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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 166/167 (Juni 1913)
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Walden, Herwarth: Kritiker
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [6]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0057

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die Würdigkeit Roethes und Schlenthers als Nach-
folger Schmidts bewiesen. Aber Roethe muß es
werden. Denn Herr Schlenther ist bereits ver-
geben. Er wurde Nachfolger Felix Philippis als
Beschreiber des Frühlings in Bad Kissingen. Was
weiß man von Philippi? Der Nachfolger: „Wie

man weiß, ist er mittlerweile auf den Rigi gereist.“
Das weiß man und man erfährt noch von dem
Nachfolger, daß weder Bismarck noch Menzel
„sich bei Einheimischen und Fremden einer solchen
Volkstümlichkeit freuen konnten wie jetzt Philippi,
unser glücklicher Felix.“ (Für Neuphilologen: der
Geistes funke „glücklicher Felix“ ist originaliter
nicht Herrn Schlenther nachzuschreiben. Das
letzte Mal verspritzte ihn vierzehn Tage vorher
gleichfalls im Berliner Tageblatt die konfektions-
begeisterte Feuerseele des Herrn Doktor H. H.
Ewers: „ . . . glücksfrohen Händen schmiegt,
Felix, leicht die schönste Frucht sich ein.“) Den
ungebildeten Lesern dieser Zeitschrift, die Philip-
pis Nam und Art nicht kennen, muß gesagt werden,
daß dieser Vorfahre Schlenthers seine Volkstüm-
lichkeit einem Feuilleton über Kissingen im Ber-
liner Tageblatt verdankt. Herr Schlenther teilt
das mit. Ferner, daß Philippi wie Goethe dichtet.
Wirklich: „Dat Swin, der Goethe, hat uns alles
weggedichtet, klagte mir einmal beim Nachtschop-
pen auf gut Mecklenburgisch Heinrich Seidel; aber
indem er lästerte, lag in seinem Dichterauge ein
Glanz des Glücks, Goethe zu besitzen. So geht
es auch mir! Nein ich werde Felix Philippi nie be-
beneiden. Dankbar und bescheiden trolle ich seine
Wege nach.“ Und weiter: „Trotzdem fällt mir
mancher Roman auf, der sich unter ihnen abspielt,
und dann bedaure ich, daß kein Philippi mehr da
ist, der daraus ein Drama schmieden könnte.“
Also dichten will Herr Schlenther durchaus nicht.
So gebe ich ihm den Rat: da er nicht Nachfolger
von Philippi und Schmidt werden kann, so werde
er Philippis Schmidt.

Der deutschvölkische Brennpunkt

Steglitz ist der Brennpunkt einer neuen deutsch-
völkischen Sonne. Das Blättchen will „durch Her-
ausgabe der Sonne dem deutschvölkischen Leben
einen neuen Brennpunkt und damit unsern
Kampfgefährten eine neue Waffe geben.“ Man ist
außerdem „in der Lage, der eigentümlichen Auf-
gabe eines weltstädtischen Blattes die wichtigsten
Tagesereignisse in eine interessante Beleuchtung
zu rücken, voll und ganz gerecht zu werden.“
Die deutschvölkische Sonne pflegt immer die Be-
leuchtung voll und ganz zu verrücken, selbst wenn
ihr Brennpunkt in der Weltstadt Steglitz liegt. Ein
Strahl deutschvölkischer Gesinnung in der ange-
zeigten „vornehmen und packenden Art“: „Hier
eine Anmerkung für den schriftstellernden Kolle-
gen. Die vorstehend geübte Kunst, durch mehr-
malige Wiederholung des Prädikats aus einem
Satz drei zu machen, erweist sich, wie man sieht,
als ein ganz probates Mittel zur Erhöhung der Zei-
lenzahl. Dabei wird auch noch der Stil geglieder-
ter und die Spannung gesteigert. Also probatum
est!“ Dieses deutschvölkische Blatt also wird den
Kampf gegen den „Jüdischen Geschäftsgeist“ er-
öffnen. Die Zeile zehn Pfennig. Zugleich damit
den Kampf gegen die moderne Literatur und
Kunst. Den hat der total verkalkte Herr Blüthgen
übernommen. Die Moderne vernichtete die Keusch-
heit und die Treue, sie brachte den Kultus der
Nacktheit und des Geschlechtsgenusses, sie ist ein-
fach Pornographie, jammert Herr Blüthgen. Die
Moderne hat keinen Humor, sagt er, sie hat Witz,
Satire, Bosheit, aber keinen Humor. Wie gedichtet
werden muß, um der besseren klassischen Zeit ge-
recht zu werden veröffentlicht die Steglitzer
Sonne (die Nummer 10 Pfennig, auch in Berlin bei

