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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 196/197 (Erstes Februarheft)
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Hatvani, Paul: Volkskunst
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Bommersheim, Paul: Hochzeit
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Taut, Bruno: Eine Notwendigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0177

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Volkskunst

Paul Hatvani

Volkskunst entsteht, wo die sozialen Probleme
noch in ihrer ersten Reinheit bestehen: doch ist
Kunst das einzige soziale Problem: der Dichter
spricht zum Volke. Das ist anders geworden, und
seitdem Differenzierung und Verflachung des na-
tionalen Denkens das Volk selbst zum Problem ge-
macht haben, ist der Künstler dem freierwählten
Exile der Einsamkeit verfallen. Und diese Ein-
samkeit ist jeder Gemeinschaft abhold; der Künst-
ler entflieht dem Volke, das einst die höhere Ein-
heit war und seinem Künstler Spiegel und Wider-
hall bieten konnte. Die Einheit, die ihn schuf, und
die er bildete; die ihn bildete und die er schuf.

Nun hat der Künstler das Volk verlassen. Die
Kunst — zu Gott gesteigerte Menschlichkeit —
konnte dabei nichts erleiden; aber es ist ein tie-
fer Zusammenhang entstanden, der in jeder Ge-
meinschaft eine Gelegenheit des Geschlechtes
sieht. Im Denken gegenwärtiger Geister ist die
Idee der Nation dem Begriff „Menge“ gewichen,
und diese Menge weiß sich selbst als Schauplatz
sexueller Ereignisse. Das Geschlecht ist das Ein-
zig-Unsterbliche in ihr und nach allem Vergäng-
lichem — nur ein Gleichnis! — bleibt die Idee.
Der Denker schafft im Widerspruch zum Ge-
schlecht: die Wandlung der Nation zur Menge
stellt diesen Widerspruch in das Licht der sozi-
alen Problems. Hier ist der Ursprung der indivi-
dualistischen Forderungen in der Kunst zu suchen;
und daran starb die Volkskunst.

Volksdichtung ist Vergangenheit, zu der es
keine Gegenwart gibt. Die Selbstverständlich-
keit, mit der man heute jede Erscheinung von
Dichtung und Kunst empfängt, raubt der echten
Volkskunst jede Voraussetzung: Ergriffenheit und
Begeisterung, Mitgefühl und Verständnis. Das,
was man heute — um Verwechslungen zu ver-
meiden, sei es hier gesagt — „Heimatskunst“
nennt, hat mit Volkskunst nichts zu tun; Heimats-
kunst ist nur ein Ausfluß von beschränkter Wir-
kungskraft, die, anstatt zur Menge zu sprechen,
es freiwillig vorzieht, in politisch — aber nicht
anders! — begrenzten Gebieten zu bleiben.

Volkskunst aber ist das Gegenteil davon. Sie
dringt über den Einzelnen hinaus; sie wendet sich
höher zur Idee, ohne an ein Publikum zu denken.
Eben diese Idee ist die erste Voraussetzung zur
Volkskunst.

Man hört viel von „nationaler Sendung“ reden;
sicherlich bedarf dieser Begriff —■ wenn man zu-
gibt, daß die Bedeutungen, die hinter diesem
Worte liegen, einen Begriff zusammensetzen —
einer klärenden Interpretation.

„Nationale Sendung“ ist ein Element einer
höheren metaphysischen Einheit; es ist ein
Wunsch; ein Symbol; die umschließende Summe
aller jener Ziele, die ein Volk erreichen müßte, um
den andern Völkern gleichwertig zu sein oder zu
scheinen. Die es erreichen kann, wenn es nur
ist in dem, worin es sich von andern Völkern
unterscheidet! Es gilt ja keine eigentliche „Mis-
sion“: erst das historische Geschehen ist eine
Interpretation für ein verhülltes Etwas, das nur
dem Einzelnen offenbar werden kann. Und dieser
erleuchtete Einzelne hat das Resultat seiner
Interpretation — es ist intuitiv, seine Vision —
zu verkünden: in höchster Vollendung ist er

Religionsstifter, in der einfachsten Form
vielleicht der ideale Politiker, der Volkstri-
b u n, (wo „Politiker“ allerdings ein in jeder Be-
ziehung reiner Begriff sein soll). Und irgendwo
zwischen diesen, beiden, hat auch der Volkskünst-

ler seinen Platz, wobei zu bemerken ist, daß dies
freilich nur formal und nicht einmal äußerlich ge-
dacht ist.

Historische Entwicklung, jeden Künstler zum
Haß der Menge zwingend, ist Schuld am Verfall
der Volkskunst. Nur Völker, die noch sehr am
'Anfänge jener systematischen Zersetzung stehen,
die uns als sozialer Fortschritt angepriesen wird,
haben noch die Kraft dazu. Und den Mut, —
denn der Volkskünstler muß dem stärksten In-
haltswerte des Künstlers entsagen: der Per-
sönlichkeit. Dort, wo in unserer Zeit Kunst
ist, ist Persönlichkeit; dort, wo Volkskunst sein
sollte, fehlt der Weg, der über Persönlichkeit hin-
ausführt: der Glaube an die Idee des Ganzen,
der Glaube und die Hoffnung, daß auch dem Teile
Erlösung werden kann im Ganzen. Längst sind
die Zeiten vergangen, die so verheißen durften!
Seitdem es aber eine soziale Entwicklung gibt,
flieht die Kunst das Volk und zieht sich in die
Persönlichkeit zurück.

