Oratio pro Domo
Trotz der Vielfalt der Erscheinungen, aus denen
die heutige Malerei sich zusammensetzt, scheinen
meine (mit Verlaub) eigenen Bilder noch erfolg-
reich als „abnorm“ betrachtet werden zu können.
Da diese Bezeichnung keinerlei Urteil über deren
Wert enthält, möchte ich sie hiermit zurückweisen.
Auch ist zu konstatieren, daß die Bewußtheit
der bildenden Künstler ein vielfach gefürchtetes,
doch unleugbares Zeichen dieser Zeit ist.
Wenn zugegeben wird, daß die moderne Ma-
lerei nach einer Periode des Realismus sich wie-
der in „dekorativer“ Richtung entwickelt, ist da-
mit noch nicht untersucht, welche Idee in dem
Komplex, der mit diesem Worte angedeutet wird,
die primäre und dominierende ist, der sich die an-
dern unterordnen, und unterzuordnen haben. So
ist es klar, daß in der öffentlichen Kunstbetrach-
tung allerlei Nebenbegriffe den Hauptbegriff bis
zur Unsichtbarkeit umhüllt haben, und da, hier
wie überall, halbe Wahrheiten ganze Irrtümer
sind, ist des Geschwätzes viel. Das unglückselige
Wort „dekorative Kunst“ selbst verdankt einem
solchen Irrtum seine Entstehung; sodaß man jetzt
allerorts annimmt, der Begriff „dekorative Kunst“
beziehe sich ausschließlich auf die „Dekoration“
der Wandflächen. Wie oft wurde Kodier vorge-
worfen, seine Gemälde seien nur als Frescos
denkbar, und als Tafelbilder sinnlos! Es wird auch
der in diesem Sinne unrichtige Gegensatz aufge-
stellt: es sei die „realistische“ Kunst ihrer Erschei-
nung nach Fläche-vertiefend; die „dekorative“
dagegen Fläche-abschließend. Auch wird wohl
„dekorativ“ mit „stilisiert“ identifiziert, indem man
meint, das Charakteristische beider sei eine „Ver-
einfachung“ der Wirklichkeit.
Wenn man den Begriff „dekorativ“ als histo-
risch notwendigen Gegensatz des an sich klare-
ren Begriffes „realistisch“ verwenden will, muß
festgestellt werden, mit welchem bestimmten
wirklichen Verhältnis er sich verbunden hat:
In schärfstem Gegensatz zu einer Kunstübung,
deren Ideal mehr oder weniger das „Loch in der
Wand“ ist, stellt sich in der Geschichte, im; Kleinen
wie im Großen, eine andere (trotz einer steten
Wechselwirkung beider, die verhindert, daß je-
mals eine der beiden sich rein verwirklicht).
Sie sucht nicht den flüchtigen Eindruck des Auges
im Kunstwerk zu beständigen. Sie faßt das essen-
tielle einer unendlichen Anzahl sol-
cher Eindrücke in einem „Bild“ zusam-
men; um so für einen Augenblick die ganze
Vielfalt der Gesichte dieser Welt — die schon
immer die Weisen dem Demiurgos als groben
Fehler angerechnet haben — zur ursprünglichen
Einheit zurückzuzwingen. Wenn das „Sym-
bol“ nicht schon vorher — wie in der Regel —
zur leeren Allegorie erstarrt, entwickelt es
sich zuletzt notwendig zur „Hieroglyphe“,
indem die schematische Abbildung der typischen
Form eines Dinges gleichsam dessen sichtbarer
Name wird (Egypten).
Es sind die „Futuristen“, die, w'as ich eben
„Hieroglyphe“ nannte, als „Ligne-force“ suchen.
Und mancher Futurist ist dieser Verbildlichung
der Wirklichkeit nahe gekommen (Boccioni: „Les
Adieux“). Auch manches Werk der großen kunst-
gewerblichen Bewegung, die der Wiederauf-
lebung der Bildenden Künste voranging, bedeutet
ähnliches.
