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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 184/185 (November 1913)
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Claudel, Paul: Verkündigung: Ein geistliches Stück in vier Ereignissen und einem Vorspiel
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0127
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Als wir für unsere Grundbauten die Wasser
einer unterirdischen Quelle abzuleiten versuchten,

Fanden wir ihr Grab und eine mittendurch
geborstne Platte mit der Inschrift: Justitia
Ancilla Domini in Pace.

Der zerbrechliche kleine Schädel war wie eine
Nuß zerspellt, sie war ein achtjähriges Kind,

Und ein paar Milchzähne steckten noch in der
Kinnlade.

Darüber ganz Speier in Aufruhr, und mannig-
fache Zeichen und Wunder folgen den Resten,

Die wir bis zur Vollendung des Werks in einer
Kapelle aufbewahren.

Nur die kleinen Zähne ließen wir wie eine Saat
unter dem großen Blocke des Grundsteins.

Violäne: Wie schön! Und der Vater er-
zählte uns noch, die Frauen spendeten ihr Ge-
schmeide zum Aufbau der Justitia.

Peter von Ulm: Wir haben schon einen
Haufen Schmuck, und Händler darum wie die
Fliegen.

(Violäne senkt die Augen und dreht unschlüssig
einen dicken, goldnen Ring an ihrem vierten
Finger.)

Peter von Ulm: Was ist das für ein Ring,
Violäne?

Violäne: Ich erhielt ihn von Jakobäus.

(Stille)

Peter von Ulm: Viel Glück, Violäne.

(Sie reicht ihm den Ring.)

Violäne: Es ist noch nichts entschieden.

Der Vater schwieg bis jetzt.

Nun, dies wollt ich Euch sagen:

Nehmt meinen schönen Ring, es ist alles, was
ich habe, und Jakobäus gab ihn mir im Geheimen.

Peter von Ulm: Ich will ihn nicht.

Violäne: Nehmt ihn schnell, denn ich

werde nicht lang mehr die Kraft haben, ihn von
mir zu tun.

(Er nimmt den Ring.)

Peter von Ulm: Was wird Euer Bräuti-
gam sagen?

Violäne: Noch ist er nicht ganz mein Bräu-
tigam. Mit dem Ringe wechselt nicht auch das
Herz.

Er kennt mich. Er wird mir einen andern,
einen silbernen schenken.

Der hier war zu schön für mich.

Peter von Ulm (untersucht ihn): Er ist
aus gesproßnem Golde, wie man es einst mit einem
Einschlag von Honig herzustellen verstand.

Er ist geschmeidig wie Wachs und unzerbrech-
lich dabei.

Violäne: Jacobäus fand ihn beim Pflügen
in der Erde, an einem Ort, wo man bisweilen
ganz unversehrte alte Schwerter aufgräbt und
schöne Stücken aus Glas.

Ich fürchtete mich, dieses heidnische Ding da
zu tragen, ein Besitztum doch der Toten.

Peter von Ulm: Gut, dies reine Gold nehm
ich an.

Violäne: Und küsset mir meine Schwester
Justitia.

Peter von Ulm (blickt sie plötzlich an und
scheint auf einen Gedanken zu verfallen): Ist das
alles, was Ihr für sie zu geben habt? ein wenig
Gold von Euerm Finger?

Violäne: Reicht es nicht hin, um einen klei-
nen Stein dafür einzutauschen?

Peter von Ulm: Justitia selbst ist aber
ein gewaltiger Stein.

Violäne (lachend): Ihre Laufbahn ist nicht
die meine.

Peter von Ulm: Der Grundboden braucht
ein ander Gestein als der Giebel.

Violäne: Bin ich Stein, dann sei ich der
tätige Stein, der das Korn mahlt, einer der beiden
Mühlsteine, und nichts weiter.

Peter von Ulm: Auch Justitia war nur ein
bescheidnes kleines Mädchen im Kreis ihrer
Nächsten,

Bis Gott sie zum Bekenntnis aufrief.

Violäne: Aber mir will niemand ein Leides.
Soll ich nun gehn und den Sarazenen die Bot-
schaft verkünden?

Peter von Ulm: Nicht der Stein hat sich
den Platz zu wählen, sondern der Baumeister be-
stimmt ihm einen.

Violäne: Dann preise ich Gott, daß er mir
von Anbeginn meinen Platz hat zugewiesen und
ich keinen suchen muß. Und ich verlange auch
keinen andern.

Ich bin Violäne, achtzehn Jahre, mein Vater
heißt Andreas Gradherz, meine Mutter heißt Elisa-
beth, meine Schwester heißt Mara, mein Bräutigam
Jacobäus. Das ist alles, weiter ist nichts zu be-
richten.

Alles ganz klar, alles im voraus geordnet, und
ich bin es zufrieden.

Ich bin frei und hab mich um gar nichts zu sor-
gen, ein andrer ist da, der mich leitet, der Gute,
und er weiß, was zu tun ist.

Ihr, der Ihr die Saat der Glockentürme aus-
streut, kommt doch nach Salhof! Wir wollen
Euch Steine geben und Holz, nur nicht die Tochter
des Hauses!

Und dann, ist dies hier nicht schon Gottes
Haus, Gottes Erde und Gottes Lehn?

