Leinwand, schattenhaft zuerst, allmählich deut-
licher, bis es endlich dastand in schrecklicher End-
losigkeit, in dem schweren, geronnenen Rhythmus
der hoffnungslosen Einöde. Obgleich der Künstler
die Wüste nie gesehen hatte, erlebte er sie doch in
diesen Augenblicken des wohllüstigen Halbschlafs.
Die Frucht jener Minuten, da mit dem Redakteur
nach dem Kampfe die Worte wie Pilger durch eine
Einöde geschlichen waren: Dieses Bild hatte Ge-
stalt bekommen. So wurde ihm jeder leise Ge-
danke, den er unbewußt dachte, zu einer Berei-
cherung. Die unerbittliche, gramvolle Leere der
Wüste erstand vor ihm. Er sah die leisen Wellen
ihrer Hügel, sah darüber den farblosen Himmel und
fühlte die Rauheit des feinen Sandes auf seinen
Wangen. Als schleppe er sich gebückt und ge-
martert durch diese Schrecken; er zitterte vor
ihrer Gleichförmigkeit, vor der Hartnäckigkeit, mit
der sie einander folgten, lastend wie Verbrechen.
Er hatte das Gefühl, als habe eine Musik in ihm zu
schluchzen begonnen, so disharmonisch in ihrer
einförmigen Harmonie, so gellend in ihrer ge-
dämpften Heimtücke, so bunt in ihren grauen Far-
ben, daß ihn ein Taumel der Schwäche schüttelte.
Alle Konturen liefen vor seinen geängstigten Augen
ineinander über, so daß ein Gewirr der verschie-
densten grauen Tönungen entstand, das bunt vor
ihm auf und niedertanzte. In diesen Augenblicken
begriff er, daß die Wüste den Menschen wahnsin-
nig machen kann. In diesen Augenblicken fand er
aber auch die Rettung, indem er die Musik als
höchsten Ausdruck der Einöde zu begreifen suchte.
Das tat er mit einer ungestümen Begierde, da ihm
noch nie eine solche häßliche und in all ihrer Häß-
lichkeit grandiose Musik begegnet war. Eine Mu-
sik, wie sie sich ihm nicht in seinen brennendsten
Träumen der Weltgeschichte, nicht einmal in seiner
Verzückung für Napoleon Bonaparte geoffenbart
hatte. Eine Musik, ganz neu, die keine Gemein-
schaft mit der Musik seiner schöpferischen Tage
hatte.
Aber er vermochte diese graue Endlosigkeit
nicht lange anzusehen, ohne daß sie sich ihm be-
lebte. Menschen traten aus dem Horizont hervor,
klein und hastend, wuchsen und verdichteten sich
zu Massen, die schwarz wie eine Wolke in dem
grauen Feld standen. Ein gespensterhaft-leben-
diges Zucken formte die Wolke. Groteske Figuren
entstanden, riesige Schalknasen, drohende Fratzen,
ernste Gefäße mit reinen, klargeschwungenen Li-
nien. Schalen, Urnen, Pokale; in unheimlicher
Lebendigkeit wechselte die seltsame Wolke ihre
Gestalt, unerschöpflich. Der Künstler saß wie einer,
der aus sich selbst herausgesprungen ist, um unab-
hängig vom Körper — seltene Dinge zu genießen.
Alle Schönheit der Weltgeschichte war in ihm aus-
gelöscht. Die Herrlichkeiten des Alten Testaments
drangen auf ihn ein und ließen ihn in Anschauungs-
freude erschauern.
„Mose hütete die Schafe Jethros, seines Schwä-
hers, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe
weiter hinein in die Wüste, und kam an den Berg
Gottes Horeb.
„Und der Engel des Herrn erschien ihm in
einer feurigen Flamme aus dem Busch. Und er
sähe, daß der Busch mit Feuer brannte, und ward
doch nicht verzehret.“
.... Ein Gelächter schlug aus der Wolke, die
zum Dornbusch geworden war, das rote Gelächter
der Schaffensfreude. Eine Flamme lohte, rot und
stark, daß alle Wüste überleuchtet war. In alle
graue Endlosigkeit zitterte der Blutton dieses be-
fruchtenden Feuers. Es werdeJ sprach eine
Stimme, wie am ersten Tag. Es werde Licht, es
v/erde eine Veste zwischen den Wassern und das
Wasser sammle sich unter dem Himmel an beson-
dere Oerter, daß man das Trockene sehe. Und
es geschah also. Der Schrei der Befruchtung stieß
durch die Oede, die Farbe der Unendlichkeit und
die Farbe der Liebe mischten sich und erzeugten den
Menschen... Er schritt aus dem brennenden Dorn-
busch hervor, hoch in Selbstbewußtsein, lächelnd
in Morgenfreude. Er schritt mit rüstigen Füßen von
dättnen, ging in die Wüste, um sie zu beleben; und
viele seinesgleichen, die aus den Flammen 'des
Dornbuschs kamen, folgten ihm und taten wie er.
