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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 184/185 (November 1913)
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Claudel, Paul: Verkündigung: Ein geistliches Stück in vier Ereignissen und einem Vorspiel
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Cendrars, Blaise: La Tour
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0128

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schändliche Wunde mit sich zu schleppen, und zu
wissen, daß man nicht genesen kann und daß
nichts wieder sie taugt,

Doch daß sie jeden Tag weiterfrißt und tiefer
dringt, und daß man allein ist und seine eigne Ver-
seuchtheit dulden muß, und zu fühlen, wie man so
lebendigen Leibes verwest,

Und wie man den Tod nicht einmal, nein zehn-
mal erfährt und einem gar nichts erspart bleibt;
bis zum Schlüsse nichts von der schrecklichen
Schwarzkunst des Grabes!

Und Ihr habt mich mit dieser Not geschlagen,
Ihr und Eure Schönheit, denn bevor ich Euch sah,
war ich heil und heitern Gemütes,

Das Herz bei meinem Werk und den Sinn unter
fremder Verantwortung.

Und jetzt, wo ich der Herr bin und man nach
meinen Entwürfen gestaltet,

Kehrt Ihr Euch gegen mich mit diesem Lächeln
voll Gift.

Violäne: Das Gift, Peter, war nicht meines!

Peter von Ulm: Ich weiß, das Gift lag in
mir und weicht nimmer, und mein siecher Leib
rettet mir nicht die erkrankte Seele!

0 meines Herzens Herz, ist es möglich, Euch
anzuschauen und Euch nicht zu lieben?

Violäne: Ihr habt mir Eure Liebe deutlich
bewiesen.

Peter von Ulm: Ist es meine Schuld, wenn
die Frucht am Aste haftet?

Wer liebte je und begehrte nicht nach dem
Besitze seiner Liebe?

Violäne: Und darum habt Ihr mich verder-
ben wollen?

Peter von Ulm: Erlittne Kränkung verfin-
stert so Mann wie Frau.

Violäne: Worin verfehlt ich gegen Euch?

Peter von Ulm: 0 Ebenbild der ewigen

Schönheit, du bist nicht mein!

Violäne: Ich bin kein Bild! So spricht man
nicht mit mir!

Peter von Ulm: Ein andrer nimmt, was
mein war.

Violäne: Es bleibt das Bild.

Peter von Ulm: Ein andrer nimmt mir

Violäne und läßt mir dieses wunde Fleisch und
meinen verstörten Geist!

Violäne: Seid ein Mann, Peter! Zeigt Euch
würdig der Flamme, die Euch verzehrt!

Muß man schon vergehn, o dann seis über gol-
denem Leuchter wie die Osterkerze mitten im
Chor, der ganzen Kirche zu Ehren.

Peter von Ulm: Soviel erhabne Giebel!

Werd ich niemals den meines kleinen Hauses
durchs Blattwerk ragen sehn?

Soviel Glockentürme, deren kreisender Schat-
ten ganzen Plätzen die Stunde vorschreibt! Werd
ich niemals den Entwurf eines Herdes und des
Kinderzimmers ausführen?

Violäne: Ich sollte nicht für mich allein be-
halten, was allen gemeinsam gehört.

Peter von Ulm: Wann ist die Hochzeit,

Violäne?

Violäne: Wohl am Michaelistag, nach der
Ernte.

Peter von Ulm: An jenem Tag, wenn die
Glocken Marienbergs schweigen, dann horchet auf,
Ihr werdet fern aus Speier meine Antwort hören.

Violäne: Wer trägt dort Sorge um Euch?

Peter von Ulm: Immer hab ich wie ein
Tagelöhner gelebt: eine Handvoll Stroh auf den
Steinen ist mir genug, so schlaf ich; und ein Anzug
aus Leder, ein wenig Speck aufs Brot.

Violäne: Armer Peter!

Peter von Ulm: Nicht deshalb bin ich zu
beklagen; wir stehn abseits.

Ich lebe nicht in einer Ebne mit den andern;

immer unter der Erde mit den Grundbauten oder
im Himmel mit dem Glockenturm.

Violäne: Nun also! Das wäre eine schöne
Ehe geworden! Will ich auf den Dachspeicher
hinauf, wird mir schon übel vor Augen.

PetervonUlm: Diese Kirche nur wird mein
Weib sein, diese, die mir in meinem Schmerzens-
schlaf aus der Rippe wachsen wird wie eine stei-
nerne Eva.

O fühlt ich doch bald mein weites Werk unter
mir auferstehn, o berührt ich doch schon mit Fin-
gern dies unzerstörbar von mir Gefügte, ein Gan-
zes, zusammengeschlossen aus all seinen Teilen,
dies wohlgefestigte Werk, das ich schuf aus har-
tem Gestein, damit dem Urquell seine Fassung
werde, mein Werk, die Wohnung Gottes!

Ich werde nicht mehr niedersteigen! Ich bins,
hundert Fuß über dem viereckigen Pflaster, ich,
auf den dann ein dichtgedrängter Mädchenschwarm
mit ragendem Finger hinaufweist!

Violäne: Man muß doch wieder hinunter.