Haben wir nicht als Abgabe einzig Marienberg
Zu ernähren und zu beschirmen, Brot hinzuliefern
und Wein und Wachs,

Abhängig bloß von diesem Nest halbentfalteter
Engel?

Wie die hohen Herren einen Taubenschlag hal-
ten, so haben wir den unsern, und er ist von wei-
tem erkennbar.

Peter von Ulm: Einst, als ich im waldigen
Spessart wanderte, hört ich zwei schöne Eichen
sich unterreden.

Sie lobten Gott, die beiden Bäume, daß er sie
unerschütterlich geschaffen habe und hingesetzt
an ihren Geburtsort.

Jetzt bekämpft der eine im Weltmeer am Sporn
eines Seglers die Türken.

Der andere, auf meinen Befehl entwurzelt, hält
quer im Turme von Köln

Johanna, die gute Glocke, deren Stimme zehn
Meilen erklingt.

Mädchen, in meinem Gewerbe trägt man die
Augen nicht in der Tasche. Ich erkenne das gute
Gestein unter Wachholdergebüsch und das gute
Holz wie ein Grünspecht;

Nicht anders als die Männer und Frauen.

Violäne: Aber nicht die Mädchen, Meister
Peter! Die sind Euch zu fein.

Und vor allem gibt es da nichts zu erkennen.

Peter von Ulm (halblaut): Ihr liebt ihn
wohl sehr, Violäne?

Violäne (mit niedergeschlagenen Augen):
Das ist ein tiefes Geheimnis zwischen ihm und mir.

Peter von Ulm: Gesegnet seist du in dei-
nem keuschen Herzen!

Die Heiligkeit ist nicht darin beschlossen, daß
man sich bei den Türken muß steinigen lassen oder
einen Aussätzigen auf den Mund küssen,

Sondern daß wir Gottes Gebot unverweilt er-
füllen,

Ob wir nun

Unsern Platz behalten oder aufsteigen.

Violäne: Ah, wie schön ist diese Welt und
wie bin ich glücklich!

Peter von Ulm (halblaut): Ah, wie schön
ist diese Welt und wie bin ich unglücklich!

Violäne (hebt den Finger gegen den Him-
mel): Mann aus der Stadt, horcht auf!

(Pause)

Hört Ihr dort hoch oben dieses Seelchen singen?

Peter von Ulm: Die Lerche!

Violäne: Es ist die Lerche, Halleluja!

Die Lerche des christlichen Landes, Halleluja,
Halleluja!

Hört, wie sie zu vierenmal ruft i!i!i!i! immer
höher, immer mehr in der Höh!

Seht Ihr sie, sehr Ihr die ausgebreiteten Flügel,
das kleine, heftige Kreuz, wie bei den Engeln, die
nur Flügel sind ohne Füße und eine durchdrin-
gende Stimme vor Gottes Thron?

Peter von Ulm: Ich höre sie.

Und also hört ich sie einmal im Morgengrauen
an dem Tage, da meine Tochter, unsre liebe Frau
von Mainz, eingeweiht wurde,

Und sie war ein wenig von Gold überglänzt,
von Gold an der höchsten Spitze dieses großen,
von mir geschaffenen Dinges, und sie glänzte wie
ein neuer Stern!

Violäne: Peter von Ulm, hättet Ihr mit mir
nach Euerm Willen getan,

Wäret Ihr darum nun fröhlicher heute oder wär
ich jetzt schöner?

Peter von Ulm: Nein Violäne.

Violäne: Wär ich auch dann immer noch
die selbe liebe Violäne?

Peter von Ulm: Nicht die selbe, doch eine
andre.

Violäne: Und, Peter, was gilt mehr?

Daß Ihr meine Freude mit mir teilt, oder daß
ich Euer Leid mit Euch teile.

Peter von Ulm: Sing in der höchsten Him-
melshöh, Lerche vom Rhein!

Violäne: Vergebt mir, daß ich so glücklich
bin, daß mein Geliebter

Mich liebt, daß ich seiner gewiß bin, denn ich
weiß, daß er mich liebt, und daß er und ich ganz
gleich fühlen.

Und daß Gott mich geschaffen hat, damit ich
glücklich sei und nicht für Schmerz und Mühsal.

Peter von Ulm: Steig du in den Himmel
mit einem Flügelschlag!

Ich jedoch, um ein weniges höher zu kommen,
bedarf der Arbeit eines Domes und seiner tiefen
Grundmauern.

Violäne: Und nicht wahr, Ihr verzeiht dem
Jakobäus, daß er mich heiratet?

Peter von Ulm: Nein, ich verzeih es ihm
nicht!

Violäne: Der Haß, Peter, steht Euch nicht
gut, und mir schafft er Kummer.

Peter von Ulm: Ihr allein heißt mich reden.

Warum zwingt Ihr mich, die entsetzliche
Wunde, die sonst nicht sichtbare Wunde zu
weisen?

Lasset mich scheiden und fragt mich nicht
weiter.

Wir sehn uns nicht wieder.

Und trotzdem entführ ich mit mir seinen Ring!

Violäne: Laßt ab von Euerm Haß, und ich
will es Euch vergelten, wenn es not tut.

Peter von Ulm: Bedenkt, Violäne, wie sehr
ich unglücklich bin!

Hart ist die Mieseisucht, und schwer, diese

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