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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 160/161 (Mai 1913)
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [3]: Roman
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Walden, Herwarth: Das Fest des heiligen Geistes
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0034

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wollen wir und Verhältnisse, in denen wir zu-
packen können. Reale Werte. Keine wässerigen
Hoffnungen auf eine wässerige Kultur, die nur
Schönheit und immer Schönheit geben soll. Und
nun gar die Musik . . . Ich mag Musik, sehen
Sie ... Ich habe sogar Augenblicke, in denen ich
sie liebe. Aber sie soll nicht nur eine Seele
haben. Was fang ich mit einer Seele an! Greif-
bar muß sie sein, Körper, Masse! Sehen sie,
Massenmusik, das ists, was wir brauchen.
Märsche, kompakte Lieder, keine Dudeleien und
Sentimentalitäten. Musik die den Rhythmus un-
serer Zeit hat, den Rhythmus der Maschinen, der
arbeitenden Proletarierarmee, den trotzigen Glanz
der Arbeiteraugen und das kräftige Stampfen ihrer
Beine. Bringen Sie solche Musik, dann will ich
Sie loben und ihnen eine Zukunft verheißen.

Der Künstler zog den Panzer seines Lächelns
fester um sich und schlug den Angriff des Gegners
zurück. Sie waren aus dem Gleise jenes vergan-
genen Gespräches herausgeglitten und fuhren nun
auf einem neuen weiter. Mit ausbrechender Be-
geisterung erzählte er von den Wundern seiner
Kunst. Die Worte entströmten seinem Munde in
lyrischem Schwung und die Hände begleiteten sie
in ruhig-aufgeregten, rhythmischen Gebärden.

Wenn jeder einmal an die Musik glaubt, wird
alles häßliche Streben nach Macht und Reichtum
ein Ende haben. Das goldene Zeitalter wird wieder
auf die Erde herabsteigen, Löwe und Lamm Wer-
den friedlich im Schatten des Baumes beieinander
liegen, Habicht und Taube sich begegnen. Unter
den Menschen wird nicht Gleichheit herrschen,
weil dies unmöglich ist. Aber sie werden in der
Musik d i e Gleichheit finden, die über ihr ganzes
Leben einen Glanz wirft, und jedes Verlangen nach
selbstischer Macht in ihnen erblassen läßt.

Mit einem kalten Blick tötete der Redakteur die
Begeisterung des Künstlers, die in ihn überzuströ-
men drohte. Er begann, sich vor ihr zu fürchten
und griff zu seiner letzten und schärfsten Waffe,
zum Hohn:

Ich will Ihnen einen Rat geben, bester Freund.
Wenn Sie reich sind, schwimmen Sie in Teufels
Namen weiter in Ihren phantastischen Träumen;
wenn nicht, dann werden Sie munter, erwachen
Sie ins Leben oder schießen Sie sich vorn Kopf!

Beide fühlten, daß der Kampf zu Ende sei, sie
hatten die letzten Waffen verbraucht, unheimlich in
ihrem starren Glauben an ihre Bestimmung. Sie
sprachen jetzt ganz ruhig zusammen, wie Men-
schen, die aus langer Weile gleichgültige Wbrte
wechseln, sie sprachen so alltäglich, daß sie sich
heimlich wunderten. Ihre Worte schlichen
wie müde Pilger durch eine Wüste, um-
geben von Einöde. Redakteur Todt erzählte sogar
Klatsch und war so wenig der Gewaltige, Unnah-
bare, daß ihn keiner wiedererkannt hätte. Nun
stand er da als gewöhnlicher Mensch, klein, scha-
denfroh, flach. Er begann, sich beklemmt zu füh-
len; die armselige Rolle machte ihn unruhig. Er
begann den Künstler als Menschen zu hassen, weil
er jetzt fühlte, wie ihn, den Starken, Steifnackigen
der Kampf erschöpft hatte. Schon um zwei Uhr
verabschiedete er sich. Er war nicht phlegmatisch
genug, noch eine lange Stunde inhaltlose Gespräche
zu führen und sich dem Gegner als nackten Men-
schen zu zeigen. Der Künstler bemerkte die
Schlaffheit des Redakteurs und war überrascht
von seinem Sieg.

