mit ihm. Nie hatte er sich nach tollen Stunden so
durchrüttelt gefühlt wie jetzt. Selbst die ver-
änderte Landschaft schien ihn anzuklagen. Sie
bedeutete für ihn ein Symbol, sobald ihm ihre
Veränderung bewußt wurde. Er hatte die Glut
der siegreichen Sonne gesehen, sie hatte ihn in
einen Halbschlaf versenkt, in dem ihm das Bild
der Wüste und mt ihm die Ahnung eines neuen
Werkes erschienen war. Er hatte diese Sonne
geliebt und war ihr dann untreu geworden. Jetzt
trauerte die Landschaft. Verhüllte ihr Angesicht.
Er war nicht mehr würdig, ihren Charakter, der
sich ihm in einen tragischen verwandelt hatte, klar
und offen vor sich liegen zu sehen.
Mit dem Fanatismus begeisterter Asketen
wühlte er in der Wunde seiner Seele, verschloß
jeder leisen Regung, die ihm sein Vergehen leichter
erscheinen lassen wollte, mit selbstquälerischer
Hartnäckigkeit sein Ohr, freute sich in grausamer
Lust, wenn er etwas neues fand, von dem aus sein
Abfall in einem düsterem Licht erschien. Er be-
rauschte sich an diesen Schmerzen und vergaß dar-
über die nüchternen Peinigungen, die seinem Gehirn
die Folgen des leichten Weinrausches bereiteten.
Und so kam er, unbewußt, indem er das Leid
seiner empfindlichen Seele zu vergrößern und zu
vertiefen suchte, zu der Schönheit zurück. Die
Kräfte seiner Seele wuchsen unter den Peitschen-
hieben seiner unerbittlichen Gerechtigkeit, dehnten
sich aus und nahmen liebevoll alle Martern in sich
auf. Neue Bilder kamen zu ihm; er blickte sie
aus erstaunten Augen an, fast gelähmt von der
Ueberfülle. Und in all seinem Erstaunen schwang
als leiser Unterton die stumme Frage mit: Warum
ist mir ein solcher Reichtum nicht schon früher
nach leichtsinnigen Stunden geworden? Sein
Geist trennte sich gleichsam von seinem Körper,
um ganz unbehindert die Antwort auf diese Frage
zu suchen. Und er fand die Lösung, ohne daß
sich der Künstler des Weges bewußt wurde.
Nachdem die überraschenden Bilder an ihm
vorbeigezogen waren, während er in das abend-
liche Tal hinabblickte, war ihm plötzlich, als würde
ein Vorhang aufgezogen, hinter dem das Aller-
heiligste lag. Die Wüste erschien ihm abermals.
Aber nicht die Wüste, deren Leitmotiv die graue
Eintönigkeit, die endlose Trostlisigkeit war, son-
dern eine Wüste, beseelt von der Glorie einer far-
bigen Erkenntnis, eines süßen Eindringens in die
letzten Gründe. Die Wüste war nicht mehr tote
Landschaft, sie war ein Wesen geworden, das
lebte, handelt, schluchzte und lachte, das schmei-
chelnd und zornig sein konnte. Aber dieses Leben
kam nicht von draußen in die Wüste, trat nicht
aus einer seltsamen Wolke oder einem brennenden
Dornbusch in die graue Endlosigkeit: Die Wüste
selbst gebar es, war zugleich Vater und Mutter
dieses Lebens, war dieses Leben selbst. Sie war
reif geworden, ihre Starrheit zu verlieren. Jedes
Sandkorn in ihr war lebendig; hatte seinen eigenen
Ton. Ja, lebst das Licht, die orangefarbige Be-
leuchtung eines sinkenden Tages, war ein feines
Tönen. Johannes erkannte die Gnade. In scharfen
Umrissen vermochte er ein neues Werk zu er-
kennen. ... Er war wieder der selbstsichere
Mut, der den Beruf in sich fühlte, eine neue Kunst
zu schaffen. Mit seinem unsiegbaren Glauben an
sich selbst war er der unfruchtbaren Schwermut
entronnen und hatte die erlebende Schwermut des
aesthetischen Genießers wiedergewonnen. Mit er-
hobenem Haupte, ein Glühen in den seltsamen
Augen, ging er zu der Geliebten und küßte ihr
abermals die Hand. Der Abscheu hatte der Liebe
seines Schaffensdranges weichen müssen. Er war
nur Liebe, er hätte in dieser hohen Freude einen
Menschen töten können und wäre doch nur Liebe
gewesen. * * *
Das Mädchen erwachte aus der Erschlaffung,
die der ungewohnte Genuß des Weines in ihr be-
wirkte. Sie sah aus wirren Augen und wußte
nicht, wo sie sich befand. Als sie aber die An-
wesenheit des Geliebten wieder bewußt wurde,
war sie sofort elastisch; der träge hindämmerde
Halbschlaf hatte neue Kräfte in ihr gesammelt.
