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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 178/179 (September 1913)
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Schwarz, Hugo Engelbert: Elezagal, die gelbe Maus
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Hegner, Jakob: Das Bildnis des Marcel Schwob und seine Grabschrift
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0103

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Gesättigte machten Vorschläge. Aber sie waren
alle mitsammen nichts wert, denn Elezagal war
reich und mächtig, so daß man an sie nicht heran-
konnte, zumal ihretwegen ein eigener Minister
für Fremdenverkehr eingesetzt worden war. Und
wenn sie hätte töten können, die Hauptsache blieb.
Elezagal war gelb und die andern waren nicht
gelb, säe konnten sich nicht Elezagal gleich setzen,
sie blieben minderwertig. Und über Scheiterhaufen
und Verstümmeln, Kerker und Auspeitschen kam
man überein, daß alle Mäuse samt und sonders
neidisch wären auf Elezagals gelbes Kleid. Und
indem sich alle selbst diesen Neid im Innern zu-
gestanden, geschah das Wunder, daß alle aus
Neid gelb wurden. Von der Präsidentin Bibi an
bis zu der Toilettefrau, die durch eine offene Tür-
spalte hindurch der Versammlung beigewohnt
hatte.

Florenz erlebte eine Sensation. Die europä-
ische Presse veranstaltete Extraausgaben.

Elezagal selbst bewahrte die Fassung. Ihr
Manager hatte Mühe, Ordnung in den Reihen der
Besucher zu halten, die alle kamen, um der Buhle-
ria die Neuigkeit zu berichten. An dem Tage reg-
nete es Gold im Hause Elezagals. Aber auch die
andern hatten etwas davon. Denn man mußtq doch
zumindest Vergleiche anstellen.

Der Freundinnen Elezagals bemächtigte sich
eine erlösende Befriedigung. Zufriedenheit kehrte
eia in ihre Herzen und der Neid entfloh. Da wur-
den sie wieder grau.

Gottseidank kam man erst darauf, als die
Morgensonne durch die Gardinen blinkte und der
Hexensabath vorüber war.

Elezagal saß in einem Bade von lauem Sekt,
während aus einer unsichtbaren Douchevorrich-
tung ein feiner Schleier vom Korylopsis und Oppo-
ponax auf ihre Schultern fiel. Da brachte man
ihr die Nachricht von der neuesten Wendung der
Dinge.

Sie lächelte malitiös, schenkte dem Ueberbrin-
ger der Botschaft einen Beutel voll Zechinen und
ließ dann durch einen Zeremonienmeister zu sieh
laden, was Florenz aufzuweisen hatte an Leuten
von Rang und Namen. Hierauf ließ sie ihre Frisur
ordnen und neuen Sekt in die Wanne gießen. Sie
selbst aber nahm ein kostbares Feigenblatt zur
Hand. So empfing sie ganz Florenz. Und während
die Menge begeistert von ihrer Schönheit an der
Wanne vorbeidefilierte, tauchten äthyopische Die-
ner die gelben Kleider in den dampfenden Sekt
Unversehrt hob man sie wieder heraus.

Da rief man Elezagal aus zur Siegerin!

Sie blieb die einzige gelbe Maus, denn sie war
echt

Das Bildnis des Marcel
Sehwob und seine
Grabsehrift

Von Hegner

Im Staatsarchiv grüßten ihn die Diener mit
einem vertraulichen Nicken. Er setzte sich vor
das Eckfenster und hatte die Aussicht auf einen
Baum. Die Fenster waren hoch und in viele vier-
eckige Scheiben geteilt; von der Straße drang
kein Laut herauf; an den Nebentischen hockten
krumme Rücken; die Pergamente knisterten; die
Federn eilten summend von Zeile zu Zeile; das
Licht brach sich an den alten Mauern und würde
grau. Er tauchte unter, schwarze Haarsträhne
blieben zurück von ihm: er war in wurmstichigen

Berichten, stundenlang, und fast verschwunden in
den zierlich ausgetuschten Grüften irgend einer
Klosterhandschrift. Wenn er aufblickte, sah er
den Baum wie künstlich, einen eingerahmten
Zweig, ein paar grüne Büschel auf silbernem
Grund, eine Art japanischen Holzschnitt.

