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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 160/161 (Mai 1913)
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Zech, Paul: Das Baalsopfer
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0031

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„Ja, ja, Jungchen. Ich werde dir' den Vater
zeigen, wenn wir wieder zu Hause sind. Wenn
die Sterne scheinen. Dein Vater ist ein Stern,
Jungchen. Ein ganz heller Stern.“

Fredrik reckte den Hals und der Atem pfiff hin-
durch wie das Gekreisch einer Ratte, die im Eisen
sitzt. Er mahlte mit den Zähnen irgend ein W,ort,
aber eine fröstelnde Scheu fraß es ungeboren wie-
der weg.

„Ja, ja, Jungchen, dein Vater ist ein Stern.“

„Das ist dein Vater, Jungchen, sieh nur!“

Fredrik gab sich einen Ruck und sagte weiner-
lich: „Wenn du mir den Stern zeigst, werde ich
auch nie mehr fortlaufen.“

Am Abend, als sie daheim am offenen Kammer-
fenster standen, zeigte Antje dem Buben einen
runden Stern, der flimmernd über dem Kirchturm
:stand.

Fredrik hob die Hand und versuchte den Stern
zu pflücken wie eine Blume. Und er träumte die
ganze Nacht von dem schönen, blanken Stern.

Und jeden Abend, wenn ihn die Mutter ent-
kleidet hatte, sprang er ans Fenster und griff mit
den mageren Aermchen den Stern. Er verschloß
ihn mit der kleinen Faust und trug ihn in den
Traum hinüber. Dort schien er die ganze Nacht so
hell, so hell.

Da machten die Kinder mit dem Lehrer einen
Spaziergang. Fredrik ging anfangs ganz still zur
Seite des Magisters und suchte den Boden ab.
Bis ihn zwtei größere Buben beim Arm nahmen
.und mit fortrissen.

Er kam bald in Feuer und war der schnellste
Junge. Er sprang wie ein losgelassenes Füllen
querfeldein: greift mich, greift mich!

Als die Buben einen Graben übersprangen, gab
■die Erde plötzlich nach und klaffte breit auf.

Unten war die Hauptsohle des Schachtes.

Der Lehrer drehte sich ein paar Mal im Kreise.
Dann war er mit einem Satz zur Stelle und sah
ganz unten den Jungen auf einem Gesteinsblock
liegen.

Die Rettungsmannschaft von der Grube kam
und holte den zerschundenen Körper herauf. Das
Haar war mit Blut verklebt und die Beine hingen
schlaff herunter wie an Zwirnsfäden.

„Diesmal wird es sein Tod sein,“ sagte der
alte Doktor.

Und die Spitalweiber grinsten und hoben die
dürren Finger.

„Siehste, Antje, der Israel hat ihn doch geholt.
Haha, haha, haha.“

Vier Monate lang lag das Jungchen in Gips
und die Mutter legte derweilen ihr Haar in den
Raufrost hinaus.

Sie hatte auch ihrem Verstorbenen dann end-
lich ein Denkmal gesetzt und ging immer in der
Früh, wenn das Jungchen schlief, auf den Kirchhof
hinaus, Die Weiber versuchten ein Gespräch mit
ihr anzubändeln, aber ihre Augen waren weit und
weiß wie zwei gleißende Schlünde. Nur ihre Hände
konnte sie noch ballen, immer, wenn sie an der
Unfallstelle vorüberging, die jetzt in einem großen
Umkreise abgezäunt war. Und die Männer von
der Direktion waren da und fremde Herren, die
maßen und klopften und bohrten.

Und dann hörte sie, daß das Dorf niedergeris-
sen werden sollte, der Unsicherheit des Gesteins
wegen.

Sie sah das alles kommen wie eine Märzah-
nung. Denn die Wege hier dünkten ihr jetzt öde
und verworfen. Und Fredrik lag im Bett und
fieberte.

Die verfluchten Spitalweiber mit dem Blut-
geruch. O, daß die Erde sich noch einmal auftäte,
diese Henker zu verschlingen!

