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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 8 (Zweites Juliheft 1914)
DOI Artikel:
Stramm, August: Die Menschheit
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht [14]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0064
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Fluchend betend
Mordend sengend
Heilend lindernd
Tröstend löschend
Mütter Kinder
Väter Gatten
Freunde Fremde
'Feinde Brüder
Schwestern Huren
Bräute Krieger
Mörder Beter
Falleniallen
Schichten Wege
Falleniallen
Schütten Wege
Falleniallen
Wege Wege
Wegeschotter
Wege Wege
'Neue Wege
Wege
Wege

Durch das Elend
Durch das Grausen
Durch das Leiden
Durch den Atem
VoII von Keimen
Durch den Atem
VolIvonToden
Durch den Atem
VolIvonLeben
Durch die Tränen
Tränen Tränen
Durch
Die

Nächte Nächte
Nächte

Voran Voran
Hoch die Zeichen
Voran Voran
Schauer Zucken
Voran Voran
Schrei und Täuben
Voran Voran
In die Gähne
Voran Voran
In die Leere
Voran Voran
In die Wiege
Voran Voran
In die Gruft
Kreis im Kreise
Kreis im Kreise
Voran Voran
In den Anfang
Voran Voran
In das Ende
Voran Voran
In den Abgrund
Voran Voran
In die Höhe
Voran Voran
In das Sterben
Voran Voran
In das Werden
Kreis im Kreise
In das Werden
Kreis im Kreise
In das Werden
In
Das

Werden Werden Werden

In

Das

Kreisen Kreisen Kreisen
In

Die

Tränen Tränen Tränen

Indie

Tränen

In den Raum

In den Raum

In den Raum!

Tränen kreist der Raum!

Der Weg
durch die Nacht

Roman

Aage von Kohi

Fortsetzung

„Die gnädige Frau?!" — ein Paar große, runde
Augen, em vollständig verständnisloses Kopf-
schütteln, — „die gnädige Frau ist ja heute abend
in der Stadt — das weiß der Herr doch!"

Er wird plötzlich über alle Maßen gereizt im
tiefsten Innern: diese Gans, kann sie denn nicht
begreifen . . . mit ein paar Sprüngen ist er in die
Schlafstube hinaufgelangt: nein, da ist sie nicht!

Im Badezimmer —: auch da nicht!

Wo denn??

Einen Augenblick bleibt er auf der Schwelie
stehen, auf dem Wege nach unten zurück.

Zum erstenmal fährt ein Stich, ein plötzlicher,
brennender Stich durch sein Herz —: aber noch
ist es mehr Enttäuschung als Unruhe, mehr Be-
trübnis darüber, sie noch eine Weile entbehren
zu müssen — äls Angst!

Nun, denkt er, und lacht im seiben Moment
zärtlich und licht: das Dummerchen, sie hätte sich
ja doch die Mühe machen können, mir zu telepho-
nieren, daß sie . . .

Daß sie was?! — fragt er sich jäh selbst; er
ist wieder in sein Zimmer hinunter gekommen und
steht da, ist sich auf einmal klar darüber gewor-
den: daß sie dann überhaupt nicht mehr in dieser
Nacht nach Hause kommen kann, kurz und gut,
sie ist da drinnen geblieben, sollte es, mit andern
Worten, plötzlich ganz schlimm mit ihrer Mutter
geworden sein — ist die Sache in dem Maße ernst,
meinGott!

Er hat schon den Arm ausgestreckt, um nach
dem Telephon zu greifen .— erinnert sich dann
aber, auf einmal unsagbar erieichtert, daß da noch
ein Zug ist!

Natürlich!

Ein Zug, der eine Viertelstunde später von der
Stadt abgeht als die letzte Straßenbahn!

Und ihre Eltern wohnen dem Bahnhof ja gerade
gegentiber —: kurz und gut, sie ist ganz einfach
mit der Eisenbahn gefahren!

Ja, aber — er fühlt sich ein wenig beunruhigt:
Wenn der Zug aus der Stadt eine Viertelstunde
nach der Straßenbahn äbgeht — dann hätte sie ja
schon hier sein müssen? Noch ehe er vorhin den
Weg hinab ging, um sie zu erwarten — nicht
wahr! Zweifelsohne, selbstverständlich!

