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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 170/171 (Juli 1913)
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Walden, Herwarth: Festspielerei
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Mynona: Idee vom Ferntaster
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0069

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Festspielerei

Hauptmanns Freunde und Feinde

Hunderttausende haben sich über das Festspiel
entrüstet, hunderttausende haben es verteidigt
Gelesen hat es wohl kaum der zehnte Teil. Ab-
lehnung und Anerkennung sind gleich wertlos. Die
Gegner interessieren sich überhaupt nicht für
Kunst, dürfen also über Hauptmann nicht einmal
eine Meinung haben. Sie reden über Gefühle, wo-
runter sie wieder einmal Begriffe verstehen. Die
Freunde finden durch das Breslauer Verbot die
„Kunst“ bedroht. Kunst wird von Künstlern ge-
macht, was sehr betrüblich aber nicht zu ändern
ist. Und täglich bedrohen die „Freunde Haupt-
manns“ die. besten Künstler Deutschlands, die nicht
alle Hauptmann heißen können. Nach zwanzig-
jährigen Kampf ist dieser Name Begriff geworden,
also heilig wie das Vaterland, die Religion, die
Liebe und das Geld. Sogar Korpsstudenten holen
den Träger dieses Namens ab. Sie wissen nichts
von ihm. Aber als Vorwand zu Kneipereien gel-
ten auch Dichter mit dem König. Es wird fortge-
soffen. Alle Bürger sind plötzlich kunstbesoffen.
Und Gerhart Hauptmann, ein Dichter wenn auch
kein Künstler, muß sich von Leuten, die auch eine
Feder besitzen, preisen lassen, weil ihm ein paar
theoretische Krieger sein Festspiel verboten haben.

Hauptmanns Engel

Das „Berliner Tageblatt“ hatte „unseren Spe-
zialkorrespondenten“, zu deutsch Herrn Fritz En-
gel, nach Breslau gesandt. Pflichtgemäß meldete
er uns Vermischtes. „Die ungeheure Zuschauer-
schaft erwärmte sich an ihrem eigenen Anblick.“
Kunst im eigenen Heim. Jeder sein Weltspiegel.
„Auch das sprödere Material der hiesigen Stati-
sterie hatte den Furor Reinhardticus. Dabei sah
man das deutliche Bemühen, niemals die Würde
des Stoffes zu verletzen . . .“ Stoffe dürfen nie
verletzt werden, denn die Konfektion ist heilig.
Auch Sparsamkeit ist eine Tugend: „Licht wurde
nicht vergeudet, die Gesänge blieben im Hinter-
grund. Der Darstellung hätte man gern lauter
erste Schauspieler gewünscht, aber es gab auch
andere.“ Dafür wurden eben die Stoffe geschont.
„Bei einem Ueberblick über Inhalt und Sinn des
Werkes ergeben sich zwei hervorstechende
Züge.“ Die kluge Rücksicht und die freisinnige
Gesinnung. Die stechen Herrn Engel bei einer
Dichtung in die Augen. Die kluge Rücksicht
braucht man für die „Bedingungen eines Fest-
spiels“. Man erfährt aus der Poetik des Herrn
Engel, daß bei einem Festspiel die dramatische
Steigerung durch die Fülle der Anschauung ersetzt
werden muß. Die Anschauung hinwiederum kann
man durch den eigenen Anblick ersetzen, der eine
Wärmesteigerung hervorruff. Ferner gilt es, bei
einem Festspiel Charaktere nicht zu entwickeln,
sondern nur zu schildern. Das Nichtentwickeln
verstößt nicht gegen die freisinnige Gesinnung,
wenigstens macht Herr Engel keinen Vorbehalt.
Die kluge Rücksicht des Autors bezieht sich nach
Herrn Engel auch auf die Reinhardtische Regie-
kunst bei der Anordnung der Szenen. Diese kluge
Rücksicht macht unbedingt Vorsicht nötig. Sie
würde eine bedenkliche Entwicklung des Charak-
ters darstellen, wenn Herr Engel richtig geschil-
dert hat. Er war aber wohl an seinem eigenen
Anblick zu sehr erwärmt. „Wichtiger noch ist
der andere Punkt.“ Der zweite hervorstechende
Zug hat sich zu einem Punkt entwickelt. Es gibt
drei Arten von Punkte: Standpunkte, Gesichts-
punkte und Höhepunkte. Der Standpunkt: „Würde
Hauptmann ein Festspieldichter nach der Scha-
blone sein? Einer der Umfärber und Hurra-
schreier, die übet! die erweislich wahren Tatsachen