Der Gegensatz realistischer und (nennen wir
es auch ferner, unter Berücksichtigung des Vor-
hergehenden) „dekorativer“ Kunst ist technisch s o
zu formulieren: der realistische Künstler sieht
was er bildet, der „dekorative“ weiß es. (Schon
die letztvergangene Impressionistische Periode
liefert in dieser Beziehung Beispiele: in wie man-
cher Zeichnung jener Zeit wird eine ferne Wiese,
von der man gewiß keinen Grashalm sehen
konnte, durch viele kleine lotrechte (also gras-
halmförmige) Striche als solche gekennzeichnet,
eben weil Künstler und Zuschauer sich durch dies,
stillschweigend angenommene, Zeichen verstän-
digen konnten.) Damit ist aber durchaus nicht ge-
leugnet — da sei Gott wider! — daß die „deko-
rative“ Kunst nicht visionär sein kann und
muß. Ich will den Zusammenhang beim Schaffen
eines Kunstwerks zwischen Theorie und Intuition
nicht untersuchen, es genügt zu bemerken: das
Bewußte (und jetzt mehr als je) ist eine not-
wendige Grundlage des Werkes, niemals
mehr.
Aber einem Künstler, der etwas Absolutes
wiederzugeben sucht, paßt es kaum, zu tasten
bis er die reinste Wiedergabe seines „Gesichtes“
gefunden hat: er muß auch in dieser Beziehung
wissen, was er malt, was er malen will. Es muß
jetzt zu Ende gehen mit der impressionistischen
„Touche“; mag es auch manchen schmerzen, wie
mich, dem niedergepeitschten oder schweifenden
Strich der fetten Oelfarbe und dem nebligen Laube
des verwaschenen Aquarells zu entsagen! Keine
zufälligen Schönheiten einer billigen „Peinture“
dürfen die primordiale Einfachheit unserer Wieder-
gabe beflecken: schmeichelhaft kann es nur sein,
wenn man uns „Glasmalerei“ vorwirft.
Laag-Soeren / Holland E. Wichman
Der Fall Bernd Isemann
Der provinzielle Auch-Dichter Bernd Isemann
hat gegen den „Tod in Venedig“ einen Angriff ge-
schrieben, den zu parieren Thomas Mann unend-
lich schwer fallen dürfte. Nicht als ob die Schrift
so übergescheit wäre oder von einer Bosheit,
die durch Ueberlegenheit lähmt. Ganz im Gegen-
teil. Aber das entmutigend Fatale liegt in den
trüben menschlichen Akzenten des Elaborats: In
diesem subalternen Loskeuchen, in diesem haus-
backenen Rechthabenwollen, in dieser platten
Viereckigkeit des Denkvermögens, in dieser gan-
zen hoffnungslosen, biederen belfernden Geist-
tölpelei.
Was soll man antworten, wenn einer loslegt:
„Ist denn plötzlich das jahrtausendalte Wissen,
das Kunst und Natur untrennbare Geschwister
sind, Unsinn geworden? Bringt die Kunst nicht
mehr Freude aus naiver Freude am Schönen?
Ist denn das Schöne nicht mehr das, was Freude
um seiner selbst willen erzeugt? Sind denn die
Künstler nicht mehr die, die das Schöne schaffen?
