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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 160/161 (Mai 1913)
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Zech, Paul: Das Baalsopfer
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Meyer, Alfred Richard: Steglitz
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0032

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Fr. Rosenkranz: Ori gin alholzschnitt

Knirschen und Krachen von Gebälk übertönte
das Brausen der Hochöfen. Und Wände und
Estrich und Dach knarrten, polterten, wälzten sich
in den Abgrund hinein. Rauch und Staub jagten
wie ein Wetter davon und die' Nacht flatterte auf
mit blutigen Tüchern.

Die aber, die auf dem Stein an der Umzäunung
saß, sah alles mit aufgerissenen Augen und schlug
hintenüber, als die Explosion über die Erde fuhr
und das Dunkel zerfetzte.

Und unten aus dem grausen Spalt lachte und
wieherte gell-wahnsinnig der Tanz zweier Stimmen,
die sich verschwisterten. Lachten, posaunten,
rollten weiter und immer ferner scholl das Gelach:
Huhu — huhu — huhu — hu — hu.

Huhu — huhu sprang Antje aus der Betäubung
auf und rannte querfeldein. Blutrote Fratzen vor-
auf. Sie breitet die Arme aus. Die Schatten über-
schlagen sich, verwirren sich in der gräßlichen
Lache: oh das Unglück! oh das Unglück!

Das war wie eine Beschwörung. Wie eine Er-
lösung.

Und es war kein hohles Echo, daß tausend-
stimmig zurückdonnerte aus der zerklüfteten Nacht.

In dichten Scharen kam es von der Grube und
von der neuen Siedlung.

Und sie wußten alle, daß einer fort mußte von
der Welt. Einer, dessen Tag nun gekommen war,
wie sie es vorausgesagt hatten mit lästerlichen,
halten trostlosen Worten.

Sie suchten triumphierend Antje. Ihre Blicke
glühten wie in der Extase des Rausches. Es war
ein Blutrausch. Der Rausch nach dem Opfer.

Antje aber fand sich wieder in einem anderen
fernen Grubendorf. Dort verdingte sie sich auf der
Erzmühle. Und suchte dort den Tod und suchte
ihn vergebens.

Steglitz

Am alten Steglitzer Wrangel-Schloß
(Berliner Bollen riefen hier 1870 laut:

„Den Krieg verdanken wir dir, Papa Wrangel!“)
am Alten Schlosse, das heut Restorang ist,
biegt dein rechter Winkel dich in die Birkbusch-
straße.

Am Abend ein unbestimmtes Bild:
beinahe Provence, beinah Cezanne!

Glühendes Eisen der Vorstadtzüge schneidet die

Nacht scharf,

wird Kometenschweif,
schrecklich nah,
poltert Theaterdonner.

Man ist wieder im Dunkel.

Das Grün eines Einfahrtsignals
wird roter verbotener Weg.

An einem Kellerfenster der Martinstraße
bleibst du, wie eine zu neugierige Fliege,
buff kleben;
die Officina Perpentis.

Den Meister, fuchsig bebärtet,

kennst du als Sezessionsabonnent

längst von Max Beckmanns Gesellschaftsbild her,

sieht ihn jetzt feurige Farbe verreiben,

mächtig walzend den Stein fast zerquetschen,

über den Letternsatz dann wie Windsbraut gehn,

das Draufklappen des Old Stratford-Papiers kaum

erwarten könnend,

drehorgelnd gleich in die Presse den Wagen

schmeißen,

(ein Hebelknacken), schon wieder nach draußen

rudern,

den feuchten Bogen mit ängstlichen Augen zum

Lichte halten,

den Gegendruck peinlichst genau auf zehntel

Millimeter nachprüfen,
Stirn runzeln, Stirn glätten,
zufrieden: „Es sitzt!“ murmeln.

Daß da in aller Stille von Goethe „Das Tagebuch“

in fünfzig Exemplaren auf Kalbspergament

für dich und für mich und — ach, du lieber Voyeur

hier am nächtlichen Guckkasten,

ich rate dir gut,

schleunigst zu subskribieren.

Uebermorgen schon ist es zu spät.

Alfred Richard Meyer

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