Aber endlich verschlang sie der Horizont, und alles
war wieder leer und grau, das Feuer erloschen und
Trauer, endlose Trauer über der grauen Wüste.
Ein Weinen wehte über den schrecklichen Sand,
schwoll an, ward zum brausenden Klagegesang.
Der Künstler fühlte die Schauer der Befruchtung;
sein Geist, der die Wohltat eines neuen Werkes
empfing, zitterte in Wollust — als stehe ein Mäch-
tiger bei ihm und rüttele ihn, daß er in süße Ver-
zagtheit fiel. Er hörte das Brausen des Klage-
gesangs, das alle andern Töne verschlang. Wenn
ihn aber einer in dem weißen Rohrstuhl an der
Verandabrüstung sitzen sah, konnte er die Zuckun-
gen, von denen seine Phantasie heimgesucht wurde,
nicht wahrnehmen, konnte nur einen müden Men-
schen wahrnehmen, dem in der Hitze des Mittags
die Lider über die Augen fielen. Und doch offen-
barte sich dem müden Menschen im Traumwachen
eine neue Schönheit. Die Schönheit der Demut
und des Gehorsams, einförmig und schlicht und
doch in all ihrer einförmigen Schlichtheit grandios
und hinreisend. Er lernte den einfältigen Willen
zum Leben der Kinder Israel kennen. Erlebte ihre
Angst und Sorge, ihre Gebete um Rettung vor dem
Heere Pharaos; er sah das Rote Meer, da die
Wüste sich auftat und sich mit Wasser füllte, auf
daß das eine Land vom andern getrennt sei.
.... Indem sein Geist von der Größe einer
neuen Musik befruchtet wurde, begann er die
Macht dieser grausamen Töne zu ahnen. Die
Bilder zitterten 'an ihm vorüber, verloren ihre
Linien und Formen, zerflossen endlich in Nichts,
indefn eines das andere verdrängte: Aber ihre
Seele, das, was ihnen Bewegung und Bewußtsein
gab, daß sie nicht leer und kalt blieben, diese
Seele blieb zurück, wenn die Körper schwanden.
So sammelte sich eine große Anzahl von Seelen
fremder Dinge und Geschehnisse im Gehirn des
Künstlers und verdichtete sich zu einer Seele,
die, die abgerundete, in sich selbst geschlossene
Erinnerung an die gesehenen Halbtraumerlebnisse
bildete. . . In solchen wonneschweren Empfangen
saß der Künstler, während die Sonne zu ermatten
begann. Es war ein fieberhaftes Erleben, das
dieses empfindliche Gehirn peinigte und den selt-
samen Menschen in die Flut einer wunderbaren
Sehnsucht warf. Das Verlangen nach einem neuen
Werk dämmerte in ihm, unbestimmt noch in den
Linien, schwankend wie Nebel im Morgenwind.
Er fühlte, wie die Liebe zu seinem ersten, eben
vollendeten Werk von ihm abzufallen versuchte;
der Stolz, mit dem er in Stunden der höchsten Be-
geisterung Napoleon Buonaparte gewesen war,
machte sich klein und wurde ängstlich und un-
sicher. Die Stunde, in der er jenen freudigen
Brief an den Freund geschrieben, war das letzte
ehrliche Ueberblicken des zurückgelegten Weges
gewesen; indem er das letzte Zeichen hinter die
Unterschrift setzte, hatte er in sich das Verhältnis
des Dienenden überwunden, in dem er zu seinem
Werk stand, war nicht mehr der Sklave, der ehr-
erbietig dem Willen des Herrn gehorcht, er war
dem Herrn ebenbürtig geworden. Diese Erkennt-
nis begann sich in ihm zu regen. Und sein leb-
hafter Geist verlangte nach einer neuen Pracht,
der er dienen konnte.
