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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 194/195 (Zweites Januarheft)
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Friedlaender, Salomo: Absolutismus
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht, [2]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0165

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Absolutismus

Dr. Friedlaeiider

Es mehren sich diese blitzkluge« Leute, die
so mörderlich blitzdumm sind, weil ihre Klugheit
eben was ganz Relatives ist: sie sagen, es gibt
keine Norm, es ist Alles ganz und gar relativ,
auch die logisch-mathematischen Axiome, auch
das Einmaleins. Es ist auch Alles sinnlos: wozu
Wissenschaft? Wozu Kunst? Wozu . . . aber
hier stottern sie schon, diese dösigen Selbstab-

rrturxer-sie wollten gerade fragen: Wozu

Praxis — warum Leben??? Sie wollten kon-
sequent sein, aber sie besinnen sich sehr. Sie
raffen sich auf, sie werden praktisch, sie w o 11 e n,
und leben drauf los, was sie können; bloß ab und
zu erinnern sie sich, halten inne, seufzen: Was

frommt das Alles uns! Vermissen doch im in-
nersten Innern eine (ach Herr!) Legitimation ihres
eigentlich grund- und zwecklosen Willens. Ja!

Wie also? Der Wille wäre nichts Relatives
mehr? Der Wille will — damit basta! Das ist
erlösend! Wille imperator rex! Pragmatismus in
aeternum.

Männer von Byzanz! Besinnt euch! Diese
Emanzipation des Willens von der Norm, der Le-
gitimation, dem ... „Gottesgnadentum“, der Apo-
diktizität, dem absoluten Dogma ist nur dann
strikt, präzis, exakt vollziehbar, wenn der Wille
diese Norm in sich hineinnimmt: euer Wille muß
den ontologischen Intellekt verschlucken,
sich das differenzierte Bewußtsein einverleiben.
Der Wille ohne alle ontologische Norm ist... eine
hübsche Wetterfahne, ein Windbeutel. Der Wille
mit einer außer ihm befindlichen Norm ist ein
Spießer, ein Polizeisklave, ein völliger Untertan.
Wie machen wir also den Willen absolut?
Wie erlösen wir ihn von aller Knechtschaft unter
Zufall und objektivem Gesetz? Wie machen wir
aus ihm den echten Autokraten? Wie machen
wir's, daß sein Schwerpunkt in ihn selber
falle? Wie stellen wir (aus der umwundenen
Kantischen) seine schleierlose Autonomie her? —

Indem wir den ältesten Aberglauben zer-
stören, den Aberglauben an Drastik und
Sensation: „Die stillsten Ereignisse sind es,
welche den Sturm bringen.“ Denn wenn die ge-
samte Objektivität, zu der auch der dif feren-
zierte (und insoweit objektiv aufzeigbare)
Wille gehört, verschwände: so bliebe

immer noch die Hauptsache übrig, das Un-
'irastischste. Unsensationellste, aber der Urquell
aller Möglichkeit von Drastik und Sensation: —
persönliche Selbsteigenheit, das sub-
jektiv indifferente (quasi punktualisierte)
Universum.

Zankt euch hier nicht um Worte! D. h. also,
zankt euch nur hier nicht, dann wird aller son-
stige Zank euer Konzert sein müssen. Die Sache
selbst läßt sich zahllos allegorisieren, aber
eigentlich nur erleben; man nenne sie das
absolute Erlebnis zum Abhub von den
immer nur relativen Erlebnissen der Herren
Maier, Müller, Schnitze, Friedlaender und Max
Stirner. Denn diese Herren sind gar keine Her-
ren: Herr dieses Ganzen, Deus ex machinä der
Welt ist etwas absolut Unscheinbares,
dessen Divergenzen erst in Drastik und Sensation
»erstrahlen: persönliche Indifferenz.

Wiederum, alle bloß relative Indifferenz, z. B.
der Kraftpunkt, auf den entgegengesetzte Kräfte
gleich stark einwirken. leistet nichts . . . Diffe-
renziertes! Dagegen persönliche Indiffe-
renz, absolute Indifferenz ist nicht maschinell, pa-

ralytisch sistiert, sonder» sie differenziert le-
bendig-schöpferisch aus ihrer eigen-
sten Unerschöpflichkeit: Quell, nie

versiegend, aller Relativität!

Jene allerliebsten Voluntaristen mögen mal
den famosen Versuch machen, diese innere,
d. h. neutralisierte, zentralisierte, punktualisierte
Norm endgültig zu ignorieren, so wird ihr
schwerpunktloser Volentarismus durch seine
idiotische Windbeutelei von selbst hinfällig sein.
Aber siehe da! Diese Männerchen rekurrieren zu
irgend ’ner netten Empirie — Deutscher Reichs-
tag . . . oder so . . . Nun, ihr gottverdammten
Relativistcn, was soll man jetzt mit euch machen?
— Euch krepieren lassen in diesem Altweiber-
kram. Lernt erst wollen, eh ihr wollt! Springt
erst in den Ursprung eures Willens und wagt es,
ohne Grund in diesem Abgrund zu schweben —•
als kategorische Imperatoren.

Also wirklich: es gäbe keine Norm, kein Ab-
solutes, kein Wunder von Rigorosität, Apodikti-
zität, Präzision und Exaktheit?

Objektiv und differenziert aufzeigbar ganz ge-
wiß nicht! Wohl aber subjektiv persönlich, wenn
man auch das differenzierte Wollen mit seinen
zahllosen Velleitäten noch zur Relativität ins Ob-
jektive wirft und die eigne Person im absolut
Souveränen findet! Endlich stellt sich dann der
noch aus dem allerletzten Rest Objektivität (aus
dem scheinbaren Subjekt mit seinen psychischen
Differenzen) vertriebene absolute Dogmatis-
mus persönlich konzentriert wieder
her.

