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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 168/169 (Juli 1913)
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [7]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0063

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Die Stunde war weich und süß, anwachsende
Schatten füllten die Luft; eine Freude wurde aus-
gelöst.

Ich war Pianist in einem Variete geworden.
Nicht aus Armut, sondern um ganz in dem Staad
aufzugehen, dessen Angehörige mir als die mensch-
lichsten Menschen erschienen. Die Nacht war
mein Tag. Wenn ich keinen Unterricht im Kon-
servatorium hatte, schlief ich während des Tages.
Ich versenkte mich ganz in das wohltuende Ge-
fühl, zu diesen Parias der Kunst zu gehören, war
leichtsinnig wie sie, hungerte wie sie in einer un-
bewußten Sehnsucht nach Größerem und Schöne-
rem .... Eines Abends sollte eine neue Chan-
sonette auftreten. Ich war abgestumpft. Ich hatte
diese Unglücklichen angebetet, als ich zum ersten
Male mit ihnen in Berührung kam, später bemit-
leidete ich sie, wenn sie es verdienten und haßte
sie, wenn sie alle Schönheit verloren hatten. Die
neue Chansonette verspätete sich; sie hatte den
richtigen Zug verpaßt. Der Abend war fast zu
Ende, als sie kam. Ich sah sie erst bei ihrem Auf-
treten. Von diesem Augenblicke an suchte ich
wieder die Schönheit. Mia Mirana kam. Wie ein
Brausen kam sie, keck und verachtend und lieb-
lich, in unbewußter Unschuld. Aber ihre Blicke
sprangen über die Menschen, die mit gierigen
Augen im Saal saßen, ohne Ruhe und ohne Freude.
Ihre nackten Arme funkelten unter der Sonne des
Lichts. Bang und unzufrieden zitterte ihre Stimme
zwischen den blanken Zähnen hervor und glitt wie
ein ängstlicher Strahl in die Lichter der Rampe.
Ich kenne die Gewalt meiner Hände, wenn ich
den Willen habe, mitzureißen. Kühn griff ich in
die Tasten. Da jubelte ihre Stimme, mein Wille
zwang sie zur Begeisterung. Ein Rausch kam
über das Mädchen und riß sie mit sich fort aus der
Enge des Saales, riß sie hinauf auf einen einsamen
Felsen, daß sie dort niederkniee und anbete die Un-
endlichkeit.

Fast erschöpft hielt er inne. Das Glück jenes
stillen Erlebnisses lastete in seiner Vorstellung wie
die schwere Frucht eines gesegneten Baumes.

Wir liebten uns; es war kein Argwohn in un-
serer Liebe und kein Frage, wie soll das werden?
Wir wußten, daß wir eines Tages gezwungen
waren, auseinander zu gehen, aber keines sprach
davon, jedes kostete gütig des anderen Gegen-
wart mit dankbarer Seele aus. Indem ich sie in
meine wieder erwachten seltsamen Wünsche em-
porhob, stieg ich selbst wieder auf die Höhe, die
ich in der Furcht vor einer entsetzlichen Einsam-
keit verlassen hatte. Die Wandlung, oder besser,
das Erwachen, war so selig, daß ich wieder an das
Mysterium des Sonnenaufganges glaubte, das sich
mir an jenem Morgen in der Pappelallee darge-
boten hatte. Neue Töne erstanden in mir. Ich
lebte ein Leben in reicher Liebe; aber dies nahm
mir nicht meine beste Kraft, sondern stärkte und
hob mein Künstlertum. Der Leib dieses keuschen
Mädchens war fein und zart wie ein Kinderleib ...
ich sah ihn mit Rührung und wagte ihn kaum zu
betasten. Ich strich mit scheuen sorgsamen Fingern
über seine weichen Linien und fühlte die Seele
darin. Dieses Mädchen hat mich die vollkommene
Schwermut gelehrt; die unsäglich süße Schwer-
mut dessen, der ein Weib liebt. Wir wohnten zu-
sammen in einer kleinen mit aller Pracht ausge-
statteten Wohnung . . . Wir verbrachten manche
Tage in ruhigen seltsamen Gesprächen über
Schönheit und die Entwicklung unserer Träume...
Wir betrachteten uns mit der edlen Sehnsucht
wissender Menschen. Zwei, die sich lieben in
seliger Schwermut, sollten nicht in profaner Klei-
dung beieinander weilen. Zarte Schleier sollen
die Schönheit dieser Körper durchschimmern las-
sen, wie die Schönheit der Seelen aus dem Rhyth-

mus der Worte hervorschimmert. So lebten wir
sechs köstliche Monate, eines am andern erstar-
kend, beide beseligt von einer besitzsicheren Ge-
wißheit unter Wollustschauern der Seele und des
Leibes.

