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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 156/157 (April 1913)
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [1]: Ein Roman
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Epstein, Elisabeth: Das Lächerlich sein
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0018

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■den betrachtet. Daß nun sein Junge so zart und
unmännlich war und die Musik als Beruf ausüben
wollte, darüber kam er nicht hinweg und gab mit
enttäuschtem Herzen und nur darum seine Ein-
willigung, weil er dem einzigen Kind die Erfüllung
des letzten Wunsches nicht versagen mochte.

Für den Knaben begann mit diesem Tage eine
neue Zeit. Die Zeit des Reifens, die ihn aus der
herrlichsten Erwartung in die düsterste Hoffnungs-
losigkeit warf, die ihn hin und her zerrte, ihn
quälte, daß er manchmal an sich und allem ver-
zweifelte, die ihm das Jauchzen der Begabung
laut in die Seele schrie und ihn mit unbarmherzi-
gem Hohn vor sich selbst klein und verächtlich
zu machen suchte. Er ging in die Millionenstadt,
von der seine Seele in Stunden der heroischen
Willenskraft geträumt hatte; er warf sich in das
fieberhafte Leben und meinte, tausendgestaltig,
wechselvoll zu sein, wandlungsfähig wie ein Gott.
Seine Füße fanden die Erde wieder, die Vorstel-
lungen seiner Phantasie gründeten sich jetzt auf
die Geschehnisse und Dinge der Erde; so kam es,
daß er alle Linien und Formen der Großstadt in
das Riesenhafte emporzwang und mitten durch
den Alltag, den jeder in der Rastlosigkeit des Groß-
stadtlebens empfand und ohne Illusionen hinnahm,
wie ein König schritt, dem die Lebensäußerungen
gigantischer Wesen in himmelhohen Palästen un-
tertan waren. Selbst die wenigen Freunde sahen
in ihm nur einen Sonderling, der das Leben nicht
zu nehmen wußte und eines Tages an seiner Über-
empfindlichkeit zugrunde ging. Das einzige, was
ihn aus der erdichteten Großstadtwelt in die Höhen
einer erdfernen Farbenpracht und eines haltlosen
Tönereichtums zurückriß, war die Erinnerung an
die blauen Stunden mit der Mutter. Auch jetzt
noch fand er in der Hast und Ueberstürzung des
neuen Lebens manchmal eine Stunde, in der eine
tiefe Ruhe in ihm zu klingen anhob und ihn zur
Erweckung der toten Mutter trieb. Dann lag er
auf der Chaiselongue seines einsamen Zimmers
und weinte und erlebte wieder die Zeit seiner Eks-
tasen. Nach diesen Stunden des erneuten Erleb-
nisses erfüllte ihn jedesmal eine große Leere, die
ihn traurig und elend machte. Immer häufiger
kam das quälende Bewußtsein einer völligen Ein-
samkeit zu ihm, immer aufdringlicher folterte ihn
die Erkenntnis der Fremdheit, mit der er den Men-
schen gegenüber stand, eine Erkenntnis, die ihn
zuweilen auch überfallen hatte, wenn er durch die
Wege des väterlichen Gartens gewandert war, um
die Musik der Blumen in sich aufzunehmen. Da-
mals hatte er sie noch ohne Schmerzen abzu-
schütteln vermocht; jetzt aber kam sie kraftvoller
und ließ ihn einsehen, daß sie am Ende siegen
würde. Denn er hatte die blauen Abende nicht
mehr, die ihm Kräfte verliehen, den Dingen und
Geschehnissen von außen Widerstand zu leisten.
Er hatte nur noch seine Erinnerung an die blauen
Abende, und die machte ihn verzagt und nahm ihm
allmählich allen Mut und alle Hoffnung. Und als
die Einsamkeit unerträglich zu werden begann, als
seine Flucht zu dem Tönen in seiner Seele ihn
nicht mehr zu erheben vermochte, stürzte er sich
in das Leben, da, wo es am stürmischsten war. Er
sah nur diesen Weg und hielt ihn für die Rettung.
Seine Seele zitterte, wenn er durch eine finstere
Straße gehen mußte, ein Taumel faßte ihn und
krampfte die Tätigkeit seines Willens zusammen,
sodaß er sich nur noch mechanisch vorwärtsbe-
wegte. Mußte er eine dunkle Treppe hinaufsteigen,
litt er unsägliche • Qualen und konnte nur mit
äußerster Anstrengung einen Schrei der schreck-
lichsten Verzweiflung zurückhalten. Er ließ die
ganze Nacht hindurch das elektrische Licht in
zwei Birnen brennen, um nicht mit der Finsternis
■allein zu sein. Aber bald gewährte ihm auch dies

