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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 162/163 (Mai 1913)
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [4]: Roman
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Adler, Joseph: Peter Scher
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0042

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mußte. Seine Gedanken sammelten sich und er-
griffen die Aeußerungen der Wirklichkeit. Jetzt
sah er überdeutlich die Geliebte vor sich und emp-
fand einen fast physischen Schmerz. Das Lachen
des Mädchens zitterte ihm noch im Ohr und zu-
gleich sah er ihre starre, fast zu klassischer Rein-
heit erhobene Stellung. Er hatte das Gefühl eines
Lichtempfindlichen, vor dessen Augen in die
weiche Dämmerung des Abends ein greller Blitz
fährt. Zwei Töne standen nebeneinander, jeder
rein und stark in seinem Klang und seiner Art,
aber jeder völlig anders in seinem innern Wesen.
Und instinktiv erkannte er das Unharmonische
seiner Geliebten. Aber seine Leidenschaft für die
Schönheit, dieses Mädchens war so stark und rück-
haltlos, daß er noch an ihre innere Schönheit glau-
ben mußte, ebenso wie er an ihre äußere glaubte.

Er stand auf und erfaßte die Hände des Mäd-
chens und löste sie von den Schläfen.

— Bist du schon lange hier.

— Du hast so fest geschlafen, Liebling, ant-
wortete sie und lachte ihn aus strahlenden Augen
an. Da wurde ich ungeduldig und habe dich ge-
weckt. Bist du mir böse.

— Ich habe nicht geschlafen, lachte er, ich saß
in wachen Träumen und hörte dich nicht eintreten.

Da lächelte sie.

— Denkst du, das glaub ich dir? Wer nicht
schläft, hört, was um ihn vorgeht. Du schämst
dich nur, es einzugestehen . . .

Ihre eigensinnige Beharrlichkeit quälte ihn.

— Komm, Kind, sagte er, heute müssen wir
feierlich sein.

Mir ist gerade heute gar nicht feierlich zumut,
siehst du. Ich möchte tanzen und lachen, bis ich
umfiele und kaum noch atmen könnte.

Er bat sie, sich niederzusetzen.

— Du sollst tanzen und lachen, sagte er. Wir
wollen ein Fest feiern. Weißt du, welches Fest?

Sie hatte eine weiße Rose in ihr Haar gesteckt,
und unter dem Duft der Blume das Fest verges-
sen, das sie feiern wollten.

Sieh, Liebling, lächelte sie, ist diese Rose nicht
hübsch? Duftet sie nicht entzückend?

Er bewunderte sie.

— Sie ist wie du, sagte er. Wenn ich sie be-
trachte, sehe ich dich, wie du vor dem Spiegel
stehst und die Arme in schönem Bogen hebst, um
die Blume in dein Haar zu flechten, du wendest
mit einer anmutigen Bewegung den Kopf zur
Seite, um die Stelle deines Kopfes im Spiegel zu
finden, die du schmücken willst. Die weichen Li-
nien deiner Arme scheinen in den Glanz des Spie-
gels hinüberzufließen. Dein Haar rauscht leise
wie ein ferner Wind, wenn du die Rose hinein-
nestelst. Es ist, als empfange die Blume all ihren
Duft von dir und strahle ihn aus, damit auch das
Zimmer, die Möbel und Bilder ihn genießen
können.

Mit einer koketten Wendung des Kopfes beugte
sie sich dem Geliebten entgegen und lächelte.

— Komm, steck mir die Rose wieder ins Haar!
Du hast so weiche zärtliche Hände. Ich möchte,
daß du mir ohne Aufhören mit den Fingern über
das Haar strichst . . . Ich könnte stundenlang
ruhig sitzen und stillhalten.

Lächelnd nahm er ihr die Blume aus der Hand
und befestigte sie dann im Haar des Mädchens.
Er empfand den Rhythmus, in dem die Hand ar-
beitete, das vornehme Tänzeln der Finger, sobald
sie die leiste knisternden seidenen Haare berühr-
ten. Die Abstufungen zwischen dem schneeigen
Weiß der Blume und dem rötlichen Blond des
Haares berührte ihn. Und in dieses wohltuende
Lächeln seiner Seele mischte sich die Freude über
etwas, das er nicht mit Worten hätte ausdrücken
können. Etwas unendlich Zartes und Süßes, das

sich in einem Hauch auflöste, wenn er es in Worte
fassen wollte. Als versänke er in eine Blumen-
überfülle, die ihn über und über mit Düften be-
deckte. Dasselbe Gefühl in tieferer Stärke und
Schönheit hatte ihn an jenem Morgen erfüllt, da
sich ihm, dem Kind, das Mysterium des Sonnen-
aufgangs enthüllte hatte. Und diese Aehnlichkeit
der Gefühle brachte ihm jenen Morgen klar in die
Erinnerung, daß er ihn, kraft seiner sensitiven
Phantasie, in diesen Augenblicken noch einmal in
seiner ganzen Schönheit erlebte.

So lag für ihn in der schlichten Bewegung, die
das Anbringen einer Rose in das Haar des Mäd-
chens verlangte, ein unendlicher Reichtum.