Vielleicht bedarf ich eines Tags Eurer Hilfe.

Peter von Ulm: Lebt wohl, Violäne, liebes
Herz, ich seh Euch nicht wieder!

Violäne: Wer kann sagen, ob Ihr mich nicht
mehr wiederseht?

Peter von Ulm: Lebt wohl, Violäne!

Wie viel hab ich getan! Wie viel bleibt mir
zu tun noch übrig!

Und Wohnstätten, wie viele noch zu voll-
bringen,

Und Schatten Gottes!

Nicht die Stunden eines Stundenbuches, son-
dern die wahrhaftigen eines Domes, dessen un-
unterbrochener Sonnenschein alle Dinge belichtet,
beschattet!

Ich trage mit mir Euern Ring,

Und aus diesem kleinen Rund will ich eine
Goldsaat entflammen!

/ Gott gebot der Sintflut, zu verweilen / so heißt
es im Taufpsalm,

Und ich nun werde an den Wänden der Justitia
das Morgengold festhalten!

Es wechselt das westliche Licht, nicht aber
wechselt jenes, das ich unterm Gewölbe verkläre,

So wenig wie das der menschlichen, geistlich
erleuchteten Seele.

Die Seele meines Kindes Violäne, an der ich
mein Wohlgefallen habe.

Es gibt Kirchen, die wie Abgründe sind, und
andre sind wie glühende Oefen,

Und andre sind so genau berechnet und so
kunstvoll gespannt, daß sie tönen müßten unter
dem Finger.

Die aber ich aufrichten will, wird in ihrem eig-
nen Schatten wie verdichtetes Gold stehn und wie
eine Büchse Manna!

Violäne: 0 Meister Peter, das schöne Glas-
fenster, Eure Gabe an die Mönche von Corwey!

Peter von Ulm: Die Glasmalerei ist nicht
meine Sache, obzwar ich sie einigermaßen kenne.

Doch vor das Glas stellt der Baumeister plan-
mäßig weise

Das Steingerüst hin wie ein Filter mitten hin-
ein in die Wellen des göttlichen Lichtes

Und gibt dem ganzen Bauwerk das Wasser
einer Perle.

(Mara ist eingetreten und sieht sie, ohne ge-
sehn zu werden)

Und jetzt lebt wohl, die Sonne ist aufgegangen,
ich sollte schon weg sein.

Violäne: Lebt wohl, Peter!

Peter von Ulm: Lebt wohl, Violäne!

Violäne: Armer Peter!

(Sie blickt ihn mit Augen voll Tränen an und
reicht ihm zögernd die Hand; während er sie in
der seinen hält, beugt sie sich nieder und küßt ihn.
— Mara macht eine Gebärde des Erstaunens
und verschwindet. — PetervonUlm und
Violäne entfernen sich, jeder nach einer andern
Richtung.)

Nach der französischen Dichtung deutsch von Hegner
/ Die ganze Dichtung erschien als Buch im Hellerauer
Verlag j Hellerau bei Dresden 1913

La Tour

1910

Castellamare

Je dinais d’une orange ä l’ombre d’un oranger
Quand, tout ä coup,

Ce n’etait pas l’eruption du Vesuve
Ce n’etait pas le nuage de sauterelles, une des
dix plaies d’Egypte
Ni Pompei

Ce n’etait pas les cris ressuscites des masto-

dontes geants

Ce n’etait pas la Trompette annoncee
Ni la grenouille de Pierre Brisset
Quand, tout ä coup,

Feux

Chocs

Rebondissements

Etincelle des horizons simultanes
Mon Sexe

O Tour Eiffel!

Je ne t’ai pas Chaussee d’or

Je ne t’ai pas fait danser sur les dalles de cristal

Je ne t’ai päs voue au Python comme une

vierge de Carthage

Je ne t’ai pas revetu du peplum de la Grece
Je ne t’ai jam'ais fait divaguer dans l’enceinte

des menhirs

Je ne t’ai pas nomme Tige de David ni Bois

de la Croix

Lignum Crucis

O Tour Eiffel!

Feu d’artifice geant de l’Exposition Universelle!

*

Sur le Gange
A Benares

Parmi les toupies onanistes des temples hindous
Et les cris colores des multitudes de l’Orient
Tu te penches, gracieux Palmier!

C’est toi qui ä l’epoque legendaire du peuple

hebreux

Confondis la langue des hommes
O Babel!

Et quelques mille ans plus tard, c’est toi qui retom-
bais en langues de feu sur les Apötres ras-
sembles dans ton eglise.

En pleine mer tu es uh mät
Et au Pole-Nord

Tu resplendis avec toute la magnifiscence de
l’aurore boreale de ta telegraphie sans fil!
Les lianes s’enchevetrent aux eucalyptus
Et tu flottes, vieux tronc, sur le Mississipi
Quand

Ta gueule s’ouvre

Et un cai'man saisit la cuisse d’un negre!

En Europe tu es comme un gibet

(Je voudrais etre la tour, pendre ä la Tour Eiffel!)

Et quand le soleil se couche derriere toi

La tete de Bonnot roule sous la guillotine!

Au coeur de l’Afrique c’est toi qui cours

Giraffe

Autruche

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