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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 200/201 (Erstes Märzheft)
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht, [5]: Roman
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Walden, Herwarth: Bezüge und Bezügliches
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Meyer, Alfred Richard: Drei Mädchenportäts aus dem Türkischen Zelt zu Charlottenburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0194

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aber mir allzu deutlich empfindend: Störe nicht

meine Kreise ....

Ja!

So war es damals!

Späterhin“ — fuhr er mit einem Seufzer fort,
lächelnd, sich über den Bart streichend —:

Späterhin sollte es sich zeigen, daß da —- hätte
ich fast gesagt — nicht einmal soviel Zeit übrig
blieb, um nur . . , meine Kreise zu zeichnen, so daß
da insofern auch nichts zu stören war! Die Privat-
praxis eines Chirurgen heutzutage und ein Kran-
kenhaus, dazu Frau und Kinder, ach, lieber Herr
Morton, die drei Dinge mögen wohl imstande sein,
selbst die ganze Zerstörung von Syrakus in das
Leben eines Studienmenschen hineinzubringen!“ —
Er lachte wieder, diesmal munterer als vorhin,
trat darauf ein paar Schritte näher an das Regal
heran, ließ seine Blicke bewegt über die Rücken
der Bücher hingleiten.

Einen Augenblick schwiegen sie beide.

Glaß Morton saß noch immer auf seinem Stuhl
in derselben unveränderten Stellung.

Ganz tief da drinnen in ihm — noch tiefer als
dies sonderbare Halbbewußtlose — war es, als
gäre es lautlos und heiß. Er merkte hin und wie-
der gleichsam die schwälenden Dünste für eine Se-
kunde von dort aufsteigen — und begann jedesmal
»eu von Kopf bis zum Fuß zu zittern. Aber
rein äußerlich — außerhalb jener dazwischen lie-
genden Schicht umnebelten Zustandes, die ihm
das siedende Innerste verbergen sollte —
ganz äußerlich war er sehr bewußt und voll-
'kommen klar.

Fortsetzung folgt

Bezüge und Bezügliches

Die Verleger entwickeln sich immer mehr zu
Persönlichkeiten, während die Dichter Geschäfts-
leute werden. Das zehnjährige Bestehen eines
Verlags ist mindestens so wichtig wie der fünfzig-
ste Geburtstag seiner Autoren. Die Feuilletonisten
gratulieren den Autoren, von ihrem fünfzigsten
Lebensjahre ab dürfen selbst die guten in der
Tagespresse genannt werden, die Autoren gratu-
lieren wieder dem zehnjährigen Wunderkind, das
sie in die Welt einführt, in der nicht gelesen wird.
Man kann die Herren Dichter nicht mehr blamieren,
auch die Herren Künstler nicht, als wenn man sie
Rin Meinungen befragt. Nun braucht zweifellos
der Dichter und der Künstler keine Meinung zu
haben. Aber es stellt sich heraus, daß er sie hat
und er stellt sich heraus als das, was er ist, ein
schlechter Kaufmann. Seine Kunst ist nur Zucker-
guß über einer Torte, die aus echtem Sand besteht.
Es war eine raffinierte Enthüllungsidee, die Herren
Dichter zu befragen, was sie von dem Verhältnis
zwischen Schriftsteller, Verleger und Publikum
denken. Alle, die in Kunst schwindeln, haben ihre
sackte Seele gezeigt, die keine Seele ist, sondern
ein Rechenexempel. Einige Beispiele: Der dämo-
nische Kravattenbedichter Hanns Heinz Ewers
schreibt eigens aus Basel, Drei Könige: „Ich für
mein Teil kann nur wünschen, hoffen, ersehnen,
daß die Beziehungen zu meinem Verleger — den
ich liebe und der immerhin noch der anständigste
ist, den icli kenne — in alle Zukunft (toi! toi! toi!)
höchst angenehme, scharmante und für beide Teile
zufriedenstellende sein möchten!“ Früher liebte
dieser Herr Ewers (toi! toi! toi!) „mein deutsches
Volk“, jetzt hat er seine ganze Liebe auf seinen
Verleger geworfen. So scharmant denkt ein My-
stiker im Privatleben. Ueberhaupt auf die Liebe

kommt es an. Ein Herr Heinrich Glücksmann, der
laut Katalog in vergriffenen Luxusausgaben „Fähr-
ten und Narben“ dichtet und Dramaturg, wirklich
Dramaturg des Deutschen Volkstheaters zu Wien
ist, kündet: „Für den Schriftsteller ist es hohe

