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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 182/183 (Oktober 1913)
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Hoddis, Jakob van: Nacht
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [13]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0121

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Soeben erscheint mir der Mond
An der Wand.

Es zeigt mir Herrn Cohn seine Hand
An der Wand.

Es schnattert wie Schatten
Pretiös an der Wand.

Verflucht an der Wand!

Und heut an der Wand!

Was stehen denn so viel Lent
An der Wand?

III

Ja ich träume. Eine Tasse
Steht auf eiiiem Tische rund, j
Ach was ist denn diese crasse'<

Sache, die ich sehend hasse? '

Tut sie nicht ein Wunder kund?!

Ja ich werde mich begnügen
Daß es solch ein Ding noch gibt
Das sich nicht mit Engelsflügen
Aufwärts hebt und fortbegibt.

Schließlich könnten Teller schweben
Stühle streckend alle vier
Beine aufwärts wie Epheben
Gott, mein Gott, ich danke Dir.

IV *

Man fühlt sich dreckig und verlaust
Und träumt verwegen in den Morgenradau
Ein altes Weib hat auch gesungen
Wiegend die Brust. Ein Lockruf der Liebe.

Was war er früher so wohlvertraut
Der kranke Schimmel — vom Fenster aus
Heut trübt er mir die Abgedanken.

Ein grauer Wirbel. Man gähnt und träumt.

Vom gestrigen Abend, dem Tatenheld
Der Auto tückisch ins Zimmer schrie
Sterne wie Frauen und lumpige Stunden
Hat mir der schlampige Herr versprochen.

Nun bin ich dreckig und fast verlaust
und steige betrübt in den Morgenzug.

Ein Philosoph hat auch geredet
Wiegend die Brust. Ein liebreicher Herr.

Jacob van Hoddis

Die Schwermut des
Genießers

Roman , ,

Von Artur Babillotte

Zweiter Teil

Nun konnte sie es nicht mehr tragen. Das

quälte und brannte und preßte.. wie eine

schwere Sünde lastete das auf den Schultern. Hatte
sie ihre Schultern nicht, um sie stolz und stark
dem Leben entgegenzustemmen?

Dies war Mia Mirana.

Nun konnte sie es nicht mehr tragen. Ihr Blut
schäumte auf. Dieser Zorn war wachgeworden.
Gemein war dies, armselig, niedrig ....

Sie lief wie eine Gehetzte. Sie lief, als wären
alle Gemeinheiten der Großstadt hinter ihr her.
Was kümmerten sie die verwunderten Blicke der
Menschen. Mochten ihr alle nachstarren . . . das

war das Klügste, was sie tun konnten: Das war
eigentlich so klug, daß man sich wundern konnte,
wie diese Menschen denn zu dieser Klugheit kamen.
Sie stürmte durch die Menge. Ganz selten ge-
schah es, daß sie einen streifte; so gewandt
war sie.

Das ganze schmale Band des Trottoirs füllte
ein Ton, der ununterbrochen anhielt; aus vielen
Tönen zusammengesetzt, klang er zerrissen und
herb. Das Zischen der Straßenbahnen vermochte
ihn wohl zeitweilig zu übertönen, nie aber ganz zu
verschlingen. Das war der Winter, der unter den
harten eiligen Schritten der Menschen aufstöhnte,
weil sie ihm sein reines weißes Kleid zertrampel-
ten und verschmutzten. O, diese Menschen. Ich,
Mia Mirana, ich verachte euch, ich lache über euch,
ihr seid mir völlig egal, völlig — egal —! Und
wenn ich euch was vorsinge, dann tue ich das, um
eure langen oder eure verklärten oder eure er-
starrten Gesichter zu sehen. Ihr wißt nicht, wie
interessant das ist.