Versunken in jene Tage, hatte er das Mädchen
vergessen. Sobald er aber schwieg, fühlte er
wlieder ihre weichen Hände in seinen Haaren.

Ich liebe dich! sagte er und genoß den unbe-
wußten Rhythmus ihrer streichelnden Finger.

Ich liebe deine Hände, diese Schalen deiner
Seele. Wenn du sie mir entgegenstreckst, könnte
ich sie stundenlang betrachten und mit meinen
bunten Gedanken liebkosen . . .

Seine Stimme klang wie aus einem Grab. Er
fühlte durch das weiße Kleid hindurch die Wärme
ihrer Glieder. In trunkener Wehmut erzählte er
das Ende.

Eines Tages gingen wir auseinander. Unsere
Liebe war stark und klar wie am ersten Tag.
Wir dankten uns für alle Genüsse und schieden
voneinander mit dem Versprechen, daß keines je
nach dem andern forschen solle. So haben wir's
gehalten; so bin ich stark geworden, habe ge-
lernt, in der Entsagung einen unendlich wehmüti-
gen Genuß zu lieben . . . Wenn meine Werke
verinnerlicht und tief sein werden, habe ich dies
nicht zuletzt dieser Entsagung zu danken.

Das Mädchen zitterte. Die Macht der Abend-
stunde begann, zu sterben. Dichter und dichter
stiegen die Schatten; die endlose Einförmigkeit
der Nacht kam. Der Haß gegen jene erwachte in
dem Mädchen.

— Sag, liebst du sie noch?

Ein leiser Schmerz peinigte ihn: Er fühlte sich
als Ausnahmemensch und litt, wenn an sein Wesen
der Durchschnitts-Maßstab gelegt wurde. Ein
Weib, das er liebte, mußte hoch und rein und
ohne Makel sein; keiner durfte je mit brutaler
Hand nach den Schönheiten ihres Leibes gegrif-
fen haben. Er aber war stolz in dem Egoismus
seines Mannestums. Jenes Mädchen war ganz in
ihn übergegangen und Geist von seinem Geist ge-
worden. Ihre körperliche Berührung war ver-
klärt worden durch die Hoheit ihrer Gedanken.
Darum hatte das Weib, daß er nach jener liebte,
wie er glaubte, kein Recht, eifersüchtig zu sein
auf jene hohen Tage einer kraftvollen Bereiche-
rung.

— Ob ich sie noch liebe? Warum fragst du?
Das weiß ich nicht; sie ist ich geworden, ein Teil
meines Wesens, die Tiefe meines Wesens. Und
wenn du mich liebst, liebst du auch s i e. Denn
ohne sie wäre ich nicht. Ohne sie wäre ich ein
Zerschellter.

— Du sollst nur mich lieben, du sollst nuij mich
lieben! begehrte sie leidenschaftlich. Ich will dir
alles sein-

Er lächelte nachgiebig. Wie kannst du meine
Vergangenheit sein? dachte er. Er mußte die
schlichte Angst ihrer selbstsüchtigen Liebe be-
wundern. Er entdeckte darin einen seltsam un-
ruhigen Rhythmus, den Klang einer zersprunge-
nen Glocke. Von Mitleid bewegt, begann er, sie
mit weichen Worten zu trösten, war unermüdlich
im Verschenken seiner sanften Zärtlichkeiten, bis
sie wieder lächelte.

— Du sollst nur mich lieben! sagte sie noch
einmal mit der Stimme eines schmollenden Kin-
des. Wir werden Zusammenleben und sehr glück-
lich sein, und alle Menschen werden uns benei-
den. Denke, wie schön das wird, wenn wir mor-
gens zusammen am Kaffeetisch sitzen und uns
erzählen, w'as wir geträumt haben . . .

