Nachriehtung
Das ist das Ende. Mit der Besprechung des
Ersten Deutschen Herbstsalons haben sich diese
namhaften Kunstkritiker selbst gerichtet. Ueber
Tote soll man nur Gutes reden. Sie haben sich
ausgeschimpft und ausgeschrien. Ich hätte ihnen
so gern ein Stückchen Natur noch gegönnt, ein
trautes Plätzchen an der Sonne, Herrn Robert
Breuer insbesondere sogar ein Häuschen des
Werkbundes. Zu spät. Sie liegen leicht plattge-
drückt auf dem schönen Rasen, der ihnen Kunst
ist, atemlos, tot. Aber gedacht soll ihrer werden.
Man braucht sich nicht mehr nach Griechenland
zu bemühen, der bekannte Herr Herostrat braucht
nicht mehr zitiert zu werden, wir haben jetzt
reichlich von der Sorte. Da war der gute Fritz
Stahl. Ein Ehrenmann. Nicht Schlechtes kann
ihm nachgesagt werden. Mein Gott, er verstand
nichts von Kunst. Das verstehen viele andere
Leute auch nicht und sind trotzdem nützliche Glie-
der der menschlichen Gesellschaft. Er kannte,
wie jeder andere, seinen Raffael und seinen Rem-
brandt, er wußte, wie Goethe aussah. Er wußte
sogar, daß Henri Rousseau ein Dilettant war. Er
hatte, wie viele andere, ein schlechtes Gedächtnis
für Hausnummern, das bei ihm allerdings fast
krankhaft anmutete. Aber schließlich sieht jeder
Mensch beim Sturm schlechter. Da der Sturm
nicht gemalt wird, der Sturm ist dazu nicht natür-
lich genug, wurde er von Fritzi Stahl nie entdeckt.
Er schlug ihm außerdem in die Augen. Manche
Menschen können sich eben keine Hausnummern
merken. Vor allem nicht schwere Nummern. Es
leuchtet mir ohne weiteres ein, daß Fritz Stahl
unsere Ausstellung von der Königin-Augusta-
Straße 51 nach Nummer 50 verlegte, versetzte
oder verdruckte. 50 merkt sich besser. 75 k a n n
man sich nicht merken. Darum verlegte, ver-
setzte oder verdruckte Fritz Stahl den Ersten
Deutschen Herbstsalon nach Potsdamer Straße 76.
Diese Nummer ist einleuchtend, leicht zu merken,
leichter als 75 und die Eins, die er früher genom-
men hat, zahlte er jetzt zurück. Außerdem ist
dort ein Bauplatz, auf dem er im Frühling wieder
das Gras hätte wachsen hören können. Nun liegt
er auf dem Rasen. Was wäre geschehen, wenn
er die jetzige Nummer der ständigen Ausstellun-
gen des Sturms, 134a, sich hätte merken müssen.
Er hätte sich sicher ein x für ein a vorgemacht
und die Nummer hätte selbst Fritz Stahl in phan-
tastische Erregungen gebracht. Nur einen
Schmerz habe ich dem toten Mann angetan. Ihm
ist das Lachen von den „Wortführern der Zu-
kunftkunst“ streng verboten worden. Er war eine
sonnige Natur und wollte lachen. Nun ist es zu
spät. Ihm hätte ich ausnahmsweise gestattet, zu
lachen, sich schief zu lachen, sich totzulachen.
Er hat sich totgeschimpft. Er war ein Ehrenmann,
nehmt alles nur in allem. Und sein Nachlaß wird
uns oft noch Gelegenheit geben das zu tun, was
jhm verboten war: zu lachen. Mit ihm verschied
für die Kunst Herr Professor Oskar Bie. Es bleibt
erstaunlich, daß ihn die Langeweile seiner Neuen
Rundschau so lange mobil erhielt. Langeweile ist
zwar die Tugend der Kunstkritik. Er besaß alle
Tugenden, dieser Professor. Er begeisterte sich
für die Musik und half Richard Strauß entdecken.