jedem deutschvölkischen Zeitungshändler zu be-
ziehen) einige Gedichte. Das eine verfaßte der
Kaiserbedichter der Woche Herr Eugen Stangen.
Er hat endlich den Humor wiedergefunden, den
Herr Blüthgen in der „Moderne“ vermißt:

Busen bubbern wie die Quallen,
und der Paul stupst die Marie:

,,Wa’?—det scheenste doch von allen
is ’ne richtje Waldpartie?!“

Was im weiten Weltgetriebe
beinah’ gänzlich sich verlor,
lebt noch in Berliner Liebe,
nämlich: — „Goldener Humor!“

Nun noch eine Probe deutschvölkischer Lyrik
von einem Herrn, der sogar Volker heißt:

Ich möcht deine Lippen fühlen

Auf meinem heißen Mund

Und die Rosenknospen, die kühlen,

Küssen von Herzensgrund.

Möcht träumen in deinen Armen
Vergessen, was mich verdrießt,

Möcht dein Herz an dem meinen erwärmen,
Bis du über und über erglühst.

Dieser Volker fühlt Heines Lippen auf seinem
deutschvölkischen Mund.

Und diese Leute beschützen die Sittlichkeit und
die Kunst. Zwar wird diese Sonne nie scheinen.
Aber kein Funke ist zu gefahrlos, als daß man ihn
nicht zertreten müßte.

H. W.

Die Schwermut des
Genießers

Roman

Von Artur Babillotte

Fortsetzung

Das Thal hüllte sich in graublaue Schleier.
Der Rauch, der aus den Kaminen stieg, schien
dichter und zäher zu sein als an sonstigen Tagen,
als sammle sich an dem letzten Tag alle Sorge,
alle Arbeit, alle Mühe und Not der vergangenen
Woche und lege sich über die Häuser und Straßen,
über die Felder und Wiesen. Auch auf ihnen war
die Arbeit die Herrscherin gewesen. Nur die
Schornsteine der großen Fabrik lagen still und
tot, kein Atem drang mehr aus ihren weitoffenen
Mündern, die zum Himmel starrten; zur Feier des
letzten Wochentages waren sie zwei Stunden
früher als sonst still und leblos geworden. Die
aber, die ihnen Leben gaben, hatten sich in alle
Richtungen zerstreut, waren zu ihren Familien
oder in die Kneipen oder in den geruhsamen Abend
gegangen.

Die Stadt lag geduckt unter den Rauch-
schichten. Man sah nur den Frieden des Schlafes,
die erschreckende Ruhe und fühlte sich in die
schlaffe Zeit der Urgroßväter zurückversetzt, in
diese ungesunde gute alte Zeit voll Gleichgültigkeit
und beharrender Unkraft. Es erschienen die
spitzen Giebel alter Häuser, die breiten Glocken-
töne des Angelus, durchdrangen siegreich die
Rauchschicht und legten sich darüber. Die Berge
verloren ihre schroffen Linien und Formen, wurden
weicher und gemütlicher, sahen aus wie Menschen-
köpfe mit großen Zipfelmützen. Der Hauch, den
prunklose einfache Zimmer ausströmten, erfüllte
die Luft; überall roch es nach Lavendel und Mo-
schus. Und in kleinen Zimmern gingen wohl alte

zierliche Dämchen, mit Häubchen auf den
schlichten weißen Haaren und unzähligen Furchen
in den kleinen Gesichtern, hin und her, streichelten
mit kleinen feinfingerigen Händen Nippsachen aus
Meißner Porzellan und lächelten in heimlichem
Glück. Alte Stutzuhren standen wie zugeknöpfte
Diplomaten an den Wänden und räusperten sich
jedesmal mit pathetischer Umständlichkeit, bevor
sie zum Schlag ausholten.

