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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 180/181 (Oktober 1913)
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Herczeg, Franz: Heldensage
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Hoeber, Fritz: Das Musikalische in der Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0111

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Ein alter Fischer, der eben am Strande lun-
gerte, warf sich vor den landenden Fremden auf die
Knie. Er wußte, daß diese Männer aus den steiner-
nen Städten am Ostufer kamen. Unruhig war ihr
Blut, gewaltsam und listig ihre Sinnesart; furcht-
los befuhren sie die Meere, hungernd nach Kriegs-
beute und achtlos des Menschenmordes. Einige
von ihnen, die Stärksten und Kühnsten, behaupten,
daß sie Qöttersöhne sind.

Der kupferbehelmte Mann, der die Sprache der
Inselbewohner kannte, fragte den alten Fischer, ob
er schon von dem Stiergott gehört habe, der sich
von Menschenfleisch nährt?

Wie sollte ich nicht von ihm gehört haben,
mein Gebieter — erwiderte der Alte. Ist er nicht
unser Gott und haust auf unserer Insel? Alljähr-
lich gebührt ihm ein Weib und eben heute soll er
sein Opfer erhalten.

So sind wir am rechten Ort! — rief freudig der
Jüngling und faßte nach einem mächtigen Streit-
kolben und einem kurzen Schwert. Dann befahl
er dem Alten, ihn und seine Gefährten zur heiligen
Höhle zu geleiten.

Vor der Höhe fanden sie einige hundert Leute
am Bauche liegen, während der langbärtige Prie-
ster heilige Gesänge sang und mit seltsamen Tanz-
sprüngen das Opfer vorbereitete. Drunten, in der
Tiefe, brüllte das Ungeheuer ungeduldig.

Mit geschwungenem Streithammer trat der Be-
helmte vor dem Priester. Du, rief er ihn an, rufe
Deinen Gott und sage ihm, daß ich mit ihm käm-
pfen will!

Entsetzt erhob der Priester seine Hände.

Zurück, Gotteslästerer! Willst Du, daß der Stier-
gott in seinem Zorn unsere Insel vernichtet?

Da faßte der Jüngling den Priester bei seinem
Bart und schleifte ihn aus der Höhle. Die Menge
aber floh schreckensvoll nach allen Richtungen.

Die Fremden besetzten das Felsentor und der
Jüngling trat allein in die heilige Höhle. Ohne sich
um das gebundene Weib zu kümmern horchte er
aufmerksam auf das Gebrüll des Ungeheuers. Auf
seinem Fuchsgesicht zeigte sich abwechselnd Be-
troffenheit, Verwunderung, Verdacht und Ver-
achtung.

Dann rief er seinen Gefährten zu: Bringt eine
Fackel!

Einer seiner Mannen, ein Greis mit lockigem
Bart, hielt ihn am Schwerte fest.

Willst Dü wirklich in die Höhle, Herr?

Der Kupferbehelmte nickte stolz.

Wenn es wahr ist, daß ich des Zeus Enkel bin,
werde ich das Ungeheuer besiegen.

Vorsichtig leuchtete er mit der Fackel in die
dunkle Tiefe. An der Wand des Absturzes hatte
das Wasser Furchen gegraben, so daß man leicht
herabklettern konnte. Langsam stieg der Jüng-
ling hinunter. Der Boden des Abgrundes war mit
Skeletten bedeckt, den Überresten der Opfer des
Stiergottes. Unten mündete ein dunkler Gang, in
dem sich das Toben des Ungeheuers vernehmen
ließ. Mit fahlem Gesicht und zusammengebissenen
Zähnen, aber mit zäher Entschlossenheit, kroch der
Abenteurer weiter in der Richtung des schauer-
lichen Getöses.