Er begeisterte sich für den Tanz und legte die
leichteste Bewegung in dicken Worten fest. Er
begeisterte sich für die Malerei und war farben-
blind. Es soll damit dem Verunglückten kein Vor-
wurf gemacht werden. Farbenblindheit ist eine
Krankheit und über Krankheiten ist nicht zu spa-
ßen. Dabei liebte er die Farben, wie ein Tauber
die Musik. Noch kurz vor seinem Abschied be-
suchte er den Ersten Deutschen Herbstsalon. Er
freute sich nicht über die Bilder, aber über den
anwesenden Maler Delaunay: „Da ist Herr De-
launay. Er sieht so nett aus, im braunen Anzug,
auch das Westenfutter ist braun.“ Nun trug Herr
Delaunay zwar einen roten Anzug, auch das
Westenfutter war rot. Aber braun ist auch eine
hübsche Farbe. Und warum soll nicht jemand
braun statt rot sehen, wenn ihm grün und blau vor
den Augen wird und er außerdem farbenblind ist.
Kein Vorwurf, nur eine Feststellung. Aber auch
von diesem braven Professor ist noch ein Nachlaß
zu erwarten. Selbst der graueste Theoretiker
wird sich darüber scheckig lachen können. Und
wieder denke ich mit Wehmut an den braven
Fritz Stahl, der nicht mehr mitlachen kann. In
der Blüte seiner strotzenden Schimpfereien wurde
Herr Robert Breuer dahingerafft. Er war der gut-
mütigste von allen. Ein jüngerer Mann mit star-
Ker Neigung zum Schmerbauch, der sich sein Fett
vom Leibe herunterschimpfte. Er wurde aus die-
sem Grunde direkt erfinderisch und bekam Origi-
nalität, die der ehrlichen Haut sonst versagt blieb.
Er erfand den „Hottentotten im Oberhemd“, „die
Horde farbenspritzender Brüllaffen“, „die bunt-
häutigen Tölpel“. Er wiederholte sich nie in
Schimpfworten. Während er in Berlin die Maler
als „Neger im Frack“ vorstellte, ließ er sie in
Kassel als „Säuglinge im Frack“ auftreten. Nur
für Stettin erfand er nie Neues. Ein loyaler
Mann. Er versprach, „die Pinsler noch einmal
gründlich in der Retorte zu kochen“. Leider
platzte er selber vor diesem Vergnügen. Er hat
sich totgeschimpft. Allzuviel ist ungesund. Und
dabei war er ein guter Mensch. Harmlos und
kindisch, ein Bürger seiner Zeit und treuer Freund
seines Freundes Westheim. Orestes und Pylades
sind entbehrlich geworden: Breuer und Westheim
haben sich mit hörbarem Ruck an ihre Stelle ge-
setzt. Nie konnte einer schreiben, ohne daß er
den andern zitierte. Wie Robert Breuer sagt.
Wie Paul Westheim bemerkte. Wie Robert
Breuer bemerkte. Wie Paul Westheim sagt. Es
ist nicht zu sagen, nur zu bemerken. Breuer
konnte kein Schimpfwort erfinden, was West-
heim nicht anwandte. Und wenn Paul Westheim
schrieb: „eine Reihe buntscheckiger Schießschei-
ben“, so schrieb Robert Breuer: „Schützenschei-
benbilder“. Westheim empfindet malerischer,
Breuer naturalistischer. Aber die Seelenver-
wandtschaft ist zweifelsohne. Da Westheim so-
zusagen nur sekundär schimpfte, blieb er am
Leben und wird demnächst im Panoptikum gezeigt
als der Freund des Freundes. Wenn man von
Westheim überlebt wird, kann man getrost gen
Westen fahren. Der Herbtsalon hält reiche Ernte.
Die besten Männer sanken um. Da war noch
Herr Karl Scheffler. Die Geschichte kennt bereits
einen ami de Beethoven. Karl Scheffler wird
weiter fortleben als ami de „Kunstnapoleon aus
der Viktoriastraße“. Der ami de Beethoven fand
Beethoven wenigstens vor. Herr Karl Scheffler
mußte sich seinen Götzen erst schaffen. Jeder hat
den Napoleon, den er verdient. Es fällt mir dabei
nicht einmal ein, verdienen groß zu schreiben.
Denn der Kunstnapoleon ist nur der große Bruder.
Mein ami war Herr Karl Scheffler nicht. Er be-
hauptet, daß ich „flink“ sei. Und er hat recht. Ich
sprang ihm mit einer einstweiligen Verfügung auf
den Kopf, wodurch ihm bei einer fiskalischen
Strafe von 500 Mark für jeden Fall der Zuwider-
handlung das weitere Verbreiten einer Nummer
seiner Zeitschrift: Kunstna—nein, Kunst und
Künstler verboten wurde. Einer Nummer, in der
er ohne Erlaubnis und ohne Berechtigung ein
Aquarell von Franz Marc reproduziert hatte.