der Geschichte die bengalische Pracht einer fal-
schen Pietät ausbreiten? Würde er, um einen Or-
den, einen Titel,; oder den Schillerpreis zu erhalten,
diese Tatsachen wie ein Hoipoet und Officialdich-
ter ansehen? Wer ihn kannte, sagte von vorn-
herein: „Nein!“; aber es ist angenehm, diese
Ueberzeugung bestätigt zu finden.“ Die Freisin-
nigen sind immer vorsichtig. Herr Engel ist also
angenehm überrascht, daß aus Gerhart Hauptmann
nicht Herr von Lauff wurde. Man kann nie wis-
sen. Der Standpunkt ist gewahrt, das Festspiel
enthält nur „erweislich wahre Tatsachen“. Man
kann also juristisch dafür eintreten. Der Gesichts-
punkt: „Dieses Festspiel ist, alles im allen, ur-
deutsch . . .; urdeutsch schon in seiner Anlehnung
an Germaniens deutschestes Gedicht, an
Faust, insbesondere den zweiten Teil; urdeutsch.
weil es deutschen und hellenischen Geist zuletzt
verschmilzt, und urdeutsch schließlich deshalb, weil
es ausklingend vom Frieden eines freien Bürger-
volkes schwärmt.“ Man fühlt sich kaum imstande,
dieses Deutscheste zu verdeutschen. Das Deutsche
scheint hiernach wesentlich in der Anlehnung zu
liegen: an Faust, an den hellenischen Geist und
an das freie Bürgervolk. Faust ist der Deutscheste,
weil er sich an Helena anlehnt, der deutsche
Geist der deutscheste, weil er hellenischen
Geist schlecht verstand und ihn sehr mäßig
kopiert. Und das Festspiel ist das Deutscheste,
weil es Hauptmann vom Sozialdemokraten
zum Liberalen macht. „Aber es wäre wie-
derum falsch, ihm die Etikette einer gegenwärtigen
Partei aufzukleben.“ Und nun der Höhepunkt:
„Und kühler, aber sichtlich groß ist die Metamor-
phose, da eine dieser deutschen Mütter sich' aus der
mater dolorosa umwandelt in die Göttin, in die
griechische, in die dennoch deutsche Pallas Athene,
und von ihrem friedvoll schönen Munde mehr Licht
ausgeht, als je von der besten Festspiellicht-
maschine ausgehen kann.“ Licht wird nicht ver-
geudet, infolgedessen sieht Herr Engel alles
deutsch, die mater dolorosa nebst Pallas Athene
werdeji naturalisiert und die Kunst ist bewiesen.
Sonst wird noch gemeldet, „daß das gewaltige
Gemälde der großen Revolution sich aufrollt.
Hegel und Jahn, Scharnhorst und Blücher konver-
sieren. Fichte wirft seine Funken in die Stu-
dentenschaft. Der Engländer ... ist komische
Figur, aber es fällt das sehr ernste Wort,
daß England und Preußen, die Vormächte des
Protestantismus Zusammenhalten müssen. Es folgt
die Mütterszene und die Metamorphose.“ Die
Naturalisierung geht so vor sich: „Einer der Vor-
hänge, mit denen das gestufte Podium und die Or-
chestra in drei Schauplätze geteilt wird, lüftet sich
nun zum ersten M a 1. Der deutsche Dom im
letzten Hintergrund der Jahrhunderthalle wird
sichtbar. Die Masse strömt hinein . . .“ Unter
der Regie von Professor Max Reinhardt. Da kann
man nicht widerstehen. Pallas Athene belegt beim
Professor deutsche Sprache, mater dolorosa geht
in den deutschen Dom, und Fritz Engel lüftet den
Vorhang zur Kunst und findet nur die jahrhundert-
halle. Hoffentlich deshalb, weil er zu sehr mit sich
beschäftigt war.