Sind die Dichter nicht mehr die, die den reinsten
Klang der Natur erfassen, die mit tiefstem Gemüt
an ihr hängen ;und sie loben und immer reiner
Natur lieben und Unnatur verabscheuen? Ist
nicht überhaupt Unnatur unpoetisch, wie es bisher
war, weil alles nicht Allgemeine unpoetisch ist?“
Die rein sachlichen Einsprüche gegen Manns
Novelle stehen auf der gleichen tristen Ebene phi-
liströser Verschmitztheit. Ein Beispiel für alle:
„Aschenbach ist verheiratet gewesen, glücklich
wie es heißt. Gut. Nun gebe ich aber das Preis-
rätsel, wie es möglich ist, daß dieser Mann in sei-
nem unsauberen Abenteuer, das uns vorgeführt
wird, nicht mit einer Faser seines Herzens, wohl-
gemerkt in so aufgewühlter Stimmung, jenes
Glücks gedenkt, das er am Herzen einer Frau
will genossen haben. Soll eine Unnatur existieren,
die nicht einmal mehr mit einem Fünkchen Dank-
barkeit, Erinnerung, Gewissen in peinlichem Kon-
flikt mit dem verknüpft wäre, was unser höchstes
menschliches Glück bedeutet, ohne daß dieser
Mensch von Grund aus schlecht wäre, ein Gemüt-
loser, von vornherein von künstlerischer Tätigkeit
ausgeschlossen? Ist es möglich, daß ein Dichter,
ein Schriftsteller, ein Skribent es sich entgehen
ließe, den Konflikt zwischen Frau und Knaben, den
einzig möglichen, wenigstens zu streifen? Gehört
denn soviel Phantasie dazu, um im voraus zu er-
fassen, daß diese blasierte Figur aus Hohlherzig-
keit und Schönheitsdusel uns als ein vollendetes
Ekel erscheinen muß?“
Hernach, bei der Kritisierung des homosexu-
ellen Problems, treibt Isemann s seine täppische
Zudringlichkeit noch schöner und wird, nach Art
beschränkter, in dumpfe Rage gebrachter Na-
turen unverschämt. Er schreibt: „Im Kunstwerk
tritt der moralische Zweck hinter andere Zwecke
zum Segen des Schönen zurück. Selbstverständ-
lich, denn wo eine Freude herrscht, ist Moral als
Zweck bereits erfüllt. Herr Thomas Mann hat es
anders verstanden, so wie es in die Libertinität
seine Theoriechen paßt. Er folgert nämlich daraus,
daß der Künstler moralisch indifferent sei, eigent-
lich zum Unmoralischen neige, und zwar in seinem
Privatleben. Ich akzeptiere dieses Geständnis“.
Derlei ruppige Invektiven finden sich noch
andere. Sie runden bestens ab, was als eigentlich
entscheidenter Ertrag des Buches bleibt: die
Selbstpsychographie des Urhebers. Denn der Ge-
brandmarkte des Pamphlets ist einzig er: Bernd
Isemann. Was man erblickt ist der Typus des
Dilettanten, der irgendwo mal etwas hat läuten
hören, aber nicht weg kommt über das Banau-
sische seiner Grundveranlagung. Ein Mensch
ohne Belang, der wiederkäut, was in allen Köpfen
als die durchschnittliche Denk- und Erregungs-
weise sein plumpes Dasein führt. Ein Stümper
des Worts so sehr wie des Genießerverhaltens.
Ein naseweiser Schafteihuber, mit dem debattie-
rend sich gemein zu machen, von vornherein ver-
loren, entnervend, befleckend ist. Nur eine Ant-
wort ist die gemäße: Belächeln, wegsehen,
schweigen.
Friedrich Markus Huebner
Thomas Mann und der Tod in Venedig / Eine kritische
Abwehr von Bernd Isermann / E. W. Bonseis und Co.,
München.
Gedicht eines Arbeiters
Still ist der Abend,
Nebel steigen empor.
Ruhig senkt sich die Nacht
Still ist es.
Und am Himmel steht Stern an Stern,
Mond auch sich zugesellt.
Schauen alle von fern
schweigend zur Erde.
Nachtfalter schwirren von Baum zu Baum,
Und durch die Wipfel
tönt leise ein Flüstern.
Fledermäuse flattern durch die Luft
Lautlos schleicht sich ein Iltis auf Raub
Emil Ernst Mehnert
Keine „fortschrittliche“ Lyrik.