Als Frederik wieder den Oberkörper heben
konnte aus den rotgewürfelten Kissen, holte die
Mutter allerlei Spielwerk zusammen, damit der
Junge wieder lachen konnte. Und aus einem alten
Legendenbuch las sie ihm vor von den frommen
Einsiedlern und dem großen Propheten in der
Löwengrube.

Und da Fredrik einmal mit beiden Händen nach
dem Büchlein griff, um die Bilder anzuschaun, fiel
eine verblichene Photographie aus dem Buch.

Fredrik faßte danach und betrachtete lange das
fremde, harte Gesicht.

„Mutter, was ist das für ein böser Mann. Sieh,
er hat genau solch einen schwarzen Kittel an wie
die Männer, die immer hinter den Särgen gehn!“

Antje rieb sich ein paar Mal die Augen und ihre
Lippen sprangen scharf von den Zähnen. Die leeren
Augen des Jungen irrten um sie wie feuchtrau-
chige Phosphorkugeln. Dann sagte sie ganz ernst:
„Das ist dein Vater, Jungchen, dein Vater, ehe er
ein Stern ward.“

Und sie stand vor dem zerwalkten Bett und
wartete auf ihn mitten in dem gelben Zwielicht,
das so pe'involl war.

Fredrik hob den Kopf etwas. Die Augen quol-
len auf und entgeisterte Blicke schossen heraus
wie ein böser Schreck. Und die Lippen raschel-
ten Worte, die sie nicht verstand.

Dann zerschlug den armen Körper ein tonloses
Wimmern. Stoßweises Meckern und Sägen und
Kratzen.

Und er wehrte sich nicht, da sie sich über ihn
beugte in sanfter Sinnlichkeit, wie einst über den
einen, der ihr den Jungfernkranz stahl.

Sie küßte den Buben, trocknete ihm das Ge-
sicht, strich ihm das Haar glatt und die tiefen
Kummerfalten. Sorgsam, mädchenhaft und ganz
sinnlich. Immerzu und stetiger, heftiger.

Antje wagte auch nicht, dem Jungen das Bild
wieder abzufordern. Etwas Feindliches lag schat-
tenhaft über seinem Gesicht. Er fragte nie mehr
nach dem schönen blanken Stern. Aber sie wollte
nicht wissen. Nichts wissen, nichts sehen.

Da Fredrik wieder aufstand, vergrub er das
Bildchen schnell in der Lehmgrube unter dem
Ofen. Denn er hatte Angst, daß ihm die Mutter
das schöne Ding wieder abnehmen könnte.

Fredrik hatte nun eine verkrüppelte Schulter
und mußte sich auf einen Stock stützen.

Aber der Steiger Verwen, der ein Bruder der
Antje war, meinte: och, och, ich werde' den Ben-
gel schon, mitnehmen. Er kann in meinem Revier
Pferdejunge werden. Da verdient er seine vier
Gulden die Woche.

Antje fuhr wild auf und verbat sich solche
Reden. „Jungchen soll nie und nimmer zur Grube.
Er wird überhaupt nicht arbeiten gehn!“

Das sagte sie auch dem Pfarrer, als Fredrik zur
Kommunion ging. Die Spitalweiber, die auch in
der Kirche waren, sahen den Jungen fremd wie
einen Toten an und bekreuzigten sich.

Im Spätsommer kam der große Auszug. Der
Staat hatte das Dorf geschlossen. Am jenseitigen
Ufer war unterdessen eine neue Kolonie errichtet.
Da war die Erde noch nicht angebohrt. Und die
Bäume standen grün und saftig in den Blättern.

Das alte Dorf soll niedergesprengt werden.
Von der Genietruppe hatte man zwanzig Mann ge-
sandt, die legten überall Sprengschüsse, die elen-
den Hütten dem Boden gleich zu machen. Und
auf den abgesperrten Gassen standen Posten mit
geladenem Gewehr, damit niemand mehr in das
Dorf zurückkehre.