Worauf er in der Vossischen Zeitung bemerkte:
„Sehr sehr schade ist es um den kräftig begabten
Franz Marc“. 500 Mark für jede Nummer ist
wirklich ganz kräftig. Und das habe ich mit mei-
nen „Kinderfüßen“ getan. Natürlich habe ich mich
auch der Aufgabe eines Herbstsalons „nicht ge-
wachsen gezeigt“. Was ja eigentlich durch meine
Kinderfüße erklärlich war. Herr Karl Scheffler
entdeckte bei mir eine „deutliche Vorliebe für das
Absonderliche und Alberne“. Es kann doch nicht
jeder so ernst sein wie Herr Karl Scheffler. Herr
Scheffler war außerdem ganz hervorragend gebil-
det. So äußerte er: „Jeder fremde Mensch, das
bin ich; und ich, das ist jedermann“. Sehr wahr!
„Die meisten Menschen sind schon verlegen dar-
über, daß sie nicht anders sind, als die Natur sie
gemacht hat, trotzdem sie daran doch ganz un-
schuldig sind.“ Dies Kind, kein Engel ist so rein,
sagt Schiller. „Was die Verlegenheit so qualvoll
macht, ist, daß sie Unsicherheit ist.“ Wenn Herr
Karl Scheffler seine Verlegenheiten verlegen läßt,
fühlt er sich offenbar sicherer. „Ich fühle Befan-
genheit. wenn meine Gedanken, sobald ich sie in
Worte kleide, mir albern zu klingen scheinen.“
Und er bemerkt bei mir die Vorliebe für das Al-
berne, was e r schreibt und wird befangen ohne
an die einstweilige Verfügung zu denken. Trotz-
dem ich mich entschieden weigere, Karl Scheffler
zu heißen. Man hätte mit dem Herbstsalon „eine
Eliteausstellung der ringenden Kräfte machen kön-
nen“, sagt Herr Scheffler. Die Spätherbstausstel-
lung von Napoleon dem Vierten verheißt offiziell,
daß dort „die ringenden Talente“ gezeigt werden.
In meiner Ausstellung. Herr Karl Scheffler, hat es
sich schon ausgerungen. Das vierblättrige Klee-
blatt Stahl. Bie. Breuer, Scheffler habe ich flink
abgerissen, es an meinen braunen Rock gesteckt,
mir viel Glück gewünscht und dann es lachend
zertreten.
H. W.
Die Presse
und der Herbstsalon
Eine Gegenüberstellung
Frankfurter Zei-
tung
Es wird die Vorstellung
erweckt, als ob es in dieser
Ausstellung etwas zu sehen
gäbe von den Entwick-
lungsfortschritten. Nie war
eine Prätention anmaßen-
der, nie weniger begründet.
National-Zeitung
Es ist heute keine Frage
mehr, daß die Kräfte, die
hier an der Arbeit sind,
bestimmt sind, Anregungen
und Ausgangspunkte für die
Wege zu geben, die die
Kunst der Zukunft ernst
gehen wird.
Casseier Allge-
meine Zeitung (Herr
Robert Breuer)
Ernsthafte Leute werden
mit dieser Ausstellung
sehr schnell fertig sein;
es gibt da gar kein Prob-
lem, es gibt nur Bedauern
und Lachen.
Dresdener Neuste
Nachrichten
Der Tag, an dem der
erste deutsche Herbstsalon
eröffnet wurde, darf als
historisches Datum gelten.
Es bat etwas Überwälti-
gendes, allüberall Kämpfer
und Vertreter der neuen
Prinzipien am Werke zu
sehen.
Hamburger Nach-
richten
Es ist in der Tat grober
Unfug, diese Unsumme von
Lächerlichkeiten, von blö-
den Schmierereien. — —
Man glaubt aus der Gemäl-
degalerie eines Irrenhauses
zu kommen.
Vorwärts (Derselbe
Herr Robert Breuer)
Es ist eine Kunst der
Extreme.Es wäre
dennoch eine schwere Be-
fangenheit, sie, wie das
neulich Meier-Gräfe tat, für
toll und dilettantisch zu er-
klären.
