„4. Liebe und Tod" (mit Folgen); „5. bürgerliche
Liebe" (Einheirat nicht unter dreißig Miiie); „6.
Die Gaianten" (ich weiß Bescheid); „7. Romanti-
sche Liebe" (siehe bürgeriiche Liebe); „8. Selbst-
biidnisse" (Eigeniiebe); „9. Parodie und Humor"
(Paarweise Verwechslung); „10. Psychologen der
Liebe" (Hochachtungsvoll Der Verleger). Das
Liebespaar tritt nicht nackt in das verlegene
Werk: „Wir finden da alle Stoffe: Vom Mythos
des ersten Menschenpaares bis zur Liebe in den
Mauern der modernen Großstadt." Adam und Eva
sind dem Renner mythisch, hingegen ist ihm die
Liebe in den Mauern mystisch. Trotz dem Druck
sind alle Liebespaare heiter aufgelegt: „Apollo
und Daphne, Venus und Adonis, der Raub der
Sabinerinnen — die Befreiung Andromedas, das
junge Hirtenpaar Dafnis und Chloe, Faun und
Nymphe, Satyr und Bacchantin, sie alle ziehen im
Reigen vorüber." Unter den Anwesenden be-
merkten wir: „Unter ihnen die berühmten Liebes-
paare der Dichter Paolo und Francesca, Romeo
und Julia." Diese beiden Paare haben sich my-
thisch verfrüht. Und damit noch nicht genug:
„Der deutsche Dudelsackpfeifer mit seinem be-
kränzten Dorfmädchen" (vermutlich Abschnitt Pa-
rodie und Humor), „tanzende Bauern (vermutlich
Abschnitt Götter und Heiden), „der Bannerträger
mit der Lagerdirne" (vermutlich Adam und Eva),
„Jäger und Sennerin" (vermutlich Abschnitt bür-
gerliche Liebe), „das schnippische Mädchen und
der brave Tölpel" (vermutlich Abschnitt Psycholo-
gen der Liebe), „alle sind sie da". Es fehlen noch
verschiedene die ich kenne. Stattdessen wird
hingegen „eine besonders interessante Reihe" ver-
sprochen: „Andrea del Sarto mit Lucrezia del
Fede... Rubens mit Isabella Brandt und mit
Helene Fourment" (vermutlich Abschnitt bürger-
liche Liebe), „Philipp Otto Runges Selbstbildnis
mit Gattin und Bruder" (Runge selbst war offen-
bar verhindert, da muß sein Bildnis die Gattin
begleiten), „Goya mit der Herzogin von Alba
spazierend, Corinth mit dem Modell im Arm" (for-
dert er sein Jahrhundert in die Schranken, die
bereits geschlossen sind), „die Modernen Beck-
mann und Kokoschka sind hier vereint und ihre
Bilder fordern zu anregenden Vergleichen heraus".
Es ist eine Herausforderung, Kokoschka mit Beck-
mann zu vereinen, umsomehr, da Kokoschka von
dieser Vereinigung nichts weiß. Wozu der Ver-
sammler bemerkt: „Vom Erhabenen zum Lächer-
lichen ist nur ein Schritt." So können wir also
getrost das Buch erwarten. „Der Verfasser hofft
mit seiner neuen Arbeit den selben Beifall zu fin-
den, wie mit der früheren über das Tier in der
Kunst, die gleichzeitig in neuer Auflage zu gleichem
Preise erscheint." Für eine Volksausgabe emp-
fehle ich die beiden Arbeiten zu vereinigen und
sie unter dem Titel „das Liebespaar und das Tier"
herauszugeben. Mit der Kunst hat die Angelegen-
heit doch nichts zu tun.
Der Obermuserieh
Nun bin ich gebildet. Vor kurzer Zeit schrieb
ich: „Da lebt in Hamburg gemütlich und nett Herr
Philipp Berges. Ich weiß nicht, was der Herr sonst
noch tut, sein Name steht öfters im Hamburger
Fremdenblatt." Herr Berges ist ein echter großer
Deutscher-Hamburger-Schriftsteller-Dichter. Aus
Hamburg wird gemeldet: „Die auswärtige Kritik
hat den Verfasser als den gewandtesten amüsan-
testen und vielseitigsten Feuilletonisten unter den
Hamburger Schriftstellern bezeichnet und dieser
Charakter prägt sich auch in seinem neuesten
Buche aus." Wahrscheinlich in Goldhochdruck.