Sie hatte ein bestimmtes Ziel.sie wußte

eine Einsamkeit, ringsum von Häusern umstarrte.
Die andern wußten nicht, daß diese Einsamkeit,
die sie entdeckt hatte, eine weiche zärtliche Hand
war. die ihr den Mund verschloß. Diese Einsamkeit
mußte sie besuchen, wenn sie tief unzufrieden war,
den Riß zwischen der Kunst und dem Leben be-
sonders schmerzhaft emfand. Nein, zwischen der
Kunst und ihrem Leben.

Die Straßen wurden unbelebter, je weiter sie
sich von dem Zentrum der Stadt entfernte. Die
Straßenbahnen sausten spärlicher an den Drähten
hin. Weit vorn schrillten Lokomotivenpfiffe auf.
... Sie lächelte freudig; jetzt näherte sie sich ihrer
Einsamkeit. Dort draußen lag sie. Lichter funkel-
ten zu ihr her, hohe Häuser umstarrten sie in ehr-
erbietigem Umkreis, Menschenstimmen drangen
schwach bis zu ihr, manchmal erklang ein kurzer
Schrei aus ihrem Schweigen. Sie lag und dehnte
sich in Stille. Sie war einförmig und doch voll
Buntheit. Ich hasse diese Großstadt mit einer un-
ergründliche Liebe, dachte Mia Mirana. Man
gibt sich hin, glaubt an dieses Gewaltige,
Gleißende, und ist unlösbar mit ihm verbunden. —
Dann lernt man seine Härte und übermenschliche
Starrheit kennen und leidet. Aber sich lossagen
kann man nie mehr.

Es war etwas seltsames um diese Einsamkeit.
— Wer nüchtern herbeikam, merkte nicht, daß er
in einer Stille stand. Den umbrauste das Rollen
eiliger Eisenbahnzüge, das schrille Pfeifen eifriger
Lokomotiven, die Rufe der Bahnarbeiter, ihm
dröhnte das Rasseln der Lastwagen, die über die
Brücke krochen, in die Ohren. Er sah in dieser
Brücke nur einen gleichgültigen Teil der Groß-
stadt. Die, denen alles zum Ereignis wurde, erkann-
ten in dieser eisernen Brücke eine Stätte großarti-
ger, ungewöhnlicher Einsamkeit.

Ich gehöre nicht in dieses Gewirre der Groß-
stadt, dachte Mia Mirana. Und doch lebe ich darin.

Eines Tages habe ich einen Menschen gefun-
den, dachte sie, dessen Schaffen ich in mich aufneh-
men konnte. Einen Künstler, dem ich eine Rettung
wurde; dies war unendlich schön. Ich bin ihm
einige Monate alles gewesen. Er war so dank-
bar . . wir waren beide so dankbar. In jenen Mo-
naten war mein Leben reich und voll Licht. Wie
arm bin ich geworden!

Sie fühlte einen Hauch von dem Geiste des Ge-
liebten über sich hinwehen. Sie verwandelte sich
in den Geliebten. Das Werk des Geliebten erstand
vor ihr. Sie hatte die Empfindung, dieses Werk sei
in der unbewußten Sehnsucht nach ihr geschaffen
worden. Sie fühlte, daß ihre Liebe das Herz in
der Schöpfung ihres Freundes war. Das gab ihr
Stärke und Stolz und eine unermeßliche Freude.

Die seltsame Einsamkeit lag breit und behag-
lich. Nichts kümmerte sie. Nicht das Sausen der
Eisenbahnzüge, nicht das Rufen der Männer, die in
dem Schienengewirr beschäftigt waren, nicht das
Rattern der Straßenbahn, die über die Brücke don-
nerte. Und diese Erhabenheit ging auf sie über.
Sie fühlte sich abgeschlossen gegen allen Lärm, der
von draußen kam, und lebte, während sie auf der
Brücke stand und sich über das Geländer beugte,
ein Leben rückhaltloser Versunkenheit. Die Groß-
stadt war weit zurückgeblieben, war versunken
vor der Ergriffenheit dieser Stunde. Sie zitterte
in dem Bewußtsein ihres Könnens, eine tiefe Freude
trug sie über alle Schrecken hinweg, die ihr die-
große Stadt bereitete.

