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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 173/174 (August 1913)
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Kohl, Aage von: Der schöne Korporal
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0087

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Der Kapitän hob seine Hand mit der kleinen
Signaltrompete, als wollte er, unabgesehen von
allen Ordern, die Ruhe geboten, das Feuer eröff-
nen, und er griff Katomos Arm gewaltig und
fest —

„Ah, Korporal Yoshivara“ — sagte er ohne es
zu wissen.

Katomo, der Premierleutnant, versuchte sein
Gesicht wegzudrehen, um nicht zu sehen, was ge-
schehen mußte, aber er konnte seine Augen nicht
losreißen.

Der Russe drehte seine Flinte, Yoshivara hatte
eine andere Richtung eingeschlagen, die Sonne
fiel auf die glänzenden Mündung und ließ sie fun-
keln wie ein Brillant.

Es gab ein Ruck in dem Korporal, er sah es
funkeln und wußte sofort, was es war. Blitzschnell
machte er ein paar Seitensprünge, und die Kame-
raden sahen, wie die Muskeln in seinem Körper
sich spannten zu einer gewaltigen Bewegung. Die
Soldaten hoben sich zur Hälfte auf und folgten
mit halbgeöffneten Münden atemlos dem Auftritt.

Und mit einem Mal war der schöne Korporal
über den Russen — wie ein Tiger durch die Luft ge-
sprungen. Er schwang die Flinte des Russen über
seinem Kopf und ließ die Waffe herunterfallen auf
die weiße Stirn des Feindes. Es war ein Murmeln
in der Kompagnie, die Leute mußten sich alle zu-
sammennehmen, um nicht in Jauchzen auszubre-
chen. Die wußten alle, wenn der Russe Yoshivara
getötet hätte, hätten sie alle geschossen, um ihn zu
rächen.

Aber jetzt klang das Signalhorn, es war neun
Uhr. Der Kapitän lief über die Schießkette,
schwang seinen Säbel über den Kopf und brüllte.
„Vorwärts“. In einem Nu war die Kompagnie ge-
folgt, und wie mit einen Riesenlachen fingen die
russischen Kanonen an zu schießen. Auf dem feind-
lichem Ufer lag der Korporal und schoß mit der
russischen Flinte lächelnd vor Freude auf die
Feinde.

Die Kompanie watete schnell durch das Wasser
mit den Waffen über dem Kopf.

Alle ihre Gedanken waren bei Yoshivara. Aber
er drehte seinen Kopf und lächelte den Kameraden
zu, ließ den heißen Sand über seinen Bauch und
die Beine rieseln. Er winkte übermütig lachend
mit dem nackten Fuß. „Halt“ — brüllte der Ka-
pitän, der zuerst oben war. Seine Brust wogte
nach dem schnellen Lauf. Er nickte lächelnd sei-
nem Korporal zu.

„Schußkette. — Magazin — Schießen —“ kom-
mandierte er, und die Sektionsführer wiederholten
mit ihren heißen Stimmen „Schießen“.

„Schießen“ — brüllte Yoshivara lachend, und
steckte neue russische Patronen in seine russische
Flinte. Er nahm lange und genau Sicht. Sein
Körper lag ganz ruhig mit allen Nerven sicher, bis
der Schuß abgegangen war.

Der Lärm und das Schießen berauschte wie
Wein. Man wurde ganz betäubt und taumlig
davon.

Der Gemeine 87 hob sich ein bißchen, warf
seine Flinte hinter sich und fiel Hals über Kopf den
Abhang herunter. Sein Seitenmann hob den Kopf
um ihm nachzusehen. Man hörte etwas Hartes —
wie ein Stockschlag auf festes Fleisch — und sein
Kopf fiel herunter mit gespaltenen Schläfen.

Yoshivara konnte sehen, daß links, wo die bei-
den anderen Regimentern standen, scharf geschos-
sen wurde. Er lud seine Flinte wieder und schoß.
Ein Schuß schlug in die Erde neben ihn, das Pro-
jektil fiel auf einen Stein und ging mit einem tie-
fen Brummen in der Luft gerade über Yoshivaras
Kopf. Seine Augen wurde ganz voll Staub.

Er lächelte und entfernte ihn mit einer Hand-
bewegung.