Volkskunst aber ist für den wahrhaften Künst-
ler der Gegenwart Mythos und Religion. Er baut
sich neue Hoffnungen daraus und schafft — trotz
der Welt, die ihn schuf — eine Welt, die ein
Gleichnis des Erschaffenen ist.

Hochzeit

Schasana zum Geschenk

Um unsre Füße braust das Meer,

das große, wundervolle Meer, Nachtrneer.

In unsere Wiege saust ein Sterneschein.

Um unsre Schöße plätschert der Wellenschlag.
Leben plätschert funkelnd von Schoß zu Schoß,
Leben von Brust zu Brust . . . Schasana!

Schasana!

Schasana, blaue Blüte!

Von aller Welten Feuern bunt umloht!

Aus jedem Blute, das in Menschen unruht,
machen sich Flammen auf, herauf, herauf.

Und alles Sehnen brennt an unsre Brust,
das sich aus Einsamkeit verwälzter Betten reckt.
Und von jeder Vermählung schwillt Schauer

über uns hin.

Und aller Erden Nachgraun schaut uns an
mit tiefen, großen, vorgequollenen Augen.

Und alles Schlafeslächeln ruht auf uns
wie .... goldner Mondschein.

*

Und zurück zur Stadt. Und hineingetaucht
in die lebenzitternde Friedrichsträße.

Und es rührt mich an das Vorbeiwehn der

Menschen.

Meine Seele rührt das an.

Meine Seele harrt auf Besuch der Menschen.

Meine Seele zündet viel Lichter an

und glühende Becher ftir allalle Menschen.

Bereit sind die Gaben, rotbunte der Liebe,
auf Tüchern aus warmem Gelb des Vergessens
die Tischdecke streift sie noch eilig glatt.

Meine Seele schließt ihre Tür hell auf,

daß das Leuchten weit in die Nachtstadt fällt.

Und sie ruft es laut in die Straßen aus:

„Herein!

Hier wird Glück verschenkt, wies noch nie

wer besaß.

Denn es wirft wer fort, der ist ganz erfüllt,

Daß ers nicht mehr aushalten kann.

So kommt doch! Kommt!“

Und keiner kam.

*

Aus zwölfhundert Krügen gießt die Nacht Rausch.
Zwölfhundert Purpurengel, sie kredenzen,.

Am Felsentisch, der steigt und steigt und steigt.
Am sternehohen Felsentisch, der steigt, steigt,

steigt,.

Und die Hand um den überschäumenden Krug

und ich stoß ihn an den Steintisch.
Und ich trinke und singe und fülle die Nacht

mit Gesang-

Aus bodenlosem Nachtschoß drunten hebt sich,
aus schwarzem Teppich und Sternensaaten

hebt sich Dampf.

Und Dämpfe umtanzen den Felsentisch:

Gestalten . . . Gestalten . . .

Lider geschlossen. Arme gestreckt . . .

weit . . . tastend ...

und . . . aus meinen Händen bricht es brau-
send aus:

Söhne des Geistes

Paul Bommersheian

Eine Notwendigkeit

Bruno Taut

Es ist eine Freude in unserer Zeit leben, und
wer das nicht fühlt, dem ist nicht zu helfen. Eine
Intensität hat Künstler aller Künste ergriffen, eine
Religiosität, die sich nicht mit weichen Anwand-
lungen begnügen will, sondern nach gesetz-
mäßigen Formen strebt. Die Plastik und die Ma-
lerei finden sich auf rein synthetischen und ab-
strakten Wiegen und man spricht überall von dem
Aufbauen der Bilder. Es liegt dieser Bezeichnung
eine Architekturidee des Bildes zugrunde, eine-
Idee, die aber nicht bloß vergleichsweise zu neh-
men ist, sondern einem Architekturgedanken im
einfachen Sinne des Wortes entspricht. Es geht
eine geheime Architektur durch alle diese Werke
und hält sie alle zusammen. In ähnlichem Sinne,
wie es zu den Zeiten der Gotik sich vollzogen hat.
Die gotische Kathedrale umfaßt ebenso alle Künst-
ler, die von einer wundervollen Einheit erfüllt
waren und in dem Architekturgebilde des Domes-
den klingenden Gesamtrhythmus fanden.

Und die Architektur will diesem Bestreben
entgegengehen. Auch sie ist bei den guten Ver-
tretern mit einer neuen tiefen Intensität erfüllt.
Auch sie möchte bei den großen Arbeiten, die sich
über den wirtschaftlichen Rahmen hinaus er-
heben, zum Ausdruck, zu einer klingenden Rhyth-
mik und Dynamik kommen. Und es ist die gleiche
Tendenz derselben Intensität, die sich bei ein-
fachen wirtschaftlich begrenzten Bauten in dem
Streben nach der denkbar größten Schlichtheit
und dem Erheben der primitivsten Form zum
Symbol äußert. Auch hierin besteht eine Sinnes-
Verwandtschaft mit der Gotik, die in den großen
Werken eine zur Leidenschaft gesteigerte Kon-
struktion und auf der andern Seite das Suchen
nach dem praktisch und wirtschaftlich Allerein-
fachsten und Allerausdrucksvollsten enthält. Es
liegt in dieser Tendenz ein Grad von konstruk-
tiver Intensität, der weit hinausgeht über das
selbstgenügsame klassische Ideal der Harmonie.
Glas, Eisen und Beton sind die Materialien, die,
dem neuen Architekten das Mittel für diese Stei-
gerung bedeuten und ihn über das Gebiet der
bloßen Material- und Zweckarchitektur hinaus-
führen.

Es liegt eine Notwendigkeit in der neuen Kunst,
daß sich dieser Zusammenschluß von Architektur»..

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