Fortsetzung folgt

Peter Seher

Er steht an der Ecke des dunkeln Gäßchens der
Vergessenheit, in das sich jeglichen Abend die
großen und die kleinen Tagesereignisse zurück-
ziehn. Am Morgen brüllen sie wie die Löwen,
reißen die lockeren Geister an sich, und wälzen
sich auf allen sensationsgeilen Gemütern. Am
Abend sind sie verbraucht. Skelette, deren Fleisch
Druckerschwärze und deren Atem die Phrase war.
Der Peter Scher steht an der Ecke des
dunkeln Gäßchens der Vergessenheit. Er packt ein
Untertauchendes am Schopf, zerzaust es und macht
eine köstliche Erinnerung daran lebendig. Aus dem
Chaos der Ereignisse einer Woche drückt er eins
hinaus. Er umspannt es, scheinbar spielerisch, mit
seinem Geist, und es gewinnt an Größe und Be-
deutung. Die Zeit schmachtet im Zeichen des
Films. Als erster hat Napoleon die Welt er-
obert. Nach ihm schritt die L u st i g e Witwe
siegreich über sie> hinweg, und heute liegt sie dem
Kino platt zu Füßen. Am Brandenburger Tor wird
gefilmst. Die historische Stätte wird zur billigen
Dekoration, die Bilder aus dem Preußen, das Schlag
auf Schlag erlitt, erstehn in einem Schlager wie'der.
In dem großen Rennen um die Phrase ist die neu-
este Industrie der Politik und der Presse um jene
Nasenlänge voraus, die unsere Spanne Lust an
einer Welt, die der Geschäftsgeist brandschatzt,
bis auf ein Nichts verkürzt. In Berlin rückt nur
eine Tageszeitung dem Kino an den tausendar-
migen Leib. Aber es wird in diesem kleinfeuille-
tonistischen Angriffen kein Tropfen Geist ver-
gossen und es fallen nur Worte. Mit unfreiwilliger
Komik fingert der gutbesolde'te Pionier an der
Wurzel des Uebels. Die Persönlichkeit aber, der-
Satiriker, macht keine Worte. O, er zerreißt
eins in zwei Hälften und das ganze Geheimnis
eines Humbugs ist entblößt.

Herr, so fülln die schlausten Koppe

Aeltsten Kien in neuste Toppe.

Hier ist schon im Anfang der Gegenwehr ein
letztes Wort gesagt. Der Peter Scher hat so
viel Mut als Talent. Er durchschaut die Dinge, die
allgemein blenden, und er sticht zu, wo alles be-
stechlich ist.

Es ist nach der Erstaufführung von „Gudrun“,
haarklein beweisen die Schwätzer den hohen Wert
des Dramas. Peter Scher hält es am teutschen
Vollbart fest, um den herum es auffrisiert ist. Er
deckt es ab bis auf die Stoppeln des Unzuläng-
lichen. Dem schwülstig Pathetischen setzt er das
bittere Pathos entgegen. Das Pathos, das aus
der Galle kommt. In etlichen seiner Verssatiren
ist der Rausch der Aufwallung des besten Blutes
und der herbe Rhytmus des Zornes. Sein Witz
ist unmittelbar. Nicht flüchtig. Er kommt mit den
Gedanken. Er schwingt mit in der Form der Sa-
tire. Es geht nirgends um die Pointe allein.

Lustige Verse schreiben viele. Schütteln besten-
falls ein Körnchen Witz aus einem Sack voll
Worten. Eine Schersche Verssatire ist gedichteter
Witz. Man lese den Nobelpreis. Wie breit das
alles ist. Behäbig und friedlich. Aus den langen
Sätzen von Peter Scher gähnt die Pomadigkeit des
Milieus. Zwischen den Sätzen ist noch Witz ein-
gekeilt. Peter Scher webt seinen Spott aus dem
Garn, in das die Aufgeklärten jeder Charlatanerie
gehn, er verstrickt die Hammelherde knalliger Ide-
ale in die Phrasenwolle, in die sie gestikuliert.

Joseph Adler

Holzbock im Sommer und andere aktuelle Lyrik
von Peter Scher / Verlag A. R. Meyer, Berlin-
Wilmersdorf

Empfohlene Bücher

Die Schriftleitung behält sich Besprechung der W«r
genannten Bücher vor. Die Aufführung bedeutet bereöa
eine Empfehlung. Verleger erhalten hier nicht erwäiurt«
Bücher zurück, falls Rückporto beigefügt wurde.

Handbuch der Kunstwissenschaft

Herausgegeben von Dr. Fritz Burger / Soeben
erschienen: Lieferung 3 (Band 3 Heft 1) Profes-
sor Dr. Oskar Wulff: Die altchristliche Kunst
von ihren Anfängen bis zur Mitte des ersten
Jahrhunderts

Berlin-Neubabelsberg / Akademische Verlags-
gesellschaft m. b. H., M. Koch

Maurice Barres

Der Greco oder das Geheimnis von Toledo
Mit der Erlaubnis des Autors aus dem Fran-
zösischen übertragen von Wilhelm Han-
se n s t e i n / Sechzehn Abbildungen

Georg Müller und Eugen Rentsch Verlag /,
München

Aage von Kohl

Der Weg durch die Nacht
Erzählung

Verlag Rütten und Loening / Frankfurt a. M*

Else Lasker-Schilier
Gesichte

Essays und andere Geschichten
Verlag Kurt Wolff / Leipzig

Andre Rouveyre
Visages des Contemporains
Portraits dessines d'apris le vif
Vorrede von Remy de Gourmont
Paris / Mercure de France

Dr. Emil Utitz

Die Grundlagen der jüngsten Kunstbewegung
Ein Vortrag

Verlag Ferdinand Enke [ Stuttgart

Rudolf Leonhard

Angelische Strophen
Lyrisches Flugblatt

Verlag A. R. Meyer / Berlin-W’ilmersdorf

Münchener Liebhaber-Drucke

Bürger: Lenore

Batrachomyomachia / Griechischer Ur-
text

Hölderlin: Diotima
Verlag Heinrich F. S. Bachmair / München

Verantwortlich für die Schriftleitung:
Herwarth Waiden / Berlin W 9

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