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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 173/174 (August 1913)
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Kohl, Aage von: Der schöne Korporal
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0085

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Der schöne Korporal

Von Aage von Kohl

Der Korporal Yoshivara machte Kehrt, wie nur
er es machen konnte, und ging zurück zu seiner
Kompagnie, die an der Waldkante lag.

„Korporal Yoshivara meldet dem Herrn Kapi-
tän, daß ich vom Regiment Erlaubnis bekommen
habe, zu versuchen!“ — sagte er und führte die
langen schlanken Finger seiner Rechten zur
Mütze. Seine Fingernägel leuchteten wie Perl-
mutter in Bronze eingefaßt, und sein Oberkörper
hob sich wie eine ranke schlanke Blume von sei-
nem Ledergurt.

Der Kompagniechef hatte seine Mütze tief in
die Augen gedrückt; er stand breitbeinig, ein dün-
nes kleines Zigarettchen beinahe auf die Unter-
lippe festgeklebt. Der Schatten eines Buchen-
baums machte ihn ganz grün im Gesicht.

„Gut!“ sagte er und lächelte, ohne daß die Zi-
garette sich bewegte. Er ließ seinen Blick über
das schmale Gesicht des Korporals gleiten, dessen
Augen so groß und tief waren mit bläulich durch-
sichtigem Emaille und scharfen gebogenen Wim-
pern. Die Nüstern Yoshivaras vibrierten ein we-
nig und ein kleines Lächeln zeigte die stark roten
Lippen gegen seine weißen Zähne.

„Erlauben Sie, daß ich mich fertig mache, Herr
Kapitän?“ fragte er und wieder huschte das kleine
Lächeln über seine Lippen. Die rechte Hand hielt
er noch an der Mütze.

Der Kapiätn legte seine Hand auf die Schulter
des Korporals und nickte.

„Glück auf!“ sagte er mit kaum verständlicher
Stimme, wie immer wenn er nicht kommandierte,
— „aber vergessen Sie nicht, daß die Kompagnie
einen solchen Unteroffizier wie Sie nicht missen
kann.“

Die großen veilchenblauen Augen Yoshivaras
lächelten.

„Gut, Herr Kapitän!“ sagte er. Und wie vor-
her machte er mit einem schnellen Ruck Kehrt.

Er ging ein paar Schritte seitwärts und
schnallte nachher seinen Ledergurt ab. Die Ka-
meraden schielten nach dem unbegreiflich kurzen
Riemen. Seine weiße Kante zeigte, daß Yoshi-
vara ihn einfach abgeschnitten hatte, was streng
verboten war. Durch die niedrigen Bäume sah
man das Tal unten mit seinem Fluß. Die Sonne
war schon mehrere Stunden auf. Die Kompagnie
lag seit geraumer Zeit auf demselben Platz, jeder
Mann auf seinem Platz in der Schußlinie.

Es war verboten zu sprechen, man hörte nur
hier und dort ein halblautes Kommando der Zug-
führer.

Aber alle in der Kompagnie, Gemeine, Unter-
offiziere und Offiziere starrten, alle ganz betört,
Korporal Yoshivara an, der einige Schritte hinter
der Schußlinie stand und sich auszog.

Er machte die Kravatte auf und warf sie hin
zu dem Ledergurt. Der lag schon zusammen-
gerollt wie eine Giftschlange neben einem Mohn-
busch mit roten giftigen Blumen.

„Ja!“ sagte der dicke Obersergeant Ohashi, der
die zweite Abteilung kommandierte, und der nie-
mals flach liegen konnte wegen seines Magens, er
stieß Sergeant Mennai, der dicht neben ihm lag,
leicht an; „Kannst du verstehen, wie seine
Sachen! Es sieht ja immer aus als wäre alles
ganz neu, nicht?“

Sergeant Mennais Gesicht verriet seine Lust,
immer mit Bosheiten zu kommen, die man doch
nie feststellen konnte. Er schielte hin zu dem
Obersergeanten, dessen Gesicht wie die Sonne in
der Fahne des Bataillons war.

„Die Mädels!“ sagte er und starrte wieder
Yoshivara an.