Antje hatte ein schönes weißgekalktes Häuschen
bekommen. Fredrik half ihr wacker beim Einräu-
men der Sachen. Plötzlich vermißte Antje zwei

Speckseiten. Da fiel ihr ein, daß sie die im
Schornstein hatte hängen lassen.

Und Fredrik hatte sein Bildchen unter dem
Ofen gelassen. Er gab sich aber nicht bloß. Antje
jammerte um den schönen Speck.

„Mutter,“ sagte Frederik ganz heftig, „heut
Abend, wenn die Soldaten in der Schenke sind,
holen wir den Speck!“

Antje -wollte nichts davon wissen, wie sehr auch
der Verlust des schönen Specks schmerzte.

„Die Erde kann sich auftun und dann haben wir
wieder das Unglück. Nein, nein! Laß man den
Speck.“ Das sagte sie Fredrik.

Aber Fredrik, der das Bild nicht missen wollte,
quälte die Mutter immerzu.

Sie fröstelte und fluchte, die Hände schlaff im
Schoß. Sie dachte das wieder aus, das Furcht-
bare, das dem jähen Unglück voranging. Josef,
Maria! Das Unglück!

Doch Fredrik ließ nicht nach, bis die harten
Linien des Zornes in ihrem Gesicht wegschmolzen
und tief wurden wie Madonnenzüge.

Und als es Abend war, nahm Antje den Jungen
und sie gingen miteinander hinaus.

Sie holperten schweigend den Weg hinunter,
weiter und nach dem Fluß hin.

Die Brücke schwankte und stöhnte laut wie
eine Vergewaltigte.

Und der Stern, den Antje suchte, kam nicht.
Schauer rieselten dahin.

Durch den dicken, trägen Dunst schaukelte das
Dorf heran. Ein armseliges Ausgestoßenes hinter
den Schachttürmen und Erzmühlen. Der Schein
der Hochöfen lag darüber wie eine feurige Wolke.

Da flammte das hohe weiße Kreuz, das sie dem
Israel hatte setzen lassen wild auf und über-
schwemmte alle Gräber.

Sie riß den Jungen zurück, wollte ihn hinbetten
an die offene Brust, daraus sieben Schwerter
starrten.

Sie riß den Jungen zurück. Etwas schnürte ihr
die Kehle zu. Ein Blutschrei, der hinauf wollte.

Und sie fühlte seine Abwehr wie eine Schän-
dung und konnte doch nicht die mageren, wehren-
den Hände halten.

Als Fredrik seine Arme locker fühlte, wandte
er sich jäh um und hopste wie ein Heupferdchen
davon.

Da war Antje wach gerufen und sah nur den
stachligen Zaun vor siel..

Fredrik zwängte sich hindurch, schlenkerte das
lahme Bein hinunter und stand steif in dem Abge-
zäunten.

Antje sah noch sein starres, verstörtes Gesicht
aus dem roten Nebel wie einen Totenschädel.

Sie konnte nicht weiter und beschloß zu warten.

Rie'f da nicht jemand: Fredrik?-Fredrik. .

Eine Eule huschte laut vorüber.

Fredrik ging nicht zuerst in die Räucherkammer
um nach dem Speck zu fingern. Er tastete sich
durch den Flur in das Hinterstübchen und stol-
perte über einen schweren Balken, der von den
fremden Soldaten wohl dort hingeworfen ward.

Fredrik erhob sich ächzend.

Blut rann über sein Gesicht und der Totenvogel
schrie stärker.

Fredrik grub mit beiden Händen wie ein Maul-
wurf den Lehm vor dem Ofen auf. Das Bildchen
kam noch immer nicht.

Plötzlich fühlte er einen harten runden Gegen-
stand, der an einer Schnur hing. Dieses fremde
Ding machte ihn neugierig zittern.

Er mußte das Feuerzeug schlagen. Das Feuer-
zeug an der Sprengpatrone.

Schwer rollte der Donner über das tote Dorf
und die Erde spaltete sich klafterweit.

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