* * *
Während er in der unsichern Freude über ein
geahntes neues Werk im Schatten der Veranda
saß, kam Eva.
— Schläfst du? fragte sie, als sie sah, daß er
die Augen geschlossen hielt.
Aber er saß tief in seiner Freude, jede Faser
seines Geistes erschauerte in der Wollust des
Empfangens.
Da ließ sie sich; leise in einen Sessel ihm gegen-
über nieder, um zu warten, bis er erwache.
Schläfst du? fragte sie noch einmal. Eine
Weile saß sie regungslos, und zog nur ab und zu
den Handschuh der linken Hand mit der rechten
straffer. Plötzlich überkam sie das unwidersteh-
liche Verlangen, sich ebenso hinzusetzen wie der
Geliebte, alle Glieder schlaff auszustrecken. Sie
legte mit einer vorsichtig-geschmeidigen Armbe-
wegung den dunkelroten Sonnenschirm auf das
weiße Tischtuch. Da lag er wie eine Wunde in
marmorweißem Fleisch. Das Mädchen ergötzte
sich einen Augenblick daran und dachte an eine
Freundin, die auf dem letzten Ball drei große
blutrose Rosen auf weißem Kleid getragen hatte..
Dann ließ sie sich langsam, mit einer behaglichen
Lässigkeit, in den Sessel zurücksinken, streckte
die Füße aus und ließ die Hände über die Lehnen
fallen. Sie schloß die Augen und fühlte sich un-
säglich wohl. Ihre Gedanken ermatteten und wur-
den allmählich zu blassen verschwommenen Bil-
dern. Sie wäre eingeschlafen, wenn nicht ein
starker Drang, jede Bewegung des Geliebten
nachzuahmen, sie immer wieder ermuntert hätte..
Sie beobachtete blinzelnd, wie manchmal die Fin-
ger des Künstlers zuckten. Sofort ahmte sie es
nach. Drehte er den Kopf ein wenig nach rechts
oder links, tat sie es auch. Während dieses harm-
losen Spiels bewunderte sie seine Schönheit.
Endlich langweilte es sie.
— Jetzt Will ich ihn munter machen! dachte
sie. Dann will ich ihn küssen und mir von ihm
erzählen lassen. Wie süß ist seine Stimme!
Sie erhob sich langsam, richtete sich auf und
dehnte sich. Mit engen, leisen Schritten begann
sie, um den Tisch zu gehen. Der duftige weiße
Rock knisterte in der Stille des heißen Nachmit-
tags. Ihr blonder Kopf stand gegen den blauen
fleckenlosen Himmel; das Licht sickerte in rie-
selnden Fäden durch die Locken an den Schlä-
fen. Sie schien es zu fühlen, griff mit einer un-
willkürlichen Armbewegung nach dem Kopf und
drückte das Haar an die Schläfen. Diese Bewe-
gung goß eine Nachwehe der Erschlaffung durch
die Adern ihres Körpers, sodaß sie auch die andere
Hand hob und an die Schläfe preßte. So stand
sie einen Augenblick da, das Gesicht halb nach-
oben, in das Licht gehoben, die Hände wie in Ver-
zückung an den Schläfen. In dieser Stellung
machte sie die letzten Schritte zu dem Künstler
hin; sie wußte, wie ihn solche Stellungen, die
eine starke Gemütsschwingung ausdrückten, be-
geisterten, obwohl sie dies nicht begreifen konnte-
Sie wollte ihm eine Freude bereiten.
Um ihn zu wecken, brach sie in ein fröhliches
Gelächter aus. Das silberhelle Lachen sprudelte
lebendig aus dem offenen Mund, der wie der
ganze übrige Körper erstarrt schien. Ihre Hal-
tung wirkte krampfhaft, indem sie dem Geliebten
eine Schönheit bieten wollte, verzerrte sie das
Bild durch das harmlose Lachen —.
Johannes schrak aus seiner Versunkenheit em-
por. Mit einem Schlag verschwand das Bild der
Wüste; es war, als sei es von einer unbarmher-
zigen Faust zertrümmert worden. Verwirrt, un-
fähig, sofort die Phantasie auszuschalten und an
ihre Stelle das nüchterne Tagbewußtsein zu set-
zen, sah er sich um. Das helle Kleid des Mäd-
chens blendete ihn, daß er die Augen schließen
88
licher, bis es endlich dastand in schrecklicher End-
losigkeit, in dem schweren, geronnenen Rhythmus
der hoffnungslosen Einöde. Obgleich der Künstler
die Wüste nie gesehen hatte, erlebte er sie doch in
diesen Augenblicken des wohllüstigen Halbschlafs.