Der Korporal hatte indessen seinen Waffen-
rock ausgezogen, und die Offiziere lächelten sich
schwach einander zu, Yoshivara hatte nämlich
trotz dem Kompagniebefehl des vorigen Monats
gar keine Spur von Hemd oder so was. Die leicht
bräunliche Haut lag fest um die breiten Schultern
und den schlanken Leib. Die zwei Brustflecke
glichen ganz kleinen flachen Mohnblumen. Er
hob den rechten Arm und drehte sich halb um,
und ein bronzegoldener Schein glitt über seinen
Rücken, wo die Haut zitterte und die Muskeln sich
bewegten.

„Ah, der Schurke!“ sagte der Kapitän zum
Unterleutnant Katomo, der sein Lächeln mit sei-
ner Hand verbarg, „und hier steht er und zeigt
uns gerade ins Gesicht seine niederträchtige Un-
gehorsamkeit!“

„Aber das geht auch bald zu weit mit ihm,

der-!“ fügte er schnell hinzu, und sandte

seinem Leutnant einen scharfen Blick. Aber Ka-
tomo wischte ein bißchen Staub von seiner Uni-
form und lachte halblaut, er kannte die Anfälle
von Aerger, die der Kapitän gegen Yoshivara
äußerte — sie endeten immer mit Begeisterung
und Lob.

„Und dazu seine Mädchengeschichten!“ sagte
der Kapitän und versetzte wieder dem Leutnant
ein paar Augen-„alle seine Mädchen!“

„Ja!“ sagte jetzt der Leutnant und warf
lachend den Kopf zurück, „ganz gewiß bewundern
in diesem Augenblick mehrere paar Mädchenaugen
unseren schönen Korporal!“

Der Kapitän schüttelte sich vor Lachen, und
schlug mit seiner Faust Katomo beinahe zur Erde.
„Ja, darüber würde ich mich auch nicht wundern.
Vielleicht hat ler ein paar im Walde von heute
Nacht versteckt!“

Der Korporal hatte schnell seine Stiefel aufge-
schniirt, und stand jetzt ganz nackt und schlank
in der heißen Sonne.

Er nahm mit einer lässigen Geberde seinen
Ledergurt vom Mohnbusch. Dabei riß er eine
Blume ab, nahm sie, lächelte sein rätselhaftes
Lächeln, das immer nur von Liebe träumte, und
schob den zerbrochenen Stengel unter den Leder-
gurt. Die blutrote Blume glich einem Portepee
auf Yoshivaras linker Seite. Aber dann machte
er mit einmal ein ganz strammes und ernstes Ge-
sicht und schob ostentativ und vorsichtig die
Blume noch ein bißchen. Und er lachte, ausge-
lassen wie ein Knabe. Die Mannschaft lachte
selig und guckte zu den Unteroffizieren hin.

„Na, ein bißchen eiliger, Korporal!“ — sagte
der Kapitän, weil er es nötig fand, ein klein biß-
chen auf Würde zu halten — in Wirklichkeit war
nämlich gar keine Eile — „jetzt los!“ — er nickte.

Yoshivara schlug gleich die Hacken zusammen
und streckte die Arme herunter. Die Sonne fiel
über seine schlanke Gestalt und er glich einer
Statue aus irgendeinem heißen unwirklichen Stoff.
Die weißen Zähne saßen wie ein Opalstrich mit-
ten in dem feuchten Rot der Lippen.

„Gut, Herr Kapitän!“ sagte er. „Gut!“

Er ging einige Schritte und sprang durch die
Schußlinie, leicht und schnell, lief durch die
Bäume, die zwischen dem Lager und der Wiese
standen. Wie auf Kommando schob sich die
ganze Kompagnie, Soldaten wie Offiziere, ohne
eine Sekunde zu zögern, ein halbes Dutzend Ellen
vorwärts, um ihn weiter sehen zu können.

In drei, vier langen Sprüngen nahm er den
steilen sandigen Abhang und erreichte die Wiese.

Es krachte plötzlich und gewaltig von dem an-
deren Ufer, und wie kleine weiße Wolken umgab
ihn der Pulverrauch. Die Russen da oben hatten
ihn gesehen und angefangen, auf ihn zu schießen.