— Gott sei Dank, daß ich wieder munter bin!
scherzte sie. Denkst du nicht auch, daß ich ein
ganz — klein — wenig — beschwipst war?
Ihre nüchternen Worte schmerzten ihn; aber
er war so voller Liebe, daß er nicht hart zu ant-
worten vermochte. Er lachte mit ihr und scherzte
wie ein Kind, ohne daß die Pracht seines neuen
Werkes, in dem er trächtig ging^ darunter leiden
mußte.
— Wir werden heute Abend in das Konzert
der Konservatisten gehen, sagte er. Willst du?
Sie genoß schon im voraus alle die neidischen
Blicke, mit denen die andern Mädchen nach ihr
hinsehen würden.
—i Die Rose soll in meinem Haar bleiben, lachte
sie. Weißt du, d i e ärgern sich alle darüber. Man
ist so was hier nicht gewöhnt!
Wird sie mich jemals verstehen können? dachte
der Künstler, meine Wünsche, meine seltsamen
Gedanken und meine Hoffnungen? Es gab Augen-
blicke, in denen er nicht an die Geliebte zu glau-
ben vermochte, ebenso, wie es Augenblicke gab,
in denen er sie vergötterte und ein Gefäß voll
unbewußter Musik nannte. In diesem Augenblicke
des Zweifels drängte es ihn, die seltsame Frage an
sie zu richten:
— Sag, Kind, warum nur liebst du mich so
sehr?
Sie sah ihn an und lachte ihr leichtes Lachen.
— Wie komisch du bist! Wie kann ich wissen,
warum ich dich liebe.
— Du hast recht, sagte er, eure Liebe ist un-
bewußt.
Da nahm sie seine Hand und streichelte sie
und sagte leise:
— Du bist so schön, Liebling .... ich glaube,
ich liebe dich, weil du so schön bist . . .
Etwas zerriß in ihm. Er wußte nicht, was es
war, auch nicht, warum es geschah, er empfand
nur einen nachzitternden Schmerz. „Ich liebe Dich,
weil Du so schön bist.“ Wie ein tragischer Rhyth-
mus fluteten diese Worte in ihm vorüber. Und
während er unter ihnen litt, mußte er doch zu-
gleich auch ihre fließende Schönheit bewundern,
den Schmelz ihrer Aufeinanderfolge, den Klang
ihrer Vokale.
Er drängte:
Siehst du, nun; kennen wir uns seit acht Wochen,
kommen täglich zusammen, erzählen uns und
haben uns lieb. Noch nie hab ich dir, die Frage
gestellt: Warum nur liebst du mich? Heute konnte
ich nicht anders .... eine Ueberfülle drängt sich
in mir. Ich möchte das Gefühl haben, in das All
aufzugehen. Und darum fragte ich, warum du
mich liebst, damit ich diesen Ton in das Lied die-
ses sehwülen Tages einfügen kann.
Er hielt inne und dachte nach:
— Es ist etwas frei geworden in mir, als seien
alle Worte in mir verdorrt und nur ein Klingen
ist zurückgeblieben. Ich habe ein Werk vollendet,
da meinte ich, eine Zeit der Erschlaffung müsse
folgen. Gestern schloß ich es ab, und heute schon
wurde mir ein neues offenbart. Begreifst du die
Süße dieses Reichtums?