H. W.
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Trotz der Vielfalt der Erscheinungen, aus denen
die heutige Malerei sich zusammensetzt, scheinen
meine (mit Verlaub) eigenen Bilder noch erfolg-
reich als „abnorm“ betrachtet werden zu können.
Da diese Bezeichnung keinerlei Urteil über deren
Wert enthält, möchte ich sie hiermit zurückweisen.
Auch ist zu konstatieren, daß die Bewußtheit
der bildenden Künstler ein vielfach gefürchtetes,
doch unleugbares Zeichen dieser Zeit ist.
Wenn zugegeben wird, daß die moderne Ma-
lerei nach einer Periode des Realismus sich wie-
der in „dekorativer“ Richtung entwickelt, ist da-
mit noch nicht untersucht, welche Idee in dem
Komplex, der mit diesem Worte angedeutet wird,
die primäre und dominierende ist, der sich die an-
dern unterordnen, und unterzuordnen haben. So
ist es klar, daß in der öffentlichen Kunstbetrach-
tung allerlei Nebenbegriffe den Hauptbegriff bis
zur Unsichtbarkeit umhüllt haben, und da, hier
wie überall, halbe Wahrheiten ganze Irrtümer
sind, ist des Geschwätzes viel. Das unglückselige
Wort „dekorative Kunst“ selbst verdankt einem
solchen Irrtum seine Entstehung; sodaß man jetzt
allerorts annimmt, der Begriff „dekorative Kunst“
beziehe sich ausschließlich auf die „Dekoration“
der Wandflächen. Wie oft wurde Kodier vorge-
worfen, seine Gemälde seien nur als Frescos
denkbar, und als Tafelbilder sinnlos! Es wird auch
der in diesem Sinne unrichtige Gegensatz aufge-
stellt: es sei die „realistische“ Kunst ihrer Erschei-
nung nach Fläche-vertiefend; die „dekorative“
dagegen Fläche-abschließend. Auch wird wohl
„dekorativ“ mit „stilisiert“ identifiziert, indem man
meint, das Charakteristische beider sei eine „Ver-
einfachung“ der Wirklichkeit.
Wenn man den Begriff „dekorativ“ als histo-
risch notwendigen Gegensatz des an sich klare-
ren Begriffes „realistisch“ verwenden will, muß
festgestellt werden, mit welchem bestimmten
wirklichen Verhältnis er sich verbunden hat:
In schärfstem Gegensatz zu einer Kunstübung,
deren Ideal mehr oder weniger das „Loch in der
Wand“ ist, stellt sich in der Geschichte, im; Kleinen
wie im Großen, eine andere (trotz einer steten
Wechselwirkung beider, die verhindert, daß je-
mals eine der beiden sich rein verwirklicht).
Sie sucht nicht den flüchtigen Eindruck des Auges
im Kunstwerk zu beständigen. Sie faßt das essen-
tielle einer unendlichen Anzahl sol-
cher Eindrücke in einem „Bild“ zusam-
men; um so für einen Augenblick die ganze
Vielfalt der Gesichte dieser Welt — die schon
immer die Weisen dem Demiurgos als groben
Fehler angerechnet haben — zur ursprünglichen
Einheit zurückzuzwingen. Wenn das „Sym-
bol“ nicht schon vorher — wie in der Regel —
zur leeren Allegorie erstarrt, entwickelt es
sich zuletzt notwendig zur „Hieroglyphe“,
indem die schematische Abbildung der typischen
Form eines Dinges gleichsam dessen sichtbarer
Name wird (Egypten).
Es sind die „Futuristen“, die, w'as ich eben
„Hieroglyphe“ nannte, als „Ligne-force“ suchen.
Und mancher Futurist ist dieser Verbildlichung
der Wirklichkeit nahe gekommen (Boccioni: „Les
Adieux“). Auch manches Werk der großen kunst-
gewerblichen Bewegung, die der Wiederauf-
lebung der Bildenden Künste voranging, bedeutet
ähnliches.