Und die auswärtige Kritik ist hierorts bekannt:
„Das Berliner Tageblatt erließ während des
Krieges eine Umfrage, welche Bücher man in
dieser ernsten Zeit lesen sollte und unter wenigen
Büchern vereinigten sich viele Stimmen auf Phi-
lipp Berges." Wenn Menschen schweigen, müssen
Bücher reden. Es ist aber undemokratisch, daß
wenige Bücher viele Stimmen haben. Das wenig-
stens sollte das Berliner Tageblatt nicht zulassen.
Ueber das Buch selbst wird mitgeteilt: „Der Weg
führt über Indien, welches der Verfasser aus eige-
nen Ansichten herrlich schildert und auch das eng-
lische Joch ist nicht vergessen worden." Diese
Ansichtskarte bestelle ich. „Die Handlung füllt
sich immer mehr mit Spannung, bringt herrliche
Schilderungen." Die Schilderung einer Spannung
erzeugt folgenden Kurzschluß: „...und wenn dem
Buch auch ein geschichtlicher Wert zuzusprechen
ist, so ist es doch ein echter Roman, spannend,
fesselnd, vielgestaltig und farbig." Aber nicht nur
der geschichtliche Wert wird ihm wenn auch zu-
gesprochen: „Es ist ein Buch, von dem die Welt
sprechen wird, und gehört zu den großen deut-
schen Romanen die bleibenden Wert behalten.
Hochachtungsvoll: Gebrüder Enoch, Verlagsbuch-
handlung." Ich kann Bücher über Indien nicht
lesen, aber um diesen gewandtesten und amüsan-
testen Reiseonkel dem sehr geehrten Publikum
noch näher zu bringen, wiederhole ich seinen Satz
über seine indische Reise nach Halle: „Halle vor
allem als alte Musenstadt ist voll von Reiz für die,
die mit der Seele Augen zu sehen verstehen."
Auf diesen Satz vereinige ich meine Stimme, es
ist ihm geschichtlicher Wert zuzusprechen, wenn
auch Halle an der Saale spannend, fesselnd, viel-
gestaltig und farbig herrlich geschildert ist.
Herwarth Waiden
Meer
Lothar Schreyer
Der Nebel gilbt.
Das Wasser gleitet
Andreas I ,.
- . 1 gleiten
Johanna j
Andreas:
Verfangen in meinen Augen
Gesiegelt auf meinen Mund
Gekauert in mein Herz.
Johanna:
Fern sinken die grünen Ufer umgraut.
Die gelblichen Lichter fallen welk
Die verschlossenen Augen.
Der Tagstaub schieiert tief
Tief hängt mich mein Haar.
Schmutzige Hände drosseln '
Vergessene Schöne
Vergossene wir
Vergessen sind die Gassen und Gossen.
Müde bin ich den Betten.
Andreas:
Mild glänzen die Male auf meiner Brust
Schlag und fremd
Dich gegliedert
Kette.
Johanna:
Insel hoch
Tropfschwer herab.
Lachen schnüren Hals.
Mutternot!
Der Leib hüllt den Weg.
Andreas:
Nächte dämmern
Spiegel leuchtet Bild.
Das Land ist dem Körper entwichen.
Der Körper geht an den Ufern umher.
Weit starrt er hin.
Flucht!
Funkelthräne
Wunde.
Johanna:
Wiege singt
Mutter schweigt
Schwer.
Spielen auf und nieder
Auf
Nie.
Andreas:
Segel bräunen Schatten
Leuchten türmen fiebern KUppen
Wege schäumen
Schaum Scham.
Johanna:
Augen perlen
Mund
Entrollt.
Licht, straßt Sonne.
Andreas:
Höhen
Ragen segelt
Himmel schwanken
Täler wellen
Furche
Leib grabt
Hoch.
Johanna:
Insel
Haust tiert blumt steint
Sonnt mondet stemt
Weibt mannt kindet
Weit aus mir.
Andreas:
Du inselt Mich
Um uns
Monden Sonne Sterne
Rinden Mann Weib
Hausen Stein Tier Blume
Uns
Um
Erde.
Johanna:
Meer.
Wir einsamen die Wege
Traum.
Schrei und Verhallen
Welle.
Andreas:
Wir ruhen im Rumpf der Galeere.
Wir sind gefesselt an ihre Fahrt.
Wir haben die Fahrt gewollt.
Wir wandeln die Sklavenbänke in Lager
der Liebe.
Wir fahren über unseren Leib
Leichen
Boten
Wir.
Das Verkündete ruht in uns.
Brich!
Johanna:
Brich
Mich!
Schlag Hieb Brust.
Thränen wölken herab
Befruchtete Frau.
Mutter müht zum Tod.
Liebe verfreundet die Liebe.
Andreas:
Dein Leiden weht auf der Sonnenstrasse
Das ist das Gold.