Er war unendlich traurig und wußte nicht,
warum. Etwas dumpfes beengte ihn; als laste
eine unförmliche Masse auf seiner Seele, die er
nicht greifen konnte, die immer eine andere wun-
derliche Gestalt annahm, sobald er sie festzuhal-
ten versuchte. Wirre Bilder schossen an ihm vor-
bei. Fetzen halbversunkener Träume, neuer-
stehende Gedanken über eine seltene Ehe, ein Zu-
sammenleben, das nicht seinesgleichen unter den
Menschen hatte. Die Sehnsucht nach Außerge-
wöhnlichem peinigte ihn. Alle Nüchternheit ihrer
schlichten, prunklosen Mädchenseele wehte ihm
aus den letzten Worten der Geliebten entgegen.
Zum erstenmal dachte er an die Ehe, in der sie
zusammen leben würden. Dies quälte ihn, sodaß
er, um den Schmerz zu entgehen, die Geliebte in
glühenden Worten zu idealisieren begann, wie er
es bis jetzt in seinen überschwänglichen Gedan-
ken getan hatte. Den Wortschwall wollte er als
Bollwerk gegen die Angriffe der nüchternen Zu-
kunftsgedanken türmen. Er haßte alle Zukunfts-
gedanken im täglichen Leben und kannte nur die
glänzende Zukunft seines Künstlertums. Und in-
dem er sich mit aller Macht auf das Bestreben
warf, jeden unangenehmen Schmerz abzuschüt-
teln, trat das Bild seiner Jugend wieder vor seine
Augen. Es trieb, ihn, der Geliebten aus ihrer eige-
nen Jugend zu erzählen, wie er sie aus ihrem
Wesen, ihren Gebärden und Wprten erdichtet
hatte. Noch unter dem Bann seiner seltsamen
traurigen Stimmung begann er; seine Stimme
klang verschleiert, die Worte rollten erst spärlich
und unbelebt, allmählich berauschte sich seine
Seele an der Buntheit der heraufbeschworenen
Bilder, die alte heilige Freude klang auf und riß
ihn hin.

Wenn ich dich langsam den Berg heraufwan-
deln sehe, macht mich dein Gang zittern in
scheuem Verlangen. Deine Schritte sind klein
und vorsichtig, selbst wenn eine große Freude in
deinem Herzen sitzt. Du bist so zart! Du liebst
mich mit der Gewalt einer ersten Liebe . . . Ein
kleines freundliches Haus in einer schmalen Straße
der Stadt ist deine Heimat. Du kennst nur die
nüchterne Alltäglichkeit prunkloser Zimmer. Dein
Vater ist ein wackerer Mann, ein kluger, treuer
Beamter, aber er besitzt die Gabe des künstle-
rischen Sehens nicht... Du liebst meine Stimme.
Sie ist eine neue Seligkeit für dich — —ich be-
neide jeden, dem sich zum erstenmal die Pracht
einer reichen Stimme erschließt. Du hast viele
Stimmen gehört, in deiner Kindheit und deiner
ersten Jugend . . . Die Stimmen der Eltern, der
Lehrer, der Freunde und Freundinnen; das Lispeln
scheuer Ballgespräche . . . Wenn die junge Leute
dich umschwärmten, war es dir stets, als würde
ein schwerer Stein von deinem Leben genommen.
Und wenn du mit den Herren flirtetest, tatest du
es nur, um im Gleichgewicht zu bleiben. Du fühl-
test mit heimlichen Grauen, daß die Einförmigkeit
des täglichen Lebens dich endlich in die schreck-
lichste Nüchternheit ohne Interessen und ohne
Freuden hinabziehen würde. Etwas in dir, bäumte
sich gegen dieses Schicksal auf; aber du wußtest
nicht, was dies sei. Ich höre die unbewußte Musik
deiner Jugendempfindungen! Vielleicht gab es
unter den Konservatoristen, die dich verehrten,
einige, die Schönheiten des Leibes an dir entdeck-
ten. Aber keiner war wohl unter ihnen, der Mög-
lichkeiten in dir aufgespürt hätte. Denn dessen
Geliebte wärst du geworden. Vielleicht waren
die jungen Künstler zu oberflächlich, um tiefer in
dein verborgenes Wesen einzudringen; oder du
warst zu verschlossen, um jedem deine Seele zu
zeigen. Die Kraft deiner Seele lebte in dir, nur
geahnt, keineswegs von dir erkannt und mit Be-
wußtsein gefördert.

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