114
Das ist das Ende. Mit der Besprechung des
Ersten Deutschen Herbstsalons haben sich diese
namhaften Kunstkritiker selbst gerichtet. Ueber
Tote soll man nur Gutes reden. Sie haben sich
ausgeschimpft und ausgeschrien. Ich hätte ihnen
so gern ein Stückchen Natur noch gegönnt, ein
trautes Plätzchen an der Sonne, Herrn Robert
Breuer insbesondere sogar ein Häuschen des
Werkbundes. Zu spät. Sie liegen leicht plattge-
drückt auf dem schönen Rasen, der ihnen Kunst
ist, atemlos, tot. Aber gedacht soll ihrer werden.
Man braucht sich nicht mehr nach Griechenland
zu bemühen, der bekannte Herr Herostrat braucht
nicht mehr zitiert zu werden, wir haben jetzt
reichlich von der Sorte. Da war der gute Fritz
Stahl. Ein Ehrenmann. Nicht Schlechtes kann
ihm nachgesagt werden. Mein Gott, er verstand
nichts von Kunst. Das verstehen viele andere
Leute auch nicht und sind trotzdem nützliche Glie-
der der menschlichen Gesellschaft. Er kannte,
wie jeder andere, seinen Raffael und seinen Rem-
brandt, er wußte, wie Goethe aussah. Er wußte
sogar, daß Henri Rousseau ein Dilettant war. Er
hatte, wie viele andere, ein schlechtes Gedächtnis
für Hausnummern, das bei ihm allerdings fast
krankhaft anmutete. Aber schließlich sieht jeder
Mensch beim Sturm schlechter. Da der Sturm
nicht gemalt wird, der Sturm ist dazu nicht natür-
lich genug, wurde er von Fritzi Stahl nie entdeckt.
Er schlug ihm außerdem in die Augen. Manche
Menschen können sich eben keine Hausnummern
merken. Vor allem nicht schwere Nummern. Es
leuchtet mir ohne weiteres ein, daß Fritz Stahl
unsere Ausstellung von der Königin-Augusta-
Straße 51 nach Nummer 50 verlegte, versetzte
oder verdruckte. 50 merkt sich besser. 75 k a n n
man sich nicht merken. Darum verlegte, ver-
setzte oder verdruckte Fritz Stahl den Ersten
Deutschen Herbstsalon nach Potsdamer Straße 76.
Diese Nummer ist einleuchtend, leicht zu merken,
leichter als 75 und die Eins, die er früher genom-
men hat, zahlte er jetzt zurück. Außerdem ist
dort ein Bauplatz, auf dem er im Frühling wieder
das Gras hätte wachsen hören können. Nun liegt
er auf dem Rasen. Was wäre geschehen, wenn
er die jetzige Nummer der ständigen Ausstellun-
gen des Sturms, 134a, sich hätte merken müssen.
Er hätte sich sicher ein x für ein a vorgemacht
und die Nummer hätte selbst Fritz Stahl in phan-
tastische Erregungen gebracht. Nur einen
Schmerz habe ich dem toten Mann angetan. Ihm
ist das Lachen von den „Wortführern der Zu-
kunftkunst“ streng verboten worden. Er war eine
sonnige Natur und wollte lachen. Nun ist es zu
spät. Ihm hätte ich ausnahmsweise gestattet, zu
lachen, sich schief zu lachen, sich totzulachen.
Er hat sich totgeschimpft. Er war ein Ehrenmann,
nehmt alles nur in allem. Und sein Nachlaß wird
uns oft noch Gelegenheit geben das zu tun, was
jhm verboten war: zu lachen. Mit ihm verschied
für die Kunst Herr Professor Oskar Bie. Es bleibt
erstaunlich, daß ihn die Langeweile seiner Neuen
Rundschau so lange mobil erhielt. Langeweile ist
zwar die Tugend der Kunstkritik. Er besaß alle
Tugenden, dieser Professor. Er begeisterte sich
für die Musik und half Richard Strauß entdecken.