Der Gegensatz realistischer und (nennen wir
es auch ferner, unter Berücksichtigung des Vor-
hergehenden) „dekorativer“ Kunst ist technisch s o
zu formulieren: der realistische Künstler sieht
was er bildet, der „dekorative“ weiß es. (Schon
die letztvergangene Impressionistische Periode
liefert in dieser Beziehung Beispiele: in wie man-
cher Zeichnung jener Zeit wird eine ferne Wiese,
von der man gewiß keinen Grashalm sehen
konnte, durch viele kleine lotrechte (also gras-
halmförmige) Striche als solche gekennzeichnet,
eben weil Künstler und Zuschauer sich durch dies,
stillschweigend angenommene, Zeichen verstän-
digen konnten.) Damit ist aber durchaus nicht ge-
leugnet — da sei Gott wider! — daß die „deko-
rative“ Kunst nicht visionär sein kann und
muß. Ich will den Zusammenhang beim Schaffen
eines Kunstwerks zwischen Theorie und Intuition
nicht untersuchen, es genügt zu bemerken: das
Bewußte (und jetzt mehr als je) ist eine not-
wendige Grundlage des Werkes, niemals
mehr.
Aber einem Künstler, der etwas Absolutes
wiederzugeben sucht, paßt es kaum, zu tasten
bis er die reinste Wiedergabe seines „Gesichtes“
gefunden hat: er muß auch in dieser Beziehung
wissen, was er malt, was er malen will. Es muß
jetzt zu Ende gehen mit der impressionistischen
„Touche“; mag es auch manchen schmerzen, wie
mich, dem niedergepeitschten oder schweifenden
Strich der fetten Oelfarbe und dem nebligen Laube
des verwaschenen Aquarells zu entsagen! Keine
zufälligen Schönheiten einer billigen „Peinture“
dürfen die primordiale Einfachheit unserer Wieder-
gabe beflecken: schmeichelhaft kann es nur sein,
wenn man uns „Glasmalerei“ vorwirft.
Laag-Soeren / Holland E. Wichman
Der Fall Bernd Isemann
Der provinzielle Auch-Dichter Bernd Isemann
hat gegen den „Tod in Venedig“ einen Angriff ge-
schrieben, den zu parieren Thomas Mann unend-
lich schwer fallen dürfte. Nicht als ob die Schrift
so übergescheit wäre oder von einer Bosheit,
die durch Ueberlegenheit lähmt. Ganz im Gegen-
teil. Aber das entmutigend Fatale liegt in den
trüben menschlichen Akzenten des Elaborats: In
diesem subalternen Loskeuchen, in diesem haus-
backenen Rechthabenwollen, in dieser platten
Viereckigkeit des Denkvermögens, in dieser gan-
zen hoffnungslosen, biederen belfernden Geist-
tölpelei.
Was soll man antworten, wenn einer loslegt:
„Ist denn plötzlich das jahrtausendalte Wissen,
das Kunst und Natur untrennbare Geschwister
sind, Unsinn geworden? Bringt die Kunst nicht
mehr Freude aus naiver Freude am Schönen?
Ist denn das Schöne nicht mehr das, was Freude
um seiner selbst willen erzeugt? Sind denn die
Künstler nicht mehr die, die das Schöne schaffen?