A la bonheur! Das Selbst, das „Innere“, die
persönliche Eigenheit, das Subjekt ist dann über-
haupt erst entdeckt — und entdeckt als das
erlösende Universalsalz der ganzen objektiven
Welt, zu der auch noch euer sauberes differen-
ziertes und insofern ganz und gar relatives Wol-
len als bloßes Instrument der Weltperson, des
Kosmopoliten, gehört. Schämt euch, meine
Herrn! Wo ist die Quadratur des Zirkels? Wo
der Stein der Weisen? Wo Magie? Wo Uto-
pien? Wo das Absolutum? Wo das Perpetuum
mobile, die Station unerschöpflicher Kraft? Im
Herrn über alles wo, wann und wozu: i n

der universalen Welt-Person, nicht
draußen.

Sagt mir aber v. Schiller: na, innen! So
trumpfe ich und triumphe ich dagegen auf: oh!
lüftet erst den Schleier des fal-
schen, des differenzierten Ichs von
diesem Isisbilde! Geht auch noch von
diesen allerletzten Divergenzen in diese allein
lebendige Konvergenz ein, in dieses persönliche
Utopien diese Welt-Residenz, von „wo“ aus ihr
alle Divergenzen, auch die der Sterne regieren

könnt-Setzt euch dann meinetwegen u. a,

auch in den Reichstag: dann, aber erst dann
gilt alles gleich, was ihr wollt!

Person, Herr Stirner, war das Allerverbor-
genste. Auch Sie, mein Kasperle, haben die
Nebel scheinbarer Subjektivität
noch nicht von sich weggeblasen (trotzdem Sie
’ne anerkennenswert gute Puste hatten). Und
Zarathustra schwieg und schweigt unter sieben
Siegeln. Aber „jetzt ist’s Zeit zu lärmen“! Der
Egoismus hat erst jetzt seine allererste und letzte
Konzentration erreicht.

Der Weg
durch die Nacht

Roman

Aag« von Kohl

Fortsetzung

Die Nachtigall sang von neuem, draußen
zur Rechten von Morton: ein heftiger, schluchzen-
der Schrei, der gleich darauf verstummte. Dann
war es wieder überall still. Unbeweglich und
heiß stand der Abend. Und wiederum, diesmal ge-
dämpfter als vorhin, gleichsam verschleiert von
der Dämmerung, die bläulich in der Ferne hinab-
geschwebt war, unterschied man den Ton des
Weinens dahinten: so zart und fein, wie der Laut
eines körperlosen Schmerzes, wie ein dünner Ge-
sang, der irgendwo dort oben in dem blauenden
und goldigen Kristall der Luft aus sich selbst ent-
stand, der rätselhaft aus der Erde hier umher wie
aus den übermäßig süßen Düften, die sich überall
kreuzten, geboren wurde; aus alledem, was hier
unter dem zierlichen, hellen Kies verborgen war,
an längst entschwundenen Hoffnungen, an zahl-
losen, jahrelang aufgespeicherten Tränen, an des
Menschenherzens unendlicher Ernte aus Jammer
und Vergessen und Tod!

„Ob es sich wohl zur Nacht abkühlen ward?“
— sagte der Aufseher; er drehte bedächtig den
Kopf von der einen Seite nach der andern, zog die
Luft schnüffelnd durch die Nasenlöcher ein —
„oder ob wir gar einen Tropfen Regen bekommen,
nötig haben wir es wohl!“

„Allerdings!“ — erwiderte Morton.

Auch er hatte den Nacken zurückgebogen, es
kam ihm plötzlich die Idee, als lausche er auf ir-
gend etwas, er wußte nichts was —: etwas, das
im Begriff war, in diesem Augenblick um ihn her
oben und unten zu erwachen, ja, war es nicht ein
schwaches, winziges Rumoren nach allen Seiten:
feine, knirschende Laute, unsagbar kleine, trip-
pelnde Schritte? War es vielleicht die Erde, die
sich langsam, leise seufzend zur Ruhe legte nach
dem Brand dieses Tages? waren es die Millionen
winzig kleiner Sandkörnchen, die gemächlich auf
ihren gewohnten Platz zurückrollten nach der
schwellenden Glut des Tages, nach dem giftig auf-
treibenden Atem von denen da unten? oder waren
es möglicherweise sie selbst — begann ein nächt-
liches Leben im Schoße der Erde selbst, in die-
sem feuchtigkeitdurchsickerten, allzu befruchteten
Schoß, der geheimnisvoll und üppig alles das barg,
was kein Mensch zu sehen bekam?! Still, stieg da
nicht ein fleischloses Summen, ein Knochenröhren-
zischen aus dem allen auf —: Ja, der Kies rührte
sich schurrend, die Blätter feilten leise gegenein-
ander, horch, das melancholische, schrille Krei-
schen der Grillen, die schwirrende Schenkelvioline
der Grashüpfer, ach, wrar das die Nacht, die er-
lösend kam, die makabren Stunden, die kamen, die
sorglosen Zeiten, wo all die Aermsten, die hier
wohnten, endlich für eine Weile allein blieben —
frei von Tränen, frei von dem Geräusch des Wei-
nens, frei davon, wieder und wieder an Verspre-
chen erinnert zu werden, die sie selbst längst ver-
gessen hatten!

Versprechen — die sie vergessen hatten?! . . .

Morton öffnete auf einmal seinen Mund, die
Brust krampfte sich in unerträglichem Jammer
für einen Nu zusammen.

Dann entsann er sich plötzlich einiger Worte,
die der andere vor einem Augenblick ausgespro-
chen hatte — und wandte sich, hastig nach ihm
um —:

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