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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 158/159 (Mai 1913)
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Walden, Herwarth: Von den Schönen Künsten
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0022
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„Diese Maßnahme (die Entfernung einer großen
Anzahl Bilder der Sammlung Wagener durch die
Direktoren Jordan und Tschudi aus den Schau-
räumen der Galerie in die Amtszimmer der Be-
amten) diese Maßnahme ist als Verletzung des
Wagenerschen Testaments und damit jener Aller-
höchsten Kabinettsordres bezeichnet worden;
gleichzeitig wurde verlangt, daß die Sammlung
vollständig und zusammenhängend in den Schau-
räumen aufgestellt und dafür ein ganzes Stock-
werk der Nationalgallerie eingeräumt werde.

Es handelt sich hier um einen reinen formellen
Einwand, die angebliche Verletzung eines Tes-
taments, und, wenn dies zutrifft, damit auch
zweier Allerhöchster Kabinettsorders; dagegen
ist kaum, soweit ich sehe, ein nachdrückliches
sachliches Bedenken erhoben, einer Beehüräch-
tigimg des Wertes der National-Galerie durch
diese Maßnahme behauptet worden. Ein unpar-
teiischer Beurteiler wird im Gegenteil nicht be-
st; eiten, daß der Gesamteindruck und der Rang
unserer Galerie durch die Sichtung des ganzen
Bestandes und damit auch der Wagenerschen
Sammlung wesentlich gehoben worden ist. Ich
glaube, daß auch die formelle Seite dieser nütz-
lichen Maßnahme keine Kritiker gefunden hätte,
wenn diese nicht aus anderen Gründen mit der
Amtsführung des Geheimrats von Tschudi un-
zufrieden gewesen wären.“

Dies ist die Ansicht des gegenwärtigen Direk-
tors der National-Galerie. Er widerlegt sogar die
Stichhaltigkeit des „formellen Einwands“. Ich
will Herrn Direktor Justi nicht durch meine Be-
geisterung für seine Denkschriften in seiner Stel-
lung gefährden. Aber man lese dieses Buch. Wie
beruhigend wirkt etwa dieser Satz: „Die nicht
ausgestellten Bilder sind keineswegs in eigent-
lichen Depots gestapelt, sondern in den Amts-
zimmern so aufgehängt, daß sie vielleicht besser
studiert werden können als einst in Wageners
Wohnung. Zum Kopieren kann jedes Bild ohne
Weiteres in die Schauräume gebracht werden.“
Statt das aber das Berliner Tageblatt sich ohne
weiteres mit diesen Denkschriften bekannt macht,
schreibt es nach der Zitierung dieser Ungeheuer-
lichkeiten gegen Tschudi: „Man kann es dem auf-
rechten Mann, der am neunten Mai seinen siebzig-
sten Geburtstag feiert, gewiß nicht übel nehmen, daß
er am Abend seines Lebens ...“ Man kann es doch.
Man nimmt es auch siebenzigjährigen Geburtstags-
kindern trotz aller Rührung übel, wenn sie nur
wissen, wie es hinter dem Ofen aussieht. Hierüber
helfen auch keine Redensarten von „Kunstmeinung“
und „anderm Lager“ hinweg. Es gibt kein an-
deres Kunstlager hinter dem Ofen. Für „die große
Fülle von Arbeit“ wird in der Kunst keine „Achtung
gezollt.“ Auch wenn so ein Lagerheld alle Werke
zu Ende geführt hat. Und „fast verblüffend“ wirkt
es für das Berliner Tageblatt, „daß der Künstler
daneben (daneben) noch seine ausgedehnte und
weithin wirkende Tätigkeit als Akademiedirektor
und Vorsitzender des Vereins Berliner Künstler
ausgeübt hat.“ Das ist verblüffend. Aber so weh
auch das Scheiden tut, geschieden muß sein: „so
scheidet man von dem Memoirenbuch das mit eine
Fülle von Reproduktionen Wernerscher Werke
geschmii ckt ist, mit dem Eindruck, daß
hier ein Mann spricht, der jedenfall Anspruch dar-
au{ machen darf, gehört zu werden.“ Immer noch
besser, als gesehen. Er hat jedoch Anspruch dar-
ai'h Von Herrn Fritz Stahl gehört zu werden.

