.So liebe ich Mia Mirana: als Mutter, die mich aus
Not und Tiefe emporgezogen,- die mich mir selber
wiedergegeben, die die alte Freude und die alte
Kraft in mir geweckt hat.“
„Ich muß an deine Stimme denken,“ sagte die
junge Frau. „Als ich ausgestreckt im Sessel lag,
und du vor mir standest und mir, ja, ich glaube,
du erzählest mir von den Griechen . . ., und da
sagtest du, es sei herrlich, einer schönen Stimme
'zu lauschen. Wie glücklich war ich damals, Johan-
nes!“
„Auch jetzt bist du glücklich, komm, schließe
die Augen und falte die Hände, du sollst meiner
Stimme lauschen.“
Aber sie schluchzte.
„... Ich will dir alles sagen. . . . Wie süß war
die erste Nacht, die wir zusammen waren! Wie
tempelstill war das Zimmer!“
Er hatte sein Haupt in ihren Schoß gelegt und
umschlang mit den Armen ihre Knie. Ihre Schmer-
zen flössen ruhiger dahin. Ihre Glieder lösten sich.
Und Johannes riß sie mit sich hinein in die Erinne-
rung an die süße erste Nacht.
„Wir sehnten uns der Vereinigung entgegen,
der heiligen, die das schaffende Leben von Mann
und Weib fordert. Nichts Häßliches war in unse-
rer Sehnsucht . . . du warst ehrwürdig in deiner
Sehnsucht. Dein Leib ist schön, Eva . . .“
Die junge Frau begann unter der Macht seiner
Worte zu zittern. Alle Tage des vergangenen Le-
bens überdachte sie und fand, daß es gut gewesen
sei Ihr Schmerz zerrann; ihr ungestümes Ver-
langen nach einem Glück in Ruhe und Frieden
siegte.
„Liebst du mich wirklich noch, Johannes?“
fragte sie mit scheuer Stimme und streichelte seine
Haare.
Er aber hörte ihr Fragen nicht. Er versank in
der Fülle leuchtender Bilder, die ihn lockten. Er
blieb das glaubende Kind das aus treuen Augen
blickt und ihm ein Großes sieht. Wieder ver-
klärte er das Weib, das er einst als Geliebte ver-
klärt hatte.
„Ja, Kind, dein Leib ist heilig . . . der Leib eines
jeden Weibes is.t heilig. Ich liebe dich, weil du
schön bist. Auch du bist Musik. Alles Reden und
Schweigen, Bewegung und Stillstand, Mord und
Befruchtung — Du bist berufen, ein Leben zu ge-
bären. Du sollst meine Stirn mit deinen feinen Hän-
den kühlen, du sollst mir sanfte Worte sagen, wenn
ein Aufruhr in mir gärt ... und mich selbst sollst du
gebären, wenn die Stunde da ist. Wie reich du
‘bist!“
Wieder erlag er ihrer Nähe. Jetzt aber war er
klar und kannte die Grenzen, die ihr errichtet
waren.
Und seine Freude floß hinüber in die junge
Frau, die schlicht und klar war und keine Ver-
wandlungen kannte. An diese Freude klammerte
sie sich. Sie wurde ihrem Gram entrissen und
emporgetragen, daß sie ihr künftiges Leben
schaute. Sie entbrannte an den Worten des Man-
nes. Der Geliebte liebte sie, und so war alles gut.
Und so war sie sein Weib und genoß mit ihm die
Freuden des Lebens auf ihre Art. So ging sie der
Erfüllung entgegen; dem Geliebten einen Sohn zu
gebären.
„Ich liebe Mia wie ein Kind. Die Schön-
heit ihrer Seele strahlt durch die Schönheit
ihres Leibes aus . . . Mia Mirana ist ein Weib, das
nie ein Kind gebären soll . . . Mia Mirana hat eine
fruchtbare Seele. Alles tönt um mich . . . Was
lange geschlafen hat, ist nun wieder wach ge-
worden. Mia Mirana hat mich zweimal gerettet..“
Sie streichelte seinen Kopf,
j 66
„Du sollst nur immer mich lieb haben, Johan-
nes!“ bat sie.