Seine Augen glänzten dunkel wie altertümliche
Metallspiegel und lagen in seinem Gesicht wie in
einer Maske, groß, umrandet und fremd. Er sah
die andern als andrer: nicht von sich aus, son-
dern von ihnen aus. Seine Blicke waren im Fer-
nen, bei ganz bestimmten Zauberern, Gauklern
und Verzückten, in den Weinschenken Korinths
bei Fischhändlern, Sklaven, Flötenbläserinnen,
auch im vorigen Jahrhundert bei Piraten, Dirnen
und Verbrechern, in vielen Vergangenheiten bei
Helden und Heiligen, Königen und Päpsten, und er
erzählte ihre Begegnungen, als ob er selbst der
Fischhändler, der Sklave, der König und der
Papst gewesen wäre. Mit ihnen erlitt er jeden
Glauben und Aberglauben, ihre Furcht und ihren
Mut, ihren Schmerz, ihre Siege und Zweifel und
meldete ganz kurz, was er erlitten hatte: immer
von neuem ein einmaliges, unvertauschbares,
unwiederholbares Schicksal. Er erlebte viele
der Unzähligen, aber sich selbst als Gespenst
unter ihnen, nein, noch weniger, ein augenblick-
licher Schatten, ein Gewandfetzen, den sie be-
rührt, die flüchtigsten Worte, die sie gesprochen,
irgend etwas Uneiniges, das sie getan hatten. Er
wußte genau, wie Innozenz der Dritte betete,
als der Kreuzzug gescheitert war; dessen Hände
waren ihm wirklicher als seine eignen und vor
allem lieber. In den Vorreden sprach er von
Sternen, vom Sterben, auch von Gott, den Küchen
Agrigents und den Asphodeloswiesen der Unter-
welt, wo man sein Ich und seine Lyrik vergißt
und dafür die Ruhe der Pflanzen und die Lust der
stillen Stengel eintauscht. Erkenne dich nicht,
war sein Gesetz, und vergiß dich. Er war ein
großer Dramatiker, doch schrieb er winzige Ge-
schichten.

Seine Kindheit verlief auf dem Sand, in einem
geräumigen Haus. Vor dem Eingang war ein
Garten und weiter eine hügelige Wiese, ein Tum-
melplatz für die Dorfjugend; er mischte sich nicht
in ihre Spiele. Er war kränklich, mager und
neigte zu häufigen Fieberanfällen. Ganz klein
schon hielt er sich am besten in den Zimmern und
baute seinen Zinnsoldaten Schlösser und Burgen
aus Büchern. Aber manchmal, wenn der Lärm
unten sehr laut wurde, verkroch er sich in ein«
Dachkammer und betrachtete durch eine Luke die
rennenden Beine, schwingenden Arme, zornigen
Leiber. Er sammelte seine Teilnahme auf einen
blonden, mädchenhaftängstlichen Jungen und
wünschte sich Riesenkräfte, um ihm beizustehen:
er lernte ihn nie kennen. Mit fünf Jahren las er
das erste Märchen. Ich denke mir ihn auf einem
Teppich liegen, mit aufgestützten Ellenbogen, einen
gleitenden Zeigefinger auf den mächtigen Seiten
der Doreeschen Ausgabe des Perrault. Das war
die Stelle, wo die Prinzessin allein und bei Nacht
aus dem Palaste floh. Die Zeichnung zeigte sie
auf der Marmortreppe vorwärtsschreitend und zö-
gernd zurückgewandt: sie verließ ihr Kleid, ge-
webt aus der Farbe des Himmels und ihren Rock,
bestickt mit Morgenröte, und ihren Mantel ganz
aus Sonnenuntergang. Er wartete begierig, daß
es Abend würde^ staunte dann zum erstenmal über
die Wolkenschleier aus Rot und Gold und Gelb
und hatte nun erfahren, wie der Sonnenunter-
gang wirkt. Die Gestalten folgten ihm in den
Schlaf. Als er kränk lag und die Mutter an sei-
nem Bette wachte, merkte sie, daß er nicht von
ihr erfüllt war, nicht von den Verwandten oder
den täglichen Begebnissen, sondern er nannte un-

