Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

DOI Heft:
Nummer 180/181 (Oktober 1913)
DOI Artikel:
Hoeber, Fritz: Das Musikalische in der Architektur
DOI Artikel:
Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [12]: Roman
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0113

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Vorstellung“ ist naturgemäß auch umzudrehen:
„Alle räumliche Vorstellung kann uns erst als Aus-
drucksbild zur Erscheinung werden“, womit denn
der Vorzug der räumlichen Vorstellung vor ande-
ren psychischen Komponenten im Kunstwerk hin*
fällig wird. Auch die im Kreise Hildebrands be-
liebte Unterscheidung von Raum- und Funktions-
werten wird sich dadurch bald verwischen, indem
der Raum für die einfühlende Empfindung „funk-
tionell“ zu sprechen anfängt und auf diese Weise
erst sein künstlerisches Leben erhält, das ihm die
stereometrische Abstraktheit nie gewähren kann.

Der Raum ist also nichts anderes als der bloß
materielle Träger der Architektur, über den sie
sich psychisch ausbreitet, genau so, wie die Zeit
den physischen Träger für die Musik abgibt, in
dem sie ihren künstlerischen Verlauf nimmt. Aber
wie es einer Bachschen Fuge die Kunstwerte einer
solchen Musik herzuleiten, ebensowenig vermögen
die „raumästhetischen Analysen“ der experimen-
tellen Psychologie den Sinn des bildenden Kunst-
werkes am wenigsten zu treffen. Das Geistige in
der Kunst wird durch einseitig formalistische Na-
turwissenschaft unterschlagen/ Auch ;liegt gar
keine innere Nötigung vor, den materiellen Träger
des Kunstwerks, den Raum zum Beispiel in die-
sem Maße empirisch zu begreifen, um sein seeli-
sches Erlebnis persönlich mitzumachen. Das, was
von den Raumätshetikern, verhängnisvoll genug,
verwechselt wird, ist die künstlerische Erkenntnis
und das empirische Rekognoszieren, Zwecke der
intuitiven Anschauung und Zwecke des praktischen
Sichzurechtfindens. Es ist für den architektonischen
Genuß letzterdings einerlei, ob man sich in einem
Innenraum des romanischen gebundenen Systems
des Hauptverhältnisses von 1 :2 wirklich bewußt
wird, wenn einem nur die eigentümlich strenge
Einfachheit dieser wie nebeneinander gesetzten
Orgeltöne wirkenden Gesamtstimmung anschaulich
aufgegangen ist. Und ebenso ist der Kunstinhalt
des griechischen Tempels nicht in der empirischen
Zusammenbeziehung aller geometrischen Gesamt-
und Einzelmaße, dem Steckenpferd der Bauarchä-
ologie, zu suchen, als vielmehr in der eigenartigen
Kühle und erhabenen Größe, die diese weißdurch-
leuchtende Antike ausatmet.

Endlich wird sich eine verinnerlichte Kunst-
betrachtung auch bald davon überzeugen, welche
interessanten Reize und künstlerisch feinen Sen-
sationen gerade das räumlich nicht durch-
geklärte und in seinen Grenzen Unbestimmte
und Verschwommene zu schaffen imstande ist:
hierfür lassen sich aus dem achtzehnten Jahrhun-
dert die Beispiele finden, Werke, die auch ohne
die mechanische Erleichterung für „die räumliche
Auffassung durch das Auge“ doch ihren echten
Kunstgehalt und ihre innere Tiefe besitzen. Das
Brutale der Raumästhetik besteht ja darin, daß sie
alle maßgebenden Komponenten des Kunstwerks
mittels eines sehr oberflächlichen Sensualismus
in ein bequemes Schema zu zwingen sucht, das ex-
preß dazu erfunden zu sein scheint, den über das
sinnlich Faßbare der Kunst hinausfliegenden Genius
zu eliminieren. Allein niemals begründet sich Wert
oder Unwert eines Kunstwerks in seiner einfachen
sinnlichen Verständlichkeit.