So glücklich war dieser seltsame Mensch, daß
er nie unglücklich zu sein vermochte. Alle Verwand-
lungen seiner Seele, alle zerreißenden Schmer-
zen seines begehrenden Geistes, alle grauen Stun-
den eines müden Verzagens, alles Schreien seines
geängstigten Künstlertums konnten ihn nicht zer-
trümmern. Immer wuchs er; je schrecklicher sein
Leid war, umso selbstherrlicher loderte sein Hoch-
mut empor.
Er lag auf den Knien vor dem Weib; er fühlte das
Rauschen ihres Blutes. Jetzt war seine Liebe zu
dieser schlichten Frau klar und ruhig. Er horchte
verträumt in das große Schweigen. Das große
Schweigen klang in tausend lautlosen Tönen. Jetzt
wußte er, daß er die blauen Abende der Kindheit
wieder erleben würde. So versank er in einen
weichen Halbschlaf, ausgesöhnt, zitternd in der
Freude künftiger Taten, ausgefüllt mit der süßen
Schwermut des Genießers und in all seinem Egois-
mus ein Kind.
*
Die Dämmerung begann. Johannes schlenderte
durch die Straßen der Stadt und blickte allen Men-
schen mit der Freude dessen, der Frieden fand, in
die Augen. Er sah viele bekannte Gesichter. Er
wußte, daß er keinen Menschen in der Stadt
kannte, aber viele trugen die Züge seiner Freunde.
Diese Empfindung ängstigte ihn. Und ihn entsetzte
das Licht der Schaufenster, das unsicher in die
Dämmerung blinzelte, der vieltönige Lärm der
Straßen griff mit unzähligen kalten Fingern nach
ihm. Er war empfindlicher als je; die heroische
Schwermut der vergangenen Stunde flutete noch
durch seine Seele, die Liebe Evas erleuchtete ihn,
die Dämmerung weckte Erwartungen in ihm. Er
ging und litt die tiefsten Schmerzen seines Lebens,
obwohl er wußte, daß er der heiligsten Freude ent-
gegenging. Er versuchte, nur an die Dämmerung
zu denken, an eine. schmeichelnde, blaue Dämme-
rung; er versuchte, alle Gesichter, alle Dinge mit
den Augen des Kindes zu betrachten, um sich über
sie zu erheben. Es gelang ihm nicht; es gelang ihm
nichts, was er versuchte. Er war seiner Angst
hilflos preisgegeben. Breit und unversöhnlich trat
ihm das Stadtschicksal in den Weg. Es sprach:
„Da du edel sein wolltest, vermochtest du es
nicht. Da du dich liebevoll in mich versenken
wolltest, erfaßte dich plötzlich der Uebermut und
riß dich zurück. Klein und schwächlich ist mein
Leben; langsam und träge. Ich sehne mich nach
Entfaltung und Buntheit und fröhlichem Gelächter.
Reiche, mächtige Menschen wohnen in meinen
Straßen, ihre Macht greift hinein in das ganze
Land, aus dem ganzen Land strömt das Leben zu
ihnen hin. Aber sie verschmelzen sich nicht mit
dem Land, sie umpanzern sich mit der Enge ihrer
Gedanken, halten alles Fremde von sich fern in
kleinem Hochmut. Warum bliebst du dem starken
Willen nicht treu, der dich in jener hohen Sommer-
nacht zu mir hinzwang, in meinen Mauern zu wir-
ken, meine Menschen aufzurütteln und ihnen die
Freude eines weiten hellen Lebens zu geben?“
Er hörte die Stimme Rankmanns, des lebhaften
Kämpfers für seine Kunst. Sie drang scharf auf ihn
ein. Sie zerriß alle Einwendungen mit einem pol-
ternden Gelächter.