Die Frucht jener Minuten, da mit dem Redakteur
nach dem Kampfe die Worte wie Pilger durch eine
Einöde geschlichen waren: Dieses Bild hatte Ge-
stalt bekommen. So wurde ihm jeder leise Ge-
danke, den er unbewußt dachte, zu einer Berei-
cherung. Die unerbittliche, gramvolle Leere der
Wüste erstand vor ihm. Er sah die leisen Wellen
ihrer Hügel, sah darüber den farblosen Himmel und
fühlte die Rauheit des feinen Sandes auf seinen
Wangen. Als schleppe er sich gebückt und ge-
martert durch diese Schrecken; er zitterte vor
ihrer Gleichförmigkeit, vor der Hartnäckigkeit, mit
der sie einander folgten, lastend wie Verbrechen.
Er hatte das Gefühl, als habe eine Musik in ihm zu
schluchzen begonnen, so disharmonisch in ihrer
einförmigen Harmonie, so gellend in ihrer ge-
dämpften Heimtücke, so bunt in ihren grauen Far-
ben, daß ihn ein Taumel der Schwäche schüttelte.
Alle Konturen liefen vor seinen geängstigten Augen
ineinander über, so daß ein Gewirr der verschie-
densten grauen Tönungen entstand, das bunt vor
ihm auf und niedertanzte. In diesen Augenblicken
begriff er, daß die Wüste den Menschen wahnsin-
nig machen kann. In diesen Augenblicken fand er
aber auch die Rettung, indem er die Musik als
höchsten Ausdruck der Einöde zu begreifen suchte.
Das tat er mit einer ungestümen Begierde, da ihm
noch nie eine solche häßliche und in all ihrer Häß-
lichkeit grandiose Musik begegnet war. Eine Mu-
sik, wie sie sich ihm nicht in seinen brennendsten
Träumen der Weltgeschichte, nicht einmal in seiner
Verzückung für Napoleon Bonaparte geoffenbart
hatte. Eine Musik, ganz neu, die keine Gemein-
schaft mit der Musik seiner schöpferischen Tage
hatte.
Aber er vermochte diese graue Endlosigkeit
nicht lange anzusehen, ohne daß sie sich ihm be-
lebte. Menschen traten aus dem Horizont hervor,
klein und hastend, wuchsen und verdichteten sich
zu Massen, die schwarz wie eine Wolke in dem
grauen Feld standen. Ein gespensterhaft-leben-
diges Zucken formte die Wolke. Groteske Figuren
entstanden, riesige Schalknasen, drohende Fratzen,
ernste Gefäße mit reinen, klargeschwungenen Li-
nien. Schalen, Urnen, Pokale; in unheimlicher
Lebendigkeit wechselte die seltsame Wolke ihre
Gestalt, unerschöpflich. Der Künstler saß wie einer,
der aus sich selbst herausgesprungen ist, um unab-
hängig vom Körper — seltene Dinge zu genießen.
Alle Schönheit der Weltgeschichte war in ihm aus-
gelöscht. Die Herrlichkeiten des Alten Testaments
drangen auf ihn ein und ließen ihn in Anschauungs-
freude erschauern.
„Mose hütete die Schafe Jethros, seines Schwä-
hers, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe
weiter hinein in die Wüste, und kam an den Berg
Gottes Horeb.
„Und der Engel des Herrn erschien ihm in
einer feurigen Flamme aus dem Busch. Und er
sähe, daß der Busch mit Feuer brannte, und ward
doch nicht verzehret.“
.... Ein Gelächter schlug aus der Wolke, die
zum Dornbusch geworden war, das rote Gelächter
der Schaffensfreude. Eine Flamme lohte, rot und
stark, daß alle Wüste überleuchtet war. In alle
graue Endlosigkeit zitterte der Blutton dieses be-
fruchtenden Feuers. Es werdeJ sprach eine
Stimme, wie am ersten Tag. Es werde Licht, es
v/erde eine Veste zwischen den Wassern und das
Wasser sammle sich unter dem Himmel an beson-
dere Oerter, daß man das Trockene sehe. Und
es geschah also. Der Schrei der Befruchtung stieß
durch die Oede, die Farbe der Unendlichkeit und
die Farbe der Liebe mischten sich und erzeugten den
Menschen... Er schritt aus dem brennenden Dorn-
busch hervor, hoch in Selbstbewußtsein, lächelnd
in Morgenfreude. Er schritt mit rüstigen Füßen von
dättnen, ging in die Wüste, um sie zu beleben; und
viele seinesgleichen, die aus den Flammen 'des
Dornbuschs kamen, folgten ihm und taten wie er.