vernommne Namen und die Taten des Mannes im
Mond. Mit zwölf Jahren verstand er Lateinisch,
unterhielt sich mit Livius und zitterte für Hanni-
bal. Den Unterricht empfing er von seinem
Vater. Der war ein gelehrter Mann, hatte einen
langen grauen Bart, aber kein Haar auf dem Kopf;
er lachte nie, und auf Fragen gab er eine Frage
zur Antwort; sie klang traurig, bitter oder un-
mutig. Er erzählte ihm ausführlich vom Umsturz
der Staaten, vom Wandel der Überzeugungen und
daß die Pflanzen eine Seele hätten. Wenn sie
vor dem Kaminfeuer saßen, der Alte mit der
Hakennase und das Kind, tief in einem Lehnstuhl,
achtete es nicht auf den redenden Mund. Es
schaute in die Flammen, und drinnen erwiesen
sich ihm die Worte lebendig und warm.) — Warum
sollen sie keine Seele haben? Nimm Wesen an,
die hätten tausend Sinne. Nimm an, sie wohnten
auf einem Stern, und jeden Menschen hier unten
entspräche dort oben ein Ebenbild, eine Blume.
Wenn nun die uns so überlegnen Wiesen Kränze
winden, werden sie nicht ihre Gewächse brechen
und sagen: die hätten keine Enn»findung? In-
dessen stirbt hier unten einer einen gräßlichen
Tod, stürzt einer vom Dach oder ertrinkt oder
wird ein Narr oder verliert sein Gehör, wird blind
oder verdurstet in einer Wüste. —•

Aus den brennenden Scheitern ringelt« dem
Knaben ein Kelch entgegen, wuchsen halbgeborne
Beete, ungewiß entstehende und nie verweilende,
zuckten die Rosen des nächsten Sommers und
endlich Karawanenzüge kämpfender, verschmach-
tender Krieger. Bald darauf, als er allein in die
Flammen sann, wo waren da die Gebilde? In
der Aschenglut erschien ihm der greise Mund des
Vaters und rührte ihn zu Tränen. Er lief hin und
wollte ihm helfen. Aber als er vor dem aufgestörl
Fragenden stand, erbat er sich eine Auskunft über
Jahreszahlen. Und im Frühling verlieh er dem
Garten den Wert der Erde, spaltete ihn ia dig
Weltteile, begabte die Bäume mit der Macht ver-
schollner Herrscher und unternahm durch das
Unkraut wilder Völker und durch das Gebüsch
widerstrebender Häuptlinge, wenn es das Wetter
erlaubte, gefährliche Reisen. Den äußern Plan
übertrug er auf das Innre des Hauses, und es war
keine Stelle mehr, kein Waschbecken, kein Kas-
ten, die nicht zum Ersatz gedient hätten für einen
Berg, einen See, eine» Gegner. Dann verlor er
den Vater, er verlor ihn früh, mitten in grie-
chischen Unterweisungen, und kam in die Groß-
stadt.

Er las unermüdlich, so wie ein andrer uner-
müdlich Kranke pflegt oder Schürzen verkauft
oder Villen baut. Es kann sein, daß ihn die Er-
wähnung eines Geschmeides, einer Wendeltreppe
zugleich an Räuber, die Schätze des Morgenlan-
des und verfallne Türme gemahnte; das kann
sein; er kletterte auf Masten und grub Gold und
schlug kräftig auf den Tisch in Matrosenkneipen:
Masten, die längst verfault, Goldklumpen, die
längst vertan, Matrosenkneipen, die längst abge-
brochen waren; und wenn er von einer Schwalbe
las, daß er weißgetupfte Porzellanglocken klingen
hörte. Aber er stieß auf Bücher, die nicht gele-
sen werden können und die wie Kochbücher sind,
sinnlos, wenn man sie nicht anwendet. Da war
die Stadt eine Maske, jedes Haus eine Verkleidung
und die Menschen verschanzt hinter Worten und
Gebärden. Wäre man doch ein Soldat, auf die
Dauer eines Wimpernschlags wirklich und inner-
lich ein Soldat, arm, von der Sonne gebräunt, ein
Gewürzherr, ein Kaufmann, eine einfache Frau,
Irgendeine im Kreis ihrer Kinder, oder ein Mäd-
chen, schlank und verschleiert, wie es in den La-
den eines Zuckerbäckers tritt, den Schleier hoch-
hebt, in einen Kuchen beißt, einen Schluck Was-

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