„Sie gehören zu uns . . . Sie haben mir die
Hand darauf gegeben. Daß wir zusammen aus dem
Nest was machen wollen! Sie dürfen nicht ab-
fallen, das wäre Verrat. Sie müssen sich bei uns
erst mal eingelebt haben . „ . Anfangs ist das un-
bequem. Aber wenn man täglich diesen stillen
Kampf mit dem plattesten Alltag kämpfen muß,
macht einem die Sache allmählich Spaß, käme iah:
Ihnen sagen . . .“
Er hörte die Eltern seines Weibes. Sie erzählte*
von dem Glück, wenn er sein Auskommen habe,
von der Häuslichkeit; von der unbewegten Stille -
einer kleinen Stadt. Er ging wie ein Träumender
und wußte nicht, wo er sich befand. Und als seine
Qualen sich unbarmherzig mehrten, als alle Hilfe
versagte, stürzte sich seine Seele auf den Namen
des Weibes, das er einst liebte mit der Glut seiner
Jugend. Mia! Mia! Ich komme, öffne mir die wei-
ten Säle deiner Liebe! Segne mich, Mutter! Mach
mich wieder zum Kind. Meine blaue Stunde ist
unrein geworden. Viele Tage lang vergaß ich
sie, unbesonnen suchte ich andere Verzückungen
und konnte sie doch nicht finden. Jetzt aber kehre
ich zurück zu dir, der verlorene Sohn.
Jetzt wurden seine Schritte straff und ge-
wandt. Jetzt klang die schwermütige Melodie
heiliger Stunden in ihm. Er hatte ein Ziel. Jetzt
achtete er auf die Straßen, durch die er ging, und
suchte den kürzesten Weg zu seiner Freudfe. Der
Lärm blieb hinter ihm . • . Das große Schweigen
bereitete sich vor. Die vornehmen Häuser eines
stillen Viertels schoben sich zwischen ihn und die
laute Stadt. Und ganz am Ende dieser Straße
wuchs eine Waldmasse in den grauen Duft. Töne
erklangen in ihm und vereinigten sich zu einem
einfachen Lied. Es war schlicht wie die Wüste,
aber mit gefährlichen Herrlichkeiten. Und Johannes
nahm es hin als Auftakt zu einem neuen Werk. Ate
nehme dieses Lied Gestalt an und reiche ihm die
Hand, eine weiche kleine Hand, und führte ihn
langsam und fröhlich in eine goldene Kinderwelt.
Und wieder wurde ihm die Stunde der Dämme-
rung zu der heiligsten des Tages. Alle Feuer der
Leidenschaft brannten in ihr, alle süße Grausam-
keit verratener Liebe, alle roten Wunden schreck-
licher Kriege blühten in ihr wie schwermütige
Blumen; ihr Duft war herb und weich, er strei-
chelte mit Kinderfingern, der jammervollste Schrei
zerrissener Herzen wurde in Schwermut getaucht
und strahlte wie ein ruhiges Licht in einer große»
Stille. Scharf und stolz standen die Häuser am
Ende der Straße gegen den Himmel'. . . Und der
Duft der Dämmerung erhob sich, breitete sich aus,
ein Fächer, und zerfloß in Unendlichkeit. Alte
Farben klangen zusammen, alle grellen Töne er-
starken in dem großen liebenden Allumfassen die-
ser Stunde. Weit drüben stob das friedlose Leben
vorbei.
Johannes schritt in Verzückung dem fernen
Horizont entgegen. Seine Seele klang und trug
alle Herrlichkeit in sich. Er fühlte, wie er von
Schritt zu Schritt reiner und würdiger wurde, seine
Kindheit wieder zu empfangen. Er fühlte, wie
alle Schuld ihn verließ; und er wußte, daß alles
Häßliche, alles Unreine nie in das Innere seiner
Seele eingedrungen war. Stets war er der
Suchende geblieben.
Er sah wieder die Wüste. Sie war wie ein
Riese, der auf breiten Füßen einherkomim, mit
breiten Gebärden alles an sich reißt. Ein finsteres
Lächeln dunkelt in seinen tiefen Augen, und nur
der weiß die Süße dieses Lächelns zu deuten, der
sich ganz in ihn hineingeliebt und gelacht und ge-
schluchzt hat. Alle Kraft der kommenden Tage
bot sie ihm dar, sie war seine Zuflucht, das Reich
der Reinheit, in das er sich retten konnte . . . Und
jetzt verstand er auch den Wunsch, der am hohen
Mittag jenes Augusttages in ihm aufgesprungen
war: O, daß ich blind wäre! Jetzt stand er vor
dem Tor, das sich vor ihm öffnen sollte, um ihm
den Weg freizugeben zu dieser Seligkeit. Hinter
ihm lag alles Bunte, alles Glänzende, alles Be-
törende. Seine Augen waren müde geworden
Not und Tiefe emporgezogen,- die mich mir selber
wiedergegeben, die die alte Freude und die alte
Kraft in mir geweckt hat.“
„Ich muß an deine Stimme denken,“ sagte die
junge Frau. „Als ich ausgestreckt im Sessel lag,
und du vor mir standest und mir, ja, ich glaube,
du erzählest mir von den Griechen . . ., und da
sagtest du, es sei herrlich, einer schönen Stimme
'zu lauschen. Wie glücklich war ich damals, Johan-
nes!“
„Auch jetzt bist du glücklich, komm, schließe
die Augen und falte die Hände, du sollst meiner
Stimme lauschen.“
Aber sie schluchzte.