Das Mädchen sah gläubig zu ihm auf, mit dem
Ausdruck des Glaubens derer in den Augen, die
nicht verstehen, aber voller Freude bereit sind,
auch das Unverständliche hinzunehmen. Der grau
werdende Abend rieselte an ihrer Gestalt hernie-
der, umwob sie mit einem Heiligenschein, der den
ganzen Leib in kostbaren matten Glanz einfaßte.
Mit vorgeneigtem Oberkörper saß sie, wie jemand,
der in finstere Nacht hineinhorcht.
Als ich in der Mittagshitze saß, bevor du kamst,
erkannte ich die Möglichkeit eines neuen Werkes.
War ganz Hingabe an diese Möglichkeit, hörte
ein allumfassendes Tönen. Alles Leben sank in
dieses Tönen und vereinigten sich mit ihm. Ich
kannte keine Schwere mehr und keine Leiden-
schaften! In meinem vollendeten Werk strömt
das Fieber großer Passionen, die gestorben sind.
In meinem neuen Werk aber, das ich in mir fühle,
wird die erhabene Stille herrschen. Es wird eisig
werden in dem Brand eines süßes Gefühls des
Nichtseins. Das Versunkensein in wunschloser
Unbewußtheit, so vollkommen, daß sie alle Be-
wußtheit in sich tragen und sie lieben und verach-
ten wird. Es schwirrt noch ungeklärt in mir, aber
ich weiß, daß es sich ordnen und herrlich werden
wird .... Dann kamst du, ich erwachte aus mei-
nem Heldentraum. Mit schmerzendem Ungestüm
forderte Sattheit in mir ein Ausruhen, ein Ver-
sinken in tatlose Zufriedenheit. Ich wollte ein Fest
mit dir feiern, das Fest der Freude über mein
vollendetes Werk. Aber es wurde ein Fest des
Genusses. Es gibt kein Auruhen für den Künstler.
Fortsetzung folgt
Notiz
Herr Bruno Cassirer bringt in Nummer VIII
von „Kunst und Künstler“ ohne vorherige Anfrage
und Erlaubnis ein Aquarell von mir, mit dem er
den traurigen Artikel von Herrn Scheffler
schmückt. Ich habe sofort den Verlag Der Sturm
gebeten, mit einer gerichtlichen Klage gegen Herrn
Cassirer vorzugehen, da eine derartige unerlaubte
Reproduktion ebenso widerrechtlich als schä-
digend ist.
Gleichzeitig ergeht gegen den Verlag der
„Aktion“ wegen des gleichen Vergehens eine ge-
richtliche Klage.
Franz Marc
Empfohlene Bücher
Die Schriftleitung behält sich Besprechung der hier
genannten Bücher vor. Die Aufführung bedeutet bereits
eine Empfehlung. Verleger erhalten hier nicht erwähnte
Bücher zurück, falls Rückporto beigefügt wurde.
Sinaida Hippius
Des Teufels Puppe
Eine Lebensbeschreibung in dreiunddreißig
Kapiteln
Verlag Georg Müller / München
Francesco Balila Pratella
Musica Futurista per Orchestra / Klavierauszug
Verlag F. Bongiovanni ./ Bologna
Guillaume Apollinaire
Alcools / Poemes
Mit einem Porträt des Autors von Pablo
Picasso
Paris ./ Mercure de France
Volne Smery
Monatsschrift / Prag / Das soeben erschienene
Heft 9 ist der jüngsten spanischen Malerei
gewidmet. Es enthält 23 Reproduktionen,
darunter 7 von Picasso.