Die Kunst der Abgeordneten

Das hohe Haus der Abgeordneten hat sich in
seiner hundertvierundsechzigsten Sitzung vom

Sonnabend, dem 12. April 1913, der Kunst ange-
nommen. Und zwar haben die Herren Geheimer
Kommerzienrat Vorster, Mitglied der Freikonser-
vativen Partei, und die Herren Giemsa und Dr.
Hauptmann, Mitglieder der Zentrumspartei, (das
Verdienst. Herr Vorster versah sich mit einigen
Reproduktionen der Sonderbund-Ausstellung zu
Köln und einigen Nummern dieser Zeitschrift und
versuchte durch eine recht lange Rede, die „krank-
hafte Entwicklung der bildenden Künste“ aufzu-
halten. Was der Herr Vorster gesagt hat, kann
man in jeder beliebigen Kritik über Ausstellungen
des Sturms nachlesen. Er beklagt sich über Por-
träts, die wie Karikaturen aussehen (sehr richtig!)
Ueber Landschaften, bei denen man versucht hat,
der Natur die allerhäßlichste Seite abzugewinnen
(sehr richtig!). Er beruft sich auf die Herren
Landwirte als Sachverständige für Tierbilder:
„Sehen Sie sich bitte einmal die gelbe Kuh an“
(sehr richtig!). Ganz besonders interessant findet
er „die sogenannten Vexierbilder“. Diese Vexier-
bilder erinnern ihn an die erste Schöpfung der
Malerei bei den Naturvölkern (sehr richtig! und
große Heiterkeit). Sie erinnern ihn ferner „an
solche Bilder, die wir aus der Urzeit in dem Mu-
seum für Völkerkunde bewundern (sehr richtig
und Heiterkeit)“. Sie erinnern ihn ferner an die
Kunstleistungen von achtjährigen Knaben. Eine
Frauenfigur hat einen zu langen Hals. Van Gogh
hat „die besondere Vorliebe, häßliche, mehr oder
weniger krumme Menschen zu malen (Heiterkeit).“
Das alles hat der Herr Vorster gefunden. Er
findet ferner, daß „Ziel und Aufgabe der wahren
Kunst ist, das Schöne und Erhabene in der Natur
und im Menschenleben zu Schilder n“. Also
etwa eine Sitzung des Abgeordnetenhauses. Der
Herr Vorster glaubt, „der Zweck dieser Ausstel-
lungen sei, die Künstler wollen sich über das Pu-
blikum lustig machen. Andererseits wurde gesagt,
wenn die Wärter längere Zeit dort blieben, müß-
ten sie gewechselt werden, denn sonst würden sie
verrückt. (Heiterkeit.) “ Im Abgeordnetenhaus
versteht man, im entscheidenden Moment zu
lachen. Und hierauf bittet der Herr Vorster das
Kultusministerium dringend, „der geschilderten
krankhaften Kunst keine Förderungen angedeihen
zu lassen (bravo!), das heißt, insbesondere keine
Ankäufe für Museen (Heiterkeit). Denn, meine
Herren, wir haben es hier mit einer Richtung zu
tun, die von meinem Laienstandpunkt aus eine
Entartung bedeutet, eins der Symptome einer
krankhaften Zeit. (Lebhafter Beifall.)“ Herr Vor-
ster ist weder Künstler noch Mediziner, sondern
ein schlichter Geheimer Kommerzienrat. Er hat
sein Geld besser anzuwenden gewußt als das Pu-
blikum, das sich in Köln für zweihundertundzehn-
tausend Mark Bilder kaufte. Warum tat dies das
Publikum. Herr Abgeordneter Dr. Hauptmann
von der Zentrumspartei gibt darüber Auskunft.
Er erzählt dem Abgeordnetenhaus die schöne Ge-
schichte von dem König ohne Kleider, die ich in Num-
mer 152/53 dieser Zeitschrift durch den Mann mit
den Unterhosen erweitert habe. Und er sagt wört-
lich über die Kölner Sonderbundausstellung: „Als
dem Publikum dieser Schund vorgeführt wurde
und als die tolle Reklame dafür gemacht wurde,
scheute sich jeder zu sagen, was er dachte. Es
zweifelte an seinen eigenen Augen und hat
schließlich für bare zweihundertzehntausend Mark
von diesem Zeuge gekauft.“ Der Herr Dr. Haupt-
mann spendet der Deutschen Reichszeitung in
Bonn ein besonderes Lob, welche damals als ein-
zige „kräftig gegen den Unsinn angegangen ist“
und er bemerkt: „Insofern war diese Ausstellung
wirklich ein betrübendes Exempel auf den Intel-
lekt und das künstlerische Verständnis des Publi-