Er hebt die Hand an den Kopf, mit einem son-
derbaren, gleichsam tickenden, klelnen Gefühl da
drinnen in seiner Brust — das indessen im selben
Augenblick innehält, in dem er sich erinnert: sie
weiß doch, daß er es nicht gern sieht, wenn sie
des Abends oder in der Nacht allein hier draußen
geht, wenn es äuch nur ein Zehnminutengang ist,
von der kleinen Station da oben bis hier zur Villa
hinab, wo sie wohnen —: und vermutlich ist sie
also gerade in dieser Sekunde im Begriff, ihn von
da oben anzurufen, um ihn zu bitten, zu kommen

und sie zu holen! Ganz sicher, hahaha, ganz ein-
fach, sie hat wahrscheinlich schon vergebens tele-
phoniert — gerade während er da unten än der
Straßenbahn stand; auch das hat sie aller Wahr-
scheinlichkeit nach jetzt hinterher ausgerechnet'—
und steht deswegen dort und wartet darauf, daß
er sie anklingeln soll!

Mit einem Sprung ist er am Telephon, klingelt
heftig dräuf los, eifrig, seiner Sache volikommen
sicher, schon mit dem Ansatz eines Lächelns um
seine Lippen, kann gleichsam in seinen Ohren die
Wonne fühlen, nun sofort ihre Stimme hören zu
sollen! Hahaha, höchst kindisch, das muß er ehr-
lich zugeben — aber er ist wirklich sozusagen
ganz nervös, vor lauter froher Erwartung, nach
dieser Abwesenheit von den paar Stunden . . .

„Jawohl, Fräulein!

Eisenbahnstation — danke! . . .

So, ach ... ah . . . vielleicht der Assistent,
guten Abend!

Ja, Sie sprechen mit Morton, sagen Sie mir
doch: haben Sie vielleicht nicht zufällig beobach-
tet, ob meine Frau in dem Zuge war, der eben
aus der Stadt kam?"

Er hört die Antwort, es ist ein munteres und
ehrerbietiges Ja. Seine Augen leuchten, er ist eben
im Begriff, den Hörer in übertriebenem Eifer an-
zuhängen, entsinnt sich dann plötzlich sehnsuchts-
benommen, daß sie also irgendwo in den Warte-
sälen da oben sitzen muß, er kann es auf einmal
nicht mehr aushalten, er muß ihre Stimme gleich,
sofort hören —„Ach, bitte, entschuldigen Sie,
aber sagen Sie mir doch, würden Sie mir viel-
leicht den Gefallen tun und einmal nachsehen ob
sie wohl da draußen im Wartezimmer sitzt —
und sie in dem Fall bitten . . ."

Aber die Antwort ist schon da, prompt —:

„Nein!

Frau Morton ist nicht da — sie war die ein-
zige, die hier auf der Station ausstieg!

Ich habe übrigens selbst die Fahrkarte der gnä-
digen Frau abgenommen — sie ist den Bahn-
hofsweg dann hinuntergegangen — sie muß also
schon . . ."

Morton hört den jäh veränderten Ton hinter
der Stimme des Mannes, eine keimende Unruhe
— seine Hand hat selbst angefangen unerklärlich
zu zittern —:

„Vielen Dank — entschuldigen Sie!

Gute Nacht!" — sagt er kurz, hängt den Hörer
an und steht einen Augenblick da, plötzlich atem-
los lahm, kann weder denken, noch sich besinnen;
hat auf einmal ein häßliches, ein frierendes Gefühl
von irgend etwas Kaltem und Schwarzem dort
hinter sich, oder oben über seinem Scheitel . . .
und dann in zwei rasenden Sätzen ist er rund um
den Schreibtisch gelangt, bis an die Tür, hinaus
gekommen.

Die Dunkelheit, das Sausen der Bäume, das
Gartentor — er bleibt auf einmal da unten stehen,
wahnsinnig nach rechts und nach links auf den
Weg hinausstarrend — der sich dort zu beiden
Seiten in die Nacht hinzieht, staubschimmemd, öde,
hier und da die Laternen mit ihren großen Kugeln
aus gelblichem Licht.

Mein Gott, das Ganze ist ja unmöglich, man
kann nicht mehr als sechs oder sieben, höchstens
acht, neun Minuten zu dem Stückchen Weges ge-
brauchen!

Mit andern Worten, schon zwei bis zweieinhalb
Minuten, bevor er das erstemal hier draußen war,
mußte sie bis hierher gelangt sein! Es ist also
irgend etwas geschehen: krank geworden, in der
Dunkelheit gestrauchelt, zu Schaden gekommen??

Noch einmal sucht er wild, besinnungslos, sein
Grauen zurückzudrängen, greift wahnsinnig nach
ganz sinnlosen, trostlosen Vorstellungen —:

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