Man hörte die Signaltrompete des Kompagnie-
chefs, sie hatte einen engen Ton. Und gleich dar-
auf die schreienden Töne von den Sektionsfüh-
rern. Es ging wie zitternder Stahldraht durch die
Gehirne.

„Halt“ — riefen die Führer. Das Schießen hielt
mit einmal auf, es war als wäre nicht ein Mann
am Leben. Die Stille ging wie ein Surren im
Kopf. „In Gruppen. 40 Meter vorwärts“! — kom-
mandierte der Chef mit lauter Stimme — „rechter
Flügel fängt an!“

Premierleutnant Katomos Abteil lag rechts. Er
hob seinen Kopf und rief: „Rechte Sektion, 40 Me-
ter Sprungmarsch. Vorwärts . . . .“ Sein Kopf
fiel mit einem Ruck auf die Erde. Das schwarze
Loch in seiner Stirn wurde langsam gefüllt mit
Sand, der sich mit dem Blut mischte.

„Schießen“ — kommandierte der Kapitän. Die
drei linken Abteilungen schossen, um die Kame-
raden zu decken, die vorwärts liefen. Der Ser-
geant, der neben Katomo lag, warf einen Blick um
sich und rief: „Vorwärts!“ — Acht — neun Mann
fingen an zu laufen. Einer suchte sich zu heben,
aber sank mit einem Schrei zurück. Ein anderer
hob einen Augenblick seine Hand. Zwei lagen un-
beweglich da, und Katomo sah aus, als schliefe er.

Wieder rief der Sergeant: „Vor—wärts“! —
und wieder liefen zehn Mann. —

Ungefähr um ein Uhr waren die Russen zurück-
gedrängt, und erst dann hatte Yoshivara Zeit sich
anzuziehen. Die Haut hing in Fetzen über seinen
ganzen Körper. Nur die Kniee waren hautlos, weil
er auf ihnen beim Schießen gelegen hatte.

„Na“! — sagte der Kapitän, und kniff den Kor-
poral ins Ohr, das so klein wie ein Frauenohr war,
„es ist wohl was ganz Neues für Sie, in Kleidern
zu gehen nicht wahr?“ Er lächelte. „Aber wenn
Sie nochmals solche Tanzvorstellungen geben mit-
ten im Dienst so . . . .“ er sagte nichts mehr, um
die Drohung schärfer zu machen. „Daß Sie ein
tüchtiger flinker Unteroffizier sind, das wußten
wir ja alle. Na, jetzt ins Glied!“ — sagte er und
lächelte dem kecken frohen Gesicht Yoshivaras
zu.-

Die Kompanie sollte in der eroberten Stellung
bivakieren, diese Nacht. Der kleine Secondeleut-
nant, der morgen nach Katomo Premierleutnant
werden sollte, ging herum und plazierte Posten.

Natürlich fehlte Yoshivara beim Appell. Er hatte
von seinem Sektionsführer Erlaubnis bekommen,
sich einen Augenblick zu entfernen. Als Ohashi
dies meldete, lachten alle Unteroffiziere. „Na, dann
kommt er wohl gleich wieder,“ sagte der kleine
Leutnant, der zu jung war und nicht mitzulachen
wagte, „er braucht sich nicht zu melden, wenn er
wiederkommt.“

Später, abends, als die Offiziere zusammen
aßen, alles war Frieden, die Feinde weit weg,
wurde nur von Yoshivara gesprochen. Yoshivara,
der vier Stunden ganz nackt gekämpft hatte.
Sein Kapitän ging herum strahlend und lächelnd
und erzählte und gab Mitteilungen. „Ah“! — sagte
er seufzend einen Augenblick, als er sich Katomos
erinnerte, Premierleutnant Katomos, der viele
Jahre in seiner Kompanie gewesen war, der tüch-
tigste Offizier, den er gekannt hatte. „Katomo
sagte, daß ein paar Mädelchens auch im Walde
lagen und ihm nachsahen. Ich weiß nicht, von wem
er es hatte, aber“ — der Kapitän schwieg einen
Augenblick, bog sich heran und flüsterte in Kapi-
tän Hoksais Ohr: „wissen Sie, lieber Kapitän, wenn
Sie wüßten wie die Mädels ihm nachliefen, so
wären Sie auch sicher, daß die Mädels ihm nach-
gesehn hätten. Er war natürlich weg die ganze
vorige Nacht. Und dann wollten sie ihn sicher
noch mal sehen. Ha, ha, ha!“

Am nächsten Morgen, zehn Minuten nach fünf
Uhr, stand der Kapitän auf dem Bivakplatz und
sprach mit dem kleinen Leutnant; inzwischen lief
der Stabsergeant hin und her und zählte die Ge-
meinen.