Aber Yoshivara stand einen Augenblick still
und sah lächelnd zuerst hinüber zu den Russen
und nachher zurück zu den Kameraden, denn
ohne es gesehen zu haben, wußte er instinktmäßig
und ohne Ueberlegung, daß die Kameraden sich
so plaziert hatten, daß sie ihn immerzu beob-
achten konnten.

Plötzlich hob er die beiden Arme seitwärts,
bewegte die Hände in Wellenform und fing an,
sich in den Hüften zu wiegen. Er bewegte sich im
Tanz ein oder zwei Minuten. Die Schüsse kamen
näher und näher; die Projektile sausten mit lan-
gen saftigen Klatsch herunter in die nasse Wiesen-
erde. Schneller und schneller.

*

Keiner wußte, ob der Korporal wirklich Yoshi-
vara hieß oder nicht. Der Obersergeant, der
dicke Ohashi, hatte zwar erzählt, daß in den Kom-
pagniebüchern er unter Korporal Fusu Yoshivara
aufgeführt war, aber es brauchte deshalb nicht
so zu sein. Wer könnte auch einen solchen Na-
men haben wollen, wie das Quartier in Tokio?
Konnte man sich das denken, eine Familie sollte
ebenso heißen wie das Quartier, wo die öffent-
lichen Mädchen wohnten!

Aber einerlei. — Der Name paßte- ihm gut, dar-
über waren sich alle einig. Einige behaupteten
sogar, daß er den Namen bekommen habe, weil er
in diesem Quartier von seiner Schönheit lebte.

„Ja, sie werden ganz toll, die Mädels, wenn sie
ihn nur sehen!“ sagte der Obersergeant seufzend.
„So ist es!“

Aber so lange das Regiment — vor dem
Kriegsausbruch — zu Tokio in Garnison lag, wa-
ren auch alle darin einig, daß Yoshivara ein
schlechter Soldat sei.

Gewiß! Er war schön genug, und flink genug
— sogar viel zu viel von beiden. Gerade seine
Schönheit war sein Unglück. Keiner im ganzen
Regiment hatte eine solche Strafliste wie er. Er
war niemals nachts im Lager, nein; und dann
kam er zur Morgenparade und sah aus wie eine
Leiche — gerade wie eine Leiche sah er aus.
Sicher zwanzigmal hatte der Kapitän ihn gestellt.

„Nanu, Korporal Yoshivara!“ sagte der Kom-
pagniechef, legte sein Gesicht in Falten und schlug
mit seinen Fäusten auf den gelben Bureautisch.
„Jetzt ist es wieder verrückt, es ist das vierte
Mal in zwei Monaten, daß Sie nicht zum Morgen-
appell da sind!“

„Es ist] zum dritten Mal, Herr Kapitän, nur zum
dritten!“ sagte der Korporal und sah den Kapitän
mit großen unschuldigen Augen an.

Der Kapitän wurde ganz verwirrt über seinen
Irrtum, im Innern auch sehr froh darüber. „Na,“
er nickte ein paar Mal, seine Stimme wurde aus
lauter Erleichterung ganz kurz, „na ja, dann ist
es ja eine ganz andere Sache, dann habe ich
Ihnen Unrecht getan!“

Aber dann fand er doch, daß der Korporal zu
billig davon gekommen sei, und er beeilte sich,
ein ganz strenges Gesicht zu machen und drohte:
„Aber wagen Sie nicht die Geschichte nochmals
zu machen. Es wird schlimm enden.“

Ab und zu aber mußte der Kapitän doch Yo-
shivara melden, oder ihm eine Strafe auferlegen.
Nachher fragte er immer regelmäßig und hoff-
nungslos: „Willst du mir jetzt versprechen, daß
es das letzte Mal war?“ Er legte seine Hand er-
mahnend auf Yoshivaras Schulter und freute sich
innerlich über diese schöne schlanke Gestalt, an
der er nichts von Rummel, Mädels und Dunkel-
arrest merken konnte. Der Korporal lächelte ein
bißchen und hob die reinen Augen zu seinem Chef
empor. „Gut, Herr Kapitän!“ sagte er dann mit
einem so indifferenten Tonfall, daß es ihn zu gar
nichts verpflichtete.

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