Marie Laurenein: Ori g inalholzsehnitt
nachmußte, stand sicherlich irgendwo auf der flaut
geschrieben. Und sie fanden auch nach langem
Suchen einen dunklen Fleck auf dem rechten Ober-
arm, der sah aus wie zwei gekreuzte Schlägel.
Die junge Mutter war verzweifelt, wenn sie
solches gewahrte und riß den Jungen aus den
Tiefaugen der Hexen, um sich mit ihm in eine
dunkle Ecke zu verkriechen.
Und wenn dann Fredrik aufkrähte unter dem
warmen Strom der Sättigung, hob sie ihn empor
und ging in der Stube herum wie eine Siegerin:
„Seht, was für ein gesundes Jungchen! Mein
Jungchen hat grade Arme und grade Beinchen.
O, was für ein gesundes Jungchen. Aber in die
Grube soll mein Jungchen doch nicht!“
Die Spitalweiber ließen sich aber nicht bereden.
„Der Vater wird ihn schon holen kommen,
Antje. Du mußt ihn doch einen Bergmann werden
lassen. Ja, ja, der Vater wird ihn schon holen,
Antje.“
Sie sagten das mit einem furchtbaren Ernst und
verdrehten mystisch die Nasen.
In diesen Worten lag ihr Schicksal. Das fühlte
Antje. Die Worte schnitten wie zwei scharfe Mes-
ser gleichzeitig in ihr Herz. Aber sie kämpfte da-
gegen an und verklebte die Wunde immer wieder
mit einem klebrigen Trotz.
Als Fredrik vier Jahre alt wurde, kaufte Antje
sich von dem Ersparten ein Häuschen und tat einen
Handel auf. Das Jungchen lag in der Tür und be-
schnupperte je'den Eintretenden. Manchmal ging
er auch mit den Jungens von der Gasse zum Spiel.
Auf der Schlackenhalde oder nach dem großen
Kohlenlager. Da spielten sie Verstecken und balg-
ten sich wie junge Katzentiere.
Einmal waren sie ihrer vier die Halde empor-
geklettert. Es war so schön warm dort oben und
die dünnen Rauchschlangen, die aus den Ritzen
züngelten, fingen sie mit den Händen auf oder hiel-
ten den offenen Mund darüber, bis die Wangen
ganz blaß wurden und eine Uebelkeit die Köpfe in
heftige Umdrehungen brachte. Dann rollten sie
den Abhang hinunter wie Murmeltiere und lagen
lange in dem dürftigen Grase der Böschung. Starr
und mit dünnen Atemzügen.
Die schwarzen Männer, die oben die Wagen
entleerten, warfen ihnen böse Flüche nach und
drohten furchtbar mit den Armen.
Lächelnd erzählte Fredrik der Mutter von dem
großen Berg, der immer so schön rauchte und ganz
warm war.
Da wurde Antje sehr zornig und verbot Fredrik
dort hinzugehen. Sie schärfte ihren Willen an dem
Wahrsagenwollen der Spitalweiber. Und diesen
Willen bläute sie dem Jungen ein.
Ein paar Tage lang ließ sie Fredrik nicht aus
den Augen. Als dann aber der Oeljude kam und
ihre ganze Aufmerksamkeit wegfeilschte, schlich
Fredrik sich flugs auf die Gasse und fand ein paar
Gefährten, die mit ihm zum Schlackenberg gingen.
Sie hatten aber kaum die Hälfte der Anhöhe
erstiegen, da gab es ein ohrenbetäubendes Don-
nern. Der Berg öffnete sich, eine Rauchwolke
wirbelte hervor, und die drei Spielgefährten Fred-
riks polterten in den Spalt.
Fredrik schoß den Abhang hinunter und lag mit
versengten Haaren und ein paar Brandwunden im
Gesicht, zappelnd in eine Pfütze.
Die Männer, die ihn der Mutter ins Haus
brachten, grinsten, als diese sich wie eine Irr-
sinnige über den Jungen stürzte. Einer von den
verrußten Männern sagte: „Antje, daß du’s weißt,
der Israel hat das Söhnchen holen wollen, aber der
Bengel war zu langsam. Na, ein andermal wird
er ihn schon sicherer fassen bei der Gurgel.“
Da fuhr Antje auf und trieb die Lästerer mit
dem Besen aus dem Hause.
Und die Kinder wichen dem kleinen Fredrik
aus, wenn er zur Schule ging. Und die Spital-
weiber murmelten: „Die Antje hat ihn verhext.