Der Bruder Carl

„Einer unserer Mitarbeiter hat den Gedan-
ken gehabt, bei dem Bruder Gerhart Hauptmanns,
dem Doktor und Dichter Carl Hauptmann, an-
zufragen, was er über die Breslauer Inhibierung des
Festspiels denke.“ Der Gedanke, den Doktor Carl
Hauptmann für einen Dichter zu halten, kann nur
unseren Mitarbeitern im „Berliner Tageblatt“ ein-
fallen. Herr Doktor Carl, der Bruder, antwortete:
„Ende September kommt als erste Novität am ...
mein Drama . . . , das im Oktober auch bei

. . . herauskommt. Ende Oktober kommt gleich-
zeitig in . . . und in . . . mit der ausgezeichneten
. . . heraus. Endlich einmal ... Sie begreifen,
wie ich mich freue —-.“ Das denkt der Dok-

tor Carl. Er ist nämlich „mit Arbeit völlig über-
bürdet“. Aber er versichert unserm Mitarbeiter
„nicht zum Schaden der Seele und der Stimmung“.
Die Seele und die Stimmung wird verdichtet.
September und Oktober kommt alles heraus. Der
Doktor Carl konnte sich um Breslau „nicht küm-
mern“. Er konnte das Spiel „Gerharts“ nicht
lesen. Der Bruder Carl hält sich nämlich „wäh-
rend der Produktionszeiten von Lektüre ziemlich
frei“. Man muß sich vor der Geburt schonen. Er
weiß nur „das Allergeringste vom Hörensagen“.
Trotzdem kann er die Gelegenheit herauszukom-
men, im „Berliner Tageblatt“ herauszukommen,
sich nicht versagen. (Sie begreifen, wie ich mich

freue-.) Trotzdem er mit Arbeit überbürdet ist.

Trotzdem weiß er schon das Allergeringste vom
Hörensagen, trotzdem „will üs mir scheinen, daß
Gerhart unsere Zeit zu rein künstlerisch nahm“.
Davor wird sich der Bruder Carl hüten. Gerhart
konnte „dem Bedürfnis von Riesenfestgesellschaften
nicht völlig entsprechen“. Der Bruder Carl aber
entspricht dem Wunsch unseres Mitarbeiters, zum
Nutzen der Seele und der Stimmung und schließt
sein Epistel apokalyptisch: „Aber, wie gesagt, ich
befinde mich völlig außerhalb (das heißt in Mittel-
schreiberhau), weil ich mit drei großen Sachen
oder auch Drachen kämpfe, die ich bis
zum September 1913 besiegen muß.“ Offenbar
ein Rekord für das Bedürfnis heutiger Riesenfest-
gesellschaften, denen Gerhart nicht völlig ent-
sprechen kann. Der Kampf mit den drei Drachen
wird Ende September 1913 im Weltspiegel zu be-
sichtigen sein. Vor dem Tiefdruck sei der Bruder
Carl hiermit tiefer gedrückt. Nicht zum Schaden
der Seele und der Stimmung.

H. W.

Idee vom Ferntaster

Von Mynona

So haben wir denn Telegraphie, Telephonie, der
Fernseher ist so gut wie fix und fertig. Und nur
die Telehaptie, der Telehaptor, der Ferntaster
läßt noch auf sich warten. Was nutzt uns der ganze
Wells, wenn er vor dieser Idee zurückschrickt?
Aber diie Sache steht ja viel kläglicher, als man
argwöhnt: wir sind verloren, wenn wir das
Telehaptieren nicht lernen. Solange unser Getast
wie versteinert festsitzt, und nur seine Verfeine-
rungen, das Gesicht, der Geruch, das Gehör ihren
freien Ausflug in die Welt machen, sind wir arm-
selige Gefangene. Aber wir wollen nicht gleich
Weinen! Man muß ein paar Worte der Ermutigung
sprechen. Manches wird nur deshalb nicht ge-
funden, weil man gar nicht auf den Gedanken
kommt, es zu suchen. Der Gedanke, das Getast
zu telehaptieren, einmal gefaßt, wird sich realisie-
ren müssen!

Ich bin jetzt nicht in Beßarabien, ich bin hier an
dem Orte, von dem einige Leute mit gesunder Ver-
dauung immer wieder fragen: Was ist des Deut-
schen Vaterland? Hole sie • . .

Ja, der Kuckuck, der singt manchmal zu schön,
Frau Werner — Was ich doch gleich sagen wollte:
ich bin hier! Aber bin ich nicht überall...
bis ... bis .. . bis auf mein bischen — Ge-
tast???

Also there lies the rub! Mein Gesicht reicht
milchstraßenweiit, mein Gehör unter Umstände»

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