Handbuch der Kunstwissenschaft
Herausgegeben von Dr. Fritz Burger / Soeben
erschienen: Lieferung 4: Oskar Wulff: Alt-
christliche und byzantinische Kunst
Berlin-Neubabelsberg / Akademische Verlags-
gesellschaft m. b. H. M. Koch
55
durchrüttelt gefühlt wie jetzt. Selbst die ver-
änderte Landschaft schien ihn anzuklagen. Sie
bedeutete für ihn ein Symbol, sobald ihm ihre
Veränderung bewußt wurde. Er hatte die Glut
der siegreichen Sonne gesehen, sie hatte ihn in
einen Halbschlaf versenkt, in dem ihm das Bild
der Wüste und mt ihm die Ahnung eines neuen
Werkes erschienen war. Er hatte diese Sonne
geliebt und war ihr dann untreu geworden. Jetzt
trauerte die Landschaft. Verhüllte ihr Angesicht.
Er war nicht mehr würdig, ihren Charakter, der
sich ihm in einen tragischen verwandelt hatte, klar
und offen vor sich liegen zu sehen.
Mit dem Fanatismus begeisterter Asketen
wühlte er in der Wunde seiner Seele, verschloß
jeder leisen Regung, die ihm sein Vergehen leichter
erscheinen lassen wollte, mit selbstquälerischer
Hartnäckigkeit sein Ohr, freute sich in grausamer
Lust, wenn er etwas neues fand, von dem aus sein
Abfall in einem düsterem Licht erschien. Er be-
rauschte sich an diesen Schmerzen und vergaß dar-
über die nüchternen Peinigungen, die seinem Gehirn
die Folgen des leichten Weinrausches bereiteten.
Und so kam er, unbewußt, indem er das Leid
seiner empfindlichen Seele zu vergrößern und zu
vertiefen suchte, zu der Schönheit zurück. Die
Kräfte seiner Seele wuchsen unter den Peitschen-
hieben seiner unerbittlichen Gerechtigkeit, dehnten
sich aus und nahmen liebevoll alle Martern in sich
auf. Neue Bilder kamen zu ihm; er blickte sie
aus erstaunten Augen an, fast gelähmt von der
Ueberfülle. Und in all seinem Erstaunen schwang
als leiser Unterton die stumme Frage mit: Warum
ist mir ein solcher Reichtum nicht schon früher
nach leichtsinnigen Stunden geworden? Sein
Geist trennte sich gleichsam von seinem Körper,
um ganz unbehindert die Antwort auf diese Frage
zu suchen. Und er fand die Lösung, ohne daß
sich der Künstler des Weges bewußt wurde.
Nachdem die überraschenden Bilder an ihm
vorbeigezogen waren, während er in das abend-
liche Tal hinabblickte, war ihm plötzlich, als würde
ein Vorhang aufgezogen, hinter dem das Aller-
heiligste lag. Die Wüste erschien ihm abermals.
Aber nicht die Wüste, deren Leitmotiv die graue
Eintönigkeit, die endlose Trostlisigkeit war, son-
dern eine Wüste, beseelt von der Glorie einer far-
bigen Erkenntnis, eines süßen Eindringens in die
letzten Gründe. Die Wüste war nicht mehr tote
Landschaft, sie war ein Wesen geworden, das
lebte, handelt, schluchzte und lachte, das schmei-
chelnd und zornig sein konnte. Aber dieses Leben
kam nicht von draußen in die Wüste, trat nicht
aus einer seltsamen Wolke oder einem brennenden
Dornbusch in die graue Endlosigkeit: Die Wüste
selbst gebar es, war zugleich Vater und Mutter
dieses Lebens, war dieses Leben selbst. Sie war
reif geworden, ihre Starrheit zu verlieren. Jedes
Sandkorn in ihr war lebendig; hatte seinen eigenen
Ton. Ja, lebst das Licht, die orangefarbige Be-
leuchtung eines sinkenden Tages, war ein feines
Tönen. Johannes erkannte die Gnade. In scharfen
Umrissen vermochte er ein neues Werk zu er-
kennen. ... Er war wieder der selbstsichere
Mut, der den Beruf in sich fühlte, eine neue Kunst
zu schaffen. Mit seinem unsiegbaren Glauben an
sich selbst war er der unfruchtbaren Schwermut
entronnen und hatte die erlebende Schwermut des
aesthetischen Genießers wiedergewonnen. Mit er-
hobenem Haupte, ein Glühen in den seltsamen
Augen, ging er zu der Geliebten und küßte ihr
abermals die Hand. Der Abscheu hatte der Liebe
seines Schaffensdranges weichen müssen. Er war
nur Liebe, er hätte in dieser hohen Freude einen
Menschen töten können und wäre doch nur Liebe
gewesen. * * *
Das Mädchen erwachte aus der Erschlaffung,
die der ungewohnte Genuß des Weines in ihr be-
wirkte. Sie sah aus wirren Augen und wußte
nicht, wo sie sich befand. Als sie aber die An-
wesenheit des Geliebten wieder bewußt wurde,
war sie sofort elastisch; der träge hindämmerde
Halbschlaf hatte neue Kräfte in ihr gesammelt.