Die Kette ringelt den Fuß
Hüfte du
Einst.
76
Liebe" (Einheirat nicht unter dreißig Miiie); „6.
Die Gaianten" (ich weiß Bescheid); „7. Romanti-
sche Liebe" (siehe bürgeriiche Liebe); „8. Selbst-
biidnisse" (Eigeniiebe); „9. Parodie und Humor"
(Paarweise Verwechslung); „10. Psychologen der
Liebe" (Hochachtungsvoll Der Verleger). Das
Liebespaar tritt nicht nackt in das verlegene
Werk: „Wir finden da alle Stoffe: Vom Mythos
des ersten Menschenpaares bis zur Liebe in den
Mauern der modernen Großstadt." Adam und Eva
sind dem Renner mythisch, hingegen ist ihm die
Liebe in den Mauern mystisch. Trotz dem Druck
sind alle Liebespaare heiter aufgelegt: „Apollo
und Daphne, Venus und Adonis, der Raub der
Sabinerinnen — die Befreiung Andromedas, das
junge Hirtenpaar Dafnis und Chloe, Faun und
Nymphe, Satyr und Bacchantin, sie alle ziehen im
Reigen vorüber." Unter den Anwesenden be-
merkten wir: „Unter ihnen die berühmten Liebes-
paare der Dichter Paolo und Francesca, Romeo
und Julia." Diese beiden Paare haben sich my-
thisch verfrüht. Und damit noch nicht genug:
„Der deutsche Dudelsackpfeifer mit seinem be-
kränzten Dorfmädchen" (vermutlich Abschnitt Pa-
rodie und Humor), „tanzende Bauern (vermutlich
Abschnitt Götter und Heiden), „der Bannerträger
mit der Lagerdirne" (vermutlich Adam und Eva),
„Jäger und Sennerin" (vermutlich Abschnitt bür-
gerliche Liebe), „das schnippische Mädchen und
der brave Tölpel" (vermutlich Abschnitt Psycholo-
gen der Liebe), „alle sind sie da". Es fehlen noch
verschiedene die ich kenne. Stattdessen wird
hingegen „eine besonders interessante Reihe" ver-
sprochen: „Andrea del Sarto mit Lucrezia del
Fede... Rubens mit Isabella Brandt und mit
Helene Fourment" (vermutlich Abschnitt bürger-
liche Liebe), „Philipp Otto Runges Selbstbildnis
mit Gattin und Bruder" (Runge selbst war offen-
bar verhindert, da muß sein Bildnis die Gattin
begleiten), „Goya mit der Herzogin von Alba
spazierend, Corinth mit dem Modell im Arm" (for-
dert er sein Jahrhundert in die Schranken, die
bereits geschlossen sind), „die Modernen Beck-
mann und Kokoschka sind hier vereint und ihre
Bilder fordern zu anregenden Vergleichen heraus".
Es ist eine Herausforderung, Kokoschka mit Beck-
mann zu vereinen, umsomehr, da Kokoschka von
dieser Vereinigung nichts weiß. Wozu der Ver-
sammler bemerkt: „Vom Erhabenen zum Lächer-
lichen ist nur ein Schritt." So können wir also
getrost das Buch erwarten. „Der Verfasser hofft
mit seiner neuen Arbeit den selben Beifall zu fin-
den, wie mit der früheren über das Tier in der
Kunst, die gleichzeitig in neuer Auflage zu gleichem
Preise erscheint." Für eine Volksausgabe emp-
fehle ich die beiden Arbeiten zu vereinigen und
sie unter dem Titel „das Liebespaar und das Tier"
herauszugeben. Mit der Kunst hat die Angelegen-
heit doch nichts zu tun.
Der Obermuserieh
Nun bin ich gebildet. Vor kurzer Zeit schrieb
ich: „Da lebt in Hamburg gemütlich und nett Herr
Philipp Berges. Ich weiß nicht, was der Herr sonst
noch tut, sein Name steht öfters im Hamburger
Fremdenblatt." Herr Berges ist ein echter großer
Deutscher-Hamburger-Schriftsteller-Dichter. Aus
Hamburg wird gemeldet: „Die auswärtige Kritik
hat den Verfasser als den gewandtesten amüsan-
testen und vielseitigsten Feuilletonisten unter den
Hamburger Schriftstellern bezeichnet und dieser
Charakter prägt sich auch in seinem neuesten
Buche aus." Wahrscheinlich in Goldhochdruck.