Er begeisterte sich für den Tanz und legte die
leichteste Bewegung in dicken Worten fest. Er
begeisterte sich für die Malerei und war farben-
blind. Es soll damit dem Verunglückten kein Vor-
wurf gemacht werden. Farbenblindheit ist eine
Krankheit und über Krankheiten ist nicht zu spa-
ßen. Dabei liebte er die Farben, wie ein Tauber
die Musik. Noch kurz vor seinem Abschied be-
suchte er den Ersten Deutschen Herbstsalon. Er
freute sich nicht über die Bilder, aber über den
anwesenden Maler Delaunay: „Da ist Herr De-
launay. Er sieht so nett aus, im braunen Anzug,
auch das Westenfutter ist braun.“ Nun trug Herr
Delaunay zwar einen roten Anzug, auch das
Westenfutter war rot. Aber braun ist auch eine
hübsche Farbe. Und warum soll nicht jemand
braun statt rot sehen, wenn ihm grün und blau vor
den Augen wird und er außerdem farbenblind ist.
Kein Vorwurf, nur eine Feststellung. Aber auch
von diesem braven Professor ist noch ein Nachlaß
zu erwarten. Selbst der graueste Theoretiker
wird sich darüber scheckig lachen können. Und
wieder denke ich mit Wehmut an den braven
Fritz Stahl, der nicht mehr mitlachen kann. In
der Blüte seiner strotzenden Schimpfereien wurde
Herr Robert Breuer dahingerafft. Er war der gut-
mütigste von allen. Ein jüngerer Mann mit star-
Ker Neigung zum Schmerbauch, der sich sein Fett
vom Leibe herunterschimpfte. Er wurde aus die-
sem Grunde direkt erfinderisch und bekam Origi-
nalität, die der ehrlichen Haut sonst versagt blieb.
Er erfand den „Hottentotten im Oberhemd“, „die
Horde farbenspritzender Brüllaffen“, „die bunt-
häutigen Tölpel“. Er wiederholte sich nie in
Schimpfworten. Während er in Berlin die Maler
als „Neger im Frack“ vorstellte, ließ er sie in
Kassel als „Säuglinge im Frack“ auftreten. Nur
für Stettin erfand er nie Neues. Ein loyaler
Mann. Er versprach, „die Pinsler noch einmal
gründlich in der Retorte zu kochen“. Leider
platzte er selber vor diesem Vergnügen. Er hat
sich totgeschimpft. Allzuviel ist ungesund. Und
dabei war er ein guter Mensch. Harmlos und
kindisch, ein Bürger seiner Zeit und treuer Freund
seines Freundes Westheim. Orestes und Pylades
sind entbehrlich geworden: Breuer und Westheim
haben sich mit hörbarem Ruck an ihre Stelle ge-
setzt. Nie konnte einer schreiben, ohne daß er
den andern zitierte. Wie Robert Breuer sagt.
Wie Paul Westheim bemerkte. Wie Robert
Breuer bemerkte. Wie Paul Westheim sagt. Es
ist nicht zu sagen, nur zu bemerken. Breuer
konnte kein Schimpfwort erfinden, was West-
heim nicht anwandte. Und wenn Paul Westheim
schrieb: „eine Reihe buntscheckiger Schießschei-
ben“, so schrieb Robert Breuer: „Schützenschei-
benbilder“. Westheim empfindet malerischer,
Breuer naturalistischer. Aber die Seelenver-
wandtschaft ist zweifelsohne. Da Westheim so-
zusagen nur sekundär schimpfte, blieb er am
Leben und wird demnächst im Panoptikum gezeigt
als der Freund des Freundes. Wenn man von
Westheim überlebt wird, kann man getrost gen
Westen fahren. Der Herbtsalon hält reiche Ernte.
Die besten Männer sanken um. Da war noch
Herr Karl Scheffler. Die Geschichte kennt bereits
einen ami de Beethoven. Karl Scheffler wird
weiter fortleben als ami de „Kunstnapoleon aus
der Viktoriastraße“. Der ami de Beethoven fand
Beethoven wenigstens vor. Herr Karl Scheffler
mußte sich seinen Götzen erst schaffen. Jeder hat
den Napoleon, den er verdient. Es fällt mir dabei
nicht einmal ein, verdienen groß zu schreiben.
Denn der Kunstnapoleon ist nur der große Bruder.
Mein ami war Herr Karl Scheffler nicht. Er be-
hauptet, daß ich „flink“ sei. Und er hat recht. Ich
sprang ihm mit einer einstweiligen Verfügung auf
den Kopf, wodurch ihm bei einer fiskalischen
Strafe von 500 Mark für jeden Fall der Zuwider-
handlung das weitere Verbreiten einer Nummer
seiner Zeitschrift: Kunstna—nein, Kunst und
Künstler verboten wurde. Einer Nummer, in der
er ohne Erlaubnis und ohne Berechtigung ein
Aquarell von Franz Marc reproduziert hatte.