Aber endlich verschlang sie der Horizont, und alles
war wieder leer und grau, das Feuer erloschen und
Trauer, endlose Trauer über der grauen Wüste.
Ein Weinen wehte über den schrecklichen Sand,
schwoll an, ward zum brausenden Klagegesang.
Der Künstler fühlte die Schauer der Befruchtung;
sein Geist, der die Wohltat eines neuen Werkes
empfing, zitterte in Wollust — als stehe ein Mäch-
tiger bei ihm und rüttele ihn, daß er in süße Ver-
zagtheit fiel. Er hörte das Brausen des Klage-
gesangs, das alle andern Töne verschlang. Wenn
ihn aber einer in dem weißen Rohrstuhl an der
Verandabrüstung sitzen sah, konnte er die Zuckun-
gen, von denen seine Phantasie heimgesucht wurde,
nicht wahrnehmen, konnte nur einen müden Men-
schen wahrnehmen, dem in der Hitze des Mittags
die Lider über die Augen fielen. Und doch offen-
barte sich dem müden Menschen im Traumwachen
eine neue Schönheit. Die Schönheit der Demut
und des Gehorsams, einförmig und schlicht und
doch in all ihrer einförmigen Schlichtheit grandios
und hinreisend. Er lernte den einfältigen Willen
zum Leben der Kinder Israel kennen. Erlebte ihre
Angst und Sorge, ihre Gebete um Rettung vor dem
Heere Pharaos; er sah das Rote Meer, da die
Wüste sich auftat und sich mit Wasser füllte, auf
daß das eine Land vom andern getrennt sei.
.... Indem sein Geist von der Größe einer
neuen Musik befruchtet wurde, begann er die
Macht dieser grausamen Töne zu ahnen. Die
Bilder zitterten 'an ihm vorüber, verloren ihre
Linien und Formen, zerflossen endlich in Nichts,
indefn eines das andere verdrängte: Aber ihre
Seele, das, was ihnen Bewegung und Bewußtsein
gab, daß sie nicht leer und kalt blieben, diese
Seele blieb zurück, wenn die Körper schwanden.
So sammelte sich eine große Anzahl von Seelen
fremder Dinge und Geschehnisse im Gehirn des
Künstlers und verdichtete sich zu einer Seele,
die, die abgerundete, in sich selbst geschlossene
Erinnerung an die gesehenen Halbtraumerlebnisse
bildete. . . In solchen wonneschweren Empfangen
saß der Künstler, während die Sonne zu ermatten
begann. Es war ein fieberhaftes Erleben, das
dieses empfindliche Gehirn peinigte und den selt-
samen Menschen in die Flut einer wunderbaren
Sehnsucht warf. Das Verlangen nach einem neuen
Werk dämmerte in ihm, unbestimmt noch in den
Linien, schwankend wie Nebel im Morgenwind.
Er fühlte, wie die Liebe zu seinem ersten, eben
vollendeten Werk von ihm abzufallen versuchte;
der Stolz, mit dem er in Stunden der höchsten Be-
geisterung Napoleon Buonaparte gewesen war,
machte sich klein und wurde ängstlich und un-
sicher. Die Stunde, in der er jenen freudigen
Brief an den Freund geschrieben, war das letzte
ehrliche Ueberblicken des zurückgelegten Weges
gewesen; indem er das letzte Zeichen hinter die
Unterschrift setzte, hatte er in sich das Verhältnis
des Dienenden überwunden, in dem er zu seinem
Werk stand, war nicht mehr der Sklave, der ehr-
erbietig dem Willen des Herrn gehorcht, er war
dem Herrn ebenbürtig geworden. Diese Erkennt-
nis begann sich in ihm zu regen. Und sein leb-
hafter Geist verlangte nach einer neuen Pracht,
der er dienen konnte.