Sie kommen wohl heute Abend in das Konzert
der Konservatoristen? fragte der Redakteur, als
er dem andern die formlose Hand reichte. Die
Spannung begann leise wieder in ihm aufzuleben.

Dann saS er wieder in seinem Netz wie eine
Spinne, nach allen Richtungen lauernd, um im
rechten Augenblick zuzugreife'n und seine Bestim-
mung zu erfüllen.

Fortsetzung folgt

Das Fest des heiligen
Geistes

Das „Berliner Tageblatt' rief alle Geister her-
vor, die nicht kamen. Schon lange quälte die
Leser die bange Frage, die endlich die Redaktion
mutvoll ausstieß: Sind Sie abergläubisch? Und
alle antworteten, die Geheimräte und die Künst-
ler jeder Branche, die gewohnt sind, dreimal im
Jahre die bange Frage zu beantworten. Diese
Frage aber traf die Auserwählten der Berufenen
in das Innerste. Sie enthüllten, was sie nicht zu
verbergen hatten. Ehrlich währt am längsten:
„Das beweisen auch die Antworten, die wir hier
als Zeugnisse' menschlicher Ehrlichkeit folgen las-
sen.“ Sie stellen sich recht schlechte Zeugnisse
aus, die hohen Herrschaften. Vielleicht fällt so-
gar manchen Lesern des „Berliner Tageblatts“ auf,
wie lange reine Ehrlichkeit währen kann. Man
kann es mit ihr sogar zur königlich preußischen
Professur bringen. Herr Doktor Dessoir bekennt:
„Ich kann mich beispielsweise von der lächerlichen
Eigentümlichkeit nicht freimachen, solange zu
schreiben, bis alle Tinte aus der Feder geflossen
ist; das heißt also, ich füge dem an sich schon fer-
tigen Satz irgendwelche Worte noch hin-
zu, damit die Feder leer wird.“ Daher also die
Tiefe dieses Philosophen und Aesthetikers. Er
fügt dank der Eigentümlichkeit seiner Feder ir-
gendwelche Tinte hinzu, damit der an sich schon
fertige Satz voll des Geistes wird, dessen die Na-
tion bedarf. Es ist durchaus kein Aberglaube,
man nehme irgendwelche Worte, tauche sie in
Tinte, spieße sie mit der Feder auf, und der banale
Sinn des an sich schon fertigen Satzes wird höch-
stens beklext. Aber, o Wunder des heiligen Gei-
stes, Sinn und Satz bleiben banal. Da sieht die
„teuer und schmerzlich genug erkaufte Endweis-
heit des Lebens“ des Herrn Professors Doktor Al-
bert Eulenburg viel treuherziger aus. Er glaubt
nicht „an das im menschlichen Sinne sogenannte
Vernünftige“. Schade nur, daß sein Unsinn so
wenig Wohltat wird, wie seine Vernunft eine
Plage ist. Er muß, der Herr Professor, die teuer
und schmerzlich genug erkaufte Endweisheit von
der Unvernunft des Vernünftigen sich mit Ant-
worten an das „Berliner Tageblatt“ bezahlen las-
sen. „Nolentem trahunt.“ So sagt der Professor.
So zieht das Leben. Hingegen der Professor Dok-
tor C. Kaßner steht seinen Naturwissenschaftler
im Kampf gegen den unnatürlichen Aberglauben:
„. . . kann ich die Frage durchaus verneinen. Ich
habe gemäß meiner Fachwissenschaft schon in
zahlreichen Aufsätzen . . .“ Gemäß. Zahlreichen
Aufsätzen. Hat er. Der Leser atmet erleichtert
auf, aber schon drückt ihn Herr Professor Doktor
Josef Köhler wieder nieder. Der ist abergläu-
bisch. Ein Jurist. Wenn also sogar die Juristen.
Unsinn ist bei Herrn Professor Kollier oft Ver-
nunft gewesen. (Stolz): „Ich schäme mich des-
sen nicht; meist sind es Halbgebildete, die sich
über derartige Dinge gründlich erhaben fühlen.“
Das trifft Herrn Professor Doktor C. Kaßner ge-
mäß seiner Fachwissenschaft ins Herz, an das er
aber nicht glaubt, gemäß seiner zahlreichen Auf-
sätze. Doch schon eilt ihm Herr Geheimer Regie-