Sie hat Stutenmilch getrunken, als sie den Bengel
säugte. Das feit gegen das Unglück. Aber wenn
ihm die Milchzähne ausgegangen sind, wird es
doch mit ihm kommen!“
Antje nahm den Buben nun jeden Morgen bei
der Hand und brachte ihn zur Schule. Um zwölf
Uhr stand sie wieder vor dem gebrechlichen roten
Hause mit den vielen Fenstern und holte ihn ab.
Dann mußte er das Pensum erledigen und sich auf
die' Salzkiste setzen bis zum Abend. Sie gab ihm
Maiskolben und getrocknete Pflaumen zum Spie-
len. Und nach dem Essen brachte sie ihn zu Bett
und atmete auf.
„Er wird nie mehr auf die Straße kommen zu
den anderen Jungen, und wenn er zwölf Jahre alt
ist, bringe ich ihn zum Oheim nach Karna. Dort
kann er auf der Mühle helfen und ein Müller wer-
den. Nein, nein, mein Junge soll kein Bergmann
werden!“
Sonntags ging Antje mit dem Söhnchen durch
die magren Kartoffelfelder und zeigte ihm die bun-
ten Schmetterlinge und den Grashüpfer mit dem
gelben Schopf.
Einmal sagte Fredrik: „Mutter, wo ist mein
Vater? Alle Jungens haben einen Vater. Nur ich
nicht und der Schorsch. Aber Schorschens Vater
ist doch auf dem Kirchhof. Mutter, sag, ist mein
Vater auch auf dem Kirchhof?“
Antje preßte den Zipfel des Kopftuches heftig
gegen die Lippen, damit der Junge nicht das leise
Stöhnen hörte.
So gingen sie eine Weile schweigend. Jedes
ein Schicksal und ihre Schicksale stöhnten in der
herben Luft.
Schwarz fielen die Schatten von den Pappel-
bäumen.
Und Fredrik schaute noch immer fragend zur
Mutter hinauf. Er betrachtete ihre Hände, die
welk und rissig waren und liebkoste sie.
Ganz schüchtern öffnete er dann wiederum den
Mund: „Mutter sag . .
Und da bemerkte sie sein schmales, entstell-
tes Gesichtchen. Die spitze Falte zwischen den
Augenbrauen und den verquollenen Mund, den die
obere Zahnreihe gewaltsam aufstieß.
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nachmußte, stand sicherlich irgendwo auf der flaut
geschrieben. Und sie fanden auch nach langem
Suchen einen dunklen Fleck auf dem rechten Ober-
arm, der sah aus wie zwei gekreuzte Schlägel.
Die junge Mutter war verzweifelt, wenn sie
solches gewahrte und riß den Jungen aus den
Tiefaugen der Hexen, um sich mit ihm in eine
dunkle Ecke zu verkriechen.
Und wenn dann Fredrik aufkrähte unter dem
warmen Strom der Sättigung, hob sie ihn empor
und ging in der Stube herum wie eine Siegerin:
„Seht, was für ein gesundes Jungchen! Mein
Jungchen hat grade Arme und grade Beinchen.
O, was für ein gesundes Jungchen. Aber in die
Grube soll mein Jungchen doch nicht!“
Die Spitalweiber ließen sich aber nicht bereden.
„Der Vater wird ihn schon holen kommen,
Antje. Du mußt ihn doch einen Bergmann werden
lassen. Ja, ja, der Vater wird ihn schon holen,
Antje.“
Sie sagten das mit einem furchtbaren Ernst und
verdrehten mystisch die Nasen.
In diesen Worten lag ihr Schicksal. Das fühlte
Antje. Die Worte schnitten wie zwei scharfe Mes-
ser gleichzeitig in ihr Herz. Aber sie kämpfte da-
gegen an und verklebte die Wunde immer wieder
mit einem klebrigen Trotz.
Als Fredrik vier Jahre alt wurde, kaufte Antje
sich von dem Ersparten ein Häuschen und tat einen
Handel auf. Das Jungchen lag in der Tür und be-
schnupperte je'den Eintretenden. Manchmal ging
er auch mit den Jungens von der Gasse zum Spiel.
Auf der Schlackenhalde oder nach dem großen
Kohlenlager. Da spielten sie Verstecken und balg-
ten sich wie junge Katzentiere.
Einmal waren sie ihrer vier die Halde empor-
geklettert. Es war so schön warm dort oben und
die dünnen Rauchschlangen, die aus den Ritzen
züngelten, fingen sie mit den Händen auf oder hiel-
ten den offenen Mund darüber, bis die Wangen
ganz blaß wurden und eine Uebelkeit die Köpfe in
heftige Umdrehungen brachte. Dann rollten sie
den Abhang hinunter wie Murmeltiere und lagen
lange in dem dürftigen Grase der Böschung. Starr
und mit dünnen Atemzügen.