Auch in der Baukunst muß sich immer das
materiell Gegebene des quantitativ ausgedehnten
Raumes als künstlerische Wirkung in ein Allge-
meineres, Ueberräumliches, quantitativ Unräum-
liches vergeistigen. Der Raum, wie ihn Hilde-
brand meint, stellt nur das rohmaterielle Stadium
der Vorbereitung, aber keine Vollendung dar. Das
absichtliche, technische Mittel der Raumgestal-
tung schlägt schließlich in ein unabsichtliches Seeli-
sche um, das der rationellen Analyse entrückt,

bleibt. Diese ästhetisch durchlebende Vergeisti-
gung beraubt die Baukunst freilich ihres realen
Erfahrungscharakters und erhebt sich in das Be-
reich der allgemeinen künstlerischen Harmonie.
Aber im letzten Sinne einigt sich ja die Wirkung
sämtlicher Künste in dieser unfaßbaren psychi-
schen Erhebung, einerlei welcher materiellen Mit*
tel, ob zeitlich-akustisch, oder gedanklich-poetisch,
optisch oder räumlich definierbar, sie zu ihrer Ver-
wirklichung bedürfen. Erst in den niederen Regi-
onen der sinnlichen Ausführung spezifizieren sie
sich dann in der üblichen Sonderung, und zwar
gleich so stark, daß, wie gesehen, sogar für die
Einzelgattung eine geistige Stileinheit festzustel-
len, bereits schwer fällt.

In der Kunst erscheint alles Sinnliche nur als
ein Gleichnis. So muß denn auch für die Archi-
tektur das absolut Musikalisch-Harmonische die
höchste Stileinheit bilden.

Die Schwermut des
Genießers

Roman , ,

Von Artur Babillotte

Schluß

Mit ungeduldigen Schritten hastete er durch
die Straßen; diese Stadt begann ihn zu bedrücken
wie ein böser Traum, obwohl er sie erst seit eini-
gen Stunden kannte. Neue Pläne formten sich in
seinem Gehirn, der Trotz und die unbändige
Freude dessen, der seine Stärke kennt, kamen über
ihn. Denen, die das wenigste Verlangen nach die-
ser Stärke hatten, gerade denen wollte er sie auf-
zwingen. Die Pläne und Aussichten verdrängten
einander im Gehirn des Künstlers, so zahlreich
kamen sie und so unruhig gebärdeten sie sich, als
hätte dieser Abend aus dem versonnenen Künstler
einen kühnen, klaräugigen Tatmenschen gemacht.

Und plötzlich empfand er die Enge der Straßen
nicht mehr als etwas, dem er entfliehen mußte, sah
nicht mehr die gestorbenen Stimmen der lachenden
und schwatzenden Frauen, — alle Beklommenheit
war von ihm genommen.

.Er stand oben auf der einsamen Straße

und blickte in das Tal, dorthin, wo die Lichter der
Stadt unruhig flimmerten, wie die Sehnsucht eines
Unwürdigen, die nie ihre Erfüllung finden kann.
Weit vorn, am Ausgang des Tales, sauste ein Zug
durch die Nacht; seine Lichter zuckten wie ein
schneller Gedanke vorüber. Jetzt stand Johannes
oben auf der einsamen Straße und hielt zugleich
Ausblick nach dem Vergangenen und nach dem
Zukünftigen, das ihn nicht mehr nur als Gebilde
seiner farbentiefen Phantasie, das ihm jetzt er-
schien als mehr, wie er meinte: Als Mittel, den
Schmerzen aller engen und armen und unterdrück-
ten Menschen Gestalt zu geben. Ja, er glaubte fest
an die Mission, zu deren Erfüllung ihm seine Kunst
gegeben war: die Menschen nicht nur zu zwingen,
die Knie zu beugen vor der Gewalt seines Genius,
nein, sie stolz und hoffnungsfroh zu machen, wäh-
rend sie die Knie beugten, sie zu lehren, daß in die-
sem Zeichen ihrer Demütigung ihr kraftvollster
Stolz und die Rettung vor ihrer Not und Verzweif-
lung liege. Dies war seine Mission, und sie hatte
er erst an diesem Sommerabend erkannt: seltsam,
nachdem er ein Werk geschaffen hatte, das eine
neue Kunst einleiten sollte, in Stolz und Freude,
ganz durchtränkt von der Schwermut des Ge-
nießers, erschloß sich ihm erst das Feld, auf dem

er wirken sollte nach der Bestimmung seines
Schicksals. Er mußte sich innerlich lossagen von
dem Werk, das en vordem für die Glocke gehalten,
die die neue Kunst einläuten sollte. Dies verlangte
seine Ehrlichkeit von ihm.