„... Ich will dir alles sagen. . . . Wie süß war
die erste Nacht, die wir zusammen waren! Wie
tempelstill war das Zimmer!“
Er hatte sein Haupt in ihren Schoß gelegt und
umschlang mit den Armen ihre Knie. Ihre Schmer-
zen flössen ruhiger dahin. Ihre Glieder lösten sich.
Und Johannes riß sie mit sich hinein in die Erinne-
rung an die süße erste Nacht.
„Wir sehnten uns der Vereinigung entgegen,
der heiligen, die das schaffende Leben von Mann
und Weib fordert. Nichts Häßliches war in unse-
rer Sehnsucht . . . du warst ehrwürdig in deiner
Sehnsucht. Dein Leib ist schön, Eva . . .“
Die junge Frau begann unter der Macht seiner
Worte zu zittern. Alle Tage des vergangenen Le-
bens überdachte sie und fand, daß es gut gewesen
sei Ihr Schmerz zerrann; ihr ungestümes Ver-
langen nach einem Glück in Ruhe und Frieden
siegte.
„Liebst du mich wirklich noch, Johannes?“
fragte sie mit scheuer Stimme und streichelte seine
Haare.
Er aber hörte ihr Fragen nicht. Er versank in
der Fülle leuchtender Bilder, die ihn lockten. Er
blieb das glaubende Kind das aus treuen Augen
blickt und ihm ein Großes sieht. Wieder ver-
klärte er das Weib, das er einst als Geliebte ver-
klärt hatte.
„Ja, Kind, dein Leib ist heilig . . . der Leib eines
jeden Weibes is.t heilig. Ich liebe dich, weil du
schön bist. Auch du bist Musik. Alles Reden und
Schweigen, Bewegung und Stillstand, Mord und
Befruchtung — Du bist berufen, ein Leben zu ge-
bären. Du sollst meine Stirn mit deinen feinen Hän-
den kühlen, du sollst mir sanfte Worte sagen, wenn
ein Aufruhr in mir gärt ... und mich selbst sollst du
gebären, wenn die Stunde da ist. Wie reich du
‘bist!“
Wieder erlag er ihrer Nähe. Jetzt aber war er
klar und kannte die Grenzen, die ihr errichtet
waren.
Und seine Freude floß hinüber in die junge
Frau, die schlicht und klar war und keine Ver-
wandlungen kannte. An diese Freude klammerte
sie sich. Sie wurde ihrem Gram entrissen und
emporgetragen, daß sie ihr künftiges Leben
schaute. Sie entbrannte an den Worten des Man-
nes. Der Geliebte liebte sie, und so war alles gut.
Und so war sie sein Weib und genoß mit ihm die
Freuden des Lebens auf ihre Art. So ging sie der
Erfüllung entgegen; dem Geliebten einen Sohn zu
gebären.
„Ich liebe Mia wie ein Kind. Die Schön-
heit ihrer Seele strahlt durch die Schönheit
ihres Leibes aus . . . Mia Mirana ist ein Weib, das
nie ein Kind gebären soll . . . Mia Mirana hat eine
fruchtbare Seele. Alles tönt um mich . . . Was
lange geschlafen hat, ist nun wieder wach ge-
worden. Mia Mirana hat mich zweimal gerettet..“
Sie streichelte seinen Kopf,
j 66
„Du sollst nur immer mich lieb haben, Johan-
nes!“ bat sie.