Immer, wenn Mia Mirana verbittert und un-
mutig und verzagt war, ging sie in diese Einsam-
keit, die s i e entdeckt hatte und die kein Mensch
kannte außer ihr. Und die Einsamkeit kräftigte sie,
gab ihr neuen Mut und neue Freude und machte
sie stolzer. Sie fühlte ein Bedürfnis, zu danken für
den inneren Reichtum. In solchen Stunden hätte
sie hinknien mögen in großem Glück.

. . . Die Nacht, die hoch über der Erde stand,
begann sich in weiche weiße Flocken aufzulösen.
Wenn man nach oben sah, erblickte man ein unend-
liches weißes Geriesel, das sich zwischen den Blick
und den Himmel geschoben hatte und in all seiner
Weichheit doch maßlos hart und unbarmherzig
war, weil es den Menschen den Ausblick in den
weiten gewölbten Himmel verwehrte. Und auch
die Einsamkeit zerfloß langsam unter dem uner-
müdlichen Geriesel. Die Lichter zitterten ängst-
licher zwischen den Lücken des weißen Vorhanges
hervor und schienen endlich zu erlöschen. Eine
enge Mauer stand plötzlich um den Blick errichtet.
Wie gespenstische Untiere brachen die Wagen der
Straßenbahn aus der weißen beweglichen Masse
hervor, waren einen Augenblick zu sehen und
tauchten wieder unter. Alle Menschen schienen in
dem endlosen Schneefall ertrunken zu sein. Selbst
die Stimmen der Männer klangen gedämpft, wie
ängstlich aus der Tiefe der Schienenanlage herauf.

Da schlug eine Glut durch das Herz der Frau.
Sie wollte den Kampf aufnehmen gegen eine Welt.
Sie wollte den Menschen die Kunst geben, die sie
lange schon nicht mehr kannten. Welch ein Sege»
waren für sie die Jahre der Trennung von dem
Freund gewesen: Groß und kühn und stark war sie
geworden, hatte ihre Seele mit aller erlesene»
Schönheit ausgeschlagen, hatte sie reich an hohe»
Freuden und hohen Hoffnungen gemacht. Jene
unermeßliche Liebe zu dem Freunde hatte wie eine
Opferflamme in ihrer Brust gebrannt; ohne Reue
konnte sie an jene Tage eines süßen Beisammen-
seins zurückdenken, ohne Reue und ohne Sehn-
sucht . . . Auch ohne Sehnsucht?

Aus übergroßer Liebe waren sie auseinander-
gegangen. Jedes ein Sieger und ein Besiegter.
Jedes durchdrungen von der Ewigkeit ihrer Liebe.
So waren sie auseinandergegangen.

Ah, Johannes, dann kam der Tag, da wir uns
trennen mußten. Es war ein Zwang über uns, dem
wir nicht widerstehen konnten. — Wir wollten die
Schönheit und fürchteten die Nüchternheit des
Lebens. Wie dankbar bin ich jenem Zwang, der
über uns war! Wie reich bin ich geworden, da-
durch, daß ich ihm gehorchen mußte! Und wie
reich bist auch du geworden, Johannes!

So schritt sie durch die weiße Nacht, der Stadt
entgegen. Alles Vertrauen, das in ihr ruhte, war
geweckt durch die seltsame Einsamkeit und die
schmerzlich-freudigen Gedanken an die Trennung
von dem Geliebten. Sie hatte eine Höhe erklom-
men; sie war aus einer fahrenden Sängerin die
erste Künstlerin eines großen Theaters geworden.
Die Großstadt jubelte ihr zu, wenn sie auf der

ns
 
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