Die schwarzen Männer, die oben die Wagen
entleerten, warfen ihnen böse Flüche nach und
drohten furchtbar mit den Armen.
Lächelnd erzählte Fredrik der Mutter von dem
großen Berg, der immer so schön rauchte und ganz
warm war.
Da wurde Antje sehr zornig und verbot Fredrik
dort hinzugehen. Sie schärfte ihren Willen an dem
Wahrsagenwollen der Spitalweiber. Und diesen
Willen bläute sie dem Jungen ein.
Ein paar Tage lang ließ sie Fredrik nicht aus
den Augen. Als dann aber der Oeljude kam und
ihre ganze Aufmerksamkeit wegfeilschte, schlich
Fredrik sich flugs auf die Gasse und fand ein paar
Gefährten, die mit ihm zum Schlackenberg gingen.
Sie hatten aber kaum die Hälfte der Anhöhe
erstiegen, da gab es ein ohrenbetäubendes Don-
nern. Der Berg öffnete sich, eine Rauchwolke
wirbelte hervor, und die drei Spielgefährten Fred-
riks polterten in den Spalt.
Fredrik schoß den Abhang hinunter und lag mit
versengten Haaren und ein paar Brandwunden im
Gesicht, zappelnd in eine Pfütze.
Die Männer, die ihn der Mutter ins Haus
brachten, grinsten, als diese sich wie eine Irr-
sinnige über den Jungen stürzte. Einer von den
verrußten Männern sagte: „Antje, daß du’s weißt,
der Israel hat das Söhnchen holen wollen, aber der
Bengel war zu langsam. Na, ein andermal wird
er ihn schon sicherer fassen bei der Gurgel.“
Da fuhr Antje auf und trieb die Lästerer mit
dem Besen aus dem Hause.
Und die Kinder wichen dem kleinen Fredrik
aus, wenn er zur Schule ging. Und die Spital-
weiber murmelten: „Die Antje hat ihn verhext.
Sie hat Stutenmilch getrunken, als sie den Bengel
säugte. Das feit gegen das Unglück. Aber wenn
ihm die Milchzähne ausgegangen sind, wird es
doch mit ihm kommen!“
Antje nahm den Buben nun jeden Morgen bei
der Hand und brachte ihn zur Schule. Um zwölf
Uhr stand sie wieder vor dem gebrechlichen roten
Hause mit den vielen Fenstern und holte ihn ab.
Dann mußte er das Pensum erledigen und sich auf
die' Salzkiste setzen bis zum Abend. Sie gab ihm
Maiskolben und getrocknete Pflaumen zum Spie-
len. Und nach dem Essen brachte sie ihn zu Bett
und atmete auf.
„Er wird nie mehr auf die Straße kommen zu
den anderen Jungen, und wenn er zwölf Jahre alt
ist, bringe ich ihn zum Oheim nach Karna. Dort
kann er auf der Mühle helfen und ein Müller wer-
den. Nein, nein, mein Junge soll kein Bergmann
werden!“
Sonntags ging Antje mit dem Söhnchen durch
die magren Kartoffelfelder und zeigte ihm die bun-
ten Schmetterlinge und den Grashüpfer mit dem
gelben Schopf.
Einmal sagte Fredrik: „Mutter, wo ist mein
Vater? Alle Jungens haben einen Vater. Nur ich
nicht und der Schorsch. Aber Schorschens Vater
ist doch auf dem Kirchhof. Mutter, sag, ist mein
Vater auch auf dem Kirchhof?“
Antje preßte den Zipfel des Kopftuches heftig
gegen die Lippen, damit der Junge nicht das leise
Stöhnen hörte.
So gingen sie eine Weile schweigend. Jedes
ein Schicksal und ihre Schicksale stöhnten in der
herben Luft.
Schwarz fielen die Schatten von den Pappel-
bäumen.
Und Fredrik schaute noch immer fragend zur
Mutter hinauf. Er betrachtete ihre Hände, die
welk und rissig waren und liebkoste sie.
Ganz schüchtern öffnete er dann wiederum den
Mund: „Mutter sag . .
Und da bemerkte sie sein schmales, entstell-
tes Gesichtchen. Die spitze Falte zwischen den
Augenbrauen und den verquollenen Mund, den die
obere Zahnreihe gewaltsam aufstieß.
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