So konnte die Phantasie irreführen! Da unten
brausten die Leidenschaften starker Klassengegen-
sätze, quirlte der Unrat nüchterner Fehden. Diese
kleine Stadt, die friedlich im Thal lag, barg gä-
rende Ideen in ihren Mauern. Der Drang der
Menschen, emporzukommen, stark zu werden,
mächtig zu werden, die andern zu beherrschen,
lebte auch in dieser Stadt. Das Leben eines jeden
folgte dem Nützlichkeitsprinzip; das Faustrecht
war abgeschafft, aber heimlich übten es noch alle.
Nur wenige gehörten dem Mittelstand an; einige
Krämer, die kleinen Beamten der staatlichen Ein-
richtungen. Wie überall herrschte auch hier Haß
gegen die Mächtigen und Begüterten. Denn diese
Mächtigen und Begüterten legten ihren Gelüsten
keine Zügel an. Die Vornehmen betrachteten den
Reichtum als Mittel zur Verfeinerung der starken
Persönlichkeit. Die andern schlemmten und ver-
achteten die Parias, ohne besser zu sein als sie.
Die Parias aber hatten das Blut eines trotzigen
Zeitalters in den Adern; durch ihre Gehirne war
der erste Strahl der Erkenntnis gezuckt. Und es
fehlte nicht an Männern, die diesen Strahl in dem
Prisma ihrer schlauen Berechnung auffingen und
zu ihren Gunsten verwendeten. Redakteur Todt
war der gefährlichste unter ihnen. Sie nannten
sich Sozialdemokraten, obwohl ihnen das Wohl
des Volkes erst in zweiter Linie am Herzen lag.
Sie hetzten gegen die Reichen und benutzten be-
sonders das Konservatorium, um die Arbeiter auf-
zuhetzen. „Seht, wie diese Reichen sind!“ sagten
sie. „Euch schinden sie, daß euch das Blut unter
den Nägeln hervorquillt —: Seht, wie verdorben
sie sind! Selbst die Musik verfeinern sie, daß
sie ihre zerrütteten Nerven kitzeln soll.“ So ver-
folgten diese Führer des Volkes die Kunst, der in
dieser Stadt von echten Künstlern geopfert wurde.

* * *

Johannes stand an der Brüstung der Veranda
und sah hinab auf die rauchverhüllte Stadt. Die
Fieberflamme des Genusses war erloschen. Mit
tiefer Wehmut dachte er über die letzten lauten
Stunden nach und bereute sie. Sie erschienen
ihm wie ein leerer Raum, den er durch seine Ge-
staltungskraft mit schöner Buntheit hätte füllen
können. Alle die Worte in diesen leeren Stunden
erschienen ihm als ein sinnloses irres Gestammel.
Er fühlte die Nähe der Geliebten und verabscheute
sie in diesem Augenblick.. Als ob er ein Unrecht an
ihr gutzumachen hätte, ging er zu ihr hin und
küßte ihre weiche Hand. Wie sie abwesend
lächelte. Da ließ er sie und kehrte zurück zum
Anblick der abendlichen Stadt. Er hörte die
Stimmen der streitenden Männer hinter sich und
empfand ihre Unschönheit in der geruhsamen
Stille des Thaies doppelt stark. Er litt unter dem
Andrang dieser lauten erhitzten Stimmen, die ihm
in die Seele zu schreien schienen, daß er selbst
unschön und gewöhnlich gewesen sei. Die Stunde
kam, da sich ihm ein neues Werk eröffnete. Er
meinte, unter diesen erbarmungslosen Anklagen
zusammenbrechen zu müssen, ein Besiegter.
Tränen stiegen ihm in die Augen; er litt tief. Sein
Organismus begann, zu zittern. Die Finger lösten
sich aus der Starrheit, in der er sie halten wollte,,
und tänzelten in der Luft. Die Musik einer
schmerzlichen Reue strahlte durch sie aus, ver-
sprühte in den freien Raum und vermählte sich

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