So glücklich war dieser seltsame Mensch, daß
er nie unglücklich zu sein vermochte. Alle Verwand-
lungen seiner Seele, alle zerreißenden Schmer-
zen seines begehrenden Geistes, alle grauen Stun-
den eines müden Verzagens, alles Schreien seines
geängstigten Künstlertums konnten ihn nicht zer-
trümmern. Immer wuchs er; je schrecklicher sein
Leid war, umso selbstherrlicher loderte sein Hoch-
mut empor.
Er lag auf den Knien vor dem Weib; er fühlte das
Rauschen ihres Blutes. Jetzt war seine Liebe zu
dieser schlichten Frau klar und ruhig. Er horchte
verträumt in das große Schweigen. Das große
Schweigen klang in tausend lautlosen Tönen. Jetzt
wußte er, daß er die blauen Abende der Kindheit
wieder erleben würde. So versank er in einen
weichen Halbschlaf, ausgesöhnt, zitternd in der
Freude künftiger Taten, ausgefüllt mit der süßen
Schwermut des Genießers und in all seinem Egois-
mus ein Kind.
*
Die Dämmerung begann. Johannes schlenderte
durch die Straßen der Stadt und blickte allen Men-
schen mit der Freude dessen, der Frieden fand, in
die Augen. Er sah viele bekannte Gesichter. Er
wußte, daß er keinen Menschen in der Stadt
kannte, aber viele trugen die Züge seiner Freunde.
Diese Empfindung ängstigte ihn. Und ihn entsetzte
das Licht der Schaufenster, das unsicher in die
Dämmerung blinzelte, der vieltönige Lärm der
Straßen griff mit unzähligen kalten Fingern nach
ihm. Er war empfindlicher als je; die heroische
Schwermut der vergangenen Stunde flutete noch
durch seine Seele, die Liebe Evas erleuchtete ihn,
die Dämmerung weckte Erwartungen in ihm. Er
ging und litt die tiefsten Schmerzen seines Lebens,
obwohl er wußte, daß er der heiligsten Freude ent-
gegenging. Er versuchte, nur an die Dämmerung
zu denken, an eine. schmeichelnde, blaue Dämme-
rung; er versuchte, alle Gesichter, alle Dinge mit
den Augen des Kindes zu betrachten, um sich über
sie zu erheben. Es gelang ihm nicht; es gelang ihm
nichts, was er versuchte. Er war seiner Angst
hilflos preisgegeben. Breit und unversöhnlich trat
ihm das Stadtschicksal in den Weg. Es sprach:
„Da du edel sein wolltest, vermochtest du es
nicht. Da du dich liebevoll in mich versenken
wolltest, erfaßte dich plötzlich der Uebermut und
riß dich zurück. Klein und schwächlich ist mein
Leben; langsam und träge. Ich sehne mich nach
Entfaltung und Buntheit und fröhlichem Gelächter.
Reiche, mächtige Menschen wohnen in meinen
Straßen, ihre Macht greift hinein in das ganze
Land, aus dem ganzen Land strömt das Leben zu
ihnen hin. Aber sie verschmelzen sich nicht mit
dem Land, sie umpanzern sich mit der Enge ihrer
Gedanken, halten alles Fremde von sich fern in
kleinem Hochmut. Warum bliebst du dem starken
Willen nicht treu, der dich in jener hohen Sommer-
nacht zu mir hinzwang, in meinen Mauern zu wir-
ken, meine Menschen aufzurütteln und ihnen die
Freude eines weiten hellen Lebens zu geben?“
Er hörte die Stimme Rankmanns, des lebhaften
Kämpfers für seine Kunst. Sie drang scharf auf ihn
ein. Sie zerriß alle Einwendungen mit einem pol-
ternden Gelächter.