Plötzlich umwehte eisige Kälte sein Gesicht. Die
Fackel flackerte in seiner Hand auf und erlosch.
Ein blindes Dunkel umklammerte ihn und er fühlte
erbebend, daß der Berg sich um ihn schwindelnd
drehte und ihn mit dem Riesengewicht seiner Fel-
sen zu erdrücken drohte. Aber es geschah nichts.
Als sein Auge sich an das Dunkel gewöhnt hatte,
sah er ein bläuliches Licht schimmern. Mechanisch
ging er weiter und stand bald am Rande eines klei-
nen unterirdischen Sees, dessen Wasser azurblau

strahlte. In der Wand der Höhle befand sich ein
kleiner Kanal, der ins offene Meer führte. Dort
kochte und toste das vom Südwind aufgepeitschte
Wasser und die Felsengänge verstärkten den Laut
zu donnergleichem Getöse.

So erkannte der Fremde mit einem Schlag das
Geheimnis des Stiergottes. Der schmerzhafte
Druck, den er auf seinem Herzen gefühlt hatte,
wich mit einem Male und erleichterte sich in
einem gewaltigen, die Felsengründe erschütternden
Gelächter. Dann untersuchte er die Öffnung des
Kanals und fand bald, daß er sie ausfüllen könnte.
Es gab genug große Steine und roten Ton da unten.

*

Die da oben, die fremden Schiffer und die Ein-
wohner der Insel, horchten mit eingehaltenem
Atem. Der Stiergott mußte heute in gewaltigem
Zorne toben, seine Stimme war eitel Blutdurst.
Jetzt, — wie er auffuhr — er witterte schon den
kühnen Eindringling!

Zitternd sanken alle in die Kniee. Das Brüllen
des Ungetüms war ihnen das Sinnbild einer unbe-
siegbaren Kraft, eines alleszerschmetternden
Zornes.

Nein, kein Sterblicher konnte sich mit diesem
Gott messen.

Aber jetzt — das Kriegsgetümmel erstarb zu
furchtsamem Röcheln, zu schmerzlichem Stöhnen.
Das war das langsame Hinsterben eines geschlach-
teten Gottes! Noch ein Seufzer. Dann nichts
mehr.

Ungeheure Aufregung bemächtigte sich der
Schiffsleute.

Es sollte möglich sein?

Stunden gingen hin. Mit einem Mal tauchte
ein funkelnder Helm aus der Tiefe. Der Held er-
schien — unverwundet, mit stolzer Ruhe, ein böses
Lächeln um die spöttischen Lippen trat er aus der
Höhle.

Es ist vollbracht!, sprach er mit machtvoller
Stimme. v

Ich habe den Gott getötet ....

Jubelnde Freude durchtost die Menge.

Ein Gott ist unter uns — ein Gott-Befreier.
Er hat den Stiergott erlegt, den Weiberverschlin-
genden.

Die Schiffer sinken nieder und umarmen die
Knie ihres Gebieters. Die Fischer küssen die Spur
seiner Füße. Der Held aber wirft jetzt den ersten
Blick auf das gebundene Weib, ihr bleiches Ant-
litz ist von schamhafter Röte übergossen.

Löst ihre Bande, sagt der Behelmte, sie ist
mein . . .

Autorisierte Übersetzung aus dem Ungarischen
von Valentin Teirich

Das Musikalische in
der Architektur

Dr. Fritz Hoeber

Architektur ist gefrorene Musik
August Wilhelm Schlegel

Stil kann die Zusammenstimmung der ver-
schiedensten Elemente im Kunstwerk bedeuten.
Denn wenn man von Materialstil oder von Zweck-
stil oder Formenstil usw. spricht, meint man jedes-
mal hiermit das betreffende Element in seiner
künstlerisch dominierenden Stellung: Bei dem Ma-
terialstil ist das Material als Grundlage der Gestal-

tung gegeben, nach der sich alle übrigen Faktoren
im Kunstwerk zu richten haben. Ist jedoch der
Zweck vorausgesetzt, so müssen auch die übrigen
Elemente, wie die Formen und das Material und
alle Gefühlsinhalte, sich ihm als gleich „zweckvoll“
anschmiegen. Der Formstil endlich ordnet alles
übrige unter den Eigenwillen einer bestimmten
Formensprache und schafft so rein idealistische
Schönheiten.