Worauf er in der Vossischen Zeitung bemerkte:
„Sehr sehr schade ist es um den kräftig begabten
Franz Marc“. 500 Mark für jede Nummer ist
wirklich ganz kräftig. Und das habe ich mit mei-
nen „Kinderfüßen“ getan. Natürlich habe ich mich
auch der Aufgabe eines Herbstsalons „nicht ge-
wachsen gezeigt“. Was ja eigentlich durch meine
Kinderfüße erklärlich war. Herr Karl Scheffler
entdeckte bei mir eine „deutliche Vorliebe für das
Absonderliche und Alberne“. Es kann doch nicht
jeder so ernst sein wie Herr Karl Scheffler. Herr
Scheffler war außerdem ganz hervorragend gebil-
det. So äußerte er: „Jeder fremde Mensch, das
bin ich; und ich, das ist jedermann“. Sehr wahr!
„Die meisten Menschen sind schon verlegen dar-
über, daß sie nicht anders sind, als die Natur sie
gemacht hat, trotzdem sie daran doch ganz un-
schuldig sind.“ Dies Kind, kein Engel ist so rein,
sagt Schiller. „Was die Verlegenheit so qualvoll
macht, ist, daß sie Unsicherheit ist.“ Wenn Herr
Karl Scheffler seine Verlegenheiten verlegen läßt,
fühlt er sich offenbar sicherer. „Ich fühle Befan-
genheit. wenn meine Gedanken, sobald ich sie in
Worte kleide, mir albern zu klingen scheinen.“
Und er bemerkt bei mir die Vorliebe für das Al-
berne, was e r schreibt und wird befangen ohne
an die einstweilige Verfügung zu denken. Trotz-
dem ich mich entschieden weigere, Karl Scheffler
zu heißen. Man hätte mit dem Herbstsalon „eine
Eliteausstellung der ringenden Kräfte machen kön-
nen“, sagt Herr Scheffler. Die Spätherbstausstel-
lung von Napoleon dem Vierten verheißt offiziell,
daß dort „die ringenden Talente“ gezeigt werden.
In meiner Ausstellung. Herr Karl Scheffler, hat es
sich schon ausgerungen. Das vierblättrige Klee-
blatt Stahl. Bie. Breuer, Scheffler habe ich flink
abgerissen, es an meinen braunen Rock gesteckt,
mir viel Glück gewünscht und dann es lachend
zertreten.
H. W.
Die Presse
und der Herbstsalon
Eine Gegenüberstellung
Frankfurter Zei-
tung
Es wird die Vorstellung
erweckt, als ob es in dieser
Ausstellung etwas zu sehen
gäbe von den Entwick-
lungsfortschritten. Nie war
eine Prätention anmaßen-
der, nie weniger begründet.
National-Zeitung
Es ist heute keine Frage
mehr, daß die Kräfte, die
hier an der Arbeit sind,
bestimmt sind, Anregungen
und Ausgangspunkte für die
Wege zu geben, die die
Kunst der Zukunft ernst
gehen wird.
Casseier Allge-
meine Zeitung (Herr
Robert Breuer)
Ernsthafte Leute werden
mit dieser Ausstellung
sehr schnell fertig sein;
es gibt da gar kein Prob-
lem, es gibt nur Bedauern
und Lachen.
Dresdener Neuste
Nachrichten
Der Tag, an dem der
erste deutsche Herbstsalon
eröffnet wurde, darf als
historisches Datum gelten.
Es bat etwas Überwälti-
gendes, allüberall Kämpfer
und Vertreter der neuen
Prinzipien am Werke zu
sehen.
Hamburger Nach-
richten
Es ist in der Tat grober
Unfug, diese Unsumme von
Lächerlichkeiten, von blö-
den Schmierereien. — —
Man glaubt aus der Gemäl-
degalerie eines Irrenhauses
zu kommen.
Vorwärts (Derselbe
Herr Robert Breuer)
Es ist eine Kunst der
Extreme.Es wäre
dennoch eine schwere Be-
fangenheit, sie, wie das
neulich Meier-Gräfe tat, für
toll und dilettantisch zu er-
klären.
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