— Gott sei Dank, daß ich wieder munter bin!
scherzte sie. Denkst du nicht auch, daß ich ein
ganz — klein — wenig — beschwipst war?
Ihre nüchternen Worte schmerzten ihn; aber
er war so voller Liebe, daß er nicht hart zu ant-
worten vermochte. Er lachte mit ihr und scherzte
wie ein Kind, ohne daß die Pracht seines neuen
Werkes, in dem er trächtig ging^ darunter leiden
mußte.
— Wir werden heute Abend in das Konzert
der Konservatisten gehen, sagte er. Willst du?
Sie genoß schon im voraus alle die neidischen
Blicke, mit denen die andern Mädchen nach ihr
hinsehen würden.
—i Die Rose soll in meinem Haar bleiben, lachte
sie. Weißt du, d i e ärgern sich alle darüber. Man
ist so was hier nicht gewöhnt!
Wird sie mich jemals verstehen können? dachte
der Künstler, meine Wünsche, meine seltsamen
Gedanken und meine Hoffnungen? Es gab Augen-
blicke, in denen er nicht an die Geliebte zu glau-
ben vermochte, ebenso, wie es Augenblicke gab,
in denen er sie vergötterte und ein Gefäß voll
unbewußter Musik nannte. In diesem Augenblicke
des Zweifels drängte es ihn, die seltsame Frage an
sie zu richten:
— Sag, Kind, warum nur liebst du mich so
sehr?
Sie sah ihn an und lachte ihr leichtes Lachen.
— Wie komisch du bist! Wie kann ich wissen,
warum ich dich liebe.
— Du hast recht, sagte er, eure Liebe ist un-
bewußt.
Da nahm sie seine Hand und streichelte sie
und sagte leise:
— Du bist so schön, Liebling .... ich glaube,
ich liebe dich, weil du so schön bist . . .
Etwas zerriß in ihm. Er wußte nicht, was es
war, auch nicht, warum es geschah, er empfand
nur einen nachzitternden Schmerz. „Ich liebe Dich,
weil Du so schön bist.“ Wie ein tragischer Rhyth-
mus fluteten diese Worte in ihm vorüber. Und
während er unter ihnen litt, mußte er doch zu-
gleich auch ihre fließende Schönheit bewundern,
den Schmelz ihrer Aufeinanderfolge, den Klang
ihrer Vokale.
Er drängte:
Siehst du, nun; kennen wir uns seit acht Wochen,
kommen täglich zusammen, erzählen uns und
haben uns lieb. Noch nie hab ich dir, die Frage
gestellt: Warum nur liebst du mich? Heute konnte
ich nicht anders .... eine Ueberfülle drängt sich
in mir. Ich möchte das Gefühl haben, in das All
aufzugehen. Und darum fragte ich, warum du
mich liebst, damit ich diesen Ton in das Lied die-
ses sehwülen Tages einfügen kann.
Er hielt inne und dachte nach:
— Es ist etwas frei geworden in mir, als seien
alle Worte in mir verdorrt und nur ein Klingen
ist zurückgeblieben. Ich habe ein Werk vollendet,
da meinte ich, eine Zeit der Erschlaffung müsse
folgen. Gestern schloß ich es ab, und heute schon
wurde mir ein neues offenbart. Begreifst du die
Süße dieses Reichtums?