Und die auswärtige Kritik ist hierorts bekannt:
„Das Berliner Tageblatt erließ während des
Krieges eine Umfrage, welche Bücher man in
dieser ernsten Zeit lesen sollte und unter wenigen
Büchern vereinigten sich viele Stimmen auf Phi-
lipp Berges." Wenn Menschen schweigen, müssen
Bücher reden. Es ist aber undemokratisch, daß
wenige Bücher viele Stimmen haben. Das wenig-
stens sollte das Berliner Tageblatt nicht zulassen.
Ueber das Buch selbst wird mitgeteilt: „Der Weg
führt über Indien, welches der Verfasser aus eige-
nen Ansichten herrlich schildert und auch das eng-
lische Joch ist nicht vergessen worden." Diese
Ansichtskarte bestelle ich. „Die Handlung füllt
sich immer mehr mit Spannung, bringt herrliche
Schilderungen." Die Schilderung einer Spannung
erzeugt folgenden Kurzschluß: „...und wenn dem
Buch auch ein geschichtlicher Wert zuzusprechen
ist, so ist es doch ein echter Roman, spannend,
fesselnd, vielgestaltig und farbig." Aber nicht nur
der geschichtliche Wert wird ihm wenn auch zu-
gesprochen: „Es ist ein Buch, von dem die Welt
sprechen wird, und gehört zu den großen deut-
schen Romanen die bleibenden Wert behalten.
Hochachtungsvoll: Gebrüder Enoch, Verlagsbuch-
handlung." Ich kann Bücher über Indien nicht
lesen, aber um diesen gewandtesten und amüsan-
testen Reiseonkel dem sehr geehrten Publikum
noch näher zu bringen, wiederhole ich seinen Satz
über seine indische Reise nach Halle: „Halle vor
allem als alte Musenstadt ist voll von Reiz für die,
die mit der Seele Augen zu sehen verstehen."
Auf diesen Satz vereinige ich meine Stimme, es
ist ihm geschichtlicher Wert zuzusprechen, wenn
auch Halle an der Saale spannend, fesselnd, viel-
gestaltig und farbig herrlich geschildert ist.
Herwarth Waiden
Meer
Lothar Schreyer
Der Nebel gilbt.
Das Wasser gleitet
Andreas I ,.
- . 1 gleiten
Johanna j
Andreas:
Verfangen in meinen Augen
Gesiegelt auf meinen Mund
Gekauert in mein Herz.
Johanna:
Fern sinken die grünen Ufer umgraut.
Die gelblichen Lichter fallen welk
Die verschlossenen Augen.
Der Tagstaub schieiert tief
Tief hängt mich mein Haar.
Schmutzige Hände drosseln '
Vergessene Schöne
Vergossene wir
Vergessen sind die Gassen und Gossen.
Müde bin ich den Betten.
Andreas:
Mild glänzen die Male auf meiner Brust
Schlag und fremd
Dich gegliedert
Kette.
Johanna:
Insel hoch
Tropfschwer herab.
Lachen schnüren Hals.
Mutternot!
Der Leib hüllt den Weg.
Andreas:
Nächte dämmern
Spiegel leuchtet Bild.
Das Land ist dem Körper entwichen.
Der Körper geht an den Ufern umher.
Weit starrt er hin.
Flucht!
Funkelthräne
Wunde.
Johanna:
Wiege singt
Mutter schweigt
Schwer.
Spielen auf und nieder
Auf
Nie.
Andreas:
Segel bräunen Schatten
Leuchten türmen fiebern KUppen
Wege schäumen
Schaum Scham.
Johanna:
Augen perlen
Mund
Entrollt.
Licht, straßt Sonne.
Andreas:
Höhen
Ragen segelt
Himmel schwanken
Täler wellen
Furche
Leib grabt
Hoch.
Johanna:
Insel
Haust tiert blumt steint
Sonnt mondet stemt
Weibt mannt kindet
Weit aus mir.
Andreas:
Du inselt Mich
Um uns
Monden Sonne Sterne
Rinden Mann Weib
Hausen Stein Tier Blume
Uns
Um
Erde.
Johanna:
Meer.
Wir einsamen die Wege
Traum.
Schrei und Verhallen
Welle.
Andreas:
Wir ruhen im Rumpf der Galeere.
Wir sind gefesselt an ihre Fahrt.
Wir haben die Fahrt gewollt.
Wir wandeln die Sklavenbänke in Lager
der Liebe.
Wir fahren über unseren Leib
Leichen
Boten
Wir.
Das Verkündete ruht in uns.
Brich!
Johanna:
Brich
Mich!
Schlag Hieb Brust.
Thränen wölken herab
Befruchtete Frau.
Mutter müht zum Tod.
Liebe verfreundet die Liebe.
Andreas:
Dein Leiden weht auf der Sonnenstrasse
Das ist das Gold.
Die Kette ringelt den Fuß
Hüfte du
Einst.
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