* * *
Während er in der unsichern Freude über ein
geahntes neues Werk im Schatten der Veranda
saß, kam Eva.
— Schläfst du? fragte sie, als sie sah, daß er
die Augen geschlossen hielt.
Aber er saß tief in seiner Freude, jede Faser
seines Geistes erschauerte in der Wollust des
Empfangens.
Da ließ sie sich; leise in einen Sessel ihm gegen-
über nieder, um zu warten, bis er erwache.
Schläfst du? fragte sie noch einmal. Eine
Weile saß sie regungslos, und zog nur ab und zu
den Handschuh der linken Hand mit der rechten
straffer. Plötzlich überkam sie das unwidersteh-
liche Verlangen, sich ebenso hinzusetzen wie der
Geliebte, alle Glieder schlaff auszustrecken. Sie
legte mit einer vorsichtig-geschmeidigen Armbe-
wegung den dunkelroten Sonnenschirm auf das
weiße Tischtuch. Da lag er wie eine Wunde in
marmorweißem Fleisch. Das Mädchen ergötzte
sich einen Augenblick daran und dachte an eine
Freundin, die auf dem letzten Ball drei große
blutrose Rosen auf weißem Kleid getragen hatte..
Dann ließ sie sich langsam, mit einer behaglichen
Lässigkeit, in den Sessel zurücksinken, streckte
die Füße aus und ließ die Hände über die Lehnen
fallen. Sie schloß die Augen und fühlte sich un-
säglich wohl. Ihre Gedanken ermatteten und wur-
den allmählich zu blassen verschwommenen Bil-
dern. Sie wäre eingeschlafen, wenn nicht ein
starker Drang, jede Bewegung des Geliebten
nachzuahmen, sie immer wieder ermuntert hätte..
Sie beobachtete blinzelnd, wie manchmal die Fin-
ger des Künstlers zuckten. Sofort ahmte sie es
nach. Drehte er den Kopf ein wenig nach rechts
oder links, tat sie es auch. Während dieses harm-
losen Spiels bewunderte sie seine Schönheit.
Endlich langweilte es sie.
— Jetzt Will ich ihn munter machen! dachte
sie. Dann will ich ihn küssen und mir von ihm
erzählen lassen. Wie süß ist seine Stimme!
Sie erhob sich langsam, richtete sich auf und
dehnte sich. Mit engen, leisen Schritten begann
sie, um den Tisch zu gehen. Der duftige weiße
Rock knisterte in der Stille des heißen Nachmit-
tags. Ihr blonder Kopf stand gegen den blauen
fleckenlosen Himmel; das Licht sickerte in rie-
selnden Fäden durch die Locken an den Schlä-
fen. Sie schien es zu fühlen, griff mit einer un-
willkürlichen Armbewegung nach dem Kopf und
drückte das Haar an die Schläfen. Diese Bewe-
gung goß eine Nachwehe der Erschlaffung durch
die Adern ihres Körpers, sodaß sie auch die andere
Hand hob und an die Schläfe preßte. So stand
sie einen Augenblick da, das Gesicht halb nach-
oben, in das Licht gehoben, die Hände wie in Ver-
zückung an den Schläfen. In dieser Stellung
machte sie die letzten Schritte zu dem Künstler
hin; sie wußte, wie ihn solche Stellungen, die
eine starke Gemütsschwingung ausdrückten, be-
geisterten, obwohl sie dies nicht begreifen konnte-
Sie wollte ihm eine Freude bereiten.
Um ihn zu wecken, brach sie in ein fröhliches
Gelächter aus. Das silberhelle Lachen sprudelte
lebendig aus dem offenen Mund, der wie der
ganze übrige Körper erstarrt schien. Ihre Hal-
tung wirkte krampfhaft, indem sie dem Geliebten
eine Schönheit bieten wollte, verzerrte sie das
Bild durch das harmlose Lachen —.
Johannes schrak aus seiner Versunkenheit em-
por. Mit einem Schlag verschwand das Bild der
Wüste; es war, als sei es von einer unbarmher-
zigen Faust zertrümmert worden. Verwirrt, un-
fähig, sofort die Phantasie auszuschalten und an
ihre Stelle das nüchterne Tagbewußtsein zu set-
zen, sah er sich um. Das helle Kleid des Mäd-
chens blendete ihn, daß er die Augen schließen
88