Das Mädchen sah gläubig zu ihm auf, mit dem
Ausdruck des Glaubens derer in den Augen, die
nicht verstehen, aber voller Freude bereit sind,
auch das Unverständliche hinzunehmen. Der grau
werdende Abend rieselte an ihrer Gestalt hernie-
der, umwob sie mit einem Heiligenschein, der den
ganzen Leib in kostbaren matten Glanz einfaßte.
Mit vorgeneigtem Oberkörper saß sie, wie jemand,
der in finstere Nacht hineinhorcht.
Als ich in der Mittagshitze saß, bevor du kamst,
erkannte ich die Möglichkeit eines neuen Werkes.
War ganz Hingabe an diese Möglichkeit, hörte
ein allumfassendes Tönen. Alles Leben sank in
dieses Tönen und vereinigten sich mit ihm. Ich
kannte keine Schwere mehr und keine Leiden-
schaften! In meinem vollendeten Werk strömt
das Fieber großer Passionen, die gestorben sind.
In meinem neuen Werk aber, das ich in mir fühle,
wird die erhabene Stille herrschen. Es wird eisig
werden in dem Brand eines süßes Gefühls des
Nichtseins. Das Versunkensein in wunschloser
Unbewußtheit, so vollkommen, daß sie alle Be-
wußtheit in sich tragen und sie lieben und verach-
ten wird. Es schwirrt noch ungeklärt in mir, aber
ich weiß, daß es sich ordnen und herrlich werden
wird .... Dann kamst du, ich erwachte aus mei-
nem Heldentraum. Mit schmerzendem Ungestüm
forderte Sattheit in mir ein Ausruhen, ein Ver-
sinken in tatlose Zufriedenheit. Ich wollte ein Fest
mit dir feiern, das Fest der Freude über mein
vollendetes Werk. Aber es wurde ein Fest des
Genusses. Es gibt kein Auruhen für den Künstler.
Fortsetzung folgt
Notiz
Herr Bruno Cassirer bringt in Nummer VIII
von „Kunst und Künstler“ ohne vorherige Anfrage
und Erlaubnis ein Aquarell von mir, mit dem er
den traurigen Artikel von Herrn Scheffler
schmückt. Ich habe sofort den Verlag Der Sturm
gebeten, mit einer gerichtlichen Klage gegen Herrn
Cassirer vorzugehen, da eine derartige unerlaubte
Reproduktion ebenso widerrechtlich als schä-
digend ist.
Gleichzeitig ergeht gegen den Verlag der
„Aktion“ wegen des gleichen Vergehens eine ge-
richtliche Klage.
Franz Marc
Empfohlene Bücher
Die Schriftleitung behält sich Besprechung der hier
genannten Bücher vor. Die Aufführung bedeutet bereits
eine Empfehlung. Verleger erhalten hier nicht erwähnte
Bücher zurück, falls Rückporto beigefügt wurde.
Sinaida Hippius
Des Teufels Puppe
Eine Lebensbeschreibung in dreiunddreißig
Kapiteln
Verlag Georg Müller / München
Francesco Balila Pratella
Musica Futurista per Orchestra / Klavierauszug
Verlag F. Bongiovanni ./ Bologna
Guillaume Apollinaire
Alcools / Poemes
Mit einem Porträt des Autors von Pablo
Picasso
Paris ./ Mercure de France
Volne Smery
Monatsschrift / Prag / Das soeben erschienene
Heft 9 ist der jüngsten spanischen Malerei
gewidmet. Es enthält 23 Reproduktionen,
darunter 7 von Picasso.
Handbuch der Kunstwissenschaft
Herausgegeben von Dr. Fritz Burger / Soeben
erschienen: Lieferung 4: Oskar Wulff: Alt-
christliche und byzantinische Kunst
Berlin-Neubabelsberg / Akademische Verlags-
gesellschaft m. b. H. M. Koch
55