerflossen. Mit wachen Augen
blickte er in die Landschaft.
Der Anblick der weiten Gegend, die rechts und
links von Bergen eingesäumt wurde, begeisterte
ihn, daß er lautlose Worte des Entzückens stam-
melte. Wort reihte sich an Wort, sein Gehirn lud
sich nach und nach mit bunten Bildern. Seine
Feinde nannten ihn geziert und hochmütig, weil er
oft in andern Worten sprach, als sie in ihrer All-
tagssprache zu gebrauchen pflegten. Dem Künst-
ler lag aber nichts ferner, als die Absicht, bewußt
anders zu sein, als die andern. Sein Gebahren und
seine Sprache flössen aus dem Innersten seiner
Veranlagung und äußerten sich, ohne daß er mit
bewußtem Willen nach Ausnahmegebärden und
Ausnahmeworten suchte. Seine Gebärden waren
Ausnahmegebärden und seine Worte Ausnahme-
worte. Wer ihn nicht begreifen konnte, lachte
über ihn und hatte Recht, wenn er lachte; wie
hätte er den Hochmut und die Seltsamkeit dieses
Menschen gelassen hinnehmen können!
Die Sonne verzehrte sich im Rausch ihrer
Brände. Es schien, als sei sie rasend, unersättlich;
so unersättlich, daß sie bis in die Nachmittagsstun-
den sich selbst zu Asche verzehrt haben mußte.
Dann wurde es Nacht. Dann zerschmetterte sich
die Erde an irgend einem andern Planeten und
stürzte hinab in die Unendlichkeit des Alls. „Das
ist die Götterdämmerung!“ sagte Johannes vor
sich hin, lehnte sich über die Brüstung der Ver-
anda und genoß den unheimlichen, wilden Gedan-
ken in tiefen Zügen, während er über die Land-
schaft starrte, die unter der Glut des Lichtes
keuchte und die Angst verriet, mit der sie der bis
zum Wahnsinn gesteigerten Glut des Nachmittags
entgegenharrte.
In Gedanken an den Weltuntergang erhob sich
vor seinen Augen jeder Baum, jedes Haus, jeder
Berg der Landschaft, in die er hineinblickte, zu
einer verklärten Größe. Das Ganze erschien ihm
als eine Schönheit, die dem Martyrium geweiht
war, als etwas wertvolles und reiches, das der
Unersättlichkeit eines Mißgünstigen zum Opfer
fallen sollte. Das armseligste Haus bekam Glanz
und Farbe, die unregelmäßigste Baumanlage er-
schien ihm harmonisch und nach tiefen Regeln
einer ewigen Schönheit geordnet. Er sah mit den
Augen des Erschütterten, des Mitleidigen, der
weiß, daß alles ein Ende hat. So wurde ihm die
idyllische Landschaft in der Glut des Augustmor-
gens, unter dem Einfluß des Gedankens an den
Weltuntergang, zu einer heroischen.
Die Berge, die rechts und links in die Ferne
hineingriffen, die klein und zusammengeduckt un-
ter dem Himmel lagen, reckten sich vor seinem
begeisterten Auge, wurden stark und trotzig und
schickten sich an, dem nahen Untergange zu wider-
stehen bis zum äußersten. Er hörte ihr stummes
Gelächter, das unheimlich aus der Starrheit ihrer
Wälder emporklang. Die kleinen Häuschen, die
da und dort an den Berghängen klebten, wurden
ihm zu Festen, die von den Menschen besetzt
wurden, um den Bergen im Kampfe beizustehen.
Die Stadt aber, die breitbehaglich unter ihm lag,
eingekeilt zwischen die Berge, wurde für ihn
zum Jerusalem, in dem alle Menschen der Land-
schaft ihr letztes Heil finden sollten. Er wußte
nicht, worin dieses letzte Heil bestehen würde; er
wußte nur, daß es etwas unendlich süßes sein
sollte. Vielleicht ein letzter lohender Rausch der
Liebe, vielleicht das letzte Tafeln an üppigen
Tischen voll der erlesensten Speisen. Vielleicht
auch das letzte Versinken in die Pracht einer stür-
menden Musik, und dann als Finale der Untergang,
der.Sturz in das Nichts. Er sah mit entzückten
Augen die Straßen der heiligen Stadt, das Blinken
der Fenster, sah den Rauch, der wie ein Heiligen-
schein über den Dächern zitterte, konnte manch-
mal auch einen eilenden Menschen unterscheiden
und erkannte in der Hast seiner Schritte die Hast
dessen, der vor dem Ende noch manches zu, besor-
gen hat. Die Wege, die von allen Seiten in die
Stadt führten, schmale und breite Wege, alle glän-
zend in weißem Staub, blickte er solange an, bis
ihm die Augen flimmerten. Dann versenkte er sich
in die grüne Ruhe der Bäume, die an den Berghän-
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