keine Beruhigung mehr; seine Seele ahnte wohl
die Taten, die sie in der Zukunft vollbringen sollte,
aber sie besaß nicht die Kraft, den Körper durch
die Schrecknisse der Gegenwart hindurchzugelei-
ten, ohne daß er Schaden nahm. Unruhiger von
Tag zu Tag, von einer leeren Stimmung in die an-
dere geschleudert, an nichts mehr glaubend, kam
er endlich dazu, das Vorhandensein seiner Seele,
seiner Geistigkeit, seines Künstlertums anzuzwei-
feln. Jener Augenblick, da vor ihm am Ende der
Pappelallee die Sonne aufgegangen war, und die
musikalische Kraft in ihm geweckt hatte, war in
seiner Erinnerung zu einer unwesentlichen Episode
verblaßt; wenn er sehr verzweifelt war, lachte er
sogar spöttisch darüber. So trat an Stelle der Ge-
fahr, ein unirdischer Träumer zu werden, für ihn
die Gefahr, jede Empfindung für die Regungen
seiner Künstlerschaft zu verlieren und ein Tauge-
nichts, im besten Falle ein ehrsamer Bürger mit
Durchschnittsgedanken und Durchschnittswün-
schen zu werden.

In dieser Furcht und in der Angst vor der Ein-
samkeit stürzte er sich in das Leben und glaubte
mit aller Inbrunst an die Rettung, mit einer In-
brunst, die der besitzt, dem der Tod des schmach-
vollen Ertrinkens droht, und der plötzlich eine
schwache Planke vor sich sieht. Er ging zu denen,
die schon Schiffbruch gelitten hatten; von ihnen
hoffte er gerettet zu werden. Es war die Para-
doxie der verzweifelten Unerfahrenheit. Weil er den
leisen Hohn der Freunde empfunden hatte, durch
die äußersten Empfindlichkeiten seiner Seele, war
er mißtrauisch und endlich verschlossen' geworden
und hatte in diesen paar jungen Menschen, die für
ihn die gesellschaftliche Welt bedeuteten, das Ver-
kehrte, das Unechte und Böse gesehen. Dies trug
mit zu dem Entschlüsse bei, zu . denen zu gehen,
die als Ausgestoßene der Gesellschaft galten und
sich dessen voll bewußt waren. Sie nahmen ihn
auf ihre Art und ließen sicli vor ihm gehen, weil sie
ihresgleichen in ihm sahen. Er konnte sich lange
nicht an ihre Freiheit gewöhnen, an die unkeusche
Ungebundenheit ihrer Gedanken, an die unver-
hüllte Wollust ihrer Gebärden. Es stieß ihn ab.
Aber er fürchtete sich, in die Einsamkeit zurück-
zukehren, und zwang den Abscheu zurück, bis er
endlich schwächer sich nur noch in Stunden der
Selbsterkenntnis über ihn warf, um ihn zu retten.

Fortsetzung folgt

Das Läeherliehsein

Von Elisabeth Epstein

Lächerlich! — lächerlich ist alles, was keinen
Ausdruck findet und sucht, lächerlich ist alles,
was unbekannt ins Bekannte fällt; lächerlich ist
echte Trauer neben sorgloser Freude, plötzlich
hineintönend . . . Aufrichtiges Schauen, offene
Hände, heller und freier Gang im dumpfen,
stickigen Raume. Kontrast. Lächerlich, ein
schräger Schnitt durch gesetzte gerade Formen —
fremdes Leid und fremdes Glück. Erinnerungen
in Gegenwart einstürzend ... — und Menschen
und Menschen wie Hähne, wie Hühner stolzieren
— stolzieren auf Beinen mit großen Hintern, ernst
und vornehm erhaben — wichtig. Kommt einer
ohne Allüren — lächerlich! — öffnet die Hände,
hebt die Schultern und weiß nicht, woher er
kommt unJ stammt — der Lächerliche!