„Natürlich“! — sagte der Kapitän ohne zu hören
was der Leutnant sagte — seine Gedanken wären
bei dem gefallenen Katomo, dann glitten sie über
zu Korporal Yoshivara und seine Augen suchten
ihn im Glied.

Der Leutnant sprach weiter, jetzt über den
Patronenvorrat der Mannschaft: „Sie bekommen
wohl wie immer je 160“? — fragte er.

„Ja!“ — der Chef wachte auf aus seinen Ge-
danken — „Jeder bekommt 160!“ In der Kom-
panie wurde Order gegeben und kommandiert, der
Stabsergeant sah in seinem Notizbuch nach, ob
die Zahl stimmte.

„Sehen Sie-den Held, wie?“ fragte der

Kapitän lächelnd. Gestern Abend hatten alle Offi-
ziere Yoshivara „den nackten Held“ genannt, und
bei Gott, er hatte es verdient, dachte der Chef.

Sie sahen alle beide in die Reihen und versuch-
ten den Korporal zu entdecken. Auch der Stab-
sergeant sah aus, als suchte er jemand.

Der Kapitän bekam eine Idee und rief mit zu-
sammengezogenen Augenbrauen: „Stabsergeant!“
— ging ein paar Schritte vorwärts und rief noch-
mals — „Stabsergeant“!

Der weißhaarige Unteroffizier kam schwer-
fällig laufend zu dem Kapitän und machte Hon-
neur —:

„Ja!“ — sagte er, noch ehe er herangekommen
war — „Es ist-es ist-der Kor-

poral.“

„Ist er nicht hier?“ — der Kapitän ließ seine
Augen über die Schulter des Stabsergeants zur
Kompagnie gleiten. Der Unteroffizier schüttelte
seinen Kopf und sagte halblaut in eigentümlich
trostlosem Tone: „Nein, er ist nicht hier, ich

glaube-er war auch nicht hier heute Nacht.“

„Na, so was, der“-der Kapitän kniff die

Lippen zusammen — „Also er war wieder
weg!“ —

ns war keine Zeit zu verlieren. In fünfund-
zwanzig Minuten sollte das Bataillon fertig auf
dem Sammelplatz sein. Vorher sollten die Patro-
nen verteilt werden, aber mit guten Willen —

Der Kapitän ließ die Mannschaft sich rühren,
zehn Minuten — als Grund gab er an, er hätte die
Zeit ein bißchen reichlich ausgerechnet. Während
der zehn Minuten könnten sie machen, was sie
wollten, sagte er.

Sie verstanden ihn alle, und in einer Minute
waren sie alle verteilt im Wald.

Der Kapitän und der kleine Leutnant standen
mit Gesichtern, die mit einmal so müde aussahen,
neben einander.

„Unser kleiner Held!“ sagte der Kapitän und
versuchte zu lächeln — „Er liegt wohl noch
irgendwo herum und schläft, der Schurke!“

Dann kam der Stabsergeant von der Wald-
kante heraus. Der Kapitän sah ihn und lief gefolgt
von dem Leutnant den Abhang herunter. Sie wate-
ten durch das Bächlein und krochen pustend auf
die andere Seite.

„Haben Sie ihn gefunden?“ rief der Kapitän
schnell. Der Stabsergeant gab keine Antwort, hob
nur die Hände und ließ sie wieder herunterfallen.
Sie fragten nicht mehr, folgten ihm nur schnell,
die Zweige zurückbiegend, um vorwärts zu
kommen.

Da drin war eine kleine Oeffnung, so groß wie
ein Stübchen. Hier lag Yoshivara — der schöne
Korporal. Sein Hals war durchgeschnitten. Ueber
seinem Gesicht, um seinen Mund und um die schö-
nen großen Augen lag noch das helle leuchtende

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