Unter Stil versteht man aber auch noch ein
anderes inhaltliches Verhalten, das des Zeitstils zur
Zeit. Wie gesagt, ist das die Postulierung eines
Inhaltes: der Stil soll Ausdruck seiner Zeit sein.
Hierbei taucht nur die Frage auf, ob dieser Aus-
druck sich im Gleichklang oder als ein Komplement
zu seiner Zeit befindet, konkret ob die moderne
Geschäftigkeit oder ihr Gegenteil, die in sich be-
friedete Beruhigung, der Kunst ihr charakteristi-
sches Zeichen aufdrückt. Tatsächlich bestehen
denn auch in unserer Gegenwart zwei solche Strö-
mungen nebeneinander, einerseits der Impressio-
nismus des modernen Lebens und andererseits eine
Formkunst, die in gewisser Abgerücktheit von je-
nem die Dauer im Wechselvollen betont. Große
Künstler vereinen sogar nicht selten beide Stil-
richtungen, ohne daß in Wirklichkeit ein Wider-
spruch darin für sie bestände.

Deshalb scheint dieses zeitinhaltliche Prinzip
auch nicht allgemein und eindeutig genug zu sein,
um den höchsten Sinn des Stiles zu definieren.
Und ebensowenig der Persönlichkeitsstil, die indi-
viduelle Note, die das Werk eines Künstlers als
Einheit zusammenbezieht, schon darum, weil sie
nach außen hin als trennend und für sich absondernd
wirkt. Auch muß in den Werken der Nutzkunst,
in der Architektur und im Kunstgewerbe, das
eigenmächtig andersgeartete Kunstwollen des
Schöpfers zurücktreten, schon aus der spezifischen
Stilrücksicht auf das jeweilige Komplement der
Schöpfung, den Menschen zu dessen Dienst jene
Werke der Nutzkunst gestaltet werden. Und die
Verschiedenartigkeit dieser Abstimmungssubjekte,
der Menschen mit den mannigfachsten Daseins-
bedingungen, ist in ihrer widerspruchsvollen Di-
vergenz wohl nicht erst zu beweisen.

Jedes einzelne dieser nur partiellen Einheits-
momente hat man oft schon als das allein gültige
Kriterium des „Stils“ ausgerufen. Wie es damit
bestellt ist, wurde dargetan, und die Unmöglichkeit,
ein formales Einheitsprinzip für Architektur und
Kunstgewerbe zu finden, läge offenbar, wenn nicht,
gerade in jüngster Zeit, für diese Künste ein um-
fassenderes Stilgesetz in der Forderung der „räum-
lichen Gestaltung“ aufgestellt worden wäre. Es
ist bekannt, welche ungemeine Verbreitung diese
Forderung, die sich ursprünglich auf den kleinen
Kreis von jMarees, Fiedler und Hildebrand be-
schränkte, in der heutigen Kunstbetrachtung erlangt
hat: Wie hat sie nicht nur die Anschauungen in

der Architektur, sondern sogar in den eigentlichen
Bildkünsten in Bann genommen! Einer solchen als
Allerweltsmittel verwandten Theorie gegenüber
erscheint stets eine gewisse Vorsicht und nachdenk-
liche Zurückhaltung geboten, und so sei denn hier
kurz untersucht, in wie weit sie diese universelle
Geltung als höchstes Stilprinzip wirklich bean-
spruchen darf. —

Der Raum ist zweifellos das Material der
Architektur. Ob er freilich ausschließlich 'den
künstlerischen Eindruck bestimmt und wie weit der
Raum als solcher überhaupt in der Gefühls-
dominante im bildenden und im tektonischen Kunst-
werk steht, wird diskutabel bleiben. Denn der
Satz Adolf Hildebrands „Alle Erscheinungen be-
deuten nur Ausdrucksbilder unserer räumlichen

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