rungsrat Professor Doktor A. Miethe zu Hilf&S
„Wenn Sie' die Frage stellen: Sind Sie abergläu-
bisch?, so darf ich mir wohl die Gegenfrage er-
lauben: Wie meinen Sie das?“ Als ob die Re-
daktion zu ihrem Amt noch eine Meinung hätte.
Der Geheime Regierungsrat sollte eigentlich wis-
sen, daß die Redaktion ihre Leser zum Pfingst-
stollen etwas Geist futtern lassen muß. Und sei
es auch der Geist des finsteren Aberglaubens.
Herr Miethe lehnt ihn ab, aber er beantwortet ihn.
Er gibt gleichfalls gemäß seiner Naturwissenschaft
Aufklärung. Zum Beispiel: „Das Uebersinnliche
ist ja etwas, was nicht sinnlich ist und daher auch
sinnlich nicht wahrgenommen werden kann, sonst
wäre es ja nicht übersinnlich.“ Eine klare Auf-
klärung. Das Uebersinnliche ist platt erledigt. Ein
Geist, der sich so manifestiert, braucht nicht zu
glauben. Das Ungläubige ist ja etwas, was nicht
gläubig ist, sonst wäre es ja nicht ungläubig: „An
Manifestationen zu glauben fühle ich daher kein
Bedürfnis.“ Hingegen Herrn Professor Nernst ist
der Aberglaube ein Bedürfnis. Er hat sich sein
tägliches Leben zu hell gemacht, er braucht den
Aberglauben als „ein gutes Stück Phantasie und
Poesie im täglichen Leben“, während, sehr logisch,
Herr Miethe aus seiner photographischen Dunkel-
kammer heraus sich nach den Lampen des Herrn
Nernst sehnt, soweit gemäß der Fachwissenschaft
des Herrn Professors C. Kaßner an die Existenz
der Sehnsucht geglaubt werden darf, was Herr
Professor Kollier gegenüber diesen Halbgebildeten
wieder gestattet, aber nur in soweit, als die feh-
lende Willensfreiheit des Herrn Professors Eulen-
burg es zuläßt, wodurch schließlich das Farbband
meiner Schreibmaschine so abgespult ist, daß ich
nicht einmal irgendwelche Worte hinzufügen kann,
um mich von der lächerlichen Eigentümlichkeit des
Herrn Professors Dessoir freizumachen. Ich ver-
sichere nur noch hastig, daß sämtliche angefrag-
ten Schauspieler und Schauspielerinnen zu Pfing-
sten ebenso gut dichten, wie die angefragten Dich-
ter seit Ostern komponieren. Daß hingegen Herr
Professor Doktor Stefan Zweig versichert, er ant-
worte (abgesehen von der Redaktion des „Ber-
liner Tageblatts“) auf jedes Sichersein seines Ge-
fühls mit der Erfahrung der Enttäuschung, „die
mich bisher nie betrogen hat, womit mir ein
Wesens zug meines Lebens klar zu werden
scheint, daß ich mir mit Willen wenig erringen
kann, sondern alles Wesentliche von außen
geschenkt empfangen muß.“ Womit das We-
senlose seiner Züge und das Unwesentliche sei-
ner Dichtungen so naturwissenschaftlich bewiesen
ist, daß ich freudig den klaren Extrakt unseres
übersinnlichen Philosophen ohne' irgendwelche
Worte zur gefl. Benutzung stelle, die Worte un-
seres Rudolf Presber:

Und gern noch — zeigt sich sonnig und blau
In meinem Leben ein Maitag —

Soupier’ ich mit einer hübschen Frau
Auf Nummer Dreizehn am Freitag!

H. W.

Verantwortlich für die Schriftleitung:
Herwarth Waiden / Berlin W 9

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