kums, vor allem des Publikums der guten Stadt
Köln, welches, wie gesagt, so vor den Kopf
geschlagen war, daß es für zweihundert-
undzehntausend Mark von diesem minderwertigen
und zum Teil geradezu blödsinnigen Zeug kaufte.“
So wirken Kopfschläge. Das Publikum ist ent-
setzt, es kauft schleunigst für zweihundertund-
zehntausend Mark minderwertiges und zum Teil
geradezu blödsinniges Zeug, nur weil es vor den
Kopf geschlagen wurde. Man denkt in Deutsch-
land tief genug von dem Doktortitel. Aber daß
selbst ein Doktor dieses minderwertige und zum
Teil geradezu blödsinnige Zeug redet, kann nur
daherkommen, daß er vor den Kopf geschlagen
war. Es hat ihm allerdings nicht zweihundertund-
zehntausend Mark gekostet. Und von allen vier-
hundertunddreiundvierzig Abgeordneten findet sich
nicht ein einziger, der auch nur widerspricht.
Diese oft gehörte Heiterkeit des Hohen Hauses
versagt. Es ist im Jahre 1913 möglich, daß jemand
Cezanne, Renoir, Gauguin, Van Gogh, Munch,
Hodler, um von den Jüngeren zu schweigen, als
Schund bezeichnet! Vierhundertdreiundvierzig
Abgeordnete hören es schweigend an und geben
damit zu, weder Bilder dieser Meister gesehen,
noch deren Namen je gehört zu haben. Der Mi-
nister der geistlichen und Unterrichtsangelegen-
heiten sieht sich nur „staunend“ die Reproduktio-
nen an. Und sämtliche Herren Dezernenten
schweigen. Parlamente haben mit der Kunst
nichts zu tun. Da sollen sie sie auch nicht be-
fassen. Dieser Herr Doktor Hauptmann glaubt in
seiner Kunstblindheit sogar, daß das Komitee der
Sonderbundausstellung, zu dem mehrere Museums-
direktoren gehörten, „nicht gewußt habe, um was
es sich handelte“.

Sonst würden sie „diese Ware nicht mit ihrer
Flagge gedeckt haben“. Aber nicht nur der Ab-
geordnete Dr. Hauptmann schoß aus dem Zen-
trum. Auch der Abgeordnete Giemsa ist empört.
Nachdem er zunächst die farbige Reproduktions-
kunst gelobt hat, die „auf einer ungeahnten Höhe“
steht und „sich in ihrer Wirkung von den Origi-
nalen wenig unterscheidet“, begibt er sich auf Irr-
wege der Künstler. Nachdem der Herr Geheime
Kommerzienrat Vorster dem Expressionismus, dem
Kubismus, dem Futurismus und dem von ihm
eigens erfundenen Ueberfuturismus sein Fett ge-
geben hat, operiert Herr Giemsa die Auswüchse
des Impressionismus. Er weiß zwar nicht, was
das ist, aber er bekämpft es: Schmiererei, die
wirklich nicht mehr Malerei; welchen Zweck; der
Beschauer bekommt da ganz eigenartige Gedanken;
den Eindruck, als ob er plötzlich kurzsichtig oder
gar blind; vierte Dimension; bei längerem An-
schauen Kopfschmerzen; von den Insassen einer
Nervenheilanstalt gemalt (Heiterkeit); und als
höchste Steigerung; „Es gibt darunter Gemälde,
die einen direkt fascinieren, mit ihren Farben
förmlich blenden, auf denen man aber trotzdem
keinen Gegenstand richtig erfassen kann,
so daß man daß Gefühl hat, man wäre mit den
Kopf eben an einen Baum gestoße n.“ Also
wenigstens an einen Gegenstand. Mancher muß
eben erst an einen Gegenstand stoßen, um ein Ge-
fühl zu bekommen.

Ich wiederhole: Von vierhundertdreiundvierzig
Abgeordneten widersprach niemand. Nicht als ob
ich glaubte, daß den Herren durch ihr Amt auch ein
Kunstverstand gegeben sei. Aber daß diese Her-
ren zu ihrem Amt noch eine Meinung über Kunst
mitbringen, zu der sie nicht abgeordnet sind, liegt
nicht in der Ordnung der Dinge, die sie durchaus
auf Gemälden zu sehen wünschen. Selbst auf die
Gefahr hin, sich daran den Kopf zu stoßen.

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