Es ist eine der Pflichten — Lächer-
lichkeit. Wer das Lächerlichsein bis ans Ende
genoß, wer von diesem gelben zischendem, sprit-
zendem Safte gekostet, der ist verloren für die

Menschen, denn der kennt die Pflicht des
Lächerlichseins. Er beugt sein Haupt und
er biegt ein Knie vor seiner göttlichen Lächerlich-
keit. Die Menschen spotten und fürchten ihn, die
Menschen fürchten das Lächerliche; — das tue
ich nicht — „ich mache mich lächerlich, ach, da
gehe ich nicht hin — die Wege führen zum Lachen
— dort tönt es spaßig und bös, das achseln-
zuckende, vernichtende, spottende Gelächter.“
Und die Menschen fliehen auf andere Wege, wo
Stolz sie stützt and hält lund gewiegtes Kopf-
neigen, gemäßigtes „ja“ und gesättigtes „nein“.

Wer im Wirrwarr des Nein, im Streben des
Ja steht, seinen Kopf in die Hände nimmt und
schluchzt, und zur doppelten Gotteinheit der Dinge
betet und schreit: hört, hört an — Dinge, die
nicht waren, es gibt Dinge, die wahr sind, weHn
auch unbekannt, denn sie sind von zweierlei

umwoben, hört an!-der ist lächerlich —

der Lächerliche!

— Ja dann, nun lacht und ergötzt euch alle,
nun sollt ihr viel, viel Spaß haben und bis ans
Ende eurer Tage die Bäuche halten und lachen
—- und lachen, daß ihr nicht mehr könnt — denn
nun wollen wir nicht auf euch achten und wir
wollen euch nicht bitten, und wir wollen einen
Tempel bauen der Lächerlichkeit und werden
dort Dienste abhalten Euch und Allen und dem
donnernden Gelächter der wehkranken Erde!
Lacht nun solange die Erde Euch trägt! Wir
wollen ein Gebet aufs Lachen dichten und singen,
daß die Wände erzittern! — o ewige, o heilige,
unendliche, bodenlose Lächerlichkeit, einzig ge-
priesene, erhoben da oben — da oben bei Gott:
Wollen wir preisen den Klang der Silben der
Lä-cher-Iich-keit! . . .

Stille? . . . Stille? . . . Warum? Wurde nun
Schweigen — Gelächter?

Ja so lacht doch, lacht! . . .

Empfohlene Bücher

Die Schriftleitung behält sich Besprechung der hier
genannten Bücher vor. Die Aufführung bedeutet bereit
eine Empfehlung. Verleger erhalten hier nicht erwähnte
Bücher zurück, falls Rückporto beigefügt wurde.

Ardengo Soffici

Cubismo e oltre / Mit Illustrationen nach
Werken von Paul Cezanne / Pablo Picasso /
Georges Braque / Ardengo Soffici / Umberto
Boccioni / Carlo D. Carra
Florenz / Libreria della Voce

Arno Holz

Ignorabimus / Tragödie

Verlag Karl Reißner / Dresden

Ludwig Coellen

Die neue Malerei/' Der Impressionismus /
Van Gogh und Cezanne / Die Romantik der
neuen Malerei / Hodler / Gauguin und Matisse /
Picasso und der Kubismus / Die Expressionisten
Verlag E. W. Bonseis und Cie / München

Jules Leroux

La Muse N o i r e
Verlag Eugene Figuiere et Cie / Paris

Jean de Brosschere

Dolorine et Les Ombres / Des Poemes
des arguments et des Images
Bibliotheque de l’Occident / Paris

...

Verantwortlich für die Schriftleitung:
Herwarth Waiden / Berlin W 9

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