Sind die Dichter nicht mehr die, die den reinsten
Klang der Natur erfassen, die mit tiefstem Gemüt
an ihr hängen ;und sie loben und immer reiner
Natur lieben und Unnatur verabscheuen? Ist
nicht überhaupt Unnatur unpoetisch, wie es bisher
war, weil alles nicht Allgemeine unpoetisch ist?“
Die rein sachlichen Einsprüche gegen Manns
Novelle stehen auf der gleichen tristen Ebene phi-
liströser Verschmitztheit. Ein Beispiel für alle:
„Aschenbach ist verheiratet gewesen, glücklich
wie es heißt. Gut. Nun gebe ich aber das Preis-
rätsel, wie es möglich ist, daß dieser Mann in sei-
nem unsauberen Abenteuer, das uns vorgeführt
wird, nicht mit einer Faser seines Herzens, wohl-
gemerkt in so aufgewühlter Stimmung, jenes
Glücks gedenkt, das er am Herzen einer Frau
will genossen haben. Soll eine Unnatur existieren,
die nicht einmal mehr mit einem Fünkchen Dank-
barkeit, Erinnerung, Gewissen in peinlichem Kon-
flikt mit dem verknüpft wäre, was unser höchstes
menschliches Glück bedeutet, ohne daß dieser
Mensch von Grund aus schlecht wäre, ein Gemüt-
loser, von vornherein von künstlerischer Tätigkeit
ausgeschlossen? Ist es möglich, daß ein Dichter,
ein Schriftsteller, ein Skribent es sich entgehen
ließe, den Konflikt zwischen Frau und Knaben, den
einzig möglichen, wenigstens zu streifen? Gehört
denn soviel Phantasie dazu, um im voraus zu er-
fassen, daß diese blasierte Figur aus Hohlherzig-
keit und Schönheitsdusel uns als ein vollendetes
Ekel erscheinen muß?“
Hernach, bei der Kritisierung des homosexu-
ellen Problems, treibt Isemann s seine täppische
Zudringlichkeit noch schöner und wird, nach Art
beschränkter, in dumpfe Rage gebrachter Na-
turen unverschämt. Er schreibt: „Im Kunstwerk
tritt der moralische Zweck hinter andere Zwecke
zum Segen des Schönen zurück. Selbstverständ-
lich, denn wo eine Freude herrscht, ist Moral als
Zweck bereits erfüllt. Herr Thomas Mann hat es
anders verstanden, so wie es in die Libertinität
seine Theoriechen paßt. Er folgert nämlich daraus,
daß der Künstler moralisch indifferent sei, eigent-
lich zum Unmoralischen neige, und zwar in seinem
Privatleben. Ich akzeptiere dieses Geständnis“.
Derlei ruppige Invektiven finden sich noch
andere. Sie runden bestens ab, was als eigentlich
entscheidenter Ertrag des Buches bleibt: die
Selbstpsychographie des Urhebers. Denn der Ge-
brandmarkte des Pamphlets ist einzig er: Bernd
Isemann. Was man erblickt ist der Typus des
Dilettanten, der irgendwo mal etwas hat läuten
hören, aber nicht weg kommt über das Banau-
sische seiner Grundveranlagung. Ein Mensch
ohne Belang, der wiederkäut, was in allen Köpfen
als die durchschnittliche Denk- und Erregungs-
weise sein plumpes Dasein führt. Ein Stümper
des Worts so sehr wie des Genießerverhaltens.
Ein naseweiser Schafteihuber, mit dem debattie-
rend sich gemein zu machen, von vornherein ver-
loren, entnervend, befleckend ist. Nur eine Ant-
wort ist die gemäße: Belächeln, wegsehen,
schweigen.
Friedrich Markus Huebner
Thomas Mann und der Tod in Venedig / Eine kritische
Abwehr von Bernd Isermann / E. W. Bonseis und Co.,
München.
Gedicht eines Arbeiters
Still ist der Abend,
Nebel steigen empor.
Ruhig senkt sich die Nacht
Still ist es.
Und am Himmel steht Stern an Stern,
Mond auch sich zugesellt.
Schauen alle von fern
schweigend zur Erde.
Nachtfalter schwirren von Baum zu Baum,
Und durch die Wipfel
tönt leise ein Flüstern.
Fledermäuse flattern durch die Luft
Lautlos schleicht sich ein Iltis auf Raub
Emil Ernst Mehnert
Keine „fortschrittliche“ Lyrik.
H. W.
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