„Sie gehören zu uns . . . Sie haben mir die
Hand darauf gegeben. Daß wir zusammen aus dem
Nest was machen wollen! Sie dürfen nicht ab-
fallen, das wäre Verrat. Sie müssen sich bei uns
erst mal eingelebt haben . „ . Anfangs ist das un-
bequem. Aber wenn man täglich diesen stillen
Kampf mit dem plattesten Alltag kämpfen muß,
macht einem die Sache allmählich Spaß, käme iah:
Ihnen sagen . . .“
Er hörte die Eltern seines Weibes. Sie erzählte*
von dem Glück, wenn er sein Auskommen habe,
von der Häuslichkeit; von der unbewegten Stille -
einer kleinen Stadt. Er ging wie ein Träumender
und wußte nicht, wo er sich befand. Und als seine
Qualen sich unbarmherzig mehrten, als alle Hilfe
versagte, stürzte sich seine Seele auf den Namen
des Weibes, das er einst liebte mit der Glut seiner
Jugend. Mia! Mia! Ich komme, öffne mir die wei-
ten Säle deiner Liebe! Segne mich, Mutter! Mach
mich wieder zum Kind. Meine blaue Stunde ist
unrein geworden. Viele Tage lang vergaß ich
sie, unbesonnen suchte ich andere Verzückungen
und konnte sie doch nicht finden. Jetzt aber kehre
ich zurück zu dir, der verlorene Sohn.
Jetzt wurden seine Schritte straff und ge-
wandt. Jetzt klang die schwermütige Melodie
heiliger Stunden in ihm. Er hatte ein Ziel. Jetzt
achtete er auf die Straßen, durch die er ging, und
suchte den kürzesten Weg zu seiner Freudfe. Der
Lärm blieb hinter ihm . • . Das große Schweigen
bereitete sich vor. Die vornehmen Häuser eines
stillen Viertels schoben sich zwischen ihn und die
laute Stadt. Und ganz am Ende dieser Straße
wuchs eine Waldmasse in den grauen Duft. Töne
erklangen in ihm und vereinigten sich zu einem
einfachen Lied. Es war schlicht wie die Wüste,
aber mit gefährlichen Herrlichkeiten. Und Johannes
nahm es hin als Auftakt zu einem neuen Werk. Ate
nehme dieses Lied Gestalt an und reiche ihm die
Hand, eine weiche kleine Hand, und führte ihn
langsam und fröhlich in eine goldene Kinderwelt.
Und wieder wurde ihm die Stunde der Dämme-
rung zu der heiligsten des Tages. Alle Feuer der
Leidenschaft brannten in ihr, alle süße Grausam-
keit verratener Liebe, alle roten Wunden schreck-
licher Kriege blühten in ihr wie schwermütige
Blumen; ihr Duft war herb und weich, er strei-
chelte mit Kinderfingern, der jammervollste Schrei
zerrissener Herzen wurde in Schwermut getaucht
und strahlte wie ein ruhiges Licht in einer große»
Stille. Scharf und stolz standen die Häuser am
Ende der Straße gegen den Himmel'. . . Und der
Duft der Dämmerung erhob sich, breitete sich aus,
ein Fächer, und zerfloß in Unendlichkeit. Alte
Farben klangen zusammen, alle grellen Töne er-
starken in dem großen liebenden Allumfassen die-
ser Stunde. Weit drüben stob das friedlose Leben
vorbei.
Johannes schritt in Verzückung dem fernen
Horizont entgegen. Seine Seele klang und trug
alle Herrlichkeit in sich. Er fühlte, wie er von
Schritt zu Schritt reiner und würdiger wurde, seine
Kindheit wieder zu empfangen. Er fühlte, wie
alle Schuld ihn verließ; und er wußte, daß alles
Häßliche, alles Unreine nie in das Innere seiner
Seele eingedrungen war. Stets war er der
Suchende geblieben.
Er sah wieder die Wüste. Sie war wie ein
Riese, der auf breiten Füßen einherkomim, mit
breiten Gebärden alles an sich reißt. Ein finsteres
Lächeln dunkelt in seinen tiefen Augen, und nur
der weiß die Süße dieses Lächelns zu deuten, der
sich ganz in ihn hineingeliebt und gelacht und ge-
schluchzt hat. Alle Kraft der kommenden Tage
bot sie ihm dar, sie war seine Zuflucht, das Reich
der Reinheit, in das er sich retten konnte . . . Und
jetzt verstand er auch den Wunsch, der am hohen
Mittag jenes Augusttages in ihm aufgesprungen
war: O, daß ich blind wäre! Jetzt stand er vor
dem Tor, das sich vor ihm öffnen sollte, um ihm
den Weg freizugeben zu dieser Seligkeit. Hinter
ihm lag alles Bunte, alles Glänzende, alles Be-
törende. Seine Augen waren müde geworden