Schicksalsgunst, wenn er auf einen Verleger stößt
(— das genügt dem Lyriker nicht einmal —), der
das Werk nicht als Sache, nicht als Ware nimmt,
sondern als ein aus der Liebe geborenes, der Liebe
bedürftiges Stück Leben, das mit zärtlich sorgen-
der Hand auf den rauhen Wegen der Welt geführt
und gestützt werden muß, soll es nicht sinken und
unter die Räder geraten.“ Das ist rührend. Der
Verleger als Kindermädchen, der die Fährten und
Narben mit sorgender Hand vor Rädern bewahrt
und nachher womöglich noch im reinlich geglätte-
ten Schrein die schimmernde Wolle sammelt. Der
Herr Georg Hirschfekl hält seine Produktionen für
ein Bedürfnis. Er tut sich zu diesem Zweck mit
dein Verleger zusammen. Herr Hirschfeld ist keine
Persönlichkeit, der Verleger auch nicht und das
Publikum, sagt Herr Hirschfeld, auch nicht. Da es
„aber keine Persönlichkeit, sondern nur ein großes
unbekanntes Entdeckerland ist, wird es von den
beiden Kämpfern als solches zu erobern sein, als
Reich der Möglichkeiten, als seelisches Instrument
und vor allem als Zeitstimme.“ Das Publikum, ein
Entdeckerland, das als seelisches Instrument
erobert wird, fordert allerdings den Verleger mit
den Autor in die Schranken. Ganz schlimm aber
hat es der Verleger mit einem Herrn Doktor Kurt
Pinthus, wenn der ihm in die Hände fällt. „Und
der Verleger sollte seinen Autor ehren, sich um ihn
bemühen und Zwiesprache mit ihm pflegen, denn
Moses suchte Gott im feurigen Dornbüsche und
erklomm als alter Mann den Sinai, um die göttliche
Botschaft zu empfangen.“ Einfacher tut es der Dr.
Gott Pinthus nicht. Er ist das Schrecklichste der
Schrecken! „Drum auch müssen Verleger wie Hei-
lige öfters gekreuzigt oder geopfert werden. Denn
das Hohe ist dem Volke unbekömmlich wie Mayo-
naise dem vulgären Magen.“ Dieses Gottes wegen
mit dem Mayonaisenmagen sollte wirklich kein
alter Mann den Sinai erklimmen. Der Herr Dichter
Siegfried Trebitsch (Verfasser von „Wellen und
Wege“) hingegen hat Grundbeziehungen zum Ver-
leger: „Die Grundbeziehung, die sich beim Schrift-
steller von selber ergibt, ist nur die zum Ver-
leger.“ Die Ursache hiervon ist die Herausgabe
sämtlicher Werke des Herrn Trebitsch. Die besten
deutschen Verleger, zu denen Herr Trebitsch
sicher den Verleger seiner Dichtungen rechnet
„durften oft den Triumph genießen, mit den Wer-
ken reiner und echter Geister auch jenen mate-
riellen Vorteil zu finden, der einzig und allein
es erleichtert, die Wechselbeziehung zwischen
Schriftsteller, Verleger und Publikum zu schaffen,
um die Sie, geehrter Herr, sich zum Heil deutscher
Dichter und Denker oft große Verdienste erwar-
ben.“ Verdienst wird bei Herrn Trebitsch stets
großgeschrieben. Dem Verdienste seine Krone und
seinen Heller, wenn es auch mit einem Heller
überzahlt ist, sogar mit einer faulen Wechselver-
bindlichkeit. Aber die Wechselbeziehung zwischen
Dichter und Verleger wird niemals reine und echte
Geister, geehrter Herr, hervorrufen, sodaß einzig
und allein der materielle Vorteil bestehen bleibt
und der inmaterielle, nur die Rundfragen der
Herren Dichter lesen zu müssen statt ihrer Fährten
und Narben und Wellen und Wege. H. W.

Drei Mädehenporträts
aus dem Türkischen
Zelt zu Charlottenburg

Alfred Richard Meyer

I

Im raschen Schritt des Onsteps weiß ich

plötzlich, Mädchen, dies:
Du bist nach dreizehn Gängen eines mäßigen

Diners von einem Kavalier verfertigt,
geknetet aus dem Weichen eines englischen

Kastenbrotes,

mit Fleiß und Schweiß gekugelt,

in das zwei Zahnstocher als schlanke Beine

eingesteckt sind,

auf dem als fast zu großer Kopf verschrumpelt

eine Lazarettpflaume.

Man könnte Appetit bekommen immerhin, dich

zu verspeisen,

wenn überall nicht noch die Spuren deines

Herrn Vaters wären,

so was vom Schwitzigen der Hände. Ober,

einen Cognak!

II

Wenn Wally (Lachs, du!) tangot, weiß sie

nichts von Argentinien,
obs in Australien, Asien, Afrika liegt, ist ihr

schnurks.

Wenn Wally (Weserlachs, du!) tangot, ist sie

bloß noch Stechkontakt.
Es liegt an dir, die Leitung herzustellen.

Es liegt an dir, die Sicherung nicht durchzubrennen,
in vierundzwanzig oder zweiunddreißig Kerzen

Licht zu sein,

dich Osram, Wotan, A.E.Q. zu nennen.

Weh mir, daß ich im Abiturientenexamen
„kaum genügend“ in der Physik noch hatte!

III

Du trittst so sauber durch die Tür wie aus

einem Rudolf Presber-Gedicht.
Dein Augenpaar träufelt eitel Sirup.

In deinem Munde züngelt es von Pflaumenmus.
Schnittlauch-Rührei quatscht in den Beuteln

deiner Brüste.

Wo Venus Kallipygos ihre heiligen vier Buch-
staben hat,

bandst züchtig du ein Alexander Gardegrena-

dier-Kommisbrot vor.

Die Bügelfalten aller Portokassen straffen sich

erregter.

Empfohlene Bücher

Die Schriftleitung behält sich Besprechung der hier
genannten Bücher vor. Die Aufführung bedeutet bereits
eine Empfehlung. Verleger erhalten hier nicht erwähnte
Bücher zurück, falls Rückporto beigefügt wurde.

Alfred Döbliii

Das Stiftsfräulein und der Tod / Novelle mit
Holzschnitten von E. L. Kirchner
Verlag A. R. Meyer / Berlin-Wilmersdorf

Else Lasker-Schiiler

Hebräische Balladen / Zweite vermehrte Auflage
Verlag A. R. Meyer / Berlin-Wilmersdorf

Clive Bell

Art

London ./ Cbatto und Windus

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