Mit einem Gefühl tiefer Wehmut gedachte er
des Briefes, den er am Morgen an den Freund ge-
schrieben hatte, dieses freudeträchtigen, von sei-
nem stolzen, genießerischen Ich durchstrahlten
Briefes, in dem die hohen Töne seines Selbstbe-
wußtseins, seiner Sonderung so klar und trotzig
klangen. Mit tiefer W<ehmut gedachte er auch der
Verzückung der verwandelten Landschaft. Er ge-
dachte der Wüste Oede .... und dann war das
Leben über sie gekommen, ein ungestümes, reiches,
in allen Tönen klingendes und klagendes Leben.
Jetzt meinte er den Sinn dieser innern Erlebnisse
erkannt zu haben: eine Mahnung waren sie ge-
wesen: gehe nicht an den Menschen vorüber! Gehe
zu ihnen hin, suche sie, reiche ihnen die Hand und
frage sie nach ihren Taten und Schicksalen! Denn
du bist ihresgleichen und berufen, ihnen zu helfen.

Und in dieser versonnenen Sommernacht hatte
Johannes zum erstenmal ein beengendes Gefühl.
Hohe Gedanken tönten wohl in ihm, aber waren
sie stark genug, alle Wünsche, die von draußen
kamen, zu übertönen? Er wollte ein Held sein —■
und hatte noch keine Schlacht geschlagen. Er
wollte ein Verächter sein aus großer Liebe — und
hatte nichts, das er verachten konnte. Er wollte
groß sein — und vergaß, daß alle Größe in der
Erde wurzeln muß. Mit einer Art verzückter
Wollust peinigte er sich selbst, indem er sich sei-
ner ersten Großstadttage erinnerte: damals hatte
er das steinerne Ungeheuer zu einem Herrlichen
emporgedichtet, ausgehend von der Erde, — aber
immer war seine Phantasie das Stärkere gewesen,
nie hatte er die Dinge gesehen wie sie waren, son-
dern stets ihnen seine Töne verliehen. Darum hatte
er die Menschen nicht kennen gelernt. Jetzt aber
wollte er Mensch unter Menschen sein; erst
Mensch, und dann erst Künstler — so sollte es sein.
Und so griff Johannes mit begehrlichen Händen
nach dem Unmöglichen. Er bedachte nicht, daß
er auf der Höhe stand und daß es dem Künstler
nie gelingen würde, in das Tal hinabzusteigen, um
mit den Menschen zu gehen. Er ahnte nicht, daß er
in dem Augenblick, da er die Nüchternheit be-
gehrte, von der Größe seines Künstlertums be-
rauschter war, als je zuvor. Zum erstenmal hatte
er die Kraft verloren, den Wert einer Verzückung
zu erkennen und sich seiner zu freuen, weil jede
Verzückung eine Gnade war. Zum erstenmal hatte
er die Gewalt über die Bilder verloren; nun rissen
sie ihn mit sich. Er mußte ihnen folgen, weil er
niemals gegen seine impulsive Natur zu handeln
vermochte. Alles strömte auf ihn ein und strömte
wieder von ihm aus, beschwert und gesegnet mit
dem Reichtum seiner Seele. Und selbst in dieser
seltsamen Stunde da er bereit war, aus der Höhe
herabzusteigen, die vornehmen Gebärden seiner
erlesenen Künstlergedanken den Gebärden der
Menschen anzupassen, selbst jetzt verloren seine
Gedanken ihre Hoheit nicht. Aus Hoheit waren
sie geboren, aus der Hoheit jenes edlen Verlan-
gens, den Menschen Rettung zu bringen. Er ging
einen Irrweg, aber er ging ihn in edler Sehnsucht;
er war nie mehr und zu gleicher Zeit nie weniger
Egoist gewesen. Er zerriß seine hohen Träume
um der egoistischen Freude an den Nöten und
Kleinigkeiten der Menschen. Alles, was er tat,
entsprang einem edlen Egoismus, dem er nicht ent-
rinnen konnte, weil er der beste Teil seiner Künst-
lerschaft war; und auch, wo er falsche Wege ging,
gehorchte er nur dem Egoismus seiner aristokra*
tischen Seele, ohne